Butscha: Bürgermeister sprach schon vor russischem Truppenabzug von Toten
Neben zahlreichen Behauptungen zu den Geschehnissen in Butscha, wird im Netz auch behauptet, der Bürgermeister der Stadt habe am 31. März von der Befreiung Butschas gesprochen – ohne dabei Leichen zu erwähnen. So wird suggeriert, die Tötung von Zivilisten sei erst nach dem Abzug der russischen Truppen geschehen. Satellitenbilder und Zeugenaussagen widersprechen dem.
Nach dem Abzug der russischen Truppen aus der ukrainischen Stadt Butscha gingen Bilder von der Verwüstung des Ortes um die Welt. Seit dem 3. April berichten Medien weltweit über zahlreiche vor Ort entdeckte Leichen.
Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums zogen sich dessen Truppen am 30. März aus Butscha zurück. Am 1. April veröffentlichte der Bürgermeister von Butscha, Anatoly Fedoruk, ein Video auf Facebook, in dem er von der Befreiung der Stadt spricht. Laut dem russischen Verteidigungsministerium hätten russische Streitkräfte „keinem einzigen Zivilisten“ etwas angetan. Das Video von Fedoruk, in dem er nicht von erschossenen Zivilisten spricht, sei ein Beweis dafür.
Die Webseiten Anti-Spiegel und Wochenblick sehen das Video des Bürgermeisters in ihren Artikeln ebenfalls als Beleg dafür an, dass es vor dem Abzug der russischen Truppen keine Leichen gegeben habe. Der Bürgermeister würde „kein Wort“ über diese verlieren: „Wer hat also dieses imaginäre Massaker verübt, wenn die Russen bereits die Stadt verlassen haben?“, heißt es auf Gloria.tv. Auch auf Twitter und in dem für Desinformation bekannten Telegram-Kanal „Neues aus Russland“ wurde das Video mit ähnlichen Behauptungen geteilt.
Doch Aufnahmen der Toten von Mitte März widersprechen dem. Der Bürgermeister äußerte sich zudem schon vorher zu Toten in Butscha.
Unklar, wann russische Truppen genau abzogen
Wann genau der Kiewer Vorort wieder vollständig unter ukrainischer Kontrolle war, bleibt unklar. In einer Pressemitteilung der Regionalverwaltung von Wyschhorod (Bezirk nordöstlich von Butscha) vom 30. März hieß es, Butscha sei weiter unter Beschuss. Einen Tag später wurde gemeldet, die Situation dort sei angespannt, aber unter Kontrolle.
In seinem Video vom 1. April sprach Butschas Bürgermeister von der Befreiung der Stadt. Doch noch am selben Tag hieß es auf dem Facebook-Account des Generalstabs der ukrainischen Streitkräfte, in Butscha sei es weiterhin gefährlich. Beim Verlassen der Stadt hätten russische Besatzungstruppen zivile Gebäude, Infrastruktur und Gebiete vermint, so Stadtratsmitglieder.
Journalistinnen und Journalisten, etwa von der Nachrichtenagentur AFP, reisten nach eigenen Angaben am 2. April nach Butscha und berichteten dort von toten Zivilisten. Fotos der Leichen verbreiteten sich anschließend weltweit. Dass die Videoaufnahmen der Leichen aus Butscha stammen, konnten wir in einem Faktencheck bestätigen. In einigen Videos ist zum Beispiel die Yablunska-Straße zu sehen.
Schon Anfang März berichtete Anatoly Fedoruk laut mehrerer Medienberichte, man könne Tote nicht von den Straßen bergen, da dies zu gefährlich sei. Ob er sich mit dieser Aussage auf die Toten bezog, deren Bilder Anfang April in den Medien kursierten, ist unklar. Am 4. April berichtete Fedoruk in einem Interview mit CNN erneut über die vielen Leichen vor Ort. Dass der Bürgermeister in seinem Video vom 1. April nicht von Leichen sprach ist somit kein Beleg dafür, dass es dort zuvor keine Toten gab.
Satellitenbilder aus Butscha zeigen Leichen bereits Mitte März
Augenzeuginnen und -zeugen aus Butscha berichteten mehreren Medien (hier, hier und hier) von der Gewalt russischer Truppen. Zeugen sprachen gegenüber der Organisation Human Rights Watch zudem von Vergewaltigungen und Mord.
Am 4. April veröffentlichte die New York Times Satellitenbilder, die Umrisse in der Größe von Menschen in Butscha schon am 11. März zeigten. Anders als vom Wochenblick behauptet, ist bekannt, von wann diese Satellitenbilder stammen.
Bilder der Leichen aus Butscha von Anfang April, die wir an Rechtsmediziner schickten, ließen laut der Experten außerdem den Schluss zu, dass sie mindestens drei bis sieben Tage alt seien.
Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.
Redigatur: Viktor Marinov, Matthias Bau