Gerüchtekiller

Gerüchtekiller #5: Alle sieben Jahre entstehen oder verschwinden Allergien – stimmt das?

Der Volksmund berichtet, dass alle sieben Jahre Allergien verschwinden oder neu entstehen können. Aber ist das so?

von Steffen Kutzner

Gerüchtekiller Allergie Titelbild
Allergien sollen angeblich alle sieben Jahre neu entstehen oder verschwinden können (Quelle: Photopqr / Le Telegramme / MAXPPP / Nicolas Creach / Picture Alliance)

In unserer Rubrik „Gerüchtekiller“ gehen wir hartnäckigem Halbwissen und nicht totzukriegenden Gerüchten nach. Das hier ist Nummer 5.

Die Chancen stehen gut, dass Sie heute schon einmal niesen mussten. Vielleicht wegen Hausstaub oder Pollen oder Tierhaaren. Eines von fünf Kindern und jeder dritte Erwachsene hat mindestens eine Allergie. Zum Glück können Allergien laut eines alten Gerüchts alle sieben Jahre verschwinden. Oder aber sie entstehen neu. Ist da was dran?

Wir haben Experten gefragt, die sich mit Allergien auskennen. Keiner von ihnen sagte uns, dass der Sieben-Jahres-Rhythmus existiert. Hier ein paar Zitate:

Joachim Saloga, Sprecher des Allergie-Zentrums Rheinland-Pfalz und Leitender Oberarzt einer Hautklinik: „Es gibt zwar Altersklassen, in den typischerweise bestimmte allergische Krankheiten wie Nahrungsmittelallergie, ‚Heuschnupfen‘ oder allergisches Asthma entstehen, dies folgt aber keinen Zyklen. […] Einen Sieben-Jahres-Rhythmus kann ich im Immunsystem und bei Allergien nicht erkennen.“

Allergologe Albrecht Bufe: „Ich konnte in der wissenschaftlichen Literatur und in der Praxis bis zum heutigen Tage einen solchen Rhythmus nicht finden oder beobachten.“

Zyklen, mit denen Allergien entstehen oder verschwinden, gibt’s also nicht. Die Sache mit den sieben Jahren ist eine Erfindung. Aber von wem eigentlich? 

Sieben-Jahres-Rhythmus ist Unsinn – und hat mutmaßlich esoterischen Ursprung 

Nun wird die Geschichte doch noch etwas länger. Das Gerücht mit den „sieben Jahren“ erinnert an die Thesen des Mannes, der auch die Waldorf-Kindergärten erfunden hat. Er heißt Rudolf Steiner und gilt als Begründer der Anthroposophie. Das ist laut Religionsforscher Ansgar Martins „eine Form der Esoterik. Sie behauptet, dass im All und in den Menschen übersinnliche Kräfte, Geister und Engel wirksam seien.“ Das erklärte er im Januar 2024 in einem Interview mit dem Fluter, dem Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung.

Steiner und seine Lehren werden häufig kritisiert, zum Beispiel weil Krankheiten auf schlechtes Karma aus einem früheren Leben geschoben werden und wegen rassistischer Ansichten. Ein solcher Kritiker ist auch André Sebastiani. Er hat Lehramt studiert und ein Buch über Anthroposophie veröffentlicht. Er erklärte uns: „Menschen entwickeln sich nach der Jahrsiebtelehre von Rudolf Steiner in siebenjährigen Entwicklungsstufen.“ Zwischen 0 und 7 Jahren sei man zum Beispiel im „physischen Leib“, in dem man die Sinne ausbildet und körperlich heranreift. Zwischen 7 und 14 sei man dann im „Ätherleib“, in dem man das Gedächtnis und die Lebensenergie entwickelt. Und so weiter.

Jetzt wird es noch länger. Hartmut Hombrecher, Literaturforscher an der Uni Göttingen, schrieb uns dazu als Kontext, dass der Mythos vom Sieben-Jahres-Zyklus nicht ursächlich auf Steiner zurückgehe, sondern viel älter sei. Die Anthroposophie beziehe sich auf die Frühe Neuzeit, konkret etwa das 16. oder 17. Jahrhundert. Damals dachte man, so Hombrecher, „dass alle sieben Jahre ein Stufenjahr oder annus climactericus in einem Menschenleben vorkomme, ein durch die Verbindung von Mikrokosmos und Makrokosmos bedingtes Jahr von einschneidenden Ereignissen“. 

Zum ersten Mal auf kam das Narrativ vom Sieben-Jahres-Zyklus aber auch damals nicht: Laut Hombrecher ist der Ursprung nicht ganz klar, gehe aber bis in die antike Philosophie zurück.

Egal, wo die Theorie herkommt, wichtig ist, wie Sebastiani schreibt: „Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Lehre problematisch, da sie auf esoterischen Annahmen ohne empirische Grundlage basiert. Die starre Einteilung des Lebens in Sieben-Jahres-Zyklen hat keinen wissenschaftlich belegten Wert und ignoriert die Individualität der menschlichen Entwicklung.“ 

Zellen erneuern sich unterschiedlich schnell, daher ist ein fester Allergie-Zyklus abwegig

Und genau darauf kommt es an! Jeder menschliche Körper entwickelt sich anders. Oder, wie der Allergologe Albrecht Bufe abschließend erklärt: Dass Allergien sich alle sieben Jahre entwickeln oder zurückbilden, ist „komplett unwahrscheinlich“, weil sich verschiedene Arten von Zellen unterschiedlich schnell bilden.

Vereinfacht gesagt: Sieben Jahre warten, bis die Allergie weggeht, hilft nichts. Wer Heuschnupfen oder eine Allergie gegen Nüsse oder Tierhaare hat, hat einfach Pech. Und die armen Leute, die gegen Wassermelone allergisch sind, werden nicht in sieben Jahren gemeinsam mit anderen kalte Wassermelone essen können.

Es gibt aber einen ganz kleinen Hoffnungsschimmer: Allergien können sich laut Albrecht Bufe trotzdem irgendwann zurückbilden! Ursache dafür könnte etwa eine Virus-Erkrankung sein, Krebs, oder eine Umstellung des Hormonhaushalts, zum Beispiel bei der Pubertät oder in der Schwangerschaft. Wobei: Schwangerschaft und Pubertät können eine Allergie auch verstärken – eine Garantie ist das also nicht.

Redigatur: Gabriele Scherndl, Alice Echtermann

Update, 29.08.2024: Wir haben nach einem entsprechenden Hinweis einen Teil dazu ergänzt, wie weit die Sieben-Jahres-Theorie zurückreicht.

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