An welchen Schulen
Lehrkräfte fehlen

Unsere Datenrecherche in fünf Bundesländern zeigt: Die meisten Schulen erfüllen die Quote für Lehrerversorgung nicht. Laut Bildungsexperten ist eine Schule erst bei einem Versorgungsgrad ab etwa 105 Prozent ausreichend mit Lehrern ausgestattet. Wie steht es um Ihre Schule? Finden Sie es heraus.

von Justus von Daniels, Michel Penke, André Ricci, Max Donnheiser

CORRECTIV.Lokal hat schulgenaue Daten aus Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Berlin, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ausgewertet und berichtet gemeinsam mit Lokalmedien über die Ergebnisse. Die Daten zeigen konkret, wie jede einzelne Schule mit Lehrern versorgt wird. Die meisten Schulen haben nicht genügend Lehrer für eine optimale Versorgung des Unterrichts. Und es sind Unterschiede erkennbar, etwa wenn Schulen überversorgt sind, während anderswo im selben Gebiet Lehrkräfte fehlen.

Wenn eine Schule zu wenig Lehrkräfte hat, kann der Bildungsauftrag nur eingeschränkt erfüllt werden. Wenn sich Freistunden häufen oder Filme als „Ersatzunterricht“ gezeigt werden, sind am Ende die Schülerinnen und Schüler die Leidtragenden.

Sie haben die Möglichkeit in fünf Bundesländern nachschauen, wie gut ihre Schule versorgt ist. Und das auf zwei unterschiedlichen Wegen. Entweder suchen Sie hier nach einer konkreten Schule in ihrem Bundesland und sehen den Versorgungsgrad mit Lehrerinnen und Lehrern. Oder Sie vergleichen hier in einer zweiten Suchmaske die Schulen in ihrer Umgebung.

In Berlin beziehen sich die Ergebnisse auf das laufende Schuljahr 2019/2020. In den anderen Bundesländern auf das Schuljahr 2018/2019. 

Schulen im Vergleich

In dieser Suchmaske geben Sie eine Stadt, einen Landkreis oder Bezirk an. Dann sehen Sie, wie die Schulen mit Lehrerinnen und Lehrern im direkten Vergleich versorgt sind. Sie können die Schulen nach Schulformen filtern.

100 Prozent sind nicht genug

Den Grundbedarf einer Schule errechnen die Bildungsbehörden aus der gesetzlich vorgeschriebenen Zahl der Unterrichtsstunden. Dieser Wert fließt als 100-Prozent-Marke in die Schulplanung ein und bildet den Grundversorgungsgrad, der auf keinen Fall unterschritten werden sollte. Erreicht eine Schule diesen Wert, ist der reguläre Unterricht damit aber noch nicht verlässlich sichergestellt. Denn sobald Lehrkräfte ausfallen, etwa aufgrund von Erkrankungen, Fortbildungen oder Eltern- und Familienpflegezeiten, geht die Rechnung nicht mehr auf. Dann müssen Notlösungen her, oder Unterricht fällt aus. Um flexibel reagieren zu können, benötigen Schulen zusätzlich zum Grundbedarf einen personellen Puffer. „Das ist kein strittiger Punkt“, sagt Professor Klaus Klemm gegenüber CORRECTIV.Lokal. „Es ist völlig klar, dass Schulen mit einem Versorgungsgrad von 100 Prozent nicht auskommen“, so der Erziehungswissenschaftler und Experte für Bildungsforschung und Bildungsplanung.

Wie hoch die Vertretungsreserve sein muss, um Unterrichtsausfällen effektiv entgegenzuwirken, lässt sich nicht pauschal und exakt für alle Schulen einheitlich beantworten. Ein Versorgungsgrad von 105 Prozent wird aber oft als Richtwert genannt. Die Politik kennt diesen Wert genau. Er findet sich zum Beispiel als Zielvorgabe in den aktuellen Koalitionsverträgen der Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen und Bremen.

„Perspektivisch kann man diesen Wert gerne in Koalitionsverträge aufnehmen, es wird aber wenig nützen, zumindest kurzfristig“, zeigt sich Professor Kai Maaz vom Frankfurter Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation skeptisch. „In einigen Bundesländern beträgt der Anteil der Seiteneinsteiger an den Neueinstellungen 40 Prozent und mehr“, gibt der Bildungsforscher zu bedenken. Das 105-Prozent-Ziel bei der Lehrerversorgung sei derzeit nicht erreichbar, weil es auf dem Arbeitsmarkt gar nicht genügend ausgebildete Lehrkräfte gibt. Ehrgeizig formulierte politische Ziele dürften nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in vielen Schulen noch nicht einmal gelinge, die Grundversorgung zu realisieren. „Das wäre die erste Aufgabe“, sagt Maaz.

Daten zeigen strukturelle Unterversorgung

Aus den vorliegenden Daten geht in der Tat hervor, dass die meisten Schulen eine Lehrerversorgung unter 100 Prozent aufweisen. In Berlin, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen erreichen weniger als die Hälfte aller allgemeinbildenden Schulen einen Versorgungsgrad von 100 oder mehr Prozent. In Niedersachsen sind es rund 51 Prozent der Schulen. „Schulen, die weniger als 100 Prozent aufweisen, arbeiten von vornherein mit Unterrichtsausfällen und Notlösungen“, erklärt Bildungsexperte Klemm. „Da bleibt dann während des Unterrichts schon einmal die Tür auf, und ein Lehrer beaufsichtigt zwei Klassenräume gleichzeitig.“ 

Regionale Schulvergleiche zeigen zudem, dass auch die passgenaue Verteilung von Lehrkräften oft ein Problem darstellt. Innerhalb derselben Schulform gibt es teilweise sehr gut versorgte Schulen, während andere im selben Ort eine Versorgung von unter 100 Prozent aufweisen. Schulbehörden sind offensichtlich nicht in der Lage, Lehrermangel wenigstens dort auszugleichen, wo es an anderen Schulen im Ort Überversorgung gibt.

Größter Mangel bei Haupt- und Realschulen

Auch die Ungleichbehandlung verschiedener Schulformen fällt ins Auge – vor allem in Niedersachsen. Dort gibt es ein besonders großes Gefälle zwischen gut versorgten Gymnasien und den anderen Schulformen. Während die meisten Hauptschulen (76 Prozent), Realschulen (70 Prozent) und Förderschulen (66 Prozent) in dem Bundesland einen Lehrer-Versorgungsgrad von weniger als 100 Prozent aufweisen, sind es bei den Gymnasien gerade einmal knapp 38 Prozent. Der auffallend gute Wert bei den Gymnasien hängt allerdings mit einem niedersächsischen Sondereffekt zusammen: Das Land kehrt in diesem Sommer zum Abitur nach 13 Jahren zurück, in Vorbereitung darauf haben die Schulbehörden besonders viele Gymnasiallehrer eingestellt. Ab dem kommenden Schuljahr wird sich die Personalsituation an den niedersächsischen Gymnasien daher schlechter darstellen als in dem von uns analysierten Schuljahr 2018/2019.

Wie immer teilt CORRECTIV.Lokal die Auswertungen mit Lokalmedien, die die Ergebnisse der Datenauswertung lokal aufbereiten. Es besteht jederzeit die Möglichkeit diesem Netzwerk beizutreten und diese Datenauswertung und kommende Recherchen für die eigene Berichterstattung zu nutzen. Die ersten lokalen Zeitungen und Blogs haben bereits eigene Berichte zum Thema veröffentlicht.

Daten-Flickenteppich

An die Daten zum Lehrer-Bestand heranzukommen ist schwierig. Dabei liegen sie in den Bildungsministerien der Länder vor, denn sie sind notwendige Kennziffern jeder Schulplanung. Einige Bildungsministerien schicken die schulscharfen Auswertungen problemlos zu, das Land Berlin veröffentlicht sie auf der eigenen Website. Andere Bundesländer behaupten, die Daten in der Detailtiefe nicht zur Verfügung stellen zu können. So liegen zum Beispiel aus Bayern und Baden-Württemberg nur wenig aussagekräftige Durchschnittswerte vor, obwohl von Politikern und uns ausdrücklich nach aufgeschlüsselten Daten gefragt wurde, aus denen die Lehrerversorgung jeder einzelnen Schule erkennbar wird. Einige Bundesländer haben trotz Anfrage die abgefragten Daten in keiner Form zur Verfügung gestellt.

Fragen und Antworten zu den ausgewerteten Daten

Die Daten stammen zumeist aus Kleinen Anfragen der Oppositionsparteien in den 16 Landtagen, mit denen CORRECTIV im Rahmen dieser Recherche kooperiert hat. Sie können die Rohdaten hier einsehen. Bei den Daten handelt es sich also um offizielle Zahlen der Landesregierungen, die üblicherweise nicht oder nur in akkumulierter Form veröffentlicht werden. Die Bundesländer fahren in Fragen der Transparenz unterschiedliche Strategien. So veröffentlicht Berlin beispielsweise Schuldaten und Versorgungsgrade unaufgefordert auf der Website Berlin.de. Andere Bundesländer wie zum Beispiel Baden-Württemberg haben die Daten auch nach der eigentlich verpflichtenden Aufforderung durch die politische Opposition nicht in der angefragten Form zur Verfügung gestellt.

CORRECTIV hat die Daten gescrapt und sie in eine maschinenlesbare Form gebracht. Danach wurden die Daten gesäubert und mit dritten Datensets zusammengeführt, um beispielsweise zusätzliche Informationen wie Adressen oder Schulnamen zu generieren. Dabei kam unter anderem Fuzzy Matching zum Einsatz. Falls nötig wurde der Versorgungsgrad auf Grundlage offizieller Größen wie der Anzahl der Lehrer und der Anzahl der benötigten Lehrer berechnet. Anschließend wurden die Daten analysiert und konvertiert, sodass sie in interaktiven Interfaces schnell ausgespielt werden können.

CORRECTIV hat versucht, für alle Bundesländer Daten zu bekommen. Allerdings wurden nicht in allen Bundesländern Kleine Anfragen bezüglich des Versorgungsgrades gestellt – teils weil keine Oppositionsfraktion dazu bereit war, teils weil die aktuelle politische Situations oder parteipolitisches Kalkül dies unmöglich machte. Hinzu kommt, dass nicht alle Landesregierungen bereits auf die Anfragen reagiert haben oder, anders als gefordert auf die Fragen geantwortet haben. So stellte die Landesregierung Baden-Württembergs die Daten trotz ausdrücklicher Aufforderung durch die oppositionellen SPD nur akkumuliert und nicht schulscharf zur Verfügung. Als Grund gab das Ministerium statische Gründe an. Akkumulierte Daten sind für die schulgenaue Auswertung bedauerlicherweise unbrauchbar.

Wir haben uns bemüht, die frischesten Daten zu bekommen und Aktualität vor Vergleichbarkeit priorisiert. Das führte dazu, dass die vorliegenden Daten für Berlin beispielsweise aus dem Schuljahr 2019/20 sind, während die meisten anderen Länder nur Daten für 2018/19 vorweisen können.

Der Versorgungsgrad gilt als eine, wenn nicht die, wichtigste Kennzahl für die Beurteilung der Versorgung einer Schule. Er misst das Verhältnis von vorhandenen Lehrkräften und benötigten Lehrkräften. Die Zahl der benötigten Lehrkräfte errechnet sich dabei generell durch die Anzahl der Schüler, ihren Bedarf an Schulstunden pro Woche aufgrund der Schulart und der Anzahl an Wochenstunden, die eine Lehrkraft in dem Bundesland qua Gesetz pro Woche unterrichten muss: Versorgungsgrad = Anzahl der Lehrer / ( Anzahl der Schüler * Wochenstundenbedarf pro Schüler / Wochenstundenunterrichtspflicht pro Lehrer)

Da Bildung in Deutschland föderal organisiert ist, variiert die statistische Erfassung von Land zu Land. Dabei kann es auch zu Sondereffekten oder speziellen Faktoren kommen, die in die Berechnung des Versorgungsgrades einfließen. So wird in die Berechnung des Versorgungsgrades in Berlin beispielsweise auch die Zahl der Referendare mit einbezogen, was zu einer geringfügigen Erhöhung der Werte führt.

Bei den Daten handelt es sich um offizielle Daten der Landesregierungen – mit allen Vor- und Nachteilen. Genauere Daten sind kaum zu bekommen. Allerdings kann eine Verzerrung im Sinne der politisch Verantwortlichen nicht ausgeschlossen werden. So ist es schon bei der Erhebung der Daten möglich, beschönigende Klassifizierungen vorzunehmen. Wer beispielsweise alles zum Stammpersonal der Lehrer einer Schule gezählt wird, unterliegt den statistischen Vorgaben der Bildungsministerien. Ob beispielsweise Referendare oder pädagogische Hilfskräfte hinzugezählt werden, ist uneinheitlich und nicht leicht nachvollziehbar. Die Daten sind also mit einer gewissen Skepsis zu behandeln, aber das Beste, was zu bekommen ist.

Ebenfalls zu beachten ist, dass der Versorgungsgrad im Laufe eines Schuljahres variieren kann. Das ist nur natürlich. Durch Kündigungen, Neuanstellungen, Krankheitsausfälle oder andere Effekte schwankt der Versorgungsgrad. So kann eine Schule am Anfang des Jahres beispielsweise 99 Prozent betragen und im nächsten Monat dank einer Neuanstellung auf 103 Prozent angesteigen sein.

Zu beachten ist außerdem, dass Lehrerfehlstunden durch Krankheiten, Fortbildungen und andere Effekte nicht im Versorgungsgrad berücksichtigt sind. Der reale Versorgungsgrad einer Schule mit einem offiziellen Wert von 100 Prozent kann leicht unter 90 Prozent fallen, wenn mehrere Lehrer wegen chronischen Krankheiten ausfallen. Trotzdem wäre die Schule auf dem Papier gut versorgt, während vor Ort die Schulstunden reihenweise ausfielen.

Das ist eine gute Frage. Ein möglicher Grund könnten Datenlücken in den Rohdaten der Landesregierungen sein. Zudem haben wir knapp ein Dutzend Schulen unter den vielen Tausend Einträgen aus den Datensets gelöscht, weil sie nicht eindeutig zuzuordnen waren. Bedauerlicherweise haben nicht alle Landesregierungen die Schuldaten wie gebeten mit eindeutig identifizierbaren Schul-Identifikationsnummern oder Namen aufgeführt. Deswegen mussten teils namensgleiche Schulen in den Rohdaten über Standortdaten separiert werden und mit dritten Datensets wie Schulverzeichnissen zusammengeführt werden, um den korrekten Namen zu ermitteln. Dabei haben wir sogenannte Fuzzy-Matching-Algorithmen verwandt, die zwei Einträge zusammenführen, wenn es sehr wahrscheinlich, aber nicht absolut hundertprozentig sicher ist, ob es sich um dieselbe Schule handelt.

Das kommt darauf an. Wenn Sie Wissenschaftler sind, der hundertprozentig gleich erhobene Daten benötigt, um wissenschaftlich haltbare Aussagen zu treffen, ist die Antwort sicherlich: nein. Dafür ist die statistische Erhebung föderal zu unterschiedlich und zu stark von den politischen Interessen der Datensammler eingefärbt. Allerdings sind die Daten unserer Einschätzung nach valide genug, um nebeneinander ausgespielt zu werden.

Wir haben allerdings ausdrücklich darauf verzichtet, beispielsweise Schulen in Berlin mit Schulen in Sachsen-Anhalt zu vergleichen. So lässt die vergleichende Abfrage für Schulen in einem Kreis oder Stadtbezirk stets nur den Vergleich zwischen Schulen eines Bundeslandes zu.