Stationen einer Abtreibung

Der Weg zum Schwangerschaftsabbruch

„Plötzlich gehört dir dein Körper nicht mehr“

Triggerwarnung:

Der folgende Text beschäftigt sich mit negativen Erfahrungen bei Schwangerschaftsabbrüchen.
Die Schilderungen können belastend sein und negative Reaktionen auslösen.

Jeden Tag brechen durchschnittlich rund 270 Menschen in Deutschland eine Schwangerschaft ab. Über den Weg, den sie bei einem Schwangerschaftsabbruch gehen müssen, wird kaum öffentlich gesprochen.

Nun ändert sich das: 1.505 Betroffene haben CORRECTIV.Lokal von ihrem Abbruch berichtet. In einer Umfrage und persönlichen Gesprächen teilen sie ihre Erlebnisse zu schlechter medizinischer Versorgung, Erniedrigung, bürokratischen Hürden, fehlenden Informationen, langen Wartezeiten und weiten Entfernungen. Ihre Geschichten geben einen bisher nicht dagewesenen Einblick zu den Schwierigkeiten. Und den Missständen, die die Betroffenen bei den einzelnen Schritten erleben.

Die umstrittene Gesetzeslage

Plötzlich gehört dir dein Körper nicht mehr. Man fühlt sich bei allem schuldig. Ich fand es fürchterlich, nach dem Beratungsgespräch auch noch eine Bestätigung abzuholen. Wie ein Schwerverbrecher. Es geht niemanden etwas an. Ich fühlte mich total ausgeliefert und nicht selbstbestimmt. Es ist ein Tabu, darüber zu reden und genauso fühlt man sich auch. Das muss dringend anders werden. Am Ende versteht das nur, wer es erlebt hat. Und das ist Kern des Problems.

— Nordrhein-Westfalen, 2020

Im Nachhinein finde ich  die Gesetzeslage am belastendsten. Habe nie an meiner Entscheidung gezweifelt, auch wenn sie sehr schwierig war und ich etwas getrauert habe. Dass es allerdings eine Straftat sein soll, diese für mich in dieser Situation einzig richtige Entscheidung zu treffen, kann ich einfach nicht verstehen. Es ist verletzend, es macht mich klein, es macht mich wütend.

— Niedersachsen, 2021

Verbotene Informationen

Es ist ganz furchtbar gewesen, nach dem positiven Test überhaupt an Informationen zu kommen. Es kamen nur christliche Adoptionsseiten und ich habe mich wie eine Mörderin gefühlt.

— Hessen, 2020

Ich bin auf der Suche nach Informationen unter anderem auf den sog. „Babycaust“-Seiten christlicher Fundis gelandet und war damals nicht in der Lage, mich emotional davon zu distanzieren. Die Informationslage halte ich heute für ein riesiges Problem. Es gibt viel zu wenig Infos für Schwangere, die einen in der Entscheidung für einen Abbruch bestärken und gleichzeitig anerkennen, dass das ein emotional schmerzhafter Prozess sein kann.

— Sachsen, 2011

Beratungsgespräch

Kreuzverhör im Beratungsgespräch

Die Mitarbeiter der Beratungsstelle haben oft versucht, auf mich einzureden, damit ich das Kind bekomme, obwohl ich erst 13 war. Die Beratung war sehr schlimm für mich, da ich mir so sicher war, dass ich es nicht wollte. Trotzdem musste ich mich für alles rechtfertigen. Und durch „Erfolgsgeschichten“ und Bilder von glücklichen Müttern wurde versucht, mich dazu zu bewegen, das Kind zu behalten.

— Sachsen, 2016

Die Beraterin machte mir Vorwürfe, ich würde mein Leben über das meines ungeborenen Kindes stellen und sagte, wir Frauen seien auf der Welt, um Kinder zu bekommen.
— Nordrhein-Westfalen, 2016

Ich musste drei Pflichtgespräche führen, zwei allein mit der Beratung, eins mit meinem Freund zusammen. Es war furchtbar. Ich war zu dieser Zeit schwer drogenabhängig. Der Mann war nicht der Richtige und mir war von Anfang an klar, dass ich dieses Kind nicht wollte. Die Beraterin hat massiv versucht mich zu beeinflussen, dass ich das Kind bekomme. Sie meinte, es würde positive Veränderungen in meinem Leben hervorrufen. Mir war aber völlig klar, dass ich mich in meinem Zustand keinem Kind zumuten konnte und wollte. Ich mich so lange dagegen gewehrt, bis sie nachgab. Mein Freund wollte das Kind. Jeder hatte eine Meinung dazu und wusste es besser. Ich habe mich für einen Abbruch entschieden, und es niemals bereut.

— Nordrhein-Westfalen, 2011

Die umständliche Kostenübernahme

Ich musste persönlich zum Schalter meiner Krankenkasse und dort offenlegen, warum ich eine Übernahme brauche. Ich habe mehrfach nach einem Einzelraum gefragt, da es sich um sehr persönliche Aussagen handelte. Dies wurde nicht berücksichtigt. Ich habe am Schalter neben anderen Kund:innen darum betteln müssen, dass es übernommen wird.
— Nordrhein-Westfalen, 2021
Ich fand es scheußlich. Ich musste für den Antrag zur Kostenübernahme extra in den 20 Kilometer entfernten Ort fahren und mit einem Heiopei von der Krankenkasse besprechen, dass ich nicht noch ein Kind will (9 Monate altes Baby auf meinem Schoß inklusive). Komplett entwürdigend, was geht den das an?
— Nordrhein-Westfalen, 2016

Eine Praxis finden

Spießrutenlauf

Es war ein Spießrutenlauf. Immer wenn jemand sagte, dass es keine Termine gäbe, fühlte ich mich ein bisschen kleiner. Ich war wirklich knapp an der Grenze, dass es nicht mehr möglich gewesen wäre. Ich hätte es gerne medikamentös durchgeführt, aber es war zu spät. Es fühlte sich grenzüberschreitend an, dass andere an mir rumstochern und einschneiden sollten.
— Nordrhein-Westfalen, 2017

Einen Arzt zu finden, war sehr schwer. Erstens war Urlaubszeit und von den drei Ärzten waren zwei im Urlaub. Der andere, der Zeit hatte, war so unfreundlich am Telefon, dass man gedacht hat, man macht einen Termin im Schlachthof aus. Die anderen Ärzte in der Region haben es in der siebten Schwangerschaftswoche nicht mehr mit Tabletten gemacht. Also musste ich fast 200 Kilometer in ein anderes Bundesland fahren, um einen Arzt zu finden, der den Eingriff macht.

— Bayern, 2021

Fahrt zum Abbruch

Fahrt zum Abbruch – Keine Hilfe vor Ort

Das größte Unbehagen war für mich die Entfernung und das lange Warten. Ich musste damals einmal für ein Vorgespräch nach München fahren und schließlich für den Abbruch. Für das Ganze musste ich natürlich Urlaubstage nehmen, da ich in einer Festanstellung war. Der Termin war morgens, daher musste ich am Vorabend anreisen und in einem Hostel übernachten. Das Ganze war sehr unangenehm, da ich auf mich allein gestellt war. Im Nachhinein hätte ich gerne meine beste Freundin als Unterstützung dabei gehabt, das war aber durch die weite Entfernung nicht möglich.
— Bayern, 2015, mehr als 100 Kilometer Weg
Ich musste 40 Kilometer entfernt zu einem Arzt, der alles andere als sensibel damit umging. Er meinte kurz vor dem Eingriff: „Sind Sie sich sicher? Es ist doch aus Liebe entstanden, überlegen Sie sich das gut.“ Ich hätte heulen können vor Wut und wollte es einfach nur schnell hinter mich bringen. Danach habe ich Unmengen von Blut verloren. Ich habe den Sitz komplett vollgeblutet.
— Baden-Württemberg, 2012
Ich musste mit dem Zug fahren, weswegen die sowieso schon lange Fahrt noch länger dauerte. Man ist auch deutlich unflexibler. Besonders nach dem Eingriff war es sehr unangenehm, mit dem Zug zu fahren, durch das viele Blut und die Narkose.

— Bayern, 2020

Der Abbruch

Der Abbruch – Fließbandabfertigung und feindselige Behandlung

Der Arzt ist als „Metzger“ bekannt. Der Abbruch war schmerzhaft, laut und der Dämmerschlaf fast ohne Wirkung. Der Arzt hat beim Vorgespräch Witze über tote Babys gemacht und dass eine Patientin Bestatterin sei, falls ich nicht überlebe. Ich musste aber zu dieser Praxis, weil alle anderen im Umkreis keine Termine mehr hatten für sechs Wochen.

— Baden-Württemberg, 2019
Meine Haus-Gynäkologin führt keine Abbrüche durch. Deshalb musste ich zu einem anderen Arzt in die nächste größere Stadt. Es war eine Fließbandabfertigung. Der durchführende Arzt hat mich gezwungen, das Ultraschallbild anzuschauen. Er war sehr grob zu mir und ich habe sehr viel Blut verloren. Trotz starker Schmerzen habe ich erst nach mehrmaligen Bitten Schmerzmittel bekommen. Eine Woche nach dem Abbruch hatte ich eine Nachuntersuchung bei meiner Haus-Gynäkologin. Ich hatte wohl sehr schlimme Schnitte im Unterleib. Als meine Gynäkologin das gesehen hat, hat sie angefangen zu weinen und sich entschuldigt, dass sie mich zu dem Arzt geschickt hat.
— Baden-Württemberg, 2019
Die Anästhesistin ist sehr rabiat mit mir umgegangen, dadurch hatte ich Angst im OP-Saal. Ich lag mit gespreizten Beinen zur Tür und auf meine Bitte hin, die Tür zu schließen, warf sie mir aus der Ferne ein Handtuch zwischen die Beine, damit ich mich bedecken kann.
— Niedersachsen, 2014
Ich war absolut panisch, der einzige Kommentar meiner Gynäkologin dazu war: ,Rein ging doch auch einfach, stellen Sie sich nicht so an.’
— Nordrhein-Westfalen, 2020
Die örtliche Betäubung zeigte keine Wirkung. Bis ich vor Schmerzen ohnmächtig wurde, wurde das nicht bemerkt oder ignoriert. Ich war erst 21 und habe mich geschämt, etwas zu sagen, nachdem der Arzt mich noch getadelt hatte, dass die Schwangerschaft bereits so fortgeschritten war. Während meiner Ohnmacht wurde der Abbruch zu Ende gebracht. Danach bekam ich noch ein leichtes Schmerzmittel und wurde direkt entlassen, obwohl meine Begleitung noch nicht da war. Ich hab mich allein auf den Weg gemacht und bin am Bahnhof vor Schmerzen und Stress zusammengebrochen. Ich brauchte mehrere Stunden, um meinen Heimweg fortsetzen zu können.

— Baden-Württemberg, 2009

Nachversorgung

Nachversorgung – Alleingelassen

Es gab keine Nachversorgung. Meinen Gynäkologen musste ich nach der Entscheidung für den Abbruch verlassen, er wollte mich dann nicht mehr behandeln. Einen Neuen zu suchen hab ich mich Jahre nicht getraut. Die Organisation, das Durchlaufen der einzelnen Schritte – von der Feststellung der Schwangerschaft bis zur Entlassung aus dem Krankenhaus – und dabei all diese Demütigung, Beleidigung – das alles hat mich ziemlich fertig gemacht.
— Niedersachsen, 2009

In dem Krankenhaus, in dem ich meinen Abbruch hatte, habe ich keinen Termin für eine Nachuntersuchung bekommen. Ich habe mich dann wochenlang durch Praxen telefoniert – ohne Erfolg. Ich hatte mehrere Wochen schlimme Schmerzen. Erst durch die Hilfe meiner Krankenkasse habe ich einen Termin in einer anderen Stadt bekommen. Der Gynäkologe dort sagte, dass er mir viel Leid hätte ersparen können, wenn ich früher eine Nachuntersuchung gehabt hätte. Mein ganzer Uterus war entzündet.

— Mecklenburg-Vorpommern, 2019

Dramatische Folgen

Verlorenes Vertrauen – Die Folgen

Mein damaliger Gynäkologe hat mir schlimme Vorwürfe gemacht und gesagt, dass Abtreibungen Mord seien. Am Ende bin ich für meinen Abbruch in die Niederlande gefahren. Ich habe mich nach dem Schwangerschaftsabbruch jahrelang nicht zu einem Frauenarzt getraut. Auch als ich in ein anderes Bundesland gezogen bin. Obwohl ich wusste, dass ich meine Gesundheit riskiere, weil ich nicht zu Vorsorgeuntersuchungen gehe. Ich habe mich immer wieder überwunden und Termine beim Frauenarzt gemacht, aber dann doch kurz vorher abgesagt, weil ich so Angst hatte.
— Baden-Württemberg, 2015
Meinen Abbruch habe ich nie bereut. Aber die Erfahrungen in der Praxis, in der der Abbruch durchgeführt wurde, haben mich traumatisiert. Ich konnte danach mein eigenes Blut nicht mehr sehen. Liegende Positionen bei ärztlichen Untersuchungen haben mir Angst gemacht. Die gynäkologische Praxis ist für mich zu einem richtigen Angstraum geworden. Deshalb habe ich eine Therapie gemacht.
— Baden-Württemberg, 2019
Insgesamt haben 1.505 Menschen CORRECTIV.Lokal von ihrem Abbruch berichtet. Ihre Geschichten geben einen bisher nicht dagewesenen Einblick. Auf unserer Themenseite fassen wir alle Recherchen zusammen. Auch von zahlreichen Lokalmedien aus ganz Deutschland, mit denen wir gemeinsam recherchiert haben und die zeitgleich berichten. Teilen Sie diese Geschichten mit einem Klick auf den folgenden Link, wenn Sie helfen wollen, die Recherchen bekannt zu machen.
Haben Sie ebenfalls Missstände bei Ihrem Schwangerschaftsabbruch erlebt? Dann melden Sie sich gerne bei unserer Reporterin Miriam Lenz. Wir recherchieren weiter zum Thema.

Autorinnen und Autoren: Max Donheiser, Emilia Garbsch, Miriam Lenz, Pia Siber, Sophia Stahl
Redaktionelle Mitarbeit
: Hatice Kahraman, Jonathan Sachse
Faktencheck: Katarina Huth
Illustration: Mohamed Anwar
Design: Belén Ríos Falcón
Animation: Mustafa Nada