Keine Belege, dass Versuchshunde in der Tierklinik Gießen „krank gemacht“ werden
Eine Facebook-Nutzerin behauptet, an der Tierklinik Gießen würden Tierversuche mit Beagles durchgeführt, bei denen die Hunde krank gemacht würden. Dafür gibt es keine Belege: Laut Angaben der Klinik gelten dort strenge Regeln zum Schutz der Tiere.
Am 17. Januar schrieb eine Nutzerin auf Facebook: „Tierklinik Gießen macht Tierversuche: Ich komme gerade von der Tierklinik Gießen, weil wir den operierten Hund eines Freundes abgeholt haben. Dabei habe ich bei Ankunft der Klinik diese fünf Beagles am Eingang entdeckt und ahnte nichts Gutes…“ Dazu sind zwei Fotos zu sehen – darauf seien Versuchshunde, die „missbraucht“ würden, um zu sehen, welche Krankheiten sie bei neuen Futtersorten entwickeln. Die Hunde würden dadurch „absichtlich krank gemacht“ und unter anderem an Nierenschmerzen, Diabetes und Herzerkrankungen leiden. Der Beitrag wurde mehr als 2.200 Mal auf Facebook geteilt.
Es stimmt, dass an der Tierklinik Gießen Beagles als Versuchstiere gehalten werden. Die Klinik dementiert, dass sie krank gemacht werden; Tierschützer lehnen solche Versuche trotz der strengen Auflagen ab.
Beagles werden in der Tierklinik Gießen vor allem in der Tiermedizin-Ausbildung eingesetzt
In Deutschland müssen Tierversuche den Vorgaben im geltenden Tierschutzgesetz folgen. In Gießen ist das dortige Regierungspräsidium für die Genehmigung von Tierversuchen zuständig. Wir haben dort, bei der Tierklinik Gießen und beim Tierschutzbund Deutschland nachgefragt, ob die Aussagen in dem Facebook-Beitrag stimmen.
Das Regierungspräsidium Gießen bestätigte uns per E-Mail, dass die Klinik für Kleintiere der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) über eine Erlaubnis zum Halten von maximal 40 klinikeigenen Hunden verfüge, momentan würden dort aber nur 20 Beagles gehalten. „Die Tiere stammen aus anderen Versuchstierhaltungen und müssen in der Regel spätestens nach zwei Jahren Einsatz an der JLU in Privathände vermittelt werden.“
Auf die Frage, welche Versuche vorgenommen würden, schrieb das Präsidium, die Hunde würden für Fütterungsstudien, für die Ausbildung von Studierenden der Tiermedizin und für Blutspenden eingesetzt. Wesentliche Eingriffe seien neben Blutentnahmen gegebenenfalls kurzfristige Einzelhaltungen.
JLU dementiert, dass die Hunde „krank gemacht“ werden
Auch die Pressesprecherin der Justus-Liebig-Universität Gießen, Lisa Dittrich, bestätigte uns auf Nachfrage: „Wir halten an der JLU tatsächlich Beagles – soweit ist der Beitrag korrekt.“ Es sei für angehende Tierärztinnen und Tierärzte wichtig, bereits im Studium verschiedene Untersuchungsschritte mit Tieren zu lernen. Die Beagles seien „daran sehr gut gewöhnt, leben in einer Gruppe mit anderen Hunden zusammen (als Meutehunde sind Beagles dafür besonders gut geeignet) und haben studentische Paten“. Dazu verwies die Sprecherin auch auf einen Bericht der Gießener Allgemeinen aus dem Jahr 2016 über die Versuchshunde und ihre Paten. Darin heißt es zum Beispiel: „Spaziergänge in Feld und Wald, Ausflüge in die Stadt oder Übernachtungen zu Hause bei dem Paten sind dabei üblich.“
Auf die Frage, ob die Tiere krank gemacht würden, schreibt Dittrich: „Nein, das ist nicht der Fall.“ In den Fütterungsstudien beschäftige man sich beispielsweise mit dem Einsatz von Insekten im Hundefutter oder mit der Möglichkeit, das Immunsystem von Hunden durch Ernährungsfaktoren günstig zu beeinflussen. „Alle Studien werden sowohl von unseren Tierschutzbeauftragten als auch von der zuständigen Behörde geprüft und dürfen nur durchgeführt werden, wenn eine Genehmigung hierfür erteilt wurde.“ Dazu, ob die Tiere durch die Fütterungsstudien Diabetes, Nieren- oder Herzprobleme entwickeln können, schrieb die Sprecherin nichts.
Die Hunde dürfen theoretisch alle 90 Tage Blut spenden. In der Praxis sei das an der Klinik in Gießen aber deutlich seltener der Fall, so die Sprecherin der JLU.
Deutscher Tierschutzbund: Was aus Gießen berichtet wird, sei nicht ungewöhnlich – Tierschützer lehnen solche Versuche ab
Wir haben die Aussagen der Tierklinik und des Regierungspräsidiums Lea Schmitz vom Deutschen Tierschutzbund vorgelegt und um eine Einordnung gebeten. Sie schrieb uns in einer E-Mail: „Speziell zur Tierklinik der Uni Gießen ist uns leider nichts bekannt.“ Das, was aus den Schilderungen der Tierklinik hervorgehe, sei aber nicht ungewöhnlich. Auch an anderen tiermedizinischen Fakultäten in Deutschland finde das in ähnlicher Form statt. Aber grundsätzlich seien solche „Behandlungen trotzdem in jedem Fall mit Stress für das Tier verbunden und somit zu vermeiden“.
Der Deutsche Tierschutzbund lehne solche Tierversuche in der Ausbildung ab. Es gebe bereits ausreichend Alternativen in Form von Videos, interaktiven Computermodellen, realitätsnahen Simulatoren oder plastischen Modellen.
Das Ausmaß der Belastung sei je nach Tier und Versuch unterschiedlich. „Ein Training von Versuchshunden mittels Belohnung in Form von Leckerchen ist natürlich ethisch eher zu rechtfertigen als manche andere Trainingsmethoden wie beispielsweise das Training durch Flüssigkeitsentzug, wie es bei Versuchsaffen übliche Praxis ist. Auch eine Gruppenhaltung der Hunde sowie über Patenschaften ermöglichte Spaziergänge außerhalb der Klinik verringern die Belastung für das Tier.“
Laut Daten des Bundesinstituts für Risikobewertung wurden 2020 übrigens deutschlandweit 2.560 Hunde als Versuchstiere eingesetzt, etwa 1.000 weniger als im Jahr 2019.
Redigatur: Uschi Jonas, Alice Echtermann