Faktencheck

Marokko: Video von Migranten ist echt und stammt von Grenzübergang zu Spanien

Im Netz kursiert ein Video mit grausamen Szenen von der marokkanisch-spanischen Grenze. Es zeigt regungslose Menschen und Polizisten, die Gewalt anwenden. Einige Nutzer zweifeln die Echtheit des Videos an, doch es zeigt tatsächlich Menschen, die Marokko im Juni in Richtung der spanischen Exklave Melilla verlassen wollten.

von Sophie Timmermann

marokkanisch-spanischen Grenze
Ein Migrant auf der spanischen Seite der Grenze, in Melilla. Die spanische Stadt liegt auf dem afrikanischen Kontinent, im Norden von Marokko. (Symbolbild vom 24. Juni: Picture Alliance / Associated Press / Javier Bernardo)
Behauptung
Ein Video zeige dutzende Menschen auf dem Boden liegend, umgeben von Polizisten in Marokko.
Bewertung
Richtig. Das Video entstand im Juni an einem Grenzübergang zwischen Marokko und der spanischen Stadt Melilla. Migranten hatten versucht, die Grenze zur spanischen Exklave zu überqueren, dutzende Menschen kamen dabei ums Leben.

Triggerwarnung: In diesem Artikel ist Material zu sehen und verlinkt, das die Folgen von Gewalt zeigt. 

Am 28. Juni verbreitete sich ein knapp einminütiges Video auf Telegram und Instagram, das dutzende Menschen regungslos auf dem Boden in einer mit Gitterstäben eingezäunten Umgebung zeigt. Zu sehen sind auch Personen in Uniformen, darunter ein Polizist, der auf eine Person einschlägt. Nutzerinnen und Nutzer schickten uns das Video über Whatsapp und fragten, ob es sich um eine Falschinformation handele.

Das Video ist echt und zeigt mutmaßlich Szenen, die sich beim Fluchtversuch mehrerer Menschen an der marokkanischen Grenze abspielten. Laut Medienberichten versuchten rund 2.000 Menschen am 24. Juni, von Marokko in die spanischen Exklave Melilla zu gelangen. Laut Amnesty International kamen mindestens 23 Menschen ums Leben, die Nichtregierungsorganisation „Caminando Fronteras“ spricht von 37 Toten

Video zeigt den Grenzübergang Barrio Chino in Marokko

Eine Suche nach dem Vorfall nahe Melilla führt zu mehreren Medienberichten, darunter von Al-Jazeera. In dem Artikel sind Ausschnitte des Videos, das uns per Whatsapp geschickt wurde, verlinkt. Als Quelle ist die marokkanische Organisation für Menschenrechte AMDH angegeben. Wir fanden das Video auf der Facebook-Seite der AMDH, es wurde dort am 25. Juni veröffentlicht. In dem Video ist das Wort „Nador“ zu lesen, das ist ein marokkanischer Grenzort südlich von Melilla. 

Die Menschenrechtsorganisation verlinkt ein weiteres Video einer anderen Facebook-Seite. Es wurde am 24. Juni gegen 20 Uhr veröffentlicht. In der Beschreibung heißt es, es handle sich um „Live-Szenen“, und dass das Video vom Grenzübergang Barrio Chino stamme. Der Grenzübergang aus dem Video lässt sich mit Hilfe von Google Earth lokalisieren.  

Grenzübergang ist von blauen Gitterstäben umzäunt – marokkanische Polizei durch Uniform zu identifizieren 

Die beiden Facebook-Videos zeigen erkennbar denselben Ort: Blaue Gitterstäbe zäunen das Gelände ein, im Hintergrund ist ein weiterer Zaun mit Stacheldraht zu sehen. Links verläuft eine beige Wand. Auf dem Boden liegen Menschen, die sich größtenteils nicht bewegen. Dazwischen laufen uniformierte Männer hin und her. 

Die marokkanischen Polizisten erkennt man an der Uniform, auf der im Video teilweise die Worte „Gendarmerie Royale“ zu sehen sind. 

Grenzübergang Barrio Chino
Standbilder aus dem Video (links) lassen die Beschriftung der Uniformen „Gendarmerie Royale“ und die Umgebung mit den blauen Gittern erkennen. Auf Google Earth (rechts) zum Vergleich der Grenzübergang Barrio Chino in Marokko. (Quelle: Telegram, Google Earth; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Der spanische Fernsehsender RTVE geolokalisierte zudem weitere Videos, die Szenen von dem Tag am Grenzübergang zeigen. Dort ist der blaue Zaun ebenfalls gut zu erkennen. Eine Korrespondentin des Senders berichtete später live vor Ort – ihrer Aussage nach wurden die Menschen zu dem Zeitpunkt an einen anderen Ort transportiert. Sie sprach von hunderten Personen, die teils über Stunden auf dem Boden gelegen hätten. Hinter ihr ist der Grenzübergang gut zu sehen.

Verifikation von RTVE
Der spanische Sender RTVE untersuchte verschiedene Videos, die die Szenen vom 24. Juni in Marokko abbilden, darunter dieses Bild, dass den Grenzübergang und die blauen Stäbe sichtbar macht (Quelle: RTVE; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Hergang und Ursachen des Vorfalls an der Grenze zu Melilla werden untersucht 

Laut Amnesty International und Human Rights Watch stammt die Mehrheit der Menschen Berichten zufolge aus dem Südsudan und Sudan. Dort fliehen viele vor Armut und Gewalt. Manche versuchen, in großen Gruppen die an das marokkanische Festland grenzenden spanischen Exklaven Ceuta oder Melilla zu erreichen. Immer wieder kam es in der Vergangenheit dabei zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der marokkanischen und spanischen Polizei. 

Bei dem aktuellen Vorfall sollen laut den Vereinten Nationen (UN) 140 marokkanische Einsatzkräfte Verletzungen erlitten haben. Medienberichten zufolge waren die Migranten laut Polizei teilweise mit Stöcken und Messern ausgerüstet, um den Grenzzaun zu überwinden. Die spanische Polizei habe Tränengas eingesetzt, schreibt Human Rights Watch. Amnesty International berichtet außerdem, die spanische Polizei habe die Menschen ohne Untersuchung oder Verfahren der marokkanischen Polizei übergeben, die sie dann zusammengeschlagen habe. 

Die UN rief zu einer Untersuchung der Vorfälle in Melilla auf, die Spaniens Generalstaatsanwalt am 28. Juni auch ankündigte. 

Redigatur: Sarah Thust, Alice Echtermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Bericht zum tödlichen Vorfall in Melilla (Englisch), Human Rights Watch: Link 
  • Geolokalisierung verschiedener Videos vom Grenzübergang (Spanisch), RTVE: Link
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