„Blackoutmelder“ der AfD: Netzbetreiber widersprechen angeblichen Stromausfällen
Auf einer eigens dafür gebauten Webseite sammelt die AfD Meldungen zu angeblichen Blackouts in Deutschland. Die Nutzer-Einreichungen überprüft die AfD jedoch nicht. Wir haben bei einigen Netzbetreibern nachgefragt. Unsere Stichprobe von fünf Fällen zeigt: In vier davon gab es gar keinen Stromausfall.
Die AfD hat eine Webseite ins Leben gerufen, auf der Nutzerinnen und Nutzer einen sogenannten Blackout melden können. Auf einer Deutschlandkarte finden sich aktuell Dutzende rote Punkte, jeder davon soll einen Stromausfall zeigen. Nur: In vielen gemeldeten Fällen gab es offenbar keinen Ausfall, die Angaben sind falsch. Das bestätigten uns Netzbetreiber aus vier verschiedenen Städten, die wir stichprobenartig zu gemeldeten Ausfällen befragt haben.
Örtliche kurze Stromausfälle sind zudem kein „Blackout“, dieser Begriff bezeichnet einen langanhaltenden, großflächigen Stromausfall.
Die AfD schrieb uns auf Anfrage: „Wir erheben keinen Anspruch auf Richtigkeit der von den Nutzern gemachten Angaben.“ Um diesen Hinweis ergänzte die Partei auch die interaktive Karte – allerdings erst nachträglich.
Stichprobe mit fünf Meldungen auf AfD-Seite zeigt: Vier davon sind falsch
Die erste Erwähnung des „Blackoutmelders“ fanden wir online in einer Mitteilung des Mitgliedermagazins „AfD Kompakt“. Am 25. Oktober kündigte die Partei dort die neue Webseite an: „AfD startet Blackout-Melder“. Wenige Tage danach machten Nutzerinnen und Nutzer auf Twitter auf ein grundlegendes Problem des Angebots aufmerksam. „Auf der Karte kann jede/r ungeprüft einen [Blackout, Anm. d. Red.] eintragen“, schrieb ein Nutzer am 2. November. Tatsächlich enthält eine archivierte Version der Karte vom 28. Oktober eine Funktion, um selbst Fälle einzufügen. Kurze Zeit später entfernte die AfD diese Funktion der Webseite.
Wir wollten wissen, ob hinter den angeblichen Stromausfällen tatsächliche Fälle stecken. Wir haben in einer Stichprobe fünf Meldungen von der Karte herausgesucht und die Netzbetreiber der vier betroffenen Städte Düsseldorf, Berlin (zwei Meldungen), Dresden und Zwickau angefragt, ob es einen Stromausfall an den genannten Adressen gab – seit der ersten Blackoutmelder-Erwähnung der AfD am 25. Oktober bis zum Zeitpunkt der Anfrage, 3. November.
Das Ergebnis: Vier der fünf Meldungen waren falsch, dort gab es gar keine Stromausfälle. In einem Fall gab es einen Stromausfall von zwei Stunden.
Netzbetreiber in Berlin: Einen Stromausfall von zwei Stunden als Blackout zu bezeichnen, sei „übertrieben alarmistisch“
Dieser zweistündige Stromausfall fand in Berlin statt. Im Blackoutmelder der AfD war die Kreuzung Friedrichstraße / Unter den Linden angegeben. Olaf Weidner, Sprecher der Stromnetz Berlin GmbH, schrieb uns per E-Mail: „In der Tat war in einem kleinen Teil des Berliner Bezirkes „Mitte“ am 31. Oktober 2022 für kurze Zeit der Strom weg. Da könnte die Kreuzung Friedrichstraße/Unter den Linden dazu gehört haben.“ Betroffen waren insgesamt 470 Haushalte und 240 Gewerbekunden.
In solchen Fällen von Blackouts zu sprechen, sei „übertrieben alarmistisch und in Teilen verantwortungslos“, schrieb uns Weidner. Einen Blackout habe es in Berlin zum Glück seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gegeben.
An der zweiten gemeldeten Adresse auf dem AfD-Portal, der Kreuzung Ortnitstraße / Schwarzelfenweg in Pankow, gab es laut Stromnetz Berlin Stand 4. November keine Störungen in den vergangenen zwei Wochen. Über tatsächliche Störungen informiert der Netzbetreiber auf seiner Webseite.
Düsseldorf, Dresden, Zwickau: Keine Störungen der Stromversorgung an gemeldeten Adressen
An keiner der anderen drei Adressen gab es vom 25. Oktober bis zum 3. November Stromausfälle. „Uns liegt keine Meldung zu einem Stromausfall im genannten Bereich in den vergangenen 30 Tagen vor”, schrieb uns eine Sprecherin der Stadtwerke Düsseldorf. Bei der gemeldeten Adresse auf der Karte handelt es sich um den Standort der Messe Düsseldorf.
Auch in Dresden war keine Störung bekannt. „Im angefragten Zeitraum wurden keine Störungen, planmäßige Versorgungsunterbrechungen oder anderweitigen Ereignisse in den durch die SachsenNetze GmbH betriebenen Mittel- und Niederspannungsnetzen im betreffenden Netzgebiet festgestellt“, schrieb uns der zuständige Stromversorger Sachsen Netze GmbH.
Im sächsischen Zwickau wurde im AfD-Portal ein Ausfall an der Scheffelstraße gemeldet. „Im genannten Zeitraum kam es an dieser Adresse zu keinem Stromausfall“, schrieb uns eine Sprecherin der Zwickauer Energieversorgung GmbH. Der Eintrag auf der Karte sei eine „Falschangabe“. Laut der Sprecherin hat es in der Scheffelstraße vom 26. bis zum 28. Oktober eine geplante und vorab angekündigte Unterbrechung der Versorgung mit Fernwärme gegeben. Dadurch sei es kurzfristig nicht möglich gewesen, Heizung und Warmwasser zu benutzen. Die Stromversorgung sei im genannten Gebiet aber „zu jeder Zeit vollumfänglich gewährleistet“ gewesen.
AfD änderte Seite nachträglich und entfernte die Funktion, „Blackouts“ zu melden
Kurz nach der ersten Kritik auf Twitter Anfang November hat die AfD auf der Blackoutmelder-Seite die Option entfernt, auf der Karte einzelne Ausfälle zu melden. Dort stand zuvor „Blackout melden!“ und darunter „Klicke auf das + und melde einen Blackout in deiner Nähe“. Der zweite Satz ist mittlerweile verschwunden. Davor wurde schon das rote Pluszeichen entfernt, über welches Nutzerinnen und Nutzer eine Meldung einreichen konnten. Man sieht es nur noch in archivierten Versionen der Seite.
Auch eine weitere Änderung fällt auf: In der aktuellen Version findet sich unter der Karte der Hinweis: „Wir erheben keinen Anspruch auf Richtigkeit der von den Nutzern gemachten Angaben.” Das deckt sich im Wortlaut mit einer Antwort, die uns die AfD auf eine Presseanfrage im Zuge unserer Recherche am 7. November schickte.
„Wie auch bei allen anderen frei zugänglichen Störungsmeldern im Internet ist es uns nicht möglich, jede einzelne Meldung zu verifizieren“, heißt es in der Antwort der AfD-Pressestelle. Ein Nutzer auf Twitter schrieb, er hätte einen Stromausfall mitten in der Nordsee gemeldet – dieser Eintrag ist nicht mehr auf der Seite zu finden.
Wir wollten von der AfD zudem wissen, ob überhaupt Meldungen kontrolliert wurden, um Missbrauch oder fehlerhafte Angaben zu verhindern, ob Einträge gelöscht wurden und warum die Meldefunktion von der Seite verschwand. Die Pressestelle der Partei schrieb uns: „Wir antworten nicht auf Ihre Nachfragen.“
Die von uns überprüften Fälle in Berlin, Dresden, Zwickau und Düsseldorf sind nach wie vor auf der interaktiven Karte zu sehen (Stand 9. November).
Ein Blackout ist ein großflächiger, langer Stromausfall
Ein Blackout ist kein bloßer Stromausfall. Laut dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe geht ein Blackout weit über Orts- und Kreisgrenzen hinaus und dauert mehr als 24 Stunden an. Das erklärte uns Wolfram Geier, Leiter der Abteilung Risikomanagement, kürzlich für einen ausführlichen Text zum Thema. Auch die Bundesnetzagentur erklärte uns, Merkmale eines solchen Ausfalls seien, dass er lange dauert und großflächig sei.
Wie unsere Recherche im August 2022 zeigte, wird das Katastrophenszenario politisch instrumentalisiert, um Stimmung gegen erneuerbare Energien und den Staat zu machen. Damit lässt sich außerdem auch Geld verdienen: Auf Telegram verbreiten sich etwa Verkaufslinks mit Produkten, die angeblich zur Vorbereitung auf einen Blackout dienen. Viele dieser Produkte werden vom Kopp-Verlag verkauft, der auch Verschwörungserzählungen, Querdenkern und fremdenfeindlicher Hetze eine Plattform bietet.
Die Bundesregierung hält einen Blackout laut einem Erklärtext zum Thema (Stand 20. Oktober 2022) für „sehr unwahrscheinlich“. Sich darauf vorzubereiten, ist trotzdem sinnvoll. Panik durch Dutzende ungeprüfte Meldungen zu verbreiten, ist es nicht.
Es gab in Deutschland von 2006 bis 2021 keine Zunahme von Stromausfällen
Die Zahl der Stromausfälle in Deutschland ist seit 2006 gesunken. 2021 fiel der Strom pro Endverbraucher durchschnittlich für 12,7 Minuten pro Jahr aus, wie aktuelle Daten der Bundesnetzagentur zeigen. Das ist ein Anstieg im Vergleich zu 2020 (10,7 Minuten), insgesamt ist der Trend aber seit Jahren fallend: 2006 waren es noch 21,5 Minuten.
Die Bundesnetzagentur misst für diese Auswertung Störungen auf Nieder- und Mittelspannungsebene und berechnet daraus den „System Average Interruption Duration Index“ (SAIDI-EnWG). Extreme Wetterereignisse wie etwa die Flutkatastrophe im Ahrtal fließen laut Bundesnetzagentur allerdings nicht in die Berechnung ein.
Redigatur: Sophie Timmermann, Alice Echtermann