Euthanasie-Zitat stammt nicht von Jacques Attali
Im Netz kursieren immer wieder angebliche Zitate von Jacques Attali, einst ein Berater des ehemaligen französischen Staatspräsidenten François Mitterrand. Er soll sich bereits vor Jahrzehnten zu Euthanasie von alten Menschen und einer inszenierten Pandemie geäußert haben. Doch Attali hat diese Aussagen nie gemacht.
Jacques Attali ist Wirtschafts- und Sozialtheoretiker und war von 1981 bis 1991 Berater des damaligen französischen Präsidenten Francois Mitterrand. Er hat dutzende Bücher geschrieben, häufig versucht er darin mögliche Zukunftszenarien zu beschreiben. Durch teils kontroverse Aussagen erregt er immer wieder Aufmerksamkeit. 2022 erklärte er beispielsweise, dass ihm ein Krieg zwischen Frankreich und Deutschland möglich erscheine.
Im Netz verbreiten sich immer wieder angebliche Aussagen des Franzosen zu Euthanasie, zuletzt im März 2024. „Was hier 1981, also vor 41 Jahren von Jacques Attali, zu einer weltweiten inszenierten Virus Fake Plandemie (CORONA!) gesagt wurde, vollzieht sich jetzt direkt vor unseren Augen!“, heißt es zum Beispiel auf Telegram.
In dem Video zum Beitrag liest ein Mann das angebliche Zitat Attalis vor: „In Zukunft wird es darum gehen, einen Weg zu finden, die Population zu reduzieren. Wir fangen mit den Alten an, denn sobald sie 60 bis 65 Jahre überschreiten, lebt der Mensch länger, als er produziert. Und das kommt die Gesellschaft teuer zu stehen. Dann die Schwachen, dann die Nutzlosen, die der Gesellschaft nichts bringen, weil es immer mehr von ihnen geben wird und vor allem schließlich die Dummen.“ Außerdem habe er sich zu einer inszenierten Pandemie geäußert und gesagt „Die Selektion der Idioten erledigt sich dann von selbst. Sie gehen von selbst zur Schlachtbank.“
Das Zitat wird so oder so ähnlich mit Video und auch in schriftlicher Form unter anderem auf Facebook, und X verbreitet. Auch auf anderen Plattformen wie Medium und einzelnen Blogs ist es zu finden. Die Quelle ist laut den Beiträgen das Buch „Die Zukunft des Lebens“ (Französisch: L’avenir de la vie) von Michel Salomon, das 1981 veröffentlicht wurde. Es beinhaltet mehrere Interviews zum Thema, darunter eins mit Attali.
Der Verschwörungsmythos, den die Behauptung bedient, ist nicht neu. Dass eine globale Elite eine Entvölkerung plane, wird immer wieder behauptet. Doch auch im Falle Attalis ist das frei erfunden. Er hat diese Aussagen nie getroffen.
Attali dementierte, diese Aussagen gemacht zu haben
Über eine Stichwortsuche auf Google finden sich mehrere Faktenchecks zu dem angeblichen Zitat. Gegenüber der AFP und DPA dementierte Attali, dass die Aussagen von ihm stammen. Auch auf X wies er mehrmals darauf hin, dass er die Aussagen nie gemacht habe.
In dem Buch „Die Zukunft des Lebens“ finden sich aber Aussagen Attalis, die denen im vermeintlichen Zitat ähnlich sind. Scans der entsprechenden Passagen wurden der AFP vom Buchverlag Seghers zur Verfügung gestellt. Dass Attali darin Euthanasie an alten oder schwachen Menschen befürwortet, ist jedoch erfunden.
Er äußert sich in dem Buch zu der Frage, wie mit einer verlängerten Lebenserwartung umzugehen sei: „Aber sobald man über 60/65 Jahre alt ist, lebt der Mensch länger, als er produziert, und er kostet die Gesellschaft dann viel Geld. Daher glaube ich, dass es in der Logik der Industriegesellschaft nicht mehr darum geht, die Lebenserwartung zu verlängern, sondern dafür zu sorgen, dass der Mensch innerhalb einer gegebenen Lebensspanne so gut wie möglich lebt, aber so, dass die Gesundheitskosten für die Gemeinschaft möglichst gering sind.“
Das Buch Salomons beschäftigt sich mit der Frage, wie das Leben der Menschheit in Zukunft aussehen könnte. Dazu interviewte der Autor mehrere Experten, unter anderem Attali. In den relevanten Textpassagen antwortet Attali auf die Frage Salomons, ob der Mensch in Zukunft über 120 Jahre alt werden könne und ob das wünschenswert sei.
Darauf antwortet Attali unter anderem: „In jedem Fall wird Euthanasie eines der wesentlichen Instrumente unserer künftigen Gesellschaften sein. In einer sozialistischen Logik stellt sich das Problem zunächst wie folgt dar: Die sozialistische Logik ist die von der Freiheit und die grundlegende Freiheit ist der Selbstmord; folglich ist das Recht auf direkten oder indirekten Selbstmord ein absoluter Wert in dieser Art von Gesellschaft.“ In einer kapitalistischen Gesellschaft würden dagegen „Tötungsmaschinen und Prothesen, die das Leben auslöschen, wenn es zu unerträglich oder wirtschaftlich zu kostspielig ist, entwickelt und zur gängigen Praxis werden,“ so Attali in der Passage weiter. Deshalb glaube er, „dass die Euthanasie, ob sie nun ein Freiheitswert oder ein Warenwert ist, eine der Regeln der zukünftigen Gesellschaft sein wird.“
Für Attalis angebliche Aussagen zu einer Pandemie finden sich ebenfalls keine Belege. In seinem 2006 erschienenen Buch „Une brève histoire de l’avenir“ (Eine kurze Geschichte der Zukunft) kommt das Wort „pandémie“ nur einmal in einem völlig anderen Kontext vor. In einem anderen Buch von 1998, „Dictionnaire du XXIe siècle“ (Wörterbuch des 21. Jahrhunderts), schrieb Attali: „Durch das Nomadentum von Menschen, Waren und Arten könnten wieder große Epidemien auftreten. Beispielsweise könnte sich das H5N1-Virus als ebenso gefährlich erweisen wie das Grippevirus, das im Winter 1918/1919 fast die Hälfte der Menschheit erfasste und vierzig Millionen Menschen tötete.“
Attali hat sich also zwar zu den Themen Euthanasie und Pandemie geäußert, die Aussagen wie sie im Zitat gemacht werden sind jedoch frei erfunden.
Redigatur: Steffen Kutzner, Matthias Bau