Faktencheck

Zahlen zu Lebendgeburten in Deutschland: Kein Beleg für abnehmende Fruchtbarkeit durch Covid-19-Impfungen

Auf Twitter wird spekuliert, dass die niedrigere Zahl der Lebendgeburten im ersten Quartal 2022 mit den Corona-Impfungen zusammenhänge. Für eine solche Verbindung gibt es keine Belege. Studien zeigen keine Auswirkungen der Impfungen auf die Fruchtbarkeit.

von Kimberly Nicolaus

Eine Frau und ihr neugeborenes Kind
Eine Frau und ihr neugeborenes Kind (Symbolbild: Pexels / Isaac Hermar)
Behauptung
Daten des Statistischen Bundesamts zeigten, dass die Anzahl der Lebendgeburten in Deutschland eingebrochen sei. Da dies etwa neun Monate nach dem Start der Impfkampagne für junge Erwachsene gegen Covid-19 begonnen habe, könnte es sich um „unbekannte Nebenwirkungen“ handeln.
Bewertung
Unbelegt. Die Zahl der Lebendgeburten ist im ersten Quartal 2022 im Vergleich zu den Vorjahren gesunken, es gibt aber keine Hinweise auf einen Zusammenhang mit Covid-19-Impfungen. Eine neue Studie aus den USA zeigt keine Auswirkungen der Impfung auf die Fruchtbarkeit.

„Was haben diese Zahlen zu bedeuten? Etwa eine Schwangerschaftsphase, nachdem die Impfkampagne für junge Erwachsene begonnen hat, bricht die Anzahl der Lebendgeburten in DE auffällig ein“, schreibt ein Nutzer auf Twitter. Die Behauptung wird von mehreren Personen verbreitet (hier) und suggeriert, dass die Covid-19-Impfungen zum Rückgang der Lebendgeburten in Deutschland geführt hätten. Als Beleg werden Daten des Statistischen Bundesamts zur Anzahl der Lebendgeburten pro Monat seit 2018 in Deutschland angeführt. 

Die Beiträge wurden tausendfach geteilt. Auch der britische Schauspieler John Bowe behauptete auf Twitter, Statistiken aus Deutschland würden zeigen, dass die Covid-19-Impfungen die Fruchtbarkeit beeinträchtigen. Sein englischer Beitrag wurde mehr als 6.000 Mal geteilt und zählt rund 16.400 „Gefällt mir“-Angaben.

Unsere Recherche zeigt: Es gibt für diese Spekulationen keine Belege. Im Gegenteil weisen wissenschaftliche Studien darauf hin, dass es keinen negativen Effekt der Impfungen auf die Fruchtbarkeit gibt.

Statistisches Bundesamt: Kein Zusammenhang zwischen Zahl der Lebendgeburten und Covid-19-Impfungen

Wir haben uns zunächst die Daten des Statistischen Bundesamtes angeschaut: Die Anzahl der Lebendgeburten in Deutschland beläuft sich im ersten Quartal 2022 (Januar bis einschließlich März) im Schnitt auf etwa 55.311 und ist damit tatsächlich niedriger als die Durchschnittswerte der ersten Quartale der Vorjahre (2021: 63.993, 2020: 61.547, 2019: 60.713, 2018: 62.510). Weshalb die Zahl gesunken ist, lässt sich aus den Daten jedoch nicht ablesen.

Das Statistische Bundesamt kommentierte auf Twitter noch am gleichen Tag: „Mit den Covid-19-Impfungen, die im Frühjahr 2021 fast ausschließlich älteren Menschen angeboten wurden, besteht kein Zusammenhang.“ Für die rückläufige Tendenz gebe es verschiedene mögliche Erklärungen, darunter die derzeit steigende wirtschaftliche Unsicherheit. Zudem hätten viele Eltern ihren Kinderwunsch bereits 2021 realisiert, da es in dem Jahr einen deutlichen Anstieg der Lebendgeburten gegeben habe.

Das Statistische Bundesamt widerspricht der Spekulation auf Twitter, dass die Covid-19-Impfungen für den Rückgang der Lebendgeburten verantwortlich seien.
Das Statistische Bundesamt widerspricht der Spekulation auf Twitter, dass die Covid-19-Impfungen für den Rückgang der Lebendgeburten verantwortlich seien (Quelle: Twitter; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Bei der Anzahl der Lebendgeburten in Deutschland für die Monate Januar, Februar und März 2022 handelt es sich außerdem um vorläufige Angaben, darauf verweist der Buchstabe „p“, mit dem die Zahlen in der Datenbank des Statistischen Bundesamtes markiert sind.

Auszug aus der Datenbank des Statistischen Bundesamtes zu Lebendgeborenen nach Monaten in den Jahren 2021 bis April 2022. Die Spalte links sind die männlichen Neugeborenen, in der Mitte die weiblichen und ganz rechts die Gesamtzahl.
Auszug aus der Datenbank des Statistischen Bundesamtes zu Lebendgeborenen nach Monaten in den Jahren 2021 bis April 2022. Die Spalte links sind die männlichen Neugeborenen, in der Mitte die weiblichen und ganz rechts die Gesamtzahl. (Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Menschen unter 60 Jahren wurden in Deutschland vermehrt erst ab Juni 2021 geimpft

Personen unter 60 Jahren wurden im Stufenplan der Ständigen Impfkommission (Stiko) zur Priorisierung der Covid-19-Impfung als Stufe 6 kategorisiert. Wer also nicht aufgrund seiner Arbeitsstelle oder wegen einer Vorerkrankung einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt war, erhielt das Impfangebot zuletzt. Die Impfpriorisierung wurde am 7. Juni 2021 aufgehoben. Zu diesem Zeitpunkt waren nur etwa 22 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland geimpft. Die Impfquote nach Altersgruppen wurde vom Robert-Koch-Institut damals noch nicht im Impfdashboard ausgewiesen, aber drei Monate später, am 6. September, waren rund 66 Prozent der 18- bis 59-Jährigen geimpft. 

Das erste Quartal 2022 beginnt im Januar, dazwischen liegen also keine vollen neun Monate. Hätten die Impfungen einen Einfluss auf die Fruchtbarkeit der Geimpften gehabt, hätte dieser Prozess schon im Mai 2021 beginnen müssen. Damals hatten die meisten Menschen unter 60 aber noch keine Impfung erhalten.

Es gibt also keine Belege dafür, dass der Rückgang der Lebendgeburten ab Januar 2022 angeblich in Verbindung mit dem Beginn der Impfkampagne für junge Erwachsene stehe. 

Studie aus Israel über Spermienkonzentration ist kein Beleg für Fruchtbarkeitsprobleme durch die Covid-19-Impfung

Für einen weiteren vermeintlichen Beleg der These, dass sich die Impfung negativ auf die Fruchtbarkeit auswirke, verweist der Twitter-Nutzer auf eine Studie aus Israel, die zeigt, dass sich bei Männern die Spermienkonzentration drei Monate nach einer Biontech-Impfung vorübergehend verringert hat. Die Stichprobe von 37 Samenspendern ist allerdings deutlich zu klein, um Rückschlüsse auf eine allgemeine Tendenz ziehen zu können. 

Mehrere Personen aus der Wissenschaft hatten uns bereits für einen Faktencheck im Januar 2021 erklärt, dass sie die Gefahr, durch eine Covid-19-Impfung unfruchtbar zu werden, als „höchst unwahrscheinlich“ einschätzen. Zudem bestätigen das Robert-Koch-Institut (hier) und das Paul-Ehrlich-Institut (hier), dass es keine Hinweise darauf gibt, dass nach Covid-19-Impfungen Unfruchtbarkeit auftritt. 

Auch einer Studie aus den USA zufolge, die im Januar 2022 veröffentlicht wurde, hat die Covid-19-Impfung keine Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit. In der Studie wurden mehr als 2.000 Frauen im Alter zwischen 21 und 45 Jahren, die schwanger werden wollten, von Dezember 2020 bis November 2021 unter anderem zu ihrem und dem Impfstatus ihres Partners befragt. 

Studien sehen auch keine Verbindung zwischen Impfungen und Fehlgeburten

Es gibt weiterhin Studien, die untersuchen, ob ein Zusammenhang zwischen der Impfung und Fehlgeburten bestehen könnte. Das Journal of the American Medical Association (Jama) veröffentlichte im September 2021 den Artikel „Spontane Fehlgeburt nach Covid-19 Impfung in der Schwangerschaft“. Die Forschenden analysierten Daten von mehr als 105.000 Schwangeren, von denen etwas mehr als 13.000 in einer Fehlgeburt endeten. Etwa 14 Prozent der 105.000 Teilnehmerinnen hatte innerhalb der ersten 20 Wochen der Schwangerschaft eine Impfung entweder mit Pfizer/Biontech, Moderna oder Johnson&Johnson erhalten. Die Analyse fand heraus, dass es keine erhöhte Wahrscheinlichkeit einer Fehlgeburt bei den Geimpften gab.

Und ein Artikel im New England Journal of Medicine, der im Oktober 2021 veröffentlicht wurde, analysierte explizit Daten der Schwangeren, die eine Covid-19-Impfung in den ersten 20 Schwangerschaftswochen erhielten. Die Studie fand heraus, dass in dieser Gruppe das Risiko für Fehlgeburten (zwischen der 6. und 20. Schwangerschaftswoche) bei 12,8 bis 14,1 Prozent lag. Der Anteil schwankte, je nachdem, ob bei der Analysemethode das Alter einbezogen wurde, denn je höher das Alter der Schwangeren, desto wahrscheinlicher werden Fehlgeburten. 

Offizielle Statistiken, wie viele Schwangerschaften mit einer Fehlgeburt enden, gibt es für Deutschland nicht, da Fehlgeburten nicht meldepflichtig sind. 2016 sprach der Berufsverband der Frauenärzte aber davon, dass jede dritte Schwangerschaft die ersten zwölf Wochen nicht überlebe, „ohne dass man dafür irgendeinen Grund findet“.

Seit Beginn der Impfkampagne gegen das Coronavirus wurden Studien häufig falsch interpretiert (hier und hier) oder Ergebnisse unterschiedlicher Studien kombiniert, um angebliche Auswirkungen von Impfstoffen auf Schwangerschaften zu erklären. Oft werden dabei Zusammenhänge hergestellt, für die es keine wissenschaftlichen Belege gibt. 

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Statistisches Bundesamt, Statistik der Lebendgeborenen, Ergebnis 12612-0002: Link
  • Studie „A prospective cohort study of Covid-19 vaccination, SARS-CoV-2 infection, and fertility“, American Journal of Epidemiology, 20. Januar 2022: Link

Redigatur: Steffen Kutzner, Alice Echtermann