Faktencheck

Nur an acht Mäusen getestet? Behauptungen über Omikron-Booster-Impfstoffe führen in die Irre

In Sozialen Netzwerken kursiert der Hashtag „8Mäuse“. Damit suggerieren Nutzerinnen und Nutzer, dass die neuen Covid-19-Impfstoffe gegen die Omikron-Subvariante BA.1 auf Studien mit nur acht Mäusen basieren. Hier werden jedoch Dinge vermischt: Es gibt verschiedene Omikron-Booster – der neu in Deutschland zugelassene Impfstoff wurde an Menschen getestet.

von Kimberly Nicolaus

Covid-19 Impfstoff Corona
Impfstoffe werden in der Regel umfassend getestet, bevor sie verabreicht werden. Die Behauptung, die Impfstoffe gegen die Omikron-Subvariante BA.1 seien nur an acht Mäusen getestet, ist falsch. (Symbolbild: Picture Alliance / Robin Utrecht)
Behauptung
Die neuen Impfstoffe, die an die Omikron-Subvarianten des Coronavirus angepasst sind, basierten auf Studien mit nur acht Mäusen.
Bewertung
Größtenteils falsch
Über diese Bewertung
Größtenteils falsch. Es gibt verschiedene Omikron-Subvarianten: BA.1, BA.4 und BA.5. Die BA.1-Booster, die in Deutschland zugelassen sind, wurden in klinischen Studien an Menschen getestet. In den USA sind bereits Booster gegen BA.4 und BA.5 zugelassen – ihre Zulassung basiert auf den Erfahrungen mit den bisherigen Corona-Impfstoffen, den klinischen Studien zum BA.1-Booster und Mäuse-Experimenten. Bei letzteren gab es vorläufige Daten aus vier Gruppen mit je acht Mäusen. Zwei Gruppen, also 16 Mäuse, haben den BA.4/BA.5-Booster erhalten, die anderen dienten als Vergleichsgruppen.

Update, 15. September 2022: 

Dieser Faktencheck gab ursprünglich den Stand der Dinge vom 8. September 2022 wieder. Am 12. September hat die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) die Zulassung der bivalenten BA.4/BA.5 Omikron-Booster von Biontech/Pfizer für die Europäische Union empfohlen. Die Europäische Kommission ist der Empfehlung gefolgt und hat die Impfstoffe zugelassen

Die Empfehlung beruht nach Angaben der EMA auf denselben Erkenntnissen, die – wie im Faktencheck weiter unten erklärt wird – die FDA in den USA zur Zulassung bewogen hatte. Im Einzelnen sind das die weltweiten Erfahrungswerte mit den bereits zugelassenen mRNA-Impfstoffen, die klinischen Studienergebnissen des BA.1-Boosters und nicht-klinischen Studien zum BA.4/BA.5-Booster. Diese hätten bereits eine verbesserte Immunität gegen die Omikron-Subvarianten BA.4/BA.5 gezeigt; klinische Studien dazu werden aktuell erhoben. Deren Ergebnisse erwartet die EMA in den kommenden Wochen.

„Die Studiendaten umfassen übrigens acht Mäuse“, schreibt Finanzwissenschaftler Stefan Homburg in einem Twitter-Beitrag vom 31. August. Dazu verlinkt er einen Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Darin geht es primär um die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna, die an die Omikron-Subvariante BA.1 angepasst und im September in Deutschland verfügbar sind. Homburg, der der Querdenken-Bewegung nahesteht, suggeriert also mit seinem Tweet ohne weiteren Kontext: Die neuen BA.1-Impfstoffe basierten auf Studiendaten von nur acht Mäusen.

Das ist falsch. Die Impfstoffe, die an die Omikron-Subvariante BA.1 angepasst sind, wurden auf Grundlage von klinischen Studien zugelassen. Sie beruhen auf Ergebnissen von mehreren klinischen Studien mit insgesamt 3.200 Menschen. 

Homburgs Kommentar bezieht sich auf Studiendaten zu anderen Booster-Impfungen gegen weitere Omikron-Subvarianten, die in der EU nicht zugelassen sind. Diese Daten beruhen nicht auf acht, sondern auf insgesamt 32 Mäusen bei einem Experiment in den USA, von denen 16 Mäuse die BA.4/BA.5-Booster erhalten haben. Dadurch wurden vorläufige Daten zur Wirksamkeit gewonnen. In den USA wurden diese Booster auch bereits zugelassen, was zu Kritik führte.  

Nutzerinnen und Nutzer verbreiten die Behauptung mit dem Hashtag „8Mäuse“ auf Twitter. „Wir haben deinen Omikron Booster für dich getestet. Sie sind sicher und effektiv, vertrau uns!“, heißt es im Beitrag auf Englisch.
Nutzerinnen und Nutzer verbreiten die Behauptung mit dem Hashtag „8Mäuse“ auf Twitter. „Wir haben deinen Omikron Booster für dich getestet. Sie sind sicher und effektiv, vertrau uns!“, heißt es im Beitrag auf Englisch. (Quelle: Twitter / Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

In Deutschland zugelassene BA.1-Booster von Biontech/Pfizer und Moderna sind an Menschen getestet 

Etwa 14 Millionen Impfdosen von Biontech/Pfizer und Moderna, die an die Omikron-Subvariante BA.1 angepasst sind, werden ab dem 5. September nach Deutschland geliefert. 

Diese Impfstoffe hat die EU-Kommission am 1. September auf Empfehlung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) für Personen zugelassen, die über zwölf Jahre alt sind und mindestens eine Erstimpfung gegen Covid-19 erhalten haben. Eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) steht aktuell noch aus.

Die EMA begründet ihre Empfehlung zur Zulassung (hier) mit den Ergebnissen der klinischen Studien mit Menschen. Für den BA.1-Booster von Biontech/Pfizer zitiert die EMA zwei Studien mit jeweils 1.800 und 600 Teilnehmenden; für den BA.1-Booster von Moderna eine Studie mit 800 Teilnehmenden. 

BA.1-Booster lösen stärkere Immunreaktion gegen Omikron aus als die vorherigen Impfstoffe

Laut der EMA sind die BA.1-Booster wirksamer bei der Auslösung einer Immunreaktion gegen die BA.1-Omikron-Subvariante, verglichen mit den ursprünglichen Covid-19-Impfstoffen der beiden Hersteller. Die Immunreaktion auf das ursprüngliche SARS-CoV-2 Virus sei ähnlich wie bei den ursprünglichen Impfstoffen. 

„Im Vergleich zum herkömmlichen Vakzin [werden] knapp doppelt so hohe Antikörperwerte gegen die Omikron-Variante erzielt. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Anpassung des Impfstoffs an die Omikron-Variante auch wirklich zu einer Omikron-spezifischeren Immunantwort führt“, sagte Sebastian Ulbert vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie Mitte Juni in einem Pressegespräch beim Science Media Center. „Inwieweit sich das aber in einen besseren Schutz vor einer Erkrankung übersetzen lässt, ist weniger klar. Dazu müssen erst weitere Studiendaten vorliegen.“ 

Personen mit Immunschwäche und alte Personen könnten trotz Impfung mit dem ursprünglichen Impfstoff noch ein relativ hohes Risiko für eine schwere Erkrankung haben, sagte Carsten Watzl, Leiter des Forschungsbereichs Immunologie am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung der TU Dortmund, beim selben Gespräch. Diese Menschen sollten daher ihre Immunität im Herbst mit einem angepassten Impfstoff verbessern.

Laut dem aktuellen Lagebericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 1. September hat die seit Mitte Juni dominierende Omikron-Subvariante BA.5 in Deutschland andere Varianten fast vollständig verdrängt. Doch der BA.1-Booster bietet nach Daten aus den klinischen Studien von Biontech/Pfizer und Moderna auch vor dieser Omikron-Subvariante Schutz, da die Varianten sich ähneln.

Notfallzulassung für BA.4/BA.5 Booster in den USA – unter anderem aufgrund von Mäuse-Experiment 

Woher kommt also die Behauptung über acht Mäuse? Eine Google-Suche auf Englisch mit den Stichworten „Acht Mäuse“ und „Covid Booster“ führt zu einem Artikel der Fachzeitschrift Science. Daraus wird deutlich, dass die Mäuse im Zusammenhang mit speziellen BA.4/BA.5-Boostern von Biontech/Pfizer und Moderna stehen. Diese wurden am 31. August per Notfallzulassung für die USA von der dortigen Arzneimittelbehörde FDA genehmigt.

FDA-Chef Robert Califf schrieb am 25. August auf Twitter, die Entscheidung der FDA werde sich auf klinische Studiendaten von Menschen mit BA.1-Booster-Impfungen stützen, zudem auf Daten von Millionen von Menschen, die weltweit mit einem Covid-19-Impfstoff geimpft sind, und auf „nicht-klinischen Daten“ für die BA.4/BA.5 Booster-Impfstoffe. 

Präklinisches Experiment testete die Wirksamkeit der BA.4/BA.5-Booster an vier Gruppen mit jeweils acht Mäusen

Neue Impfstoffe werden immer an Tieren getestet, bevor klinische Studien mit Menschen begonnen werden. Daten von Mäusen präsentierten Biontech und Pfizer am 28. Juni bei einem Treffen der FDA. Die Daten liegen in einer öffentlich zugänglichen Präsentation vor (Seite 25). In dem Mäuse-Experiment testeten die Hersteller die Wirksamkeit der BA.4/BA.5 Booster in monovalenter und bivalenter Form. Der monovalente BA.4/BA.5-Booster zielt nur auf diese Omikron-Subvarianten ab, der bivalente Impfstoff dagegen gleichzeitig auf die ursprüngliche Form des Coronavirus und auf die Varianten BA.4 und BA.5.

Bei dem Experiment gab es vier Gruppen mit jeweils acht Mäusen. Das bestätigte der Immunologe Arne Sattler von der Berliner Charité auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck. Die Mäuse haben entweder den ursprünglichen mRNA-Impfstoff erhalten (Gruppe 1), oder den an BA.4/BA.5 angepassten Impfstoff (Gruppe 2), oder BNT162b2 + OMI BA.4/5, also den bivalenten Impfstoff (Gruppe 3). Weitere acht Mäuse (Gruppe 4) haben den Impfstoff erhalten, der an die Omikron-Subvariante BA.1 angepasst ist (Seite 26). 

Biontech und Pfizer präsentierten am 28. Juni 2022 bei einem Treffen der US-Arzneimittelbehörde FDA vorläufige Daten von Mäusen zur Wirksamkeit der BA.4/BA.5-Booster
Biontech und Pfizer präsentierten am 28. Juni 2022 bei einem Treffen der US-Arzneimittelbehörde FDA vorläufige Daten von Mäusen zur Wirksamkeit der BA.4/BA.5-Booster (Quelle: FDA / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Es gab also vier Gruppen mit jeweils acht Mäusen, insgesamt 32 Mäuse. Zwei dieser Gruppen, also 16 Mäuse, erhielten den BA.4/BA.5-Booster, einmal als monovalenten und einmal als bivalenten Impfstoff. Dazu schrieb uns Arne Sattler: „Es ist absolut üblich, in Tierexperimenten jeweils acht Mäuse pro Gruppe einzuschließen, wenn man einen deutlichen Unterschied zwischen den Gruppen erwartet.“

Laut Science handelt es sich hierbei um „vorläufige Ergebnisse“, die endgültigen seien noch nicht veröffentlicht. Die vorläufigen Daten zeigten, dass die Tiere mit BA.4/BA.5-Booster eine erhöhte Immunreaktion – in Form von mehr neutralisierenden Antikörpern – im Vergleich zu den Tieren vorweisen, die den ursprünglichen Covid-19-Impfstoff erhalten haben. Diese erhöhte Immunreaktion durch den BA.4/BA.5-Booster treffe auf alle Omikron-Varianten zu. 

Auch bei jährlich angepassten Grippe-Impfstoffen wird auf Tests mit Menschen verzichtet

Für die Notfallzulassung der BA.4/BA.5-Booster von Biontech/Pfizer und Moderna in den USA wurden also keine klinischen Studien mit Menschen durchgeführt. Zum Teil ist das auf Kritik gestoßen: Die Daten seien limitiert, heißt es im Science-Artikel. Impfstoffe ohne klinische Daten zuzulassen, könne die öffentliche Akzeptanz verringern, sagte Deborah Cromer vom Kirby Institut an der Universität New South Wales. Biontech/Pfizer und Moderna haben angekündigt, klinische Studien mit Menschen ab September durchzuführen.

Dazu erklärt Immunologe Sattler: „Für die Notfallzulassung gilt es, zwischen Nutzen eines schneller verfügbaren, möglicherweise besseren Präparats und potenziellen Risiken abzuwägen.“ Es gebe Diskussionen, „ob Varianten-angepasste Impfstoffe jeweils neue klinische Studien durchlaufen müssen oder […] wie die jährlich modifizierten Grippeimpfstoffe ohne erneute umfangreiche Testung an Probanden zugelassen werden.“

Dass der jährlich angepasste Influenza-Impfstoff auch nicht vorher noch in Studien an Menschen getestet wird, sagte auch Immunologe Watzl im Pressegespräch des Science Media Center

Fazit: Die neuen Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna, die an die Omikron-Subvariante BA.1 angepasst und jetzt in Deutschland verfügbar sind, basieren nicht auf Studien mit acht Mäusen. Für sie wurden klinische Studien mit Menschen durchgeführt. Sie wurden von der Europäischen Arzneimittel-Agentur empfohlen und von der EU-Kommission zugelassen. Mit vier Gruppen zu jeweils acht Mäusen wurden in den USA vorläufige Daten zur Wirksamkeit weiterer Impfstoffe gewonnen, die an die Omikron-Subvarianten BA.4 und BA.5 angepasst sind. Diese Impfstoffe haben in den USA eine Notfallzulassung erhalten, aber noch nicht in Deutschland.

Redigatur: Viktor Marinov, Alice Echtermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Pressemitteilung Europäische Arzneimittel-Agentur: „First adapted Covid-19 booster vaccines recommended for approval in the EU“, 1. September 2022: Link
  • Pressemitteilung Biontech: „Pfizer und BioNTech geben hohe Immunantwort von Omikron-angepassten COVID-19-Impfstoffkandidaten gegen Omikron bekannt“, 25. Juni 2022, Link
  • Pressemitteilung Moderna: „Moderna announces Omicron-containing bivalent booster candidate MRNA-1273.214 demonstrates superior antibody response against Omicron, 8. Juni 2022, Link
  • Pressemitteilung FDA: „Coronavirus (Covid-19) Update: FDA Authorizes Moderna, Pfizer-BioNTech Bivalent Covid-19 Vaccines for Use as a Booster Dose“, 31. August 2022, Link
  • Präsentation Biontech/Pfizer: „Pfizer/BioNTech COVID-19 Omicron-Modified Vaccine Options“, 28. Juni 2022, Link
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