Faktencheck

Studie belegt nicht, dass sich Geboosterte langsamer von einer Corona-Infektion erholen

Ein Artikel von Israel National News zitiert eine Studie und behauptet: Personen mit Booster-Impfung erholten sich deutlich langsamer von einer Covid-19-Infektion als Ungeimpfte. Das stimmt nicht. Ein Virologe bezeichnet diese Interpretation der Studie als „falsch und grob unwissenschaftlich“.

von Kimberly Nicolaus

Coronavirus Impfuns
Die Angabe der prozentualen Verhältnisse von Personen mit Booster-Impfung und Ungeimpften ist irreführend und stellt den geringen Unterschied der Infektionsdauer falsch dar (Symbolbild: Pexels / Gustavo Fring)
Behauptung
Studienergebnisse belegten, dass sich Personen mit Booster-Impfung deutlich langsamer von einer Covid-19-Infektion erholen. Sie seien außerdem länger ansteckend als Ungeimpfte.
Bewertung
Falsch. Die Studienergebnisse werden falsch interpretiert, wie uns einer der Autoren und ein Virologe bestätigten. Die Studie zeigt keine signifikanten Unterschiede in der mittleren Dauer der Virusausscheidung zwischen ungeimpften, geimpften oder geboosterten Patienten. Aufgrund der kleinen Probandenzahl sind die Ergebnisse außerdem nicht außerhalb der Stichprobe interpretierbar.

Ein Artikel der Israel National News wird tausendfach in Sozialen Netzwerken geteilt. Am 10. Juli titelte die Seite: „Neue Studie: Covid-Booster verzögert das Ende der Infektion erheblich“. Im Artikel heißt es, Personen mit Booster-Impfung würden sich deutlich langsamer von einer Covid-19-Infektion erholen und seien länger ansteckend als Ungeimpfte. Auch auf Deutsch wird die Behauptung verbreitet, unter anderem von  Uncut-News und in einem Twitter-Beitrag von Welt-Journalist Tim Röhn, der mehr als 2.000 Mal geteilt wurde. 

Es geht um eine Veröffentlichung am 29. Juni 2022 im New England Journal of Medicine. Es handelt sich dabei um einen wissenschaftlichen Leserbrief. Solche Leserbriefe gibt es als Peer Review nach der Veröffentlichung einer Studie oder wissenschaftlichen Untersuchung, um ein Diskussionsforum zwischen Forschenden zu schaffen, um mögliche Fehler und Defizite aufzuzeigen. Die Daten aus einer Grafik des wissenschaftlichen Leserbriefs werden falsch interpretiert. Ein Forscher, der an der Studie beteiligt war, hat uns das bestätigt: Die Ergebnisse zeigen nicht, dass sich Personen mit Booster-Impfung langsamer von einer Covid-19-Infektion erholen. 

Absolute Zahlen zeigen nur geringen Unterschied – Ergebnisse lassen sich nicht auf Gesamtbevölkerung beziehen 

Wir haben uns den Artikel und die Studie „Ausscheidungsdauer kultivierbarer Viren bei SARS-CoV-2 Omikron (BA.1)“ angesehen. Konkret heißt es im Artikel von Israel National News: 31 Prozent der Personen mit Booster-Impfung seien zehn Tage nach einer Infektion noch ansteckend, bei Ungeimpften seien es dagegen nur sechs Prozent. Diese Aussage bezieht sich auf eine Grafik der Publikation, die zeigt, wie viele Tage ab dem ersten positiven PCR-Test bis zu einem negativen Kulturnachweis vergangen sind, also bis zu dem Zeitpunkt, an dem keine lebenden Viren mehr beim Nasenabstrich gefunden wurden. 

Die Daten dieser Grafik hat die Seite Israel National News falsch interpretiert. Die Abbildung zeigt, wie viele Tage von einem ersten positiven PCR-Test bis zu einem negativen Kulturnachweis vergangen sind.
Die Daten dieser Grafik hat die Seite Israel National News falsch interpretiert. Die Abbildung zeigt, wie viele Tage von einem ersten positiven PCR-Test bis zu einem negativen Kulturnachweis vergangen sind. (Quelle: New England Journal of Medicine; Screenshot und Markierungen: CORRECTIV.Faktencheck)

Wichtig ist, die absoluten Zahlen dahinter anzuschauen. Es wurden lediglich 16 Ungeimpfte, 37 Geimpfte und 13 Personen mit Booster-Impfung untersucht. Zehn Tage nach dem ersten positiven PCR-Test haben noch 4 von 13 Personen mit Booster-Impfung eine Viruslast, dies entspricht rund 31 Prozent. Bei den Ungeimpften lässt sich zu diesem Zeitpunkt das Virus noch bei einer der 16 Personen nachweisen, dies entspricht rund sechs Prozent. Die Prozentzahlen sind also korrekt von Israel National News angegeben. Aber: Bei einer so geringen Probandenzahl ausschließlich die Prozentzahlen zu betrachten, ergibt ein irreführendes Bild. Ein Beispiel: Wären lebende Viren bei nur einer weiteren ungeimpften Person nach zehn Tagen gefunden worden, würde sich die Prozentzahl schon verdoppeln.

Das heißt: Die Autorinnen und Autoren haben diesen Unterschied in der Studie zwar gemessen, doch sie haben zu wenige Personen untersucht, um einen statistischen Zufall ausschließen zu können. Sie schreiben: „Unsere Ergebnisse sollten im Kontext einer kleinen Stichprobengröße interpretiert werden, die die Genauigkeit einschränkt.“

Zudem schreiben sie auch nicht, dass ihre Ergebnisse das gezeigt haben, was im Artikel von Israel National News behauptet wird: „Wir fanden keine großen Unterschiede in der mittleren Dauer der Virusausscheidung zwischen ungeimpften, geimpften und geboosterten Teilnehmern.“

Studienautor: Artikel ist keine korrekte Schilderung unserer Ergebnisse 

Wir haben einen der Autoren der Studien kontaktiert. Mark Siedner ist Forscher und Mediziner am Mass General Research Institute in Boston. „Das ist leider nicht das erste Mal, dass unser Artikel falsch interpretiert oder für ein Narrativ missbraucht wird“, schreibt er uns per E-Mail. Der Artikel der Israel National News sei keine korrekte Schilderung der Ergebnisse und enthalte viele Ungenauigkeiten. 

Als Beispiel gibt Siedner die Dauer der Infektion an: „Die mittlere Zeit (Median), in der lebende Viren nachgewiesen wurden, beträgt sieben Tage bei Ungeimpften, sechs Tage bei Geimpften und sechs Tage bei Personen mit Booster-Impfung.“ Zusammenfassend ließe sich sagen, dass die Daten nicht darauf hindeuteten, dass sich Personen mit Booster-Impfung langsamer von Covid-19 erholten. „Ganz im Gegenteil: Wir fanden keinen signifikanten Unterschied zwischen dem Impfstatus (ungeimpft, geimpft oder geboostert) in Bezug auf die Zeit zwischen dem ersten positiven und dem ersten negativen PCR-Test oder negativem Kulturnachweis aus Nasenabstrichen“, schreibt uns Siedner.

Studie trifft keine Aussage zur Ansteckungsfähigkeit von Personen mit Booster-Impfung 

Aus den berechneten prozentualen Verhältnissen im Artikel der Israel National News wird geschlussfolgert, dass Personen mit Booster-Impfung länger ansteckend seien als Ungeimpfte. Das belegen die Studienergebnisse aber nicht. Sie zeigen lediglich, wie lange lebende Viren bei Covid-19-Erkrankten durch einen Nasenabstrich nachweisbar waren. „Man kann die Ansteckungsfähigkeit nicht einfach direkt messen“, schreibt uns Mark Siedner. „Zwar ist der Nachweis von lebenden Viren ein möglicher Indikator für die Ansteckungsfähigkeit, allerdings braucht es noch weitere Studien, um zu bestätigen, dass lebende Viren tatsächlich mit einer höheren Ansteckungsfähigkeit zusammenhängen“, heißt es in der Studie. 

Wir haben auch Bernd Salzberger, Virologe und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie um eine Einschätzung zur Studie gebeten. Er schreibt uns: „Bei der Studie zeigen sich (bei sehr kleinen Fallzahlen) keine als nicht-zufällig zu bewertenden Unterschiede in der Ausscheidungsdauer zwischen ungeimpften, geimpften oder geboosterten Patienten. Die Autoren weisen auch darauf hin, dass diese Studie nicht dazu geeignet ist, diese Frage zu untersuchen.“ Eine solche Interpretation der Studie wie im Artikel von Israel National News sei „falsch und grob unwissenschaftlich“. 

Es gebe auch keine wissenschaftlichen Erkenntnisse darüber, dass sich Personen mit Booster-Impfung langsamer von einer Covid-19-Infektion erholen oder länger ansteckend seien als Ungeimpfte.

Fazit: Die Studie belegt nicht, dass Personen mit Booster-Impfung länger ansteckend sind oder sich signifikant langsamer von einer Covid-19-Impfung erholen als Ungeimpfte. Im Schnitt wurde SARS-CoV-2 bei Personen mit Booster-Impfung sechs Tage und bei Ungeimpften sieben Tage nach der Infektion nachgewiesen. Durch die geringe Probandenanzahl sind die Ergebnisse nicht repräsentativ und lassen keine Rückschlüsse außerhalb der Stichprobe zu. Auch über die Studie hinaus gibt es keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass sich Personen mit Booster-Impfung langsamer von einer Covid-19-Infektion erholten oder länger ansteckend wären als Ungeimpfte.

Redigatur: Viktor Marinov, Steffen Kutzner