Wie Russland deutsche Politiker, Manager und Anwälte einspannte, um Deutschland von russischem Gas abhängig zu machen.
Seitdem kaum noch russisches Gas durch die Pipelines fließt, haben alle begriffen: Ohne diesen Import wird es sehr viel teurer, Wohnungen zu beheizen und Geschäfte zu betreiben. In jedem Haushalt beginnt das große Rechnen: Wie viel Wärme können wir uns noch leisten? Betriebe fürchten um ihre Existenz. Doch warum wir so abhängig von Russland geworden sind, blieb bisher weitgehend im Dunkeln.
Eine Antwort: Russisches Gas vom Energieriesen Gazprom galt als günstig. Aber vor allem gab es Netzwerke aus deutschen Politikern und Politikerinnen, aus Energiemanagern und Anwälten, die Deutschland über Jahre in eine gefährliche Abhängigkeit führten. Einiges ist schon bekannt – wir können nun erstmals ein umfassendes Bild dieser russischen Gazprom-Lobby zeigen, das wir fortlaufend aktualisieren.
Russland wollte sich mit den Gasröhren Einfluss auf Deutschland sichern. Dafür wurden systematisch unscheinbare Organisationen aufgebaut, die bei deutschen Politikerinnen und Politikern – von SPD und CDU/CSU – gezielt Werbung für die Gasversorgung aus dem Osten machten. Und diese Werbung wirkte.
Ein Netzwerk, dessen Arbeit Deutschland erpressbar machte
Unsere Recherche in Zusammenarbeit mit dem Policy Network Analytics (PNA), einer privaten Initiative für Transparenz in der Politik, zeigt erstmals, wie breit das Netzwerk – neben Gerhard Schröder, dem bekanntesten deutschen Lobbyisten für russisches Gas – aufgestellt war. Es geht um Vereine, die sich scheinbar nur um gute deutsch-russische Beziehungen bemühen und denen nicht anzusehen ist, dass sie knallharte Konzerninteressen vertreten. Es geht um gesponserte Musikfestivals und Gesprächsforen und letztlich um die offene Vereinnahmung von Spitzenpolitikern – und einer Landeschefin. Mit dem Ergebnis, dass Deutschland erpressbar wurde.
Die einzelnen Vereine, Foren oder Veranstaltungen wirken harmlos, sie folgen aber einem bestimmten Muster, das immer wieder auf die Interessen von Gazprom oder auf den russischen Staat selbst zurückzuführen ist. Illegal ist das nicht. Doch durch die permanenten Kontakte und Gespräche mit russischen Strategen verloren die politisch Verantwortlichen offensichtlich einen klaren Blick darauf, in wessen Hände sie mehr als die Hälfte unserer Gasversorgung gegeben haben.
Wenn Sie bis zum Ende lesen, werden Sie klar sehen und erkennen, wer und wie viele Personen Russlands Gas-Feldzug in Deutschland ermöglicht haben, der zurzeit viele Menschen und Betriebe in Existenzsorgen stürzt.
VNG: Der Energiekonzern hinter einem Geflecht scheinbar harmloser Vereine
Beim Blick auf die 75-köpfige russische Delegation, die im April 2012 für die fünfte Deutsch-Russische Rohstoff-Konferenz aus Russland nach Nürnberg reiste, sind auch zwei Deutsche, die in Moskau arbeiten. Einer von ihnen ist Falk Tischendorf aus dem Moskauer Büro der Wirtschaftskanzlei Beiten Burkhardt, heute Advant Beiten. Der deutsche Anwalt berät seit den 2000er-Jahren internationale Firmen bei ihren Investitionen in Russland. Und er begegnet uns immer wieder in dem Netzwerk, in das die Politiker eingewoben wurden, auf Konferenzen und Vereinsgründungen. Eine Anfrage dazu ließ Tischendorf unbeantwortet.
Wir aktualisieren tagesaktuell, welche individuellen Sanktionen gegen wen verhängt werden und beantworten die wichtigsten Fragen zum Thema.
Auf der Konferenz in Nürnberg trafen deutsche und russische Geschäftsleute auf Politiker, um die deutsch-russischen Rohstoffbeziehungen zu vertiefen. Ehemalige Unions-Politiker wie Klaus Töpfer und Edmund Stoiber, aber auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder sprachen.
Zur Konferenz der “Deutsch-Russischen Rohstoff-Konferenz” verfasste der Vorsitzende eines Vereins mit ganz ähnlichem Namen – das „Deutsch-Russische Rohstoff-Forum“ – ein Grußwort. In den Gaslobby-Netzwerken tauchen immer wieder Vereins- und Veranstaltungsnamen auf, die zum Verwechseln ähnlich klingen.
Das ist sicherlich kein Zufall und diese Verwirrung erwünscht: Die Vereine und Foren täuschen eine Fülle an engagierten Personen vor. In Wahrheit treffen sich immer wieder dieselben Interessenvertreter und Politiker. Die Reden sind austauschbar, immer wieder taucht dasselbe Mantra auf: Die Rohstoff-Kooperation mit Russland müsse verstärkt werden.
Ein Gas-Manager als umtriebiger Lobbyist
Der Mann, der das Grußwort zu der Konferenz verfasst hat, ist Bernd Kaltefleiter, ein Manager des Leipziger Energiekonzerns VNG. Kaltefleiter ist auch Vorstand eines Vereins, auf dessen Konferenzen sich immer wieder aktuelle und frühere Politiker sowie Lobbyisten treffen.
VNG stand in den letzten Jahren mit mehreren prorussischen Lobbyorganisationen oder -veranstaltungen in Verbindung, wie diese Recherche zeigt.
Seit dem jüngsten Angriff Russlands auf die Ukraine ist es eingestellt. Der Verein teilt mit, dass er keine Gelder aus Russland erhalte und deutsche und europäische Interessen in der Energiepolitik vertrete.
In einer separaten VNG-Stiftung wirkte auch der frühere SPD-Politiker Matthias Platzeck mit, der sich lange durch große Russland-Nähe auszeichnete.
Was ist das für ein Konzern, dessen Manager in einer ganzen Reihe von Stiftungen, Vereinen und Konferenzen mit verwirrend ähnlich klingenden Namen involviert sind, die russische Interessen und deutsche Politik miteinander verbunden haben?
Der VNG-Konzern ist kürzlich in die Schlagzeilen geraten. Neben Uniper ist er einer der größten Gasimporteure in Deutschland, mit Verbindungen vor allem nach Russland. Anfang September hat VNG Milliardenhilfen beantragt, weil ihm nun das Gas fehlt, das er bisher aus Russland bezog.
Die Energiekrise hat auch andere Gas-Importeure getroffen – doch VNG steht wie kein anderer Konzern für eine selbstverschuldete Abhängigkeit von Moskau. VNG bezieht bereits seit DDR-Zeiten sein Gas über langfristige Lieferverträge aus Russland. Viele ostdeutsche Kommunen besitzen kleinere Anteile. Noch offensichtlicher wird die Verbindung nach Russland im VNG-Aufsichtsrat: Dort saß über fünf Jahre Matthias Warnig, unter anderem Geschäftsführer von Nord Stream 2 und enger Vertrauter Putins. Inzwischen steht sein Name auf der US-Sanktionsliste.
VNG: Untrennbar mit russischen Interessen verbunden
Mit einem Umsatz von knapp zehn Milliarden Euro war der Leipziger Konzern untrennbar mit dem russischen Gas-Sektor verbunden. Doch nicht nur das: VNG und Gazprom besitzen gemeinsam den großen Gasspeicher Peissen. 2019 unterzeichnete VNG nach dem Auslaufen der alten DDR-Lieferverträge neue, langfristige Verträge mit Gazprom. VNG hat also viele Gründe, russische Interessen in Deutschland zu bewerben.
Und tut das mithilfe von Konferenzen, auf die auch verantwortliche Politikerinnen und Politiker strömen. VNG verwahrt sich gegen den Vorwurf, sich für russische Gas-Interessen einzusetzen. Auf den Konferenzen gehe es um einen Fachaustausch. Zudem würden im Gegenteil deutsche und europäische Positionen unter anderem in der Rohstoff- und Klimapolitik gegenüber russischen Vertretern formuliert.
Ein Netzwerk für russisches Gas in Sachsen
Eine der Konferenzen ist das von dem VNG-Konzern mitgegründete „Deutsch-Russische Rohstoff-Forum“. Es fand 2007 jährlich bis zur Pandemie statt und noch heute ist auf Videos zu sehen, wie die Teilnehmer in St. Petersburg oder Düsseldorf an drei Tagen darüber diskutieren, wie wichtig eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern sei. Abends geht es für luxuriöse Festtafeln auf St. Petersburger Schlösser oder in edle Hotels. Auffällig ist – wie im gesamten Netzwerk – der Männerüberschuss: In Düsseldorf sprachen 2016 beispielsweise mehr als 70 Männer – es waren weniger als 10 Frauen anwesend. Immer wieder mit dabei sind auch der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Dreizehnmal fand das Rohstoff-Forum statt. Sigmar Gabriel, damals SPD-Wirtschaftsminister, sprach sich 2016 unter bestimmten Bedingungen für den schrittweisen Abbau der Russland-Sanktionen aus und noch 2021 trat der amtierende sächsische CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer auf.
Kretschmer hat sich öffentlich wiederholt als Anwalt russischer Interessen geriert, sich gegen die nach der Krim-Annexion verhängten Sanktionen ausgesprochen und jüngst Friedensverhandlungen mit Russland eingefordert. Eine Anfrage ließ er unbeantwortet.
Was bringt einen Ministerpräsidenten dazu, sich zum Fürsprecher einer Autokratie zu machen? Ein Grund könnte sein: Wenn es VNG und anderen sächsischen Firmen mit Russland-Geschäft gut geht, profitiert sein Bundesland.
Aber auch seine Partei profitiert: VNG sponsert Veranstaltungen der CDU, nach eigenen Angaben mit einem mittleren vierstelligen Betrag im Jahr. CDU-Parteigruppen treffen sich mitunter bei VNG für ihre Veranstaltungen.
Die Gas-Gespräche bei der CDU-Stiftung
Aber das prorussische Lobbynetzwerk stoppte nicht bei Politikern und Konzernen, sondern vereinnahmte auch vermeintlich gemeinnützige Organisationen. Etwa die zweifelhafte Gesprächsrunde der „deutsch-russischen Zukunftsforen“, die regelmäßig auf Schloss Wackerbarth bei Dresden abgehalten wurde. Gegründet 2008 von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) und gesponsert von dem Leipziger Gaslieferanten VNG, trifft sich auch hier regelmäßig das pro-russische Lobbynetzwerk. Ein Redner war zum Beispiel der schon erwähnte VNG-Manager Kaltefleiter, der in der Programmbroschüre 2012 als „Direktor Unternehmenskommunikation, VNG“ vorgestellt wurde.
In seiner Rede hob Kaltefleiter hervor, dass die VNG die Schaffung des Masterstudiengangs „International Energy Economics and Business Administration“ zwischen der Universität Leipzig und dem Moskauer Staatlichen Institut für Internationale Beziehungen „maßgeblich unterstützt“ habe. Ziel sei es gewesen, den Dialog zwischen Russland und Deutschland weiter zu festigen und „den Boden für eine gedankliche Zusammenarbeit im Segment Energie zu bereiten“.
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Weiter fragwürdige Gespräche der Adenauer-Stiftung
Die Adenauer-Stiftung, die laut Satzung „unmittelbar gemeinnützige Zwecke“ auf christlich-demokratischer Grundlage verfolgt, zeigte schon früher Nähe zu Putin-Vertretern. 2007 gründete Putins Partei in Berlin den europäischen Ableger eines parteieigenen Thinktanks. Und organisierte prompt eine Konferenz, auf der auch Vertreter der Adenauer-Stiftung sprachen.
Heute sagt Jochen Blind, Sprecher der Adenauer-Stiftung, die Zusammenarbeit beziehe sich auf eine Periode, „in der es im Vergleich zu heute andere Rahmenbedingungen im Verhältnis zu Russland gab“. Allerdings: Die Zukunftsforen fanden noch bis 2021 statt, also lange nach der Annexion der Krim und den Sanktionen gegen Russland 2014. Die Stiftung erklärt dazu, sie habe noch bis zum erneuten Überfall Russlands auf die Ukraine „Gesprächsfäden unter schwierigsten Bedingungen beibehalten und eigene Positionen verdeutlichen wollen“.
Auf Schloss Wackerbarth, diesem „ersten europäischen Erlebnisweingut“ mit seinen getrimmten Parkanlagen, hielt 2011 übrigens auch der in Moskau ansässige Anwalt Falk Tischendorf einen Vortrag, der Mann, der später in Nürnberg bei dem am Anfang erwähnten Rohstoffforum dabei war. Tischendorf ist bis heute eine wichtige Figur in den pro-russischen Netzwerken, die vor allem zwei regionale Schwerpunkte haben: Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Beide Länder sind für die Energielieferung aus dem Osten wichtig. Und Tischendorf tauchte in beiden auf.
Die prorussischen Lobby-Aktivitäten in Mecklenburg-Vorpommern
In Wismar ist Falk Tischendorf, der in Moskau als Anwalt arbeitet, 2009 einer von etwa 20 Gründern des sogenannten Ostinstitut e.V.. Mit dabei ist auch Ex-SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement. Satzungszweck des Vereins ist es unter anderem, den Austausch mit den Staaten des Ostseeraumes zu Rechtsfragen zu suchen. Laut einer inzwischen von der Webseite des Instituts verschwundenen Liste der Gründungsmitglieder findet sich auch ein hochrangiger Vertreter der russischen Botschaft in Berlin.
In der inhaltlichen Arbeit des Instituts spielt Russland eine wichtige Rolle. Es erhielt auch nach eigenen Angaben mit dreimal 5.000 Euro kleinere Beträge von Nord Stream 2. Das Institut weist jedoch darauf hin, dass es quasi keine Bezüge zum Rohstoffsektor aufweise und auch Projekte in mehreren anderen Staaten Osteuropas umgesetzt habe. Darunter auch in der ukrainischen Stadt Kharkov, aus der auch aktuell sechs Professorinnen und Professoren zu Gast in Wismar sind.
Der in Moskau ansässige Anwalt Tischendorf war auch in den Folgejahren in Mecklenburg-Vorpommern aktiv. 2016 wird der Mann, der schon im VNG-Netzwerk präsent war, zum Russland-Beauftragten des Landes Mecklenburg-Vorpommern ernannt.
Mecklenburg-Vorpommern: Ein pro-russischer Lobbyist als Russland-Beauftragter
Das Bundesland macht einen pro-russischen Lobbyisten zum eigenen Russland-Beauftragten. Es ist ein Ergebnis der langjährigen Lobby-Bemühungen Russlands, das in dem Bundesland, in dem seine wichtigen Gas-Pipelines an Land gehen, seine Interessen politisch absichern will. Dabei helfen genau wie in Sachsen ehemalige deutsche Politiker und eine Reihe von scheinbar harmlosen Vereinen, die jedoch das Rückgrat der pro-russischen Lobbynetzwerke sind.
Es ist immer dasselbe Muster zu beobachten: Die Gaslobby arbeitet sich durch die Hintertür in die deutsche Politik, tarnt seine Interessenpolitik als Vereine und Foren. Der halbstaatliche Konzern Gazprom ist dabei offenbar auch mit der russischen Botschaft verbunden. Offen tritt der Konzern lange Zeit nur als Sponsor des Fußball-Bundesligisten Schalke 04 auf. Ansonsten wirkt die russische Gaslobby im Verborgenen.
Mecklenburg-Vorpommern: ein russischer Vorposten in Deutschland?
Wie zum Beispiel an jenem Herbstabend 2020, an dem sich SPD-Größen und russische Vertreter der Gasindustrie ausgerechnet in einem ehemaligen Kohlekraftwerk trafen. Im Kraftwerk Peenemünde, am nördlichen Rand der Insel Usedom, beklatschten sie das Usedomer Musikfestival. Es ist eines der größten Kulturveranstaltungen in Mecklenburg-Vorpommern. Mit dabei waren der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, die Landeschefin Manuela Schwesig und Matthias Warnig, damals Chef der Nord Stream-Pipeline.
Nord Stream engagierte sich als einer der größten Sponsoren der klassischen Konzerte auf der Insel. Aber wer sich die Netzwerke hinter diesen Veranstaltungen anschaut, erkennt: Um klassische Musik geht es dabei vielleicht den privaten Zuhörenden, im Hintergrund geht es offensichtlich um Gas.
Auch in diesem September gibt es in diesen Tagen wieder klassische Musik auf der Ostseeinsel – allerdings fehlen seit dem russischen Angriff auf die Ukraine wichtige Spender. In der aktuellen Liste finden sich nur noch acht lokale Förderer wie örtliche Restaurants oder eine Strandbuchhandlung. Im Webarchiv ist hingegen noch nachzuverfolgen, wie wichtig einst die russischen Sponsoren von der Erdgaspipeline Nord Stream bis zum lokalen Versorger „Energie Vorpommern“ waren.
Die Staatskanzlei teilt zu der damaligen Begegnung von Schröder und Co. auf Usedom mit, es habe sich um ein „gemeinsames Abendessen“ und nicht um ein Arbeitstreffen gehandelt. Überhaupt sei Manuela Schwesig „nicht Teil eines russischen Netzwerks in Mecklenburg-Vorpommern“.
Doch Schwesig schmückt sich gern mit ihren guten Beziehungen zu Russland. Auf einer Veranstaltung im Auswärtigen Amt in Berlin, zu der das Deutsch-Russische Forum eingeladen hatte, überreichten ihr 2018 der damalige SPD-Bundesaußenminister Heiko Maas und der russische Außenminister Sergej Lawrow vor 900 Gästen eine Auszeichnung. Es ging um die Regionalpartnerschaft Mecklenburg-Vorpommerns mit dem sogenannten Leningrader Gebiet rund um St. Petersburg.
Die russische Strategie: Eine Etage tiefer ansetzen
Das Deutsch-Russische Forum ist eine der vielen Vorfeldorganisationen Russlands, und dieser militärische Begriff ist nicht übertrieben: Einst bezeichnete der stellvertretende Moskauer Minister für Industrie und Handel Wassili Sergeewitsch Osmakow das östliche Bundesland als „Vorposten in Europa“. Vorposten sind laut Wikipedia im militärischen Sinne „vorgeschobene Einheiten, die für die Aufklärung der gegnerischen Verhältnisse und die Sicherung vorgesehen sind“. Als solch eine strategische Einheit hat Russland Mecklenburg-Vorpommern und seine Landeschefin offenbar betrachtet.
Im Land tummeln sich zahlreiche russische Organisationen mit ähnlich klingenden Namen. Etwa der sogenannte „Russlandtag“, eine jährlich in Rostock abgehaltene Festveranstaltung, gesponsert auch von Gazprom-Firmen. Warum diese sich in den Bundesländern engagiert, erklärte Andrey Zverev, damals Vertreter des russischen Wirtschaftsministeriums in Berlin, 2014 im Gespräch mit der Welt: Die Embargos auf Bundesebene seien schädlich für Unternehmen. Nun würden Sie auf Zusammenarbeit mit den Bundesländern setzen.
In dieser Etage befindet sich demnach auch der Verein Deutsch-Russische Partnerschaft (DRP), dessen Vorsitzender Erwin Sellering ist, früherer Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern. In seinem Vorstand saß zeitweise auch ein Vertreter der russischen Gasindustrie.
Ein Lobbyhaus in Schwerin
Der Sitz dieses Vereins ist die Lindenstraße 1 in Schwerin, wo auch die umstrittene, von Gazprom finanzierte „Stiftung Klima- und Umweltschutz MV“ von Schwesig firmierte, die erst kürzlich im öffentlichen Fokus stand. Es ist ein überschaubarer Kreis in Schwerin, der sich stets wieder trifft – Genossen der SPD, Gesandte Moskaus, die – auch im Gewand von Kultur- und Sportveranstaltungen – die großen Gas-Projekte wie Nord Stream 2 vorantreiben.
In Mecklenburg-Vorpommern gibt es weitere Profiteure von Nord Stream-Geldern, etwa der Volleyballverein SSC Schwerin oder der Verein „Pro Kunsthalle“.
Erst seit dem russischen Überfall auf die Ukraine bemüht sich die Landesregierung um Distanz zu Russland. Der Verein „Deutsch-Russische Partnerschaft“ solle künftig keine Fördergelder mehr vom Land erhalten – bislang haben sie 250.000 Euro erhalten. Und die Klimastiftung könne erst dann aufgelöst werden, wenn auch der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb abgewickelt sei, gibt die Staatskanzlei an. Dies dauere wahrscheinlich noch bis Ende September.
Der russische Lobbyeinfluss
reicht weit in die SPD hinein
Im Vorstand des Deutsch-Russischen Forums, das Manuela Schwesig 2018 ihre Auszeichnung verlieh, war auch lange Jahre ein Mann aus Hannover: Heino Wiese. Er ist nur wenigen bekannt, aber auch er ein wichtiger Protagonist im Netzwerk. Wiese steht stellvertretend für die SPD, die auch nach dem russischen Angriffskrieg große Mühe hatte, sich von den guten Beziehungen zu Russland loszusagen.
Der bekannteste Protagonist des Lobbynetzwerks zwischen Russland und der SPD ist zweifelsohne Gerhard Schröder, doch er ist bei weitem nicht der einzige. Seine Freundschaft zu Putin als deutscher Bundeskanzler wurde sichtbar an den Weihnachtstagen 2001 auf dem Pferdeschlitten in der Nähe von Moskau. Es folgten die Ehrendoktorwürde der Universität St. Petersburg für Schröder, der Putin als „lupenreinen Demokraten“ bezeichnete. Schließlich konnte der Genosse zwei Kinder aus einem Sankt Petersburger Waisenhaus adoptieren und wurde schließlich Aufsichtsratschef des Pipelinebetreibers Nord Stream. Noch heute hält er Putin die Treue.
Die mächtigen Energieriesen aus Russland hatten viele weitere Fürsprecher, gerade aus der SPD. Bekannt ist Sigmar Gabriel, der 2015 als Bundeswirtschaftsminister mitverantwortlich war, die deutschen Gasspeicher in russische Hände zu geben. Gabriel zog später – ebenso wie Schröder und Erwin Sellering, der Vorgänger von Manuela Schwesig – öffentlich in Zweifel, dass Putin die Vergiftung Nawalnys zu verantworten hatte. Gabriel will sich heute nicht zu Fragen von CORRECTIV zu seiner Netzwerkarbeit äußern, im Gegenteil: Der ehemalige SPD-Minister droht damit, „rechtlich gegen die Veröffentlichung“ vorgehen zu wollen.
Zu dieser Gruppe zählt auch jener Heino Wiese, der die Ehrung von Manuela Schwesig auf dem Deutsch-Russischen Forum beklatschte. Seit 1990 leitete Wiese als Geschäftsführer den SPD-Bezirk Hannover sowie den niedersächsischen Landesverband. Der SPD-Mann war als Wahlkampfleiter von Gerhard Schröder und später Sigmar Gabriel eng mit beiden verbunden. Von 1998 bis 2002 war er zudem Bundestagsabgeordneter. 2006 gründete er in Berlin die Unternehmensberatung Wiese Consult.
Erst Genosse – dann russischer Honorarkonsul
2016 wird Wiese in Hannover zum russischen Honorarkonsul ernannt – er wechselte also buchstäblich von der deutschen Landespolitik auf die russische Seite. Wiese zeigt sich auch in diesen Jahren spendabel gegenüber seiner eigenen Partei: Zwischen 2009 und 2017 erhielt die SPD in Hannover knapp 50.000 Euro von Wiese und seiner Beratungsfirma, also selbst dann noch, als er russischer Honorarkonsul war.
Wiese soll einmal über Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel gesagt haben: „Den habe ich beim Thema Russland bearbeitet.“ Kurzzeitig besaß Gabriel Anteile an einer Beratungsfirma von Wiese namens „VIB International Strategy Group“. Heino Wiese wollte auf die Anfrage von CORRECTIV nicht antworten.
Alle drei Männer – Wiese, Gabriel, Schröder – befürworteten bei öffentlichen Auftritten die Nord Stream-Pipeline. Inzwischen teilte Wiese mit, von seinem Amt als Honorarkonsul „tieftraurig“ zurückgetreten zu sein. Wiese wolle aber auch künftig im Deutsch-Russischen Forum und bei der deutsch-russischen Außenhandelskammer in Moskau mitarbeiten, um die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland zu verbessern.
Gazproms Lobby-Strategie ging auf
Nicht nur die oft beschriebene „Hannover Connection“, also der Männerbund aus Politik und Wirtschaft rund um Gerhard Schröder, hat sich für Russland ausgezahlt. Gazprom konnte seine zweite Pipeline durchsetzen, Gasspeicher in Deutschland kaufen und die Abhängigkeit von russischem Gas auf über 50 Prozent steigern.
Das Lobbynetzwerk griff auch bestens in den beiden Bundesländern Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, die entscheidend für die Lieferung von russischem Gas nach Deutschland sind.
Der Einfluss der russischen Gaswirtschaft auf Deutschland ist bemerkenswert, weil er über so viele getarnte Strukturen lief, in die sich deutsche Politikerinnen und Politiker – sowohl von CDU als auch SPD – gerne einbinden ließen. Es sind dabei die gleichen Muster, ob es um Einfluss in Sachsen wegen der Gaslieferung oder Mecklenburg-Vorpommern wegen der Gaspipeline oder den direkten Draht in die Bundesregierung ging.
Die gesamten Verbindungen, die Russlands Gassparte und seine Geschäftspartner nutzten, sind verwirrend. Wir haben uns deswegen auf die wichtigsten Kanäle konzentriert. Um einen Eindruck der verzweigten Netze zu bekommen, sind hier weitere Verbindungen aufgeführt. Nicht alle sind gleichwertig, zwischen Gas-Aufsichtsräten und Rednern auf einer Lobby-Veranstaltung gibt es Unterscheide, aber alle Genannten haben sich einspannen lassen.
Diese Recherche zur russischen Gaslobby ist dynamisch. Wir ergänzen unsere Erkenntnisse fortlaufend, nicht nur, um zu dokumentieren, wer alles beteiligt war. Sondern auch, um die Strukturen dieser Lobbyismus-Netzwerke öffentlich zu zeigen. In kaum einem anderen Bereich liegt der Einfluss auf die Politik inzwischen so offen zutage, in keinem anderen Bereich sind die Folgen der Entscheidungen von damals aber auch so gravierend wie beim Gas aus Russland.
Aktualisierung vom 21.9.2022. In einer ersten Version hieß es, VNG besitze mit Gazprom auch ein Pipeline-Unternehmen. Dies haben wir gestrichen.
Aktualisierung vom 10.11.2022. In einer ersten Version hieß es, Gabriel habe ein Ende der Sanktionen gefordert. Wir haben die Stelle geändert und präzisiert.
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Text und Recherche: Justus von Daniels, Annika Joeres, Frederik Richter Faktencheck: Jean Peters, Marlon Krüger Design: Friedrich Breitschuh, Belén Ríos Falcón, Benjamin Schubert Kommunikation: Luise Lange-Letellier, Valentin Zick, Jamie Grenda, Anne Ramstorf, Maren Pfalzgraf
Diese Recherche ist in Zusammenarbeit mit dem Policy Network Analytics (PNA) entstanden. Das PNA analysiert offen zugängliche Daten und setzt sich zum Ziel, verdeckte Politiknetzwerke sichtbar zu machen. Recherchen des Policy Network Analytics sind unter anderem schon in Zusammenarbeit mit dem Guardian, der Welt, der FAZ oder dem Tagesspiegel erschienen. Für Hinweise können sie auch das PNA kontaktieren.
Veröffentlicht am 20. September 2022