Faktencheck

Nein, Annalena Baerbock forderte nicht, „Migranten per Quote als Führungskräfte“ zu bevorzugen

Der rechte Blogger „Neverforgetniki“ behauptet, Annalena Baerbock wolle „Migranten per Quote als Führungskräfte“ bevorzugen. Korrekt ist jedoch: Die Grünen fordern ein Teilhabegesetz, das den Anteil Beschäftigter mit Migrationshintergrund in der öffentlichen Verwaltung mit verbindlichen Zielvorgaben fördern soll.

von Uschi Jonas

Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock fordert ein Teilhabegesetz, um den Beschäftigungsanteil von Menschen mit Migrationshintergrund in der Verwaltung zu fördern. Auf dem Foto: Baerbock bei einem Wahlkampfauftritt am 14. August. (Credit: Picture Alliance/ DPA/ Julian Stratenschulte)
Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock fordert ein Teilhabegesetz, um den Beschäftigungsanteil von Menschen mit Migrationshintergrund in der Verwaltung zu fördern. Auf dem Foto: Baerbock bei einem Wahlkampfauftritt am 14. August. (Credit: Picture Alliance/ DPA/ Julian Stratenschulte)
Behauptung
Annalena Baerbock habe ein Teilhabegesetz gefordert, das „Migranten per Quote als Führungskräfte“ bevorzugen soll.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Baerbock fordert zwar ein Teilhabegesetz, mit dem die Beschäftigung von Menschen mit Migrationshintergrund in der öffentlichen Verwaltung gefördert werden soll – die Grünen fordern allerdings nicht konkret eine Quote, sondern das Festlegen von Zielvorgaben. Auch geht es dabei nicht explizit um Führungskräfte.

Die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock wolle ein Teilhabegesetz, welches „Migranten per Quote als Führungskräfte bevorzugen soll“, behauptet der rechte Blogger „Neverforgetniki“ in einem Tweet am 6. August. Der Beitrag verbreitete sich auch auf Facebook.

Die von Neverforgetniki aufgestellte Behauptung stimmt so nicht. Eine Quote bedeutet, dass Unternehmen oder Behörden eine sich bewerbende Person einer benachteiligten Gruppe bei gleichen Leistungsvoraussetzungen vorziehen müssten, bis ein festgesetzter Prozentsatz an Stellen mit Personen dieser Gruppe besetzt ist.

Baerbock fordert hingegen ein neues Bundesgesetz, mit dem die Beschäftigung von Menschen mit Migrationshintergrund in der Verwaltung gefördert werden soll. Die Forderung ist hier aber nicht explizit nach einer Quote, sondern nach Zielvorgaben. Zudem bezieht sie sich auch nicht explizit auf Führungspositionen.

Baerbock will per Gesetz die Beschäftigung von Menschen mit Migrationshintergrund in der Verwaltung fördern

Der Blogger nennt keine Quelle für die angebliche Aussage Baerbocks. Über eine Google-Suche nach den Stichworten „Teilhabegesetz“, „Migranten“ und „Baerbock“ stoßen wir auf ein Interview, das die Kanzlerkandidatin der Grünen Anfang August dem Verein „Türkische Gemeinde in Deutschland“ gegeben hat. 

Im Original-Interview mit dem Verein, das auch auf Youtube zu finden ist, sagt Baerbock wörtlich ab Minute 3:17

„Jeder vierte Mensch in unserem Land hat eine Migrationsbiografie. Das ist Teil unserer gesellschaftlichen Stärke. Aber gerade in Führungspositionen, gerade in einigen Berufsgruppen, auch in der Politik in der Öffentlichkeit, sind eben nicht alle gleichberechtigt repräsentiert und daher unterstütze ich, daher unterstützt meine Partei die Forderung der Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen, um Repräsentanz und Teilhabe wirklich zu gewährleisten und dafür wollen wir zusätzlich ein Bundespartizipations- und teilhabegesetz […] vorlegen, um in Zukunft, und das ist ja auch der Vorschlag der Migrantenorganisationen, bei Bundesgremienbesetzung eben deutlich besser die Vielfältigkeit in unserem Land auch sicherzustellen […].“ 

Grüne: Bundespartizipations- und Teilhabegesetz soll an Zielvorgaben geknüpft sein, nicht an eine Quote

Baerbock fordert folglich nicht, wie von „Neverforgetniki“ behauptet, eine Quote, die Migranten als Führungskräfte bevorzugen soll. Stattdessen bringt sie Führungspositionen in Politik und Verwaltung als Beispiel an, wo sie sich mehr Diversität wünscht und welche durch das vorgeschlagene Gesetz gefördert werden soll.

Auf Nachfrage schreibt Maria Henk, Pressesprecherin des Bundesvorstands von Bündnis 90/Die Grünen, in einer E-Mail: „Frau Baerbock hat keine Quote gefordert.“ Stattdessen gehe es um verbindliche Zielvorgaben. Im Bundestagswahlprogramm der Grünen heißt es dazu unter dem Punkt „Vielfalt in der Verwaltung“ auf Seite 90: „Wir werden verbindliche Zielvorgaben zur Erhöhung des Anteils von Menschen mit Migrationshintergrund auf allen Ebenen einführen.“ 

Auf Landesebene gibt es ähnliche, bereits in Kraft getretene Gesetze, zum Beispiel in Baden-Württemberg (seit 2015) und Berlin (seit 2010).

„Eine verbindliche Zielvorgabe ist dabei nicht gleichzusetzen mit einer leistungsbezogenen Quote“, erklärt Pressesprecherin Henk. Denn: Eine verbindliche Quote bedeutet, dass bei gleichen Leistungsvoraussetzungen immer die Person der benachteiligten Gruppe eingestellt werden muss. Bei einer verbindlichen Zielvorgabe hingegen wird beispielsweise das bindende Ziel festgelegt, dass der Anteil Beschäftigter mit Migrationshintergrund innerhalb von zwei Jahren von fünf auf zehn Prozent erhöht werden muss. Bei der Einstellung Angestellter kann dann aber auch eine Person ohne Migrationshintergrund vorgezogen werden. Relevant ist lediglich, ob nach den zwei Jahren insgesamt das gesetzte 10-Prozent-Ziel erreicht ist. 

„Quote“ für Menschen mit Migrationshintergrund nicht im Bundestagswahlprogramm der Grünen zu finden

Im Zusammenhang mit Menschen mit Migrationshintergrund findet sich der Begriff „Quote“ nicht im Wahlprogramm zur Bundestagswahl der Grünen. Im Zusammenhang mit Arbeit fordert die Partei lediglich eine Frauenquote für Führungspositionen im Gesundheitswesen (Seite 66) und eine Frauenquote für diplomatische und multilaterale Verhandlungen (Seite 119).

Auch eine Suche via Google, in der Pressedatenbank Genios und in der Datenbank Spaactor, die Videos und Podcasts durchsucht, nach den Stichworten „Baerbock“, „Quote“, „Migranten“ und „Führungskräfte“ führte zu keinen Treffern, die belegen würden, dass sich Baerbock so geäußert hätte. 

Redigatur: Till Eckert, Sarah Thust