Faktencheck

Alter Kachelmann-Tweet über Hitzewellen-„Lüge“ wird erneut irreführend verbreitet

Ein alter Tweet von Wetterexperte Jörg Kachelmann verbreitet sich seit Jahren irreführend im Netz – auch aktuell. Es fehlt entscheidender Kontext: Kachelmann leugnet den Klimawandel nicht. Auch die Behauptung, in 21 Jahren habe sich die Erde nicht erwärmt, ist falsch.

von Sophie Timmermann

Jörg Kachelmann bei einer Veranstaltung im Jahr 2021. Ein Tweet des Wetterexperten wird seit 2021 irreführend verbreitet (Thomas Schulze / ZB / Picture Alliance).
Behauptung
Laut einem Sharepic habe Jörg Kachelmann in einem Tweet „die globale Hitzewelle“ als „Lüge“ bezeichnet. Zudem heißt es, in 21 Jahren Erderwärmung habe sich die Erde um 0,0 Grad erwärmt.
Bewertung
Teilweise falsch
Über diese Bewertung
Teilweise falsch. Der Tweet von Kachelmann ist echt und stammt aus dem Jahr 2018, den Klimawandel stellte er nicht in Frage. Kachelmann wollte laut eigener Aussage eine Nachricht korrigieren, wo gestanden habe, es sei weltweit überall gleichzeitig heiß. Der menschengemachte Klimawandel ist wissenschaftlich belegt. Das vergangene Jahrzehnt ist das wärmste, das jemals aufgezeichnet wurde, laut der US-Wetterbehörde NOAA lag die globale Durchschnittstemperatur zwischen 2011 und 2020 um 0,82 Grad Celsius höher als im Schnitt des 20. Jahrhunderts.

Leugnet Wetterexperte Jörg Kachelmann in einem aktuellen Tweet den Klimawandel? Das soll ein Sharepic belegen, das sich seit Ende Mai dutzendfach auf Facebook verbreitet. „Die globale Hitzewelle weltweit und gleichzeitig ist eine Lüge“, steht in einem vermeintlichen Tweet Kachelmanns, der mit einem Screenshot ohne Veröffentlichungsdatum abgebildet ist. 

In dem Twitter-Beitrag heißt es, die „momentanen Temperaturen der gesamten Nordhemisphäre“ würden im Vergleich zur Referenzperiode 2000-2017 durchschnittlich um 0,0 Grad abweichen. Nutzerinnen und Nutzer sehen das als Anlass, den Klimawandel anzuzweifeln. „Erderwärmung ist ein Witz“ und „Klimaschwindel“, kommentieren sie dazu. 

Den Beiträgen auf Facebook fehlt aber entscheidender Kontext. Der Tweet Kachelmanns ist zwar echt, jedoch nicht aktuell. Kachelmann veröffentlichte ihn 2018 in Reaktion auf einen Medienbericht und löschte ihn später, weil der Tweet „ohne den Bezug missbräuchlich umgedichtet werden kann“, wie er erklärte. Den Klimawandel stellte der Wetterexperte nicht in Frage. Wie wir berichteten, kursiert das Sharepic seit mindestens 2021 in Sozialen Netzwerken. Neu ist die Aussage in dem Bild, die Erde habe sich in 21 Jahren nicht erwärmt. Das ist ebenfalls falsch.

Sharepic mit altem Kachelmann-Tweet
Dieser Tweet von Jörg Kachelmann wird seit mindestens 2021 irreführend verbreitet, aktuell auf Facebook (Quelle: Facebook; Screenshot und Unkenntlichmachung: CORRECTIV.Faktencheck).

Kachelmann-Tweet stammt von 2018 und bezog sich auf einen Medienbericht 

Bereits vor zwei Jahren schrieb uns Jörg Kachelmann, in seinem Tweet habe er auf eine Medienmeldung reagiert. Es habe „irgendwo“ gestanden, dass es weltweit überall gleichzeitig heiß sei – das sei „natürlich völliger Blödsinn“. In einem Tweet vom 3. Oktober 2021 erklärte er zudem, er habe seinen ursprünglichen Beitrag von 2018 gelöscht, weil dieser „ohne den Bezug missbräuchlich umgedichtet werden kann“. Er bezog sich dabei auf die AfD-Politikerin Nicole Höchst, die den Screenshot zuvor mit den Worten „Fakten gegen den Weltuntergang“ teilte.

Kachelmann ergänzte damals in einem weiteren Tweet, der Klimawandel sei auch da, „wenn einfach Allerweltswetter ist“. Es würden nicht „andauernd wilde Dinge passieren“. Das Klammern an Extreme – wie Hitzewellen – als Merkmale des Klimawandels sei seiner Ansicht nach falsch. 

Auch auf unsere aktuelle Nachfrage, ob er den menschengemachten Klimawandel in Frage stellt, antwortete uns Kachelmann: „Natürlich nicht“, das könne jede und jeder an seinen Tweets der vergangenen Monate und Jahre nachprüfen. Es gehe ihm darum, „Unsinn auf allen Seiten“ zu widerlegen. Aussagen wie „die ganze Erde brennt“ seien „genauso dumm wie das Leugnen des Klimawandels“, darauf habe er versucht hinzuweisen. 

Kachelmann reagiert auf Twitter
Kachelmann stellte im Oktober 2021 in einem Tweet klar, dass seine ursprüngliche Aussage missbräuchlich, ohne Kontext und somit irreführend verbreitet wurde. Deshalb habe er sie gelöscht (Quelle: Twitter; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Die Erde erwärmt sich immer schneller 

Der Aussage, die Erde habe sich in den vergangenen 21 Jahren nicht erwärmt, stimmt Kachelmann auf unsere Anfrage hin nicht zu: „Es gibt Momentaufnahmen, in denen sich die zu kalten und zu warmen Gebiete kurz die Waage halten“, schreibt er. 

Die globale Durchschnittstemperatur hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nachweislich erhöht – und der Erwärmungstrend nimmt an Fahrt auf: Wie die US-Wetterbehörde NOAA in ihrem Jahresbericht für das Jahr 2020 schreibt, sei der Zeitraum 2011-2020 im Vergleich zu langjährigen Temperaturmittelwerten das wärmste Jahrzehnt gewesen, das jemals aufgezeichnet wurde. Zwischen 2001 und 2010 lag die globale Durchschnittstemperatur um 0,62 Grad Celsius höher als im 20. Jahrhundert, zwischen 2011 und 2020 waren es 0,82 Grad Celsius. Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) schrieb im Januar 2023, der Zehn-Jahresdurchschnitt für den Zeitraum 2013-2022 liege etwa 1,14 Grad über dem vorindustriellen Basiswert von 1850-1900. 

Wie die NOAA und die Nasa schreiben, war 2022 eines der wärmsten Jahre seit dem Start ihrer Temperaturaufzeichnungen – und laut WMO das achte Jahr in Folge, in dem die globalen Jahrestemperaturen mindestens ein Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen. Die Jahre seit 2015 waren die acht wärmsten Jahre seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen.  

Menschengemachter Klimawandel ist wissenschaftlich belegt – dem widersprechen auch kurzfristige kühle Phasen nicht 

Ob die globalen Temperaturen zu irgendeinem Zeitpunkt während der aktuellen Warmzeit höher oder niedriger waren als die aktuellen, sei aus wissenschaftlicher Sicht zudem gar nicht so entscheidend, fasst Klimatologe Stefan Rahmstorf in einem Blogbeitrag bereits im Juni 2013 zusammen. „Entscheidend ist vielmehr, dass der rasche Anstieg im 20. Jahrhundert im ganzen Holozän einmalig ist.“

Das ist mit zahlreichen Studien wissenschaftlich belegt. Wie eine Grafik des Deutschen Klima-Konsortiums (DKK) zeigt, sind die globalen mittleren Temperaturen in den vergangenen 150 Jahren rasant angestiegen. Dies ist laut DKK beispiellos in der menschlichen Zivilisationsgeschichte. Ergänzend heißt es dazu auf der Webseite des DKK: „Ein solches Temperaturniveau gab es laut den verfügbaren paläoklimatischen Daten noch nie während der vergangenen 2.000 Jahre und sehr wahrscheinlich auch nie während der gegenwärtigen Warmzeit (dem Holozän).“ 

Auch der Weltklimabericht 2021 vom Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), einer von den Vereinten Nationen ins Leben gerufenen Institution, kommt zu dem Ergebnis (PDF, S. 11): Der menschliche Einfluss habe das Klima in einem Maße erwärmt, wie es seit mindestens 2.000 Jahren nicht mehr der Fall gewesen sei. Kurzfristige kältere Phasen würden diesem Trend nicht widersprechen. Im Bericht heißt es: „Natürliche Schwankungen sind eine der Hauptursachen für jährliche Veränderungen des globalen Oberflächenklimas und können eine wichtige Rolle bei Trends über mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte spielen.“ 

Der Einfluss solcher Schwankungen sei aber in der Regel gering, wenn man Trends über mehrere Jahrzehnte oder länger betrachte. „Das bedeutet, dass der Großteil der Erwärmung fast ausschließlich auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen ist, insbesondere auf die Emissionen von Treibhausgasen“. 

Immer wieder zweifeln Nutzerinnen und Nutzer den menschengemachten Klimawandel an. Sie setzten Grafiken in einen falschen Kontext (wie hier und hier) oder verzerren Aussagen, wie im aktuellen Fall. 

Redigatur: Matthias Bau, Uschi Jonas

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck: 

  • Bericht des Deutschen Klima-Konsortiums zum Klimawandel 2021: Link (PDF) 
  • Weltklimabericht des IPCC 2021: Link (PDF)
  • Jahresbericht der US-Wetterbehörde NOAA 2020: Link (Englisch)