
Liebe Leserinnen und Leser,
unser heutiges Thema des Tages ist momentan das vielleicht heißeste Eisen in der deutschen Innenpolitik:
Wie kann, soll und muss der Rechtsstaat damit umgehen, wenn Beschäftigte im öffentlichen Dienst zugleich Mitglied in der AfD sind – einer Partei, die offiziell als gesichert rechtsextrem gilt? (Auch, wenn der Verfassungsschutz die Einstufung aktuell offiziell auf Eis gelegt hat.)
Wir haben uns das für Richterinnen und Richter genauer angeschaut, denn für sie gelten besonders hohe Anforderungen. Kann man Richter ihres Amts entheben? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen? Und was spricht dagegen, dass sich die Politik auf diese Weise ins Justizsystem einmischt?
Außerdem im SPOTLIGHT: Ein neuer Bericht des Bundesrechnungshofs zeigt, dass die Bundeswehr – trotz Zeitenwende – ihr Geld bisher nicht gerade klug ausgab. Darüber schreibt heute unsere Reporterin Shammi Haque, die ab sofort die Verschwendung deutscher Behörden zu ihrem wichtigsten Berichtsthema macht.
In der „Werkbank“ und der „Grafik des Tages“ lesen Sie die Auflösung unserer Umfrage von letzter Woche – die wir hier im SPOTLIGHT und parallel auf der Messe re:publica gemacht hatten: Wo verlaufen aus Ihrer Sicht die größten Spaltungen durch unsere Gesellschaft? Und welche Ideen haben Sie, um diese zu kitten?
Schreiben Sie mir wie immer gern, was Sie bewegt: anette.dowideit@correctiv.org.
Thema des Tages: Was tun, wenn Richter bei der AfD sind?
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
Faktencheck: Zurückweisungen an der Grenze: Was sagen Fachleute zu Dobrindts Aussagen?
CORRECTIV-Werkbank: Was hilft gegen gesellschaftliche Spaltung?
Grafik des Tages: SPOTLIGHT-Umfrage: Welche Themen spalten uns am meisten?
Das Richteramt ist eines der wichtigsten in einem demokratischen Rechtsstaat. Richterinnen und Richter müssen unabhängig von der Politik ihre Entscheidungen treffen können. Sie dürfen nicht befürchten müssen, aus ihrem Amt enthoben zu werden, wenn sie Urteile fällen, die der jeweiligen Regierung als nicht „wünschenswert“ erscheinen.
Nur dann ist die Gewaltenteilung aus Legislative (Gesetzgebung), Exekutive (ausführenden Behörden) und Judikative (Rechtsprechung) gewährleistet.
Richterinnen und Richter dürfen auch Mitglieder in politischen Parteien sein. Denn eine Parteizugehörigkeit heißt erst einmal noch nicht, dass sie Urteile fällen, die zum Programm ihrer Partei passen.
Diese Feststellung ist gerade heute wichtig, denn: Durch die Sozialen Netzwerke, besonders durch Elon Musks „X“, geht gerade eine Debatte: Gestern entschied das Verwaltungsgericht Berlin, dass die Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen in drei konkreten Fällen rechtswidrig gewesen seien. Der Richter war offenbar früher Mitglied bei den Grünen.

Daraus versuchen nun rechtslastige Beobachter des politischen Geschehens, einen Skandal zu zimmern. Zu Unrecht, denn wie gesagt: Richter dürfen Parteimitglieder sein, solange sie ihre Urteile nicht politisch fällen.
Was aber, wenn sie Mitglied in einer Partei außerhalb des demokratischen Spektrums sind? Kann jemand, der privat eine Partei unterstützt, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, zugleich im Gerichtssaal das Grundgesetz verteidigen?
Darum geht es in unserer heute veröffentlichten Analyse.

Um wie viele Personen geht es?
Es gibt bundesweit rund 20.000 hauptamtliche und 60.000 ehrenamtliche Richter – sogenannte Schöffen. Über letztere hatten wir von CORRECTIV vor einem Jahr berichtet und konnten zeigen, dass in mindestens elf Fällen erklärte Verfassungsfeinde im Amt waren.
Bei den hauptamtlichen Richtern gibt es keine solche Zahl – es gab aber eine Reihe von Fällen, in denen politische Entscheidungsträger damit gerungen haben, ob ein Richter oder eine Richterin wegen Urteilen außerhalb des demokratischen Spektrums des Amts enthoben werden sollten.
Was sagen die politischen Mandatsträger?
Wir haben mit Justiz- und Innenpolitikerinnen und -politikern in den verschiedenen Bundesländern darüber gesprochen. Sie sind für das Thema zuständig, weil die meisten der 20.000 Richterinnen und Richter in Gerichten auf Kommunal- oder Landesebene arbeiten.
Die Bundesländer gehen mit dem Thema ganz unterschiedlich um. Bremen stellt beispielsweise Disziplinarverfahren in Aussicht – wenn Richter trotz der Einstufung der AfD als gesichert rechtsextrem Mitglied der Partei bleiben.
Weil das Thema so wichtig ist, wird es voraussichtlich Mitte Juni bei der Konferenz der Innenminister der Bundesländer diskutiert. Wir halten Sie auf dem Laufenden.
Grenz-Urteil für Merz und Dobrindt
Die Unionspolitiker wollen ihr Wahlversprechen einhalten. Das Verwaltungsgericht in Berlin zog jedoch eine klare Grenze, indem es die Zurückweisung von Asylsuchenden in konkreten Fällen als rechtswidrig erklärte. Trotz dieser gerichtlichen Entscheidung hält Innenminister Alexander Dobrindt an seiner Politik fest.
deutschlandfunk.de
Neuwahl in den Niederlanden
Nachdem der Rechtspopulist Geert Wilders die Regierungskoalition platzen ließ, verkündete der niederländische Ministerpräsident Dick Schoof seinen Rücktritt. Er kündigte Neuwahlen an.
spiegel.de
Köln: Drei Weltkriegsbomben entdeckt
Es ist die größte Bombenentschärfung seit Jahren, in Köln die größte seit Kriegsende. Zwei 20-Zentner-Bomben und eine 10-Zentner-Bombe waren bei Sondierungsarbeiten im Bereich der Deutzer Werft entdeckt worden. 20.000 Personen mussten das Gebiet in einem Evakuierungsradius von einem Kilometer verlassen.
ksta.de
CORRECTIV hakt nach: Bundesrechnungshof fordert Reform bei Bundeswehr
Trotz Zeitenwende: Bundesverteidigungsministerium und Bundeswehr gelingt es oft nicht, ihr Geld wirtschaftlich einzusetzen. Das geht aus einem aktuellen Sonderbericht des Bundesrechnungshofs hervor.
correctiv.org

Faktencheck

Innenminister Alexander Dobrindt ordnete im Mai an, dass Asylsuchende an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden sollen. Das Berliner Verwaltungsgericht urteilte nun in drei Fällen, dass das nicht rechtmäßig ist. Dobrindt will dennoch an der Maßnahme festhalten. Seine Aussagen zu dem Beschluss sind jedoch fragwürdig.
correctiv.org
Endlich verständlich
Einsamkeit betrifft immer mehr junge Menschen. Wussten Sie, dass fast jeder zweite Jugendliche sich manchmal oder immer einsam fühlt? Das wirkt sich nicht nur auf ihr Leben aus, sondern auch auf die Demokratie. Zum Beispiel verstärkt Einsamkeit den Glauben an Verschwörungserzählungen – oder führt sogar zur Akzeptanz von Gewalt.
instagram.com (Salon5)
So geht’s auch
Von Deutschland mit der Bahn ins Nachbarland – oft ist da schon der Ticketkauf verwirrend. Das soll sich endlich ändern, ab Herbst sollen deutlich mehr Tickets für das Ausland auch über die Deutsche Bahn gebucht werden können.
dw.com
Fundstück
Die Präsidentin des Bundestages, Julia Klöckner (CDU), fordert: Es sei Zeit für eine Frau im höchsten Amt Deutschlands. Die nächste Wahl zum Bundespräsidenten oder zur Bundespräsidentin steht allerdings erst im Jahr 2027 an. Wie viel wissen Sie über dieses Amt? Das können Sie hier testen.
bpb.de
Wir haben unsere Leserinnen und Leser letzte Woche gefragt, wie ein Format aussehen könnte, das hilft, die gesellschaftliche Spaltung zu überwinden. Wie können sich Leute unterschiedlicher Positionen wieder stärker begegnen und fair miteinander diskutieren? Dabei haben uns Hunderte Antworten mit Anregungen erreicht – mit unterschiedlichsten Ideen.
Online oder Offline? Zahlreiche Personen betonten, wie wichtig das Zusammentreffen vor Ort ist. „Wenn man sich in die Augen schaut, kann sich keiner hinter einem Social Media-Account verstecken.“ Am besten, schreiben viele, müsste ein Dialogformat dorthin gehen, wo die Menschen ohnehin sind. An Schulen etwa, aber auch in die Kneipe wollen uns einige Leserinnen und Leser schicken. Denn das habe den Vorteil, dass wir dort auch Leute treffen, die einem Aufruf zur Beteiligung von CORRECTIV sonst eher nicht folgen würden. Andere schlugen konkrete Formate vor, etwa ein „World Café“ oder eine Art Bürgerforum. Und verschiedene meinten: Wir sollten auf jeden Fall nicht in Berlin starten.
Auch Online-Diskussionen konnten sich einige vorstellen, aber mit bestimmten Regeln: Etwa einem Live-Faktencheck und einer Moderation, die besonders darauf achte, auch leisere Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Bei einem Punkt gingen die Meinungen aber weit auseinander: AfD-Protagonisten einladen – oder konsequent menschenfeindliche Rhetorik aussperren.
Abgesehen vom konkreten Format, sind rund 34 Prozent der insgesamt 639 Teilnehmenden unserer Umfrage der Meinung: Eine Polarisierung könnte verringert werden, wenn Medien weniger auf empörende Inhalte setzen würden.
„Soziale Medien müssen stark moderiert werden”, schrieb einer unserer Leser. Einige schlagen eine europaweite Instanz zur Regelung der Medien vor, um eine weitere gesellschaftliche Spaltung zu verringern. Damit könnten Unwahrheiten möglicherweise besser gefiltert werden: „Soziale Medien auf europäischer Basis, mit Verifikation von Benutzern und Fakten”, schrieb ein Leser.
Vielen Dank für die zahlreichen Ideen und Hinweise. Wir sammeln hier noch weiter, um ein Format – oder vielleicht auch verschiedene – zu entwickeln.

Welche Themen spalten uns als Gesellschaft am meisten? Das wollten wir in unserer nicht-repräsentativen Umfrage von Ihnen ebenfalls wissen. Die häufigste Antwort unserer Leserinnen und Leser: Migration. Auf Platz zwei – vor Gender oder Klima – landete das Thema wirtschaftliche Ungleichheit.
Übrigens: Auch die Forschung interessiert sich seit einiger Zeit dafür, wie gespalten unsere Gesellschaft ist. Dabei gibt es durchaus ermutigende Befunde – etwa, dass wir bei vielen Themen als Gesellschaft gar nicht so unversöhnlich weit auseinander liegen. Aber, das ist die traurige Kehrseite, das Misstrauen gegeneinander ist trotzdem gewachsen. Unter anderem, weil populistische Akteure und Parteien die Polarisierung zu einem Geschäftsmodell gemacht haben.
philomag.de
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Till Eckert, Samira Joy Frauwallner, Sebastian Haupt und Jule Scharun.
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