Terrorismus

Der Autohändler, der für „Gottes Rache gegen die Zionisten“ betete

Eine Gebrauchtwagenverkäufer rief mutmaßlich zum Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt auf. Terrorismusexperten bezeichnen den Fall gegenüber CORRECTIV und Bayerischem Rundfunk als „ungewöhnlich“ – und warnen vor weiteren Anschlägen.

von Ulrich Kraetzer

Der festgenommen Autohändler Moustafa M
Bitte um „Gottes Rache“: Der Screenshot aus einem Tiktok-Video zeigt Moustafa M. auf dem Gelände seines Gebrauchtwagenmarktes

Ein knappes Jahr bevor Spezialkräfte der bayerischen Polizei ihn festnehmen, zeigt sich Moustafa M. auf dem Gelände seines Gebrauchtwagenmarktes im niederbayerischen Landkreis Dingolfing-Landau in einem Video Den grau melierten Vollbart akkurat gestutzt und das hellblaue Sakko über den Wollpulli gestreift, steht er in dem Clip vor einem Zweckbau mit Palästina-Flagge. „Wir können in dieser Situation nicht vergessen, dass wir für Gottes Hilfe gegen die Zionisten beten“, sagt Moustafa M. Er blickt in die Kamera und beschwört „Gottes Rache“ – dann wendet er sich ab und preist den Zuschauern beim Rundgang über seinen Gebrauchtwagenmarkt diverse Kleinwagen, Limousinen und Transporter an.

Dem Tiktok-Account, auf dem das Video im Dezember 2024 veröffentlicht wird, folgen nur 194 Nutzer. Der Clip, über den zunächst die Zeitung Welt berichtete, wäre also kaum aufgefallen. Nun aber könnte er als Beweismaterial dienen. Denn Moustafa M. beließ es womöglich nicht dabei, Gottes Rache „gegen die Zionisten“ zu beschwören. Er hegte mutmaßlich Terrorpläne. Die Generalstaatsanwaltschaft München verdächtigt den Ägypter, in einer Moschee dazu aufgerufen zu haben, „mittels eines Fahrzeugs einen Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt“ zu begehen. Sein mutmaßliches Ziel sei es gewesen, „möglichst viele Menschen zu töten oder zu verletzen“.

Neben Moustafa M. nahmen die Spezialkräfte am vergangenen Freitag (12.12.25) auch drei Marokkaner fest. Sie sollen sich anschlagsbereit gezeigt haben. Ein ebenfalls vorläufig festgenommener 37-jähriger Syrer soll sie darin bestärkt haben.

Festnahmen wegen Plänen für Terroranschläge

CORRECTIV und der Bayerische Rundfunk haben die Hintergründe des Falls recherchiert. Auf den ersten Blick erscheint er nicht ungewöhnlich. Denn Festnahmen mutmaßlicher Islamisten wegen angeblicher Anschlagspläne sind zwar nicht an der Tagesordnung – es gibt sie aber immer wieder mal. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) erklärte zudem, die Gefahr sei „bereits in einem sehr frühen Stadium unterbunden“ worden.

Auf den zweiten Blick zeigen sich aber Auffälligkeiten. Denn zuletzt wurden vor allem Terrorpläne von eher jungen Menschen bekannt, die sich im Internet radikalisiert hatten und als Geflüchtete nach Deutschland gekommen waren. So war es in Solingen, wo ein damals 26-jähriger Syrer im August 2024 auf einem Stadtfest drei Menschen erstach. So war es in Aschaffenburg, wo ein 27-jähriger Afghane im Januar dieses Jahres auf eine Kita-Gruppe losstürmte und einen zweijährigen Jungen erstach. So war es in München, wo nur wenige Wochen später ein 24-jähriger Afghane mit einem Kleinwagen in einen Demonstrationszug fuhr und eine Mutter und ihr zweijähriges Kind überfuhr.

In der islamistischen Ideologie – das zeigte sich auch nach anderen Anschlagsplänen, die vereitelt wurden – schienen etliche der jungen Männer wenig sattelfest zu sein. Ihre Motive lagen oft eher im persönlichen Bereich. Einige zeigten gar Anzeichen einer psychischen Erkrankung.

Terrorverdächtiger lebt bereits seit 30 Jahren in Deutschland

Bei den Festnahmen von Dingolfing-Landau scheinen die Dinge anders zu liegen: Denn der Autohändler Moustafa M. war kein junger Asylbewerber, sondern ein 56 Jahre alter Ägypter, der seinen eigenen Angaben aus einem Tiktok-Video zufolge bereits seit rund 30 Jahren in Deutschland lebt. In der islamistischen Ideologie war M. offenbar tief verwurzelt. In seiner Moschee soll er als Iman gewirkt haben. Dem bayerischen Verfassungsschutz ist er nach Informationen von CORRECTIV und dem Bayerischen Rundfunk bereits seit Jahren als Anhänger der Muslimbruderschaft bekannt.

Die 1928 in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft ist eine der ältesten und weltweit wirkmächtigsten islamistischen Bewegungen. Als ihr Ziel gilt der Aufbau eines islamischen Staates unter der Herrschaft der Scharia. In Europa gelten die der Bruderschaft zugerechneten Gruppierungen als gewaltfrei.

Moustafa M. hegte allerdings wohl nicht nur Sympathien für die Muslimbruderschaft. Nach Informationen von CORRECTIV und dem Bayerischen Rundfunk aus den Sicherheitsbehörden soll er auch Sympathien für die Terrororganisation Al Kaida gehegt haben.

Renaissance einer früheren Spielart des islamistischen Terrorismus?

Stehen die Festnahme von Dingolfing-Landau also für die Renaissance einer Spielart des islamistischen Terrorismus, die längst überwunden schien?

Der Terrorismusexperte Peter Neumann vom King’s College in London sagte auf Anfrage von CORRECTIV, der Fall sei „in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich“. Um zu beurteilen, ob seine Bedeutung über den Einzelfall hinausgehe, gebe es derzeit aber noch zu wenige Informationen. Ein Sprecher der mit dem Verfahren betrauten Generalstaatsanwaltschaft München wollte sich zum Stand der Ermittlungen nicht äußern.

Ungute Erinnerungen weckte die Nachricht über die mutmaßlichen Pläne für einen Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt allerdings auch ohne Kenntnis von Detailinformationen. Denn erst vor einem Jahr fuhr ein Mann mit einem gemieteten BMW über einen Weihnachtsmarkt in Magdeburg. Sechs Menschen starben, mehr als 320 erlitten teils schwere Verletzungen.

Der mutmaßliche Täter, der saudische Staatsbürger Taleb al-Abdulmohsen, muss sich deswegen seit November vor Gericht verantworten. Die Anklage nennt allerdings keine islamistischen Motiven für die Tat. Abdulmohsen handelte wohl eher aus einer kruden Mischung aus persönlicher Kränkung und nicht minder schwer zu kategorisierenden pseudopolitischen und womöglich islamfeindlichen Motiven.

Erinnerungen an  Terroranschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt

Ins kollektive Gedächtnis vieler Deutscher brannte sich auch der 19. Dezember 2016 ein. Damals fuhr Anis Amri, ein damals 23-jähriger abgelehnter Asylbewerber aus Tunesien, mit einem gekaperten Lastwagen über den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz. Dreizehn Menschen starben. Mindestens 57 weitere wurden teils schwer verletzt. Die Ermittlungen zeigten, dass Amri mit einer eindeutig islamistischen Motivation und angeleitet von einem Mentor der Terrormiliz „Islamischer Staat“ handelte.

Der Terrorismusexperte Neumann weist darauf hin, dass sich die islamistische Szene seit Amris Bluttat gewandelt hat. „Wir sehen anders als in früheren Jahren keine durch das Land reisenden Hassprediger mehr“, sagt Neumann. Die Radikalisierung spiele sich vielmehr fast ausschließlich im virtuellen Raum ab. Der Fall des Autohändlers aus Dingolfing-Landau sei eine Ausnahme.

Sorgen bereite ihm auch die Geschwindigkeit, mit der junge Menschen sich radikalisierten. Früher habe es erst eine langsame Hinwendung zur islamistischen Ideologie gegeben. Die Radikalisierung zum gewaltbereiten Dschihadismus und zum Terrorismus sei in aller Regel erst danach gefolgt. „Heutzutage spielt die Ideologie dagegen kaum noch eine Rolle“, sagt Neumann. „Es geht oft nur noch darum, Hass und Gewalt auszuleben.“

Fast 450 islamistische „Gefährder“

Glaubt man den Zahlen des Bundeskriminalamtes (BKA), war die Zahl der Islamisten, denen die Sicherheitsbehörden aufgrund der ihnen vorliegenden Erkenntnisse einen Terroranschlag zutrauen, allerdings schon einmal größer als zurzeit. Wie das BKA auf Anfrage mitteilte, zählt die Behörde derzeit exakt 446 dieser sogenannten „Gefährder“ (400 Männer und 46 Frauen). Anfang dieses Jahres waren es noch 471, Anfang 2020 sogar 665.

Ist die Anschlagsgefahr gesunken? Oder ist Statistik nur bedingt aussagekräftig, weil das BKA nur jene Personen als Gefährder erfassen kann, zu denen den Sicherheitsbehörden entsprechende Erkenntnisse vorliegen?

Terrorismusexperte Neumann weist darauf hin, dass der Anschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023 und die folgenden Angriffe der israelischen Armee in Gaza der islamistischen Szene auch hierzulande einen enormen Schub gegeben hätten. „Die Wut ist unglaublich groß“, sagt Neumann. Organisationen wie die Terrormiliz „Islamischer Staat“ würden diese Wut für ihre terroristischen Zwecke ausnutzen.

„Ich wundere mich, dass nicht schon viel mehr passiert ist“

Die Botschaft der Terroristen sei klar: „Ihr müsst nicht nach Palästina fahren, um eure Schwestern und Brüder zu unterstützen. Ihr könnt den Feind überall treffen.“ Er wundere sich nicht, wenn die Sicherheitsbehörden mal wieder über eine Festnahme oder über einen womöglich vereitelten Anschlagsplan informierten. „Ich wundere mich, dass nicht schon viel mehr passiert ist“, sagt Neumann.

Kann die Bedrohung zurückgehen, wenn im Nahen Osten wieder etwas Ruhe einkehrt? Neumann ist skeptisch. Der Hass auf Israel und der Antisemitismus hätten ein ganzes Milieu erfasst. „Es geht dabei um Hass und Vergeltung“, sagt Neumann. „Ein Friedensplan des amerikanischen Präsidenten wird daran leider nichts ändern.“

Moustafa M., der Autohändler, der für die „Rache Gottes gegen die Zionisten“ betete, befindet sich seit seiner Festnahme in Untersuchungshaft. Ob das Ermittlungsverfahren zu einer Anklage führe, ist nach Auskunft eines Sprechers der Generalstaatsanwaltschaft München noch offen. Zu dem Rechtsanwalt des Beschuldigten konnten CORRECTIV und der Bayerische Rundfunk keinen Kontakt herstellen.

Redigat und Faktencheck: Pamela Kaethner