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Die Milchlobby: Wie unsere Milch Klima und Umwelt schadet

Die Milchlobby: Wie unsere Milch Klima und Umwelt schadet

Werbekampagnen und Lobbying haben Kuhmilch zu einem Massenprodukt gemacht. Doch der Preis dafür ist hoch. Die versteckten Umweltkosten der deutschen Milchproduktion belaufen sich auf 7 bis 11 Milliarden Euro pro Jahr. Das berechnete CORRECTIV aus den Ergebnissen einer noch nicht veröffentlichten Studie des Umweltbundesamtes.

von Annika JoeresKatarina HuthSophia Stahl und Christoph Pengel

 

Ein Glas Milch am Morgen für die Kinder vor der Schule. Gesund. Ein Glas Milch am Abend für die Großmutter im Altenheim. Beruhigend. Und dazwischen ein gutes Gewissen beim Joghurt, bei der Käsestulle und dem probiotischen Drink zum Nachtisch. Milch und seine unzähligen Produkte erscheinen uns unersetzlich für unsere Gesundheit und umweltfreundlicher als Wurstbrote. Der Großteil der Deutschen konsumiert sie täglich. Und sie scheinen günstig, ein Sahnejoghurt kostet im Discounter 29 Cent, ein Mozzarella-Bällchen 49 Cent, ein halber Liter Buttermilch 39 Cent.

Aber stimmt das überhaupt?

Doch unsere Lust auf Milch kommt uns teuer zu stehen. Eine einflussreiche Lobby der Milchindustrie –​​ in Parlamenten, Institutionen und Schulen – hat es geschafft, die wahren Kosten des Tierprodukts zu verschleiern. Staatliche Organisationen haben Milch als unverzichtbar für die Gesundheit dargestellt, die Großindustrie darf selbst an Schulen für Milch werben und ihre Vertretenden stimmen in Brüssel und Berlin für Gesetze, die den Konsum ankurbeln und dem Klima schaden.

Der Agrarexperte Knut Ehlers sagt: „Die versteckten Umweltkosten von Milch zahlen wir nicht an der Supermarktkasse, sondern sie übernimmt die Allgemeinheit und häufig wird erst zukünftigen Generationen die Rechnung vorgelegt werden – beispielsweise in Form eines verschärften Klimawandels oder dem Verlust an Artenvielfalt.“ Denn die Massenproduktion von Milch verursacht Treibhausgase und schädigt durch die großen Mengen an Dünger Böden und Gewässer. Ehlers ist Agrarwissenschaftler beim Umweltbundesamt, das die Studie „Sichtbarmachung versteckter Umweltkosten der Landwirtschaft am Beispiel von Milchproduktionssystemen“ beim Öko-Institut zusammen mit dem Forschungsunternehmen Infras und dem Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft in Auftrag gegeben hat. Die Studie wird in Kürze veröffentlicht, die Ergebnisse liegen CORRECTIV bereits vor. In ihr beziffern die Forschenden erstmals auch indirekte Klima- und Umweltschäden der Milchproduktion mit Eurobeträgen.

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Eine zentrale Erkenntnis: Ein Kilogramm Rohmilch sei fast doppelt so teuer wie der aktuelle Marktpreis von 36 Cent. Je nachdem, ob die Milch in einem ökologisch oder konventionell wirtschaftenden Betrieb produziert wird, betragen laut Studie allein die Umweltkosten zwischen 21 und 34 Cent. Trotz der Spanne seien die errechneten Milchpreise näher an den echten Kosten der Milch als das, was bisher gezahlt wird.

Bei einer jährlichen Produktion von über 30 Millionen Tonnen Milch in Deutschland belaufen sich die versteckten Kosten der Massen-Milchproduktion auf sieben bis elf Milliarden Euro jährlich.

Weltweit verursachen die größten Fleisch- und Molkereiunternehmen rund 14 Prozent der Treibhausgase. In Deutschland produzieren allein der Schlachtbetrieb Tönnies und die Molkerei Deutsche Milchkontor 2,6 Prozent der landesweiten Emissionen. Die Produktion eines Kilos Butter stößt sogar fast doppelt so viele Treibhausgase aus wie die eines Kilos Rindfleisch. „In Deutschland werden etwa 40 Prozent der Ackerflächen dafür verwendet, Futtermittel herzustellen – man ,veredelt’ also pflanzliche in tierische Nahrungsmittel“ sagt Ehlers. Das habe einen entscheidenden Haken: „Beim Veredeln gehen rund 80 Prozent der Nährstoffe verloren. Anstatt also in diesem Ausmaß erst Tiere vom Acker zu ernähren und dann anschließend Menschen von den tierischen Produkten zu ernähren, könnten wir viel mehr Menschen gesund ernähren, wenn wir die Ackerflächen direkt für die menschliche Ernährung nutzen würden.“

Die Mengen Milch schaden uns, dem Klima und der Kuh.

Wieso also konsumieren wir so viel davon?

Wir haben uns bei CORRECTIV auf die Spurensuche begeben nach dem guten Ruf der Milch – wer hat ihn fabriziert? Und was davon ist nur ein Märchen?

Warum denken Sie, sich mit dem Kauf eines Milchprodukts etwas Gutes zu tun?

Tatsächlich sind unsere positiven Gefühle für das Produkt der Kuh weder angeboren noch zufällig sondern eine Folge von jahrzehntelangen Werbekampagnen und dem einseitigen Einsatz von Regierungen und Fachgesellschaften für die Interessen der Milchindustrie. Dafür, dass wir immer mehr Milch konsumieren und mittlerweile jeder Supermarkt meterlange Milch-, Joghurt- und Käseregale vorhält. Hinzukommen noch Süßigkeiten, Schokolade und Fertigkuchen mit Milchpulver.

»Milch macht müde Männer munter«

Dass Milch gesund und unentbehrlich ist, wurde schon unseren Großeltern vor sieben Jahrzehnten vermittelt. Die damaligen Werbekampagnen der Milchindustrie waren so eingängig, dass viele Menschen die Slogans noch heute aufsagen können. Etwa das Lied aus den 1960er-Jahren „Milch macht müde Männer munter“ von Schlagerstar Paul Kuhn. Oder der Ohrwurm von 1992: „Denn nur die Milch macht’s.“ Darin heißt es, Milch „gibt dem Körper, was er braucht, von Milcheiweiß bis Calcium, Mineralstoffe bis zum Vitamin (…).“ Denn genau darauf beruht das positive Gefühl, wenn Kinder das Glas Milch leeren: Das Getränk soll Calcium liefern, es soll Knochen und Zähne stärken, vor Krankheiten schützen und beim Wachsen helfen. Und zwar besser als andere Lebensmittel.

Studien stellen dies seit einigen Jahren in Frage. „Heute gibt es eine große Kontroverse, welche Rolle Calcium für Osteoporose und die Knochengesundheit spielt“, schreibt auch die FAO, die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen. Konsens vieler internationaler Studien ist hingegen: Entscheidend für die Knochen- und allgemeine Gesundheit ist auch, wie viel sich die Menschen bewegen und wie viel Obst und Gemüse sie essen. Milch steht immer wieder im Verdacht, neben Antibiotika und Eiterzellen krebserregende Stoffe zu enthalten.

Die Milch macht’s – Werbespot 1992

Dass die Milchindustrie Kampagnen für ihr Produkt fährt, ist erwartbar. Überraschend ist, dass auch die meist beachtete deutsche Instanz für gesundes Essen, die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), an dieser Legende mitgewoben hat. Die DGE ist ein Verein, der unter anderem im Auftrag des Bundesernährungsministeriums Ernährungsempfehlungen ausspricht und „einen Beitrag für die Gesundheit der Bevölkerung“ leisten will. Die DGE-Sektion Thüringen veranstaltet seit 1995 sogenannte „Milchparties“, unter anderem gemeinsam mit der Landesvereinigung Thüringer Milch e.V. und den Thüringer Milchbetrieben. In Schulen und Kindergärten bereiten Mädchen und Jungen verschiedene Milchprodukte wie Fruchtjoghurt und Butter zu und verkosten sie. Es sei ein „dual konzipiertes Projekt mit Unterrichts- und Bastelmaterialien“, sagt die DGE.

An den Empfehlungen der DGE für Lebensmittel, etwa wie viele Kohlenhydrate, Kalorien oder eben Mineralstoffe wie Calcium wir essen sollten, orientieren sich die Köchinnen und Köche von Kantinen in Schulen und Betrieben, in Altenheimen und Krankenhäusern, auch Medizinerinnen und Ernährungsberater blicken auf diese Tabellen. Die Werte entscheiden also darüber, was Millionen Deutsche täglich essen – und darüber, was als notwendig angesehen wird.

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Die EAT-Lancet-Kommission, zu der 37 Forschende aus 16 Ländern gehören und an der auch das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung beteiligt ist, schlägt einen Speiseplan vor, mit dem zehn Milliarden Menschen gesund und klimaverträglich leben können: Sie empfiehlt in ihrer Tortengrafik nur halb so viele Milchprodukte wie die DGE. „Wir müssen langfristig doppelt so viel Obst und Gemüse essen und sehr viel weniger Milch- und Fleischprodukte“, schreiben die Autorinnen und Autoren. Wenn die Menschen nur wenige Mengen mehr Fleisch und Milchprodukte essen würden, sei es schwierig bis unmöglich, dieses Ziel zu erreichen.

Im Gegensatz zur DGE werben inzwischen einige Länder für Alternativen zu Milchprodukten – die schwedische Regierung beispielsweise schreibt, pflanzliche Produkte wie Hafermilch könnten die tierischen Produkte ersetzen. Das Problem ist: Die DGE empfiehlt in ihren zehn Regeln der vollwertigen Ernährung nicht das, was für unseren Planeten und unsere Gesundheit besser wäre, sondern das, was die Deutschen ohnehin essen. Obwohl sie in ihrem Positionspapier zur nachhaltigeren Ernährung einräumt, dass Lebensmittel wie Milch und Milchprodukte „einen höheren Ressourceneinsatz erfordern und klimaintensiver“ als Obst und Gemüse sind, empfiehlt sie ihren täglichen Konsum. Auf CORRECTIV-Anfrage schreibt die DGE, dass sie „überwiegend pflanzliche Lebensmittel und eine gezielte Ergänzung durch tierische Lebensmittel“ empfiehlt. Davon könne abgewichen – sich also vollständig pflanzlich ernährt werden –, „wenn entsprechende Alternativen zur Optimierung der Nährstoffzufuhr gewählt werden.“ Bei ihren Empfehlungen berücksichtige sie aber auch die „vorherrschenden Verzehrgewohnheiten“.

Klar ist, dass die DGE nicht frei von Interessenskonflikten ist. In den Beiräten und Arbeitskreisen ihrer hessischen, thüringischen und niedersächsischen Vereinigungen sitzen Abgesandte von Molkereien. Auch unter den 130 Wirtschaftsverbänden, Verbänden und Unternehmen, die Mitglieder der DGE sind, finden sich Firmen aus der Lebensmittelbranche. Die Mitglieder könnten „keinen Einfluss nehmen“, verteidigt sich die DGE, auch die Beiräte seien „nicht involviert in ihre Empfehlungen“.

Wie fördert die Politik
den guten Ruf der Milch?

Wie viel Einfluss die DGE in Deutschland hat, zeigt sich auch in den Parteiprogrammen zur kommenden Bundestagswahl. Die SPD schreibt darin explizit: „Wir wollen in staatlich finanzierten Einrichtungen eine den Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung entsprechende gesundheitsfördernde Gemeinschaftsverpflegung umsetzen.“ Das heißt auch: Den Milchkonsum fördern. Für klimafreundliche Alternativen werben aktuell nur die Grünen, sie wollen pflanzliche Milchalternativen wie etwa Haferdrinks in Zukunft mit dem reduzierten Mehrwertsteuersatz fördern. Zudem heißt es im Wahlprogramm: „Auch die Ernährungspolitik muss sich an den Pariser Klimaschutzzielen ausrichten.“ Daraus folgt für die Grünen unter anderem: weniger Tierprodukte zu verzehren. Für eine generelle Umstellung der Ernährung plädiert sonst keine der etablierten Parteien – einer der Gründe, warum keines der Wahlprogramme mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens konform ist. Das zeigt eine Studie der Stiftung Klima.

Die Milchindustrie hat eine mächtige Lobby, die auf die Politik einwirkt. Sie hat erfolgreich dafür gesorgt, dass Milch billig ist und von den meisten Deutschen täglich konsumiert wird. Im 10-Punkte-Plan von Julia Klöckner zur Einsparung von CO2 auch in der Landwirtschaft steht lediglich die Nullaussage, dass es „neben Forschung und Züchtung auf die künftige Entwicklung der Tierbestände ankommen“ wird. Die Aussage lässt offen, ob die Landwirtinnen und Landwirte künftig weniger oder mehr Tiere halten sollen und auch, ob tierische Produkte langfristig höher besteuert werden sollen.

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Das Bundeslandwirtschaftsministerium unter Julia Klöckner (CDU) bestreitet auf Anfrage nicht, dass es sich gegen eine Besteuerung im Klimapaket ausgesprochen hat. Emissionen in der Landwirtschaft seien „unvermeidlich“, schreibt das Ministerium. Eine fragwürdige Ansicht – schließlich lassen sich Gemüse und Getreide im Gegensatz zu tierischen Produkten ohne Treibhausgase produzieren.

Zudem könnte die Bundesregierung auch den leichteren Weg gehen und die Mehrwertsteuer für tierische Produkte auf 19 Prozent erhöhen – augenblicklich werden die meisten nur mit 7 Prozent besteuert, ein heimischer Apfelsaft oder eine Flasche Mineralwasser hingegen mit dem erhöhten Satz. Das Klöckner-Ministerium kann diese Bevorzugung nicht erklären – es handele sich um „unterschiedliche Produktgruppen mit unterschiedlichen Herstellungsprozessen“.

Eine Antwort, die keinen Grund liefert für die unterschiedliche Behandlung und keinen Sinn ergibt: Schließlich werden die niedrig besteuerten Lebensmittel, vom Schweineschmalz bis zum Gummibärchen, alle unterschiedlich hergestellt.

Die Milchwerbung der Parlamentarier

Die große Koalition ignoriert Tierleid und Emissionen. Vielleicht, weil die Regierungspartei CDU/CSU selbst vom hohen Milchkonsum profitiert: 11 Mitglieder des Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft sind selbst mit der Landwirtschaft verflochten. Ihr Vorsitzender, der CDUler und Landwirt Alois Gerig, macht für die Milchwirtschaft Werbung. In einer ihrer Broschüren schwärmt er vom „Schichtkäse“, bei dem er an „eine schön gedeckte Kaffeetafel mit Familie und mit Freunden“ denke. Auch weitere CDUler treten in dieser Hochglanz-Broschüre der Milchindustrie auf. Einige davon sitzen als Milchbauern im Bundestag. Albert Stegemann etwa war Aufsichtsratsvorsitzender der Molkereigenossenschaft Emlichheimer Milch, ein Verband für 130 niedersächsische Milchbetriebe, der anhaltische Abgeordnete Kees de Vries hielt selbst 700 Milchkühe. Die Christdemokratin Silvia Breher, früher Juristin beim Bauernverband, macht auf Facebook Werbung für Milch, die „lecker und gesund ist“. Breher ist inzwischen auch im Zukunftsteam von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet.

Die Landwirtschaftspolitik in Deutschland und der EU macht es den Milchbäuerinnen und -bauern schwer, Kühe und Umwelt besser zu behandeln: Sie setzt auf mehr Milch und damit mehr Treibhausgase. Sophia Hagen, eine Milchbäuerin und Agrarwissenschaftlerin vom Bodensee, versucht, ihre 30 Milchkühe artgerecht zu halten. Ihre Kälber bleiben bis zu fünf Monaten bei ihren Mutterkühen und werden nicht direkt getrennt gemästet. Die männlichen Rinder bleiben ein Jahr auf dem Hof und werden dann bei einem Metzger geschlachtet. Doch Hagen und ihre Großfamilie könnten alleine von der Milch nicht leben. In Deutschland wird zu viel Milch für heimische Käuferinnen und Käufer produziert, sodass die Molkereien ihre stark von der EU subventionierten Produkte exportieren, rund 17 Millionen Tonnen Milch sind es jährlich. Der Weltmarkt bestimme deswegen den Milchpreis.

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Für Sophia Hagen ist das ein krankes System: „Das funktioniert nicht. Die Milch ist zu billig.“ Weil ihre die Kälber nicht nach wenigen Wochen in die Mast gehen, brauche sie viel Platz. Platz, der für rentable Milchkühe fehle. Die männlichen Kälber sind für die Milchindustrie hingegen Abfall.

Laut Hagen bekommen die Landwirte zwischen 40 bis 100 Euro für ein Kalb, wenn sie es zur Mast geben. Mit nur etwa 22 Wochen werden die meisten männlichen Kälber geschlachtet, bei Sophia Hagen erst nach einem Jahr. Die Landwirtin finanziere sich von Gemüse und ihrem Hofladen. „Durch den Verkauf von Milch hätten wir nicht genug Einnahmen für unsere Großfamilie.“ Die Landwirtin erwarte von der Politik keine Hilfe mehr. „Der Lobby-Einfluss für Export und Massenproduktion ist zu groß. In jeder Agrarzeitschrift sehe ich ihn: teure Maschinen hier, neue Medikamente für die Milchkühe dort.“

Gedopte Kühe

Die Milchkühe wurden über die Jahrzehnte zu sogenannten Hochleistungskühen gedopt – zu wahren Milchmaschinen. Vor 100 Jahren gab eine Kuh nicht einmal 2.000 Liter im Jahr, heute sind es bis zu 10.000 Liter. Und so manche Containerschiffe reisen nur über den Atlantik, um diese Hochleistungskühe in Niedersachsen zu füttern: Soja für das Futter wird häufig über zehntausende Kilometer aus Brasilien, den USA oder Argentinien eingeschifft.

Und das hat nicht nur Folgen für das Klima, sondern auch die Kuh. Sie stirbt mit nur fünf statt 20 Jahren und hat in ihrem kurzen Leben meist viele Krankheiten durchlitten. Ein Beispiel: Für ihren hohen Energiebedarf erhalten Hochleistungskühe ein bestimmtes Kraftfutter, das häufig zu Magenproblemen führt. Viele Kühe sind zu mager.

„Immer, wenn sich eine Kuh stößt, spürt sie direkt den Knochen, da ist kein Fett“, erklärt Henning von Lützow vom Verein „Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft“. Der Profit-Gedanke bestimme die Arbeit. Manchmal mit fatalen Folgen: „Irgendwann ist der Einzelwert der Kuh so gering, dass Bauern nicht einmal mehr die Einschläferung bezahlen, sondern die Kuh irgendwo verenden lassen“, erklärt er. Noch kürzer ist das Leben der männlichen Kälber, manchen von ihnen steht aber noch ein langer Transport bevor. So wurden in den vergangenen Jahren mehr als 80.000 Kälber aus Deutschland nach Spanien exportiert. Und auch hier entstehen neben Tierleid auch Treibhausgas-Emissionen.

Schulmilch auf dem Pausenhof

Die Milchlobby hat auch dafür gesorgt, dass an vielen Schulen Milch und Joghurt auf dem Pausenhof ausgeteilt wird. Vergangenes Schuljahr zahlte die EU für ihr Schulprogramm 10,5 Millionen Euro für Schulmilch an 14 Bundesländern – zwei Bundesländer mehr, als sich für das Obst- und Gemüseprogramm anmeldeten. 200 Tonnen Naturjoghurt und sieben Millionen Liter Trinkmilch – das sind fast drei gefüllte olympische Schwimmbecken – wurden an Kinder in Kitas und Schulen verteilt. Die Programme gibt es seit den 1970er Jahren, seitdem konnten Schülerinnen und Schüler Schoko-, Erdbeer- und Vanillemilch bestellen. Seit 2018 sind als Reaktion auf einen Report des Vereins Foodwatch nur noch zuckerfreie Produkte erlaubt. Für die Nahrungsindustrie ist dieses Programm doppelt wertvoll: Sie verkauft ihre Produkte und erhält durch den staatlichen Ausschank noch kostenlos ein gutes Image in den Augen von Eltern und Familien. Ein Fakt, den CDU-Ministerin Klöckner sogar begrüßt. „Es hat sich gezeigt, dass das Schulprogramm die Akzeptanz der Kinder für Milch erhöht“, schreibt sie auf Anfrage.

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Aber die Milchwerbung an den Schulen geht noch weiter. So empfiehlt das niedersächsische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf seiner Webseite zum Beispiel „Gemeinsam Schmausen in den Pausen“ – eine Werbeaktion von der Landesvereinigung der Milchwirtschaft Niedersachsen e.V., also einem Lobbyverein für Milch. Auch ausdrücklich empfohlen werden die kostenlosen Materialien für Lehrerinnen und Lehrer, etwa ein Kuh-Mandala, Rezepthefte und Tischsets für den Kindergarten. Niedersachsen ist nach Bayern der größte Milchproduzent: Hier leben rund 870.000 Milchkühe.

Die Milchlobby in Brüssel

In Brüssel will die Lobby der Milchindustrie vor allem erreichen, dass sie weiterhin günstig exportieren kann. „Ihr größtes Interesse ist der Zugang zu freien Märkten“, sagt Nina Holland, Agrarexpertin bei der NGO European Corporate Observatory. Die Exporte von deutschen Milchbäuerinnen und -bauern steigen Jahr für Jahr an – und Landwirtschaftsministerin Klöckner feiert Südafrika, Brasilien und China als „Absatzmärkte der Zukunft“. In Wahrheit aber, sagt Agrarexpertin Holland, „ruinieren europäische Exporte Kleinbauern in anderen Ländern – und sind klimapolitisch eine Katastrophe“.

Ein besonders mächtiger Verhandler für eine immer höhere Milchproduktion ist die COPA-Cogeca, ein Verbund von europäischen Bauernverbänden und Betrieben, der 19 Vollzeit-Lobbyisten beschäftigt und in nahezu allen Brüsseler Gremien aktiv ist. Allerdings vertritt er, so Holland, nur die Interessen der großindustriellen Betriebe, nicht die der kleineren Molkereien und Landwirte. Ebenso aktiv kämpfen die COPA-Cogeca, aber auch Nahrungskonzerne wie Nestlé oder Ferrero, gegen verständliche Labels auf Produkten, etwa zu dem Zuckergehalt von Milchdrinks oder deren Klima-Effekt.

Das beweist auch die Mitschrift eines Treffen der Europäischen Milchvereinigung EDA mit der Generaldirektion Gesundheit der Europäischen Kommission. Die EDA pocht darauf, dass es in der EU keinen reinen CO2-Fußabdruck für Lebensmittel geben solle, sondern noch viele weitere Kriterien berücksichtigt werden müssten. Bei einem reinen CO2-Fußabdruck wären viele Milchprodukte, etwa Butter oder Käse, als Klimasünder entlarvt.

Von Rülps-Masken und Algenfutter

Doch wie können die klimaschädlichen Emissionen in der Milchwirtschaft sinken? Forschende untersuchen aktuell, ob bestimmte Algenarten im Futter der Kühe – deren Verdauung auf Gras ausgelegt ist – dazu führen könnten, dass die Tiere weniger Methan ausstoßen. Auch bietet ein US-amerikanisches Unternehmen bereits Masken für die Wiederkäuer an, die die Methanrülpser der Tiere auffangen sollen. Ideen, die mit großem Aufwand geringfügig Emissionen verringern.

Landwirtinnen und Landwirte können die Treibhausgase der Milchproduktion außerdem reduzieren, wenn sie eigenes Futter für die Kühe produzieren, große Weideflächen möglichst erhalten und auf chemische Dünger verzichten. Einfach ist das nicht – die Bäuerinnen und Bauern stehen oft unter wirtschaftlichem Druck. Knut Ehlers vom Umweltbundesamt sagt: „Umweltkosten tauchen in der Preisbildung unserer Produkte kaum auf. Das führt dazu, dass besonders umweltfreundliche Landwirte gegenüber ihrer weniger umweltfreundlich arbeitenden Konkurrenz einen Wettbewerbsnachteil haben”. Grund dafür sei, dass sie meist bei einem höheren Aufwand weniger produzieren. „Solange wir dies nicht ändern, werden wir es kaum schaffen, die Landwirte für mehr Umweltschutz zu begeistern“, sagt Ehlers. Laut einem neuen Bericht der Vereinten Nationen fördert die Europäische Union besonders die Bereiche der Landwirtschaft mit einer schlechten Klimabilanz wie die Tier- und Milchwirtschaft.

Knut Ehlers vom Umweltbundesamt ist sich sicher, dass Milch von einem Haupt- zu einem Nebenprodukt werden müsse. Das bedeutet auch: weniger Tiere und weniger Milch. Anstatt die Kühe auf eine maximale Milchproduktion zu optimieren, könnten sie „das machen, was sie sonst noch können: Grünland begrasen und damit eine vielfältige und artenreiche Kulturlandschaft erhalten“, sagt der Agrarwissenschaftler. Für die Zukunft müssten wir die versteckten Umweltkosten der Produktion sichtbar machen. „Umweltschutz erhöht zwar häufig die Produktpreise – aber auf lange Sicht ist es die günstigere Alternative“, sagt Ehlers.

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Recherche und Text: Annika Joeres, Katarina Huth, Sophia Stahl, Christoph Pengel, Redaktion: Justus von Daniels Redigatur: Frederik Richter, Hatice Kahraman Design: Benjamin Schubert Illustration: Lydia Salzer Kommunikation: Valentin Zick

21. September 2021