Faktencheck

Brandenburg: Alter Artikel über Fördergelder für Demos gegen Rechtsextremismus wird als aktuell verbreitet

Online kursiert ein Zeitungsartikel, demzufolge die Brandenburger Landesregierung 2015 Demonstrationen „gegen rechts“ finanziell unterstützt hat. Das stimmt. Demonstrationen, die sich gegen einzelne Parteien richten, wurden und werden laut Landesregierung aber nicht gefördert – auch nicht 2024.

von Paulina Thom

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Die Koordinierungsstelle Tolerantes Brandenburg der Landesregierung fördert öffentliche Veranstaltungen, die sich für die Demokratie einsetzen, darunter fallen auch Demonstrationen. Sie dürfen sich allerdings nicht gegen einzelne Parteien richten. (Symbolbild: Ralf Hirschberger / ZB / Picture Alliance)
Behauptung
Ein Zeitungsartikel belege, dass die Brandenburger Landesregierung Demonstrationen „gegen rechts“ finanziere.
Bewertung
Größtenteils richtig
Über diese Bewertung
Größtenteils richtig. Der Zeitungsartikel ist von 2016 und bezieht sich auf die Koordinierungsstelle Tolerantes Brandenburg der Landesregierung. Die unterstützte 2015 fünf Veranstaltungen gegen Rechtsextremismus finanziell. Laut der Landesregierung wurden und werden Demonstrationen, die sich gegen einzelne Parteien richten, nicht unterstützt. Im Jahr 2024 förderte Tolerantes Brandenburg bislang keine Demonstration gegen Rechtsextremismus.

„So, jetzt mal Tacheles, Leute, sind die Demos eurer Meinung nach inszeniert und bezahlt oder sind es alles korrekte Demos mit unbezahlten Teilnehmern?“, fragt eine Tiktok-Nutzerin und teilt dazu ein Foto eines Zeitungsartikels. Der verbreitet sich seit dem 22. Januar 2024 auch auf Youtube, Telegram, Facebook und X tausendfach. Darin heißt es, die Brandenburger Landesregierung zahle für „Demonstrationen gegen rechts“. Im Text geht es um die Koordinierungsstelle der Landesregierung, Tolerantes Brandenburg, die laut ihrer Webseite Strategien für Demokratie und gegen Rechtsextremismus entwickelt und unterstützt.

Wann der Artikel veröffentlicht wurde, ist auf dem Bild in Sozialen Netzwerken nicht zu erkennen, einige Nutzerinnen und Nutzer fragen in den Kommentaren deshalb nach dem Datum. Andere vermuten, der Text stehe in Verbindung zu den Demonstrationen seit dem 12. Januar 2024 gegen Rechtsextremismus. 

Auslöser der Proteste war eine CORRECTIV-Recherche über ein Geheimtreffen, bei dem Mitglieder der AfD, CDU sowie einige Unternehmer und Rechtsextreme die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland besprachen.

Screenshot des Zeitungsartikels
Dieser Zeitungsartikel von Januar 2016 kursiert in Sozialen Netzwerken und wurde, wie hier auf X, tausendfach geteilt (Quelle: X; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Zeitungsartikel ist mehrere Jahre alt und stammt von der B.Z.

Im Artikel selbst gibt es einige Hinweise, dass er nicht aktuell ist: Wer mehr als die Überschrift liest, erfährt, dass die Koordinierungsstelle Tolerantes Brandenburg im Jahr 2015 fünf „Demos, Aktionstage und Bürgerfeste“ finanziell unterstützt hat. Die Rede ist zudem von „der rot-roten Landesregierung“ – seit 2019 und aktuell regiert in Brandenburg jedoch eine Koalition aus SPD, CDU und den Grünen (Stand: 27. Februar 2024). 

Eine Suche in der Pressedatenbank Genios ergibt, dass die Tageszeitung B.Z. den Artikel am 20. Januar 2016 veröffentlichte. Eine Pressesprecherin von Axel Springer, zu dessen Verlag die B.Z. gehört, bestätigte uns dies auf Anfrage. 

Auch die rechts gerichtete Wochenzeitung Junge Freiheit berichtete damals, Brandenburg finanziere „Demonstrationen gegen Rechts“.

Koordinierungsstelle Tolerantes Brandenburg förderte 2015 fünf Veranstaltungen gegen Rechtsextremismus

Über die Fördermittel hätten die Vereine Plakate, Werbung und technische Ausstattung finanziert, so die B.Z. Grundlage für die Berichterstattung war eine Kleine Anfrage von Mitgliedern der AfD-Fraktion im Brandenburger Landtag. Sie wollten wissen, inwiefern Demonstrationen oder die Teilnahme daran mit öffentlichen Mitteln finanziert oder unterstützt würden. Die Landesregierung Brandenburg antwortete darauf am 11. Januar 2016, die Koordinierungsstelle Tolerantes Brandenburg habe keine eigenen Demonstrationen organisiert, jedoch fünf Veranstaltungen von Trägervereinen finanziell gefördert. 

Tabelle über Förderungen durch die Landesregierung im Jahr 2015
Diese fünf Vereine erhielten 2015 Geld von der Koordinierungsstelle Tolerantes Brandenburg für die Organisation von Veranstaltungen und Demonstrationen (Quelle: Landtag Brandenburg/Drucksache 6/3274; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Die Koordinierungsstelle überwacht laut ihrer Webseite das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“. Dazu gehöre auch, Strategien für Demokratie und gegen Rechtsextremismus zu entwickeln. Mit dem Handlungskonzept ging die Landesregierung die Verpflichtung ein, „sich dauerhaft für eine demokratische Gesellschaft mit Zivilcourage und gegen Rechtsextremismus, Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit einzusetzen“. 

Wir haben bei der Landesregierung Brandenburg nach weiteren Informationen zu der Finanzierung der Veranstaltungen 2015 gefragt. Regierungssprecher Florian Engels schrieb uns am 21. Februar 2024, die damaligen Maßnahmen hätten sich im Rahmen des parlamentarischen Auftrags des Handlungskonzepts bewegt. Die Koordinierungsstelle fördere keine Protestaktionen oder Demonstrationen, die sich gegen einzelne Parteien richteten.

Er verweist zudem auf einen Landtagsbeschluss von 2023 anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Konzeptes von Tolerantes Brandenburg. Auf Seite drei steht: „Neutralität des Staates bedeutet nicht, dass rassistische, menschenfeindliche und gewaltverherrlichende Äußerungen und Straftaten toleriert werden.“ 

Tolerantes Brandenburg förderte 2024 bislang keine Demonstrationen „gegen rechts“ oder Rechtsextremismus

Doch wie steht es um die Finanzierung der aktuellen Proteste gegen Rechtsextremismus? „Eine finanzielle Förderung von Demonstrationen ist in 2024 nicht erfolgt,“ schreibt Engels. Und: „Demonstrationen, die sich explizit gegen eine Partei wenden, wären nicht zuwendungsfähig.“ 

Es seien auch keine Anträge auf eine Förderung bei Tolerantes Brandenburg eingegangen. Die Koordinierungsstelle weise seit dem 12. Januar 2024 in den sozialen Medien auf die Kundgebungen für Zusammenhalt und Vielfalt im Land Brandenburg hin. Dabei handele es sich nicht um Aufrufe und das Gebot der Chancengleichheit der Parteien werde dabei nicht verletzt.

Das ist ein entscheidender Punkt, wie uns der Jurist Hubertus Gersdorf von der Universität Leipzig am 9. Februar 2024 schrieb: „Weder der Staat noch von ihm finanziell geförderte Organisationen müssen politisch neutral sein; sie sind aber zur parteipolitischen Neutralität verpflichtet.“ Laut Gersdorf kommt es bei den Demonstrationen auf den Einzelfall an: Sowohl die Förderungen durch den Staat als auch die Öffentlichkeitsarbeit einer geförderten Organisation seien nur dann zulässig, „wenn die Demonstrationen parteipolitisch neutral sind, sich also nur ganz generell gegen Rechtsextremismus wenden“. 

Bislang, schreibt uns Gersdorf, sei nicht geklärt, ob und unter welchen Voraussetzungen der Staat gesellschaftliche Organisationen finanziell unterstützen dürfe, die auf Gefahren extremistischer Parteien oder Organisationen für die freiheitlich-demokratische Grundordnung hinweisen und gegen diese politisch auftreten. Es sei ungeklärt, ob hierfür eine spezielle gesetzliche Grundlage erforderlich sei. „Es gibt gute Gründe, dass der Staat gesellschaftliche Organisationen nur dann finanziell fördern darf, wenn für sie gilt, was auch für den Staat gilt: die Verpflichtung zur parteipolitischen Neutralität.“

Redigatur: Sarah Thust, Matthias Bau

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Antwort der Brandenburger Landesregierung auf eine kleine Anfrage der AfD-Fraktion in Brandenburg, 11. Januar 2016: Link (PDF, archiviert)
  • Landtagsbeschluss zum 25-jährigen Bestehen von Tolerantes Brandenburg, 20. Juni 2023: Link (PDF, archiviert)
  • Handlungskonzept Tolerantes Brandenburg, aktuelle Fassung von 2005: Link (PDF, archiviert)