Faktencheck

Aussage der EMA zu Auffrischungsimpfungen wird ohne Kontext verbreitet

Aussagen auf einer Pressekonferenz der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) über Booster-Impfungen sorgen teilweise für irreführende Berichte. Anders als vielfach behauptet warnte die EMA nicht grundsätzlich vor Auffrischungsimpfungen, sondern sprach sich dafür aus, diese in größeren Abständen, am besten jährlich „in der Erkältungszeit“ zu verabreichen.

von Matthias Bau

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Die Aussage eines Wissenschaftlers der Europäischen Arzneimittel-Agentur zu Auffrischungsimpfungen wird im Netz teils falsch interpretiert, teils ohne den notwendigen Kontext verbreitet (Symbolbild: Picture Alliance / Chromorange / Michael Bihlmayer)
Behauptung
Die Europäische Arzneimittel-Agentur habe vor Auffrischungsimpfungen gewarnt.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Ein Experte der EMA sagte in einer Pressekonferenz, dass bei Auffrischungsimpfungen, die in zu kurzen Abständen verabreicht werden, die Immunreaktion nicht so gut sein könnte, wie man sich das erhoffe. Ideal sei es, Impfungen gegen Covid-19 ähnlich wie bei der Grippe an der jährlichen Erkältungssaison auszurichten.

Nach einer Pressekonferenz der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) schrieb der Finanzwissenschaftler Stefan Homburg auf Twitter, die Behörde habe „Zweifel an der vierten Impfdosis“ und zudem verkündet, Auffrischungsimpfungen in kurzen Abständen „gefährden das Immunsystem“. Und auf der Webseite Sciences Files heißt es: „Fiasko: EMA warnt vor Booster-Shots – Europäische Zulassungsbehörde sieht Überlastung des Immunsystems“. 

Nach unseren Recherchen fehlt den Darstellungen Kontext, die Aussagen der EMA werden unvollständig dargestellt. 

Auf der Pressekonferenz der EMA vom 11. Januar äußerte sich Marco Cavaleri, Leiter der Abteilung „Biologische Gesundheitsgefahren und Impfstoffstrategie“, unter anderem zu Auffrischungsimpfungen gegen Covid-19. Er betonte, Auffrischungsimpfungen seien wichtig, um die europäische Bevölkerung gegen Covid-19 zu schützen. Bisher habe die EMA aber noch keine Daten zur Wirksamkeit einer vierten Impfung. Unklar sei auch, wie wirksam mehrfache Auffrischungsimpfungen seien, wenn sie in zu kurzen Abständen verabreicht würden – unter Umständen sei die Immunreaktion dann nicht mehr so gut, wie erhofft. Booster in kurzen Abständen seien aus Sicht der EMA keine „nachhaltige Strategie“. 

EMA-Experte Cavaleri sprach über Auffrischungsimpfungen in kurzen Abständen

Die Aussagen von Cavaleri, auf die sich die Berichte beziehen, traf er gegen Ende der Pressekonferenz als Antwort auf eine Frage einer Journalistin (ab Minute 22:03). Er sagte, die EMA habe bei zu schnellen Auffrischungsimpfungen zwei Bedenken: 

Zum einen können es sein, dass Auffrischungsimpfungen im Abstand von jeweils etwa vier Monaten dazu führten, dass das Immunsystem nicht mehr „so gut darauf anspricht, wie wir uns das wünschen würden“. Man solle daher vorsichtig sein, das Immunsystem nicht mit Impfungen „zu überladen“. Zum anderen sei es möglich, dass die Bevölkerung bei beständigen Aufforderungen zu Auffrischungsimpfungen „ermüde“. 

In mehreren Blogs, darunter Science Files, wurden diese Aussagen zitiert. Der Blog TKP nahm sie zum Anlass für die Überschrift: „Booster am Ende? EMA warnt vor zu häufiger Anwendung“. RT DE schrieb: „Probleme mit der Immunreaktion – EMA warnt vor zu häufigen Booster-Impfungen“. Und der Blog Alpenschau interpretierte die Aussagen im Text so: „Eine Booster-Impfung würde demnach das Immunsystem dauerhaft schädigen.“

Davon, dass Auffrischungsimpfungen das Immunsystem „gefährden“ oder „dauerhaft schädigen“, sprach Cavaleri aber nicht. Er warnte auch nicht generell vor Booster-Impfungen. Im Gegenteil: Er sagte (ab Minute 23:43), es sei anzustreben, die Covid-19-Impfung ähnlich wie bei der Grippe-Schutzimpfung jeweils an der „Erkältungszeit“ auszurichten.

Die Berichte geben nur einen Teil von Cavaleris Aussagen wieder. Sie lassen zudem aus, was er zuvor am Beginn der Pressekonferenz sagte. 

Cavaleri: „Es wird immer deutlicher, dass Auffrischungsimpfungen nötig sind, um Impfschutz zu erhalten“

Ab Minute sechs der Pressekonferenz sprach der Experte der EMA über Auffrischungsimpfungen. Diese seien nötig, um die Wirksamkeit der Impfung zu erhalten, sagte er, denn die Impfstoffe verlieren ihre Wirksamkeit mit der Zeit. Darüber haben auch wir bereits berichtet. Eine Auffrischungsimpfung führe sogar dazu, dass der Impfschutz noch besser wirke als nach den ersten beiden Impfdosen, sagte Cavaleri. 

Weiter sagte er (ab Minute 7:11), auch eine vierte Impfung, also eine zweite Auffrischungsdosis, werde diskutiert. Über die Wirksamkeit einer vierten Impfung lägen jedoch noch keine Daten vor. Es sei möglich, Auffrischungsimpfungen innerhalb weniger Monate als Notfallplan in Betracht zu ziehen, die EMA betrachte das jedoch nicht als „nachhaltige Strategie“. 

Ähnliche Äußerungen machte Cavaleri ab Minute 13:37 der Pressekonferenz. So antwortete er auf die Frage einer spanischen Journalistin: „Wir haben noch keine Daten zu einer vierten Impfung, diese würden wir gerne sehen, bevor wir eine vierte Impfung empfehlen.“ Wiederholte Impfungen alle drei oder vier Monate kämen aus Sicht der EMA derzeit lediglich für besonders gefährdete Gruppen in Betracht. 

Diese Aussage diente wohl als Grundlage für Stefan Homburgs Tweet, die EMA habe „Zweifel“ an einer vierten Impfdosis. Aus dem Kontext geht jedoch hervor, dass es dem EMA-Experten lediglich um den kurzen zeitlichen Abstand zwischen den Impfungen ging.

Redigatur: Sophie Timmermann, Alice Echtermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

Pressekonferenz der EMA vom 11. Januar 2022 (Video auf Youtube): Link