Äußerungen des dänischen Klimaforschers Steffensen widerlegen menschengemachten Klimawandel nicht
Immer wieder tauchen online Aufnahmen des dänischen Forschers Jørgen Peder Steffensen aus einem 20 Jahre alten Film auf. Seine Äußerungen sollen angeblich den menschengemachten Klimawandel widerlegen. Das stimmt nicht, wie auch Steffensen selbst sagt.
Es sei wie in einem Märchen von Hans Christian Andersen, in dem durch stille Post aus einer Feder plötzlich fünf tote Hühner werden, schrieb uns Jørgen Peder Steffensen für einen Faktencheck im Februar 2024. Der dänische Klimaforscher äußerte sich vor 20 Jahren in einem klimawandelskeptischen Film, seitdem kursieren davon immer wieder Ausschnitte ohne den nötigen Kontext in Sozialen Netzwerken.
So auch aktuell wieder in einem Telegram-Beitrag mit rund hunderttausend Aufrufen. Steffensen soll gesagt haben, wir lebten in der kältesten Periode der letzten 10.000 Jahre. Seine Forschung beweise, dass es vor 8.000 Jahren und im Mittelalter wärmer als heute gewesen sei und der Temperaturanstieg seit 1875 an natürlichen Klimaschwankungen liege. Steffensen zerlege damit das Narrativ des menschengemachten Klimawandels, heißt es auf Telegram. Auf Facebook kursiert die Behauptung ebenfalls, teilweise nur mit einem Screenshot aus dem Film.
Doch der Forscher hat seine damaligen Äußerungen schon mehrfach eingeordnet: Sie bezogen sich nicht auf globale Temperaturen und entsprechen teilweise nicht mehr dem aktuellen Forschungsstand.
Interview mit Steffensen stammt aus einem klimawandelskeptischen Film von 2004
Der Videoausschnitt aus den Beiträgen in Sozialen Netzwerken stammt aus dem 2004 veröffentlichten Dokumentarfilm „Doomsday called Off“ („Weltuntergangstag abgesagt“), der den menschengemachten Klimawandel anzweifelt. Auf unsere Anfrage erklärte Steffensen im Februar, dass er mit dem Narrativ des Dokumentarfilms weder damals noch heute einverstanden gewesen sei. Er stehe aber zu seinen Äußerungen, da sie dem damaligen Forschungsstand entsprachen.
Steffensen berichtet in dem Film über Erkenntnisse aus dem Greenland Ice Core Project (GRIP). Ein multinationales Team forschte ab 1989 an zwei Eisbohrkernen, dem GRIP und dem einige Jahre später gebohrten Kern NorthGRIP. Eisbohrkerne sind sogenannte Klimaarchive: Aus der Zusammensetzung des Jahrtausende alten Eises können Rückschlüsse auf klimatische Entwicklungen in der Vergangenheit gezogen werden, beispielsweise über die Sonnenaktivität oder Temperaturen. Über die Analyse der beiden Eisbohrkerne GRIP und NorthGRIP lassen sich Klimainformationen der letzten rund 120.000 Jahre gewinnen.
Was Steffensen damals im Dokumentarfilm sagte
Im Dokumentarfilm zeigt Steffensen einen solchen Eisbohrkern und sagt: „Dieses Eis ist aus der Wikingerzeit um das Jahr Tausend herum, die auch als mittelalterliche Warmzeit bezeichnet wird. Wir glauben, dass die mittelalterliche Periode in Grönland im Durchschnitt etwa 1,5 Grad wärmer war als heute.“ Etwas später zeigt Steffensen eine Grafik mit rekonstruierten Temperaturen der letzten 8.000 Jahre aus dem GRIP. Er sagt: „Wir können sehen, […] dass wir hier oben (in Grönland, Anm. d. Red) vor etwa 4.000 Jahren Temperaturen hatten, die im Durchschnitt 2,5 Grad wärmer waren als heute“.
Danach zeigt er anhand der Grafik Temperaturschwankungen seit diesem Zeitpunkt: Mal sei die Temperatur gesunken, zum Beispiel im Römischen Zeitalter (vor etwa 2000 Jahren), mal sei sie gestiegen, zum Beispiel im Mittelalter (vor etwa 1000 Jahren). Abschließend spricht er darüber, wann die Temperaturen am niedrigsten waren: um 1875. Das entspreche genau dem Zeitpunkt, an dem die wissenschaftlichen Wetterbeobachtungen begannen.
Das sei ein Problem, sagt Steffensen: Er stimme zu, dass die globalen Temperaturen im 20. Jahrhundert angestiegen seien, aber im Vergleich wozu? „Vermutlich im Vergleich zu den niedrigsten Temperaturen, die wir in den vergangenen 10.000 Jahren hatten.“ Deswegen werde es sehr schwer sein zu beweisen, ob der Mensch den Anstieg verursache oder ob auf den kältesten Zeitraum seit tausenden von Jahren eine natürliche Erwärmung folge.
Anders als in den Beiträgen in Sozialen Netzwerken behauptet, sagte Steffensen nicht, dass „wir in der kältesten Periode seit 10.000 Jahren leben“, sondern, dass um 1875 der kälteste Zeitpunkt gewesen sei und danach im 20. Jahrhundert eine globale Erwärmung erfolgte. Doch Steffensens Äußerungen zeigen aus einem ganz anderen Grund nicht das, was online daraus gemacht wird.
Steffensen bezog sich weder auf die gesamte Welt noch ist sein Vergleich aktuell
Zu beachten ist nämlich: Die Angaben des Professors bezogen sich weder auf die gesamte Welt noch ist sein Vergleich aktuell.
„Ich habe nie gesagt, dass es um globale Temperaturen geht“, schrieb uns Steffensen auf Nachfrage im Februar 2024. Auch in dem Videoausschnitt aus dem Dokumentarfilm sagt er mehrfach, dass es um Temperaturen auf Grönland geht. Daten aus Eisbohrkernen lassen keinen Rückschluss auf die Entwicklung globaler Temperaturen zu, sondern lediglich auf lokale – das haben wir in einem Faktencheck im Juli 2022 erklärt. Auch die Angabe, dass 1875 das kälteste Jahr gewesen sei, bezog sich laut Steffensen auf die lokalen Temperaturen in Grönland und nicht auf die gesamte Welt oder Europa.
Die Aussagen von Steffensen sind auch deswegen nicht mehr aussagekräftig, weil er die grönländischen Temperaturen vor tausenden von Jahren mit denen im Jahr 1960 vergleicht, wie er uns schrieb. Es fehlt also eine entscheidende Phase der aktuellen globalen Erwärmung. Die Temperaturen in Grönland liegen laut einer Studie von 2023 im 21. Jahrhundert 1,5 Grad höher als noch im 20. Jahrhundert. Dr. Maria Hörhold, Autorin der Studie und Glaziologin am Alfred-Wegener-Institut, sagte in einer Pressemitteilung: „Die Erwärmung in der Phase zwischen 2001 bis 2011 setzt sich eindeutig von natürlichen Schwankungen der letzten 1000 Jahre ab.“
Mittelalterliche Warmzeit betraf nur Regionen auf der Nordhalbkugel – global ist es heute wärmer
Kommen wir zur letzten Äußerung Steffensens, die in Sozialen Netzwerken als Argument gegen den menschengemachten Klimawandel dient: Es sei schwer zu beweisen, ob der Anstieg der Temperaturen seit 1875 natürlich sei oder auf menschlichen Einfluss zurückgehe.
Es stimmt, dass sich das Klima in der Vergangenheit aufgrund natürlicher Schwankungen wandelte. Doch meist geschah dies über Jahrhunderte bis Jahrtausende oder betraf nicht die gesamte Welt. Die „Mittelalterliche Warmzeit“ etwa, die Steffensen im Film anspricht, betraf nur einige Regionen auf der Nordhalbkugel. An anderen Orten der Welt war es damals deutlich kälter, wie die Webseite Klimafakten erklärt. Global gesehen war es damals daher nicht wärmer als heute, wie mehrere Studien zeigen.
Im Unterschied zu vergangenen warmen Phasen handelt es sich bei der aktuellen Erwärmung um ein zeitgleich stattfindendes globales Phänomen, wie der Weltklimarat (IPCC) in einem Bericht von 2021 schreibt. Der aktuelle Anstieg der globalen Temperaturen vollziehe sich zudem viel schneller und drastischer als bei vergangenen natürlichen Klimaveränderungen.
Das zeigt auch eine Grafik des Deutschen Klima Konsortiums (DKK): Während sich die Temperaturen der vergangenen 10.000 Jahre, dem sogenannten Holozän, global gesehen nur langsam wandelten, ist in den letzten hundert Jahren eine Erwärmung von 1,1 Grad erfolgt. „Ein solches Temperaturniveau gab es laut den verfügbaren paläoklimatischen Daten noch nie während der vergangenen 2.000 Jahre und sehr wahrscheinlich auch nie während der gegenwärtigen Warmzeit (dem Holozän)“, heißt es dazu auf der Webseite des DKK.
Ursache der aktuellen globalen Erwärmung ist hauptsächlich der CO2-Ausstoß durch den Menschen
Steffensen vertritt heute den wissenschaftlichen Konsens, dass die globale Erwärmung auf den Einfluss des Menschen zurückgeht. Er schrieb uns auf Anfrage, dass 2004, zum Zeitpunkt des Dokumentarfillms, ein „statistisch signifikantes Signal“ für den menschengemachten Klimawandel gefehlt habe. Das sei jetzt, 20 Jahre später, nicht mehr der Fall: „Es ist statistisch klar, dass wir eine Abweichung von ‚natürlichen Schwankungen‘ haben.“ In der Vergangenheit seien CO2 und das Klima einander gefolgt, „aber das war vor der Verbrennung fossiler Brennstoffe“.
Das IPCC schreibt: „Es ist unbestritten, dass der menschliche Einfluss die Atmosphäre, die Ozeane und das Land erwärmt hat.“ Nur Klimamodellsimulationen, die menschliche und natürliche Einflüsse auf das Klima für ihre Berechnungen nutzen, stimmen mit aktuellen Messungen der globalen Durchschnittstemperatur überein. Modellsimulationen, die nur natürliche Faktoren einbeziehen, liegen deutlich unter den realen Messungen, wie folgende Grafik des IPCC zeigt.
Fazit: Die Beiträge in Sozialen Netzwerken geben einige von Steffensens Äußerungen aus dem Dokumentarfilm falsch wieder: Anders als behauptet sprach er nicht über die Entwicklung globaler, sondern lokaler Temperaturen in Grönland. Andere Angaben Steffensens sind nicht mehr aktuell, wie der Forscher uns gegenüber bestätigt. Natürliche Schwankungen des Klimas in der Vergangenheit sind kein Beleg gegen die aktuelle menschengemachte globale Erwärmung.
Redigatur: Viktor Marinov, Matthias Bau
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Studie: „Modern temperatures in central–north Greenland warmest in past millennium“, Nature, 18. Januar 2023: Link (Englisch, archiviert)
- Frequently Asked Questions: „The Earth’s Temperature Has Varied Before. How Is the Current Warming Any Different“ (FAQ 2.1), IPCC, Februar 2022: Link (archiviert, Englisch, PDF)
- „Die deutsche Klimaforschung informiert“, unter anderem herausgegeben vom Deutschen Klima Konsortium, September 2021: Link (archiviert, PDF)
- Sechster Sachstandsbericht, IPCC, 2021: Link (PDF, Englisch)
- Klimawandel 2021: Naturwissenschaftliche Grundlagen, IPCC, Februar 2022: Link (archiviert, PDF)