Aufnahmen und Satellitenbilder belegen Angriff auf eine Entbindungsstation in Mariupol
Nach einem mutmaßlich russischen Angriff auf eine Entbindungsstation in der ukrainischen Stadt Mariupol häufen sich im Netz die Zweifel daran, dass das Krankenhaus überhaupt in Betrieb gewesen sei und dass es wirklich Verletzte gegeben habe. Doch Videos und Bilder belegen das Gegenteil.
Warnung: In diesem Beitrag ist Bildmaterial zu sehen, das die Folgen von Gewalt zeigt.
Seit Wochen ist die Stadt Mariupol in der Südost-Ukraine unter Beschuss, mehr als 2.000 Zivilisten sollen laut Angaben der Ukraine bisher gestorben seien. Unabhängig überprüfen lässt sich diese Zahl nicht.
Anfang März berichteten zahlreiche Medien (hier, hier und hier) über einen mutmaßlich russischen Bombenangriff, der sich am 9. März auf ein Krankenhaus mit Entbindungsstation in Mariupol ereignet haben soll. Die russische Botschaft behauptete auf Twitter die Klinik sei nicht mehr in Betrieb gewesen und stattdessen für militärische Zwecke verwendet worden. Der Tweet wurde mittlerweile entfernt, weil er gegen die Regeln des Kurznachrichtendienstes verstoßen haben soll.
In Deutschland übernahm die Internetseite Anti-Spiegel die Behauptung und schrieb, die Geburtsklinik in Mariupol sei geräumt gewesen und zu einem Stützpunkt des rechtsextremen Asow-Bataillons umfunktioniert worden. Auch auf Telegram (hier, hier und hier) zweifelten Nutzerinnen und Nutzer an der Authentizität des vermeintlichen Angriffs: Die ukrainische Armee hätte sich in dem Gebäude „verschanzt“ und auf dem Gebäude „Geschützstellungen“ aufgebaut, schreiben sie.
Doch Fotos und Videos belegen, dass die Klinik in Mariupol zum Zeitpunkt des Angriffes in Betrieb war und dort Frauen und Kinder behandelt wurden. Für die Behauptung, die Klinik sei von der Ukraine für militärische Zwecke verwendet worden, gibt es keine Belege.
Zerbombte Klinik in Mariupol ist durch Foto- und Videoaufnahmen leicht ausfindig zu machen
Zunächst haben wir recherchiert, welches Krankenhaus bei dem Angriff getroffen wurde und ob es in Mariupol liegt.
Um 16.35 Uhr lokaler Zeit berichtete der Stadtrat von Mariupol auf Telegram, dass russische Flugzeuge „ein Kinderkrankenhaus in Mariupol gezielt bombardiert“ hätten. In dem Video lässt sich die Anordnung der Gebäude gut erkennen. Auch der Ukrainische Präsident, Wolodymyr Selenskyj, veröffentlichte auf seinem Telegram-Kanal ein Video der zerbombten Klinik. Das Krankenhaus hat eine gelb-grüne Fassade. Weiter sind Kinderbetten und Spielzeuge zu sehen.
In einem weiteren Video des ukrainischen TV-Senders UA:Perschyj, das in Teilen auch von der Nachrichtenagentur AP veröffentlicht wurde, sind mehrere aneinander gereihte Gebäudekomplexe zu sehen. Diese befinden sich in der Nähe einer größeren, von Bäumen gesäumten Straße.
AP veröffentlichte zudem mehrere Fotos der zerbombten Klinik. Ein Foto, das am gleichen Ort entstanden sein soll, zeigt einen Eingang zu einer Abteilung für Neugeborene und Frühchen. Auf einem anderen Foto ist das Gebäude von weiter weg und oben zu sehen. Sowohl die farbige Fassade als auch die Umgebung des Gebäudes sind gut zu erkennen – beides gleicht den Aufnahmen aus dem Video.
In der Datenbank der Deutschen Presse-Agentur „Picture Alliance“ finden sich ebenfalls Aufnahmen, die die zerbombte Klinik vor dem Angriff zeigen sollen. Diesmal sind es Satellitenbilder. Sie lassen die Umrisse des Gebäudes klar erkennen und zeigen ebenfalls eine größere, von Bäumen gesäumte Straße.
Über eine Google-Suche auf Ukrainisch nach Entbindungsstationen in Mariupol stoßen wir auf ein medizinisches Portal. Demnach gibt es in der Stadt mehrere Geburtsstationen. Auf dem Portal sind drei Kliniken und deren Standorte eingezeichnet, auch Bilder der Gebäude sind dort zu sehen. Eine der Kliniken hat eine gelb-grüne Fassade und ähnelt der Klinik in den Videos. Laut dem ukrainischen Gesundheitsportal heißt sie „MTMO Gesundheit für Kinder und Frauen“. „MTMO“ steht für „Mariupol Territorial Medical Association“.
Lage der zerbombten Klinik lässt sich durch Satellitenbilder verifizieren
Anhand der Adresse, die auf dem Portal angegeben ist, finden wir auf Google-Maps Satellitenbilder der Klinik.
Der auf den Satellitenbildern zu sehende Gebäudekomplex, der zu der Klinik gehören soll, lässt sich auf den Luftaufnahmen erkennen. Vergleicht man diese Aufnahmen, mit denen, die wir bisher gesichtet haben, werden Ähnlichkeiten deutlich. Wir haben sie im untenstehenden Bild farblich markiert. Zu den Ähnlichkeiten gehören die Lage der Gebäudeteile (gelb), ein Durchgang zwischen den Gebäuden (rot) sowie ein Durchlass an einer Ecke (blau). Auch die Lage an der von Bäumen gesäumten Straße passt zu den anderen Aufnahmen.
Auch ein weiterer Ausschnitt aus dem Video, das von Selensky geteilt wurde, ist für einen Vergleich geeignet. Durch Satellitenbilder konnten wir so die Lage des gezeigten Gebäudes zur Straße abgleichen. Wir haben auch diese Vergleichspunkte im untenstehenden Bild farblich markiert.
In dem Video führt die Kamera zunächst durch die Innenräume des Krankenhauses und auf den Innenhof, danach schwenkt das Bild kurz zur anliegenden Hauptstraße um, die wir bereits oben auf den Satellitenbildern erkennen konnten. Links (gelb) ist ein etwas vorstehender Teil des zerbombten Gebäudes zu sehen, dass am nächsten zur Straße liegt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sind zwei Hochhäuser-Komplexe zu erkennen. Das erste Haus (blau) liegt direkt an der Straße, ein weiteres ist etwas dahinter (rot). Eine Aufnahme von Google-Maps von November 2020 zeigt das erste Gebäude (blau) außerdem von vorne.
Aufnahmen von verletzten Personen widersprechen Behauptungen, das Krankenhaus sei zum Zeitpunkt des Angriffs leer gewesen
Im Netz dementieren Nutzerinnen und Nutzer, dass die Klinik, die in den Videos zu sehen ist, wie unsere Analyse zeigt, in Betrieb gewesen sei. Laut Anti-Spiegel seien im Inneren des Krankenhauses weder Blut, Tote oder Verletzte zu sehen. Bei dieser Behauptung stützt sich die Seite auf das Video, welches vom ukrainischen Präsidenten Selenskyj verbreitet wurde.
In dem Video, welches Selensky teilte, ist zwar teilweise Blut zu sehen, allerdings sind zunächst keine Verletzten zu erkennen. Doch zu dem Vorfall existiert weiteres Material. Aufnahmen von Journalistinnen und Fotografen vor Ort zeigen verletzte Menschen und Blutspuren (hier, hier und hier). Auch in dem Video von AP, welches wir zuvor genutzt haben, um die Lage der Klinik zu lokalisieren, sind mehrere verletzte Personen zu sehen, darunter offenbar schwangere Frauen.
Anti-Spiegel behauptet, die Aufnahmen seien inszeniert. Die Fotos zeigten eine Bloggerin, die die Rollen mehrerer schwangerer Frauen gespielt haben soll. Auch der russische Diplomat Wassili Nebenzja wiederholte die Behauptung am 11. März vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN). Doch die Behauptung ist falsch, wie wir in einem Faktencheck vom 18. März gezeigt haben.
Dafür, dass die Klinik zum Zeitpunkt des Angriffs in Betrieb war, gibt es weitere Hinweise. So veröffentlichte die Klinik noch am 2. März auf ihrer Facebook-Seite einen Beitrag, in dem es unter anderem heißt: „Um das Krankenhaus in Betrieb zu halten, brauchen wir Dieselkraftstoff, A-95 Benzin und Benzinbehälter.“
Auch die Vereinten Nationen äußerten sich zu dem Angriff. Pressesprecher Stéphane Dujarric sagte in einem Pressegespräch am 10. März, dass ein Team der Vereinten Nationen für Menschenrechte vor Ort ermitteln konnte, dass das Krankenhaus zu der Zeit Frauen und Kinder behandelte. Wie genau das geschehen ist, sagt Dujarric nicht. Bei dem Angriff sollen 17 Personen verletzt und drei Menschen gestorben sein.
Russlands angebliche Belege zur Übernahme des Krankenhauses durch ukrainischen Streitkräften führen zu anderen Kliniken
Am 7. März behauptete der russische Diplomat Wassili Nebenzja vor dem UN-Sicherheitsrat zudem, dass ukrainische Streitkräfte das gesamte Personal der Geburtsklinik 1 in Mariupol vertrieben hätten, um die Klinik für militärische Zwecke zu nutzen. Dort sei eine „Feuerstellung“ errichtet worden.
Wie bereits erwähnt, gibt es mehrere Entbindungsstationen in Mariupol. Eine Google-Suche auf Ukrainisch nach „Entbindungskrankenhaus Nr. 1 Mariupol“ führt zu mehreren Einträgen einer Klinik, die sich im Norden der Stadt befindet, wie sich über die angegebene Adresse nachvollziehen lässt. Es handelt sich um eine der drei Kliniken, die auch auf dem Medizinischen Portal zu finden ist. Allerdings liegt sie etwa 11 Kilometer von der zerbombten Klinik entfernt.
Am 9. März veröffentlichte der Twitter-Account der Russischen Botschaft in Israel zudem mehrere Fotos, die angeblich beweisen sollen, dass das zerbombte Krankenhaus in Mariupol als Stützpunkt des rechtsextremen Asow-Bataillons gedient habe. Auf einem der geteilten Fotos ist ein Panzerfahrzeug zu sehen. Mittlerweile wurde auch dieser Beitrag gelöscht.
Ein Twitter-Nutzer lokalisierte die auf dem Foto abgebildete Klinik mithilfe von Satellitenbildern. Das Gebäude liegt demnach mehr als zehn Kilometer von der zerbombten Klinik entfernt. Wir konnten den Ort und die Distanz überprüfen. Es handelt sich um keine der Kliniken, die auf dem medizinischen Portal zu finden sind. Das Gebäude ist etwa drei Kilometer vom nächsten Krankenhaus entfernt.
Fazit: Die Geburtsklinik in Mariupol lässt sich leicht lokalisieren. Zahlreiche Aufnahmen zeigen zudem, dass es Verletzte bei dem Angriff gegeben hat. Es gibt keine Belege, die dafür sprechen, dass die Klinik durch ukrainische Streitkräfte als militärischer Stützpunkt genutzt wurde.
Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Russland-Ukraine-Krieg finden Sie hier.
Redigatur: Matthias Bau, Tania Röttger