Gerda aus Gera: Wie ein Einzelner ein Lokalmedium aufbaut
Seit einem Jahr gibt es mit Gerda ein neues Lokalmedium in der Stadt Gera. Initiiert wurde es vom 24-jährige Journalist und Solo-Gründer Jacob Queißner. Ziel von Gerda ist es, die Berichterstattung vor Ort zu beleben und die lokale Öffentlichkeit über relevante Themen – von Stadtgeschichte bis zu politischen Demonstrationen – regelmäßig zu informieren. Aktuell erscheint der Newsletter alle zwei Wochen.

Der Weg zur Gründung
Gera ist vor allem durch Berichte über regelmäßige Demonstrationen und eine gut organisierte rechte Szene bekannt. Die Stadt, die einst zu den wohlhabendsten Deutschlands gehörte, hat nach der Wende an wirtschaftlichem Gewicht verloren und kämpft seit Jahren mit Abwanderung. Obwohl seit 2021 jeden Montag Demonstrationen stattfinden, existierte kein Lokalmedium, das diese Ereignisse inhaltlich aufbereitet. Während größere Demonstrationen mit Straßensperrungen kommuniziert werden, bleiben grundlegende Fragen offen: Wer demonstriert? Welche Anliegen werden vertreten? Und wie sehen Gegenstimmen aus? Engagierte und Gegendemonstrant*innen fühlen sich mit ihrem Einsatz bisher kaum wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund entschied sich Jacob Queißner, Gerda zu gründen. Als freier Fotograf und Journalist begleitet er seither die Demonstrationen vor Ort und berichtet aus einer neuen Perspektive über das Geschehen in Gera.
Angebote und Formate
Das Hauptprodukt von Gerda ist ein Newsletter, der alle zwei Wochen erscheint und sieben Rubriken umfasst, darunter Stadtgeschichte, das Geschehen der letzten Wochen, ein Bilderrätsel sowie Kurzmeldungen über die rechte Szene in Gera. Neben dem Newsletter werden auch einzelne Beiträge auf der Website veröffentlicht. Hier berichtet Queißner nicht nur über besondere Ereignisse, sondern lässt auch mal hinter die Kulissen seines Arbeitsalltags blicken. So hat der Journalist zum Beispiel den Besuch von Jan Böhmermann in Gera verpasst, was ihn aber nicht von einer ausführlichen Nachberichterstattung abhält.
Die Beiträge von Gerda spiegeln nicht nur Jacob Queißners Interesse am aktuellen Stadtgeschehen wider, sondern zeigen auch seine Leidenschaft für die Geschichte Geras. Formate wie das Bilderrätsel sollen die Leserinnen und Leser dazu anregen, mit offenen Augen durch die Stadt zu gehen und eine stärkere Verbindung zu ihrem Umfeld aufzubauen. Mit diesem Ansatz verfolgt Queißner unter anderem das Ziel, die Abwanderung aus Gera zu verringern und das Bewusstsein für die eigene Stadt zu stärken.
So finanziert sich Gerda
Im Gegensatz zu vielen anderen Medien verzichtet Gerda vollständig auf eine Paywall und macht sämtliche Inhalte frei zugänglich. Jacob Queißner ist überzeugt: Wenn Desinformation und Propaganda kostenlos im Netz kursieren, sollten gut recherchierte, verlässliche Informationen nicht hinter Bezahlschranken verschwinden.
Finanziert wird Gerda derzeit vor allem durch freie journalistische Aufträge und das Grow-Stipendium des Netzwerks Recherche von 3.000€. Da Jacob Queißner das Projekt allein gegründet hat und mit einem sehr geringen Budget auskommt, finanziert er damit ein halbes Jahr Gerda. Die Plattform Substack, auf der Gerda gehostet ist, verursacht keine laufenden Kosten. Kamera und Technik bringt Queißner aus seiner bisherigen Arbeit mit, zu Terminen in der Stadt fährt er mit dem Fahrrad.
Für die Zukunft hat Jacob Queißner jedoch bereits verschiedene Ideen zur Einnahmengenerierung: Denkbar sind Spendenmodelle, Mitgliedschaften, eigene Printprodukte, Merchandising – oder sogar Stadtrundgänge.
Die größten Herausforderungen
Die größte Herausforderung bei der Gründung von Gerda ist derzeit der Spagat zwischen redaktioneller Arbeit und organisatorischen Aufgaben – insbesondere, weil Jacob Queißner das Projekt allein betreibt. Der Newsletter enthält zahlreiche Rubriken, deren regelmäßige Pflege viel Zeit in Anspruch nimmt. Rückblickend wäre ein reduzierter Start mit weniger Formaten vermutlich praktikabler gewesen. Auch eine tagesaktuelle Berichterstattung lässt sich unter den aktuellen Bedingungen nicht leisten – was zum Teil bewusst so gewählt ist: Jacob möchte mit Gerda einen entschleunigten Lokaljournalismus etablieren, der auf Tiefe statt Tempo setzt.
Ursprünglich war geplant, das Projekt im Team zu starten, besonders mit Blick auf die Kommunal- und Europawahlen 2024. Doch das Zusammenstellen eines festen Teams ließ sich in der Kürze der Zeit nicht umsetzen, sodass Queißner sich entschied, zunächst allein loszulegen. Dennoch zeigt sich, dass eine Aufteilung der Aufgaben – etwa zwischen redaktioneller Arbeit und organisatorischen Themen wie Rechtsform oder Finanzierung – bereits mit zwei Personen deutlich entlastender wäre.
Die Erfolgsfaktoren
Trotz der Herausforderungen, die mit einer Solo-Gründung einhergehen, war es vor allem Jacob Queißners Eigeninitiative, die den Start von Gerda möglich gemacht hat. Die Entscheidung, zunächst allein zu beginnen, erwies sich als pragmatischer Weg, um das Projekt überhaupt ins Rollen zu bringen. Zugleich ist es hilfreich, dass Queißner sowohl Journalist als auch Fotograf ist und sich viele Fähigkeiten selbst angeeignet hat – so konnte er von Beginn an viele Aufgaben eigenständig übernehmen. Dennoch erhält er auch Unterstützung. Beispielsweise durch Fotos, Gastbeiträge, gemeinsame Recherchen oder aktuell beim Aufbau einer passenden Rechtsform. Gerade als Einzelunternehmer ist jeder Beitrag und jede helfende Hand sehr wertvoll.
Ein wichtiger Meilenstein war zudem die Aufnahme in das Grow-Stipendium des Netzwerks Recherche. Es bot nicht nur eine finanzielle Starthilfe, sondern auch Zugang zu einem unterstützenden Netzwerk sowie fachlichem Austausch. Zudem war Jacob Queißner frühes Mitglieder der CORRECTIV.StartHub-Community, hat sich Fachwissen durch das „Lust auf Lokal“-Handbuch mit Tipps zum Community-Journalismus angeeignet und ist im Austausch mit anderen Communitymitgliedern. Zugang zu Fachwissen und unterstützende Netzwerke waren entscheidend für die Weiterentwicklung von Gerda in der Anfangsphase.
Dieses Fallbeispiel ist Teil des Angebots vom CORRECTIV.StartHub, der Anlaufstelle für alle, die ihr eigenes Community-zentriertes Medienprojekt im Lokalen starten wollen.
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