
Justus von Daniels
Chefredakteur
Auf der Frankfurter Buchmesse, die noch läuft, sind wir ja mit mehreren neuen Büchern vertreten. In dem Buch „Europas Brandstifter“ fassen wir die Strategien Putins zusammen, wie sein Regime den Westen gezielt destabilisieren will. Mit Desinformation und Propaganda gelingt ihm das leider schon sehr gut. Auch die extremistischen Parteien werden vom Kreml unterstützt. So entsteht ein Kreislauf, der sich gegenseitig verstärkt.
In dem Buch sind viele unserer Recherchen zum Thema zusammengefasst, die von den Anfängen Putins in Dresden bis zur Verstrickung der Gazprom-Lobby in Deutschland reichen. Es zeigt, auf welchen Ebenen das Gift schleichend in der Gesellschaft seine Wirkung entfaltet.
Es ist in der Tat schwer, sich dagegen zu immunisieren, gerade weil diese Propaganda nicht offensichtlich ist. Und dennoch bin ich oft genug erstaunt, mit welcher Leichtgläubigkeit bestimmte Inhalte, die offensichtlich keinen realen Kern haben, weitergeleitet oder geteilt werden. Dieser leichtfertige Umgang ist es, den das Putin-Regime gezielt ausnutzt. Weil es genau weiß, dass Gerüchte hängen bleiben, fast egal ob sie im Nachhinein widerlegt werden.
Vor wenigen Tagen haben wir eine Recherche über einen Mitarbeiter im Bundestag veröffentlicht, der sich offen mit einem Putin-Ideologen brüstet. Der stolz war, noch nach Ausbruch des Angriffskriegs gegen die Ukraine auf einer Konferenz dieses Ideologen gesprochen zu haben. Die Abgeordnete des BSW, bei der er angestellt war, kündigte nun das Arbeitsverhältnis. Wir hatten sie mit unseren Ergebnissen konfrontiert. Diese Ideologie frisst sich also auch in unseren politischen Betrieb.
Meine Kollegin Shammi Haque gibt Ihnen am Ende des Spotlights einen Einblick hinter die Kulissen unserer Recherche. Ich wünsche Ihnen ein erholsames Wochenende und lesen Sie gern unsere kuratierten Empfehlungen der Woche.

Recherchen der Woche
Chinas Panda-Fabriken
In den 90er Jahren begann China damit, Pandas zur Aufzucht in ausländische Zoos zu schicken. Ein Ziel: Künftige Generationen sollten wieder in die Wildnis entlassen und die bedrohte Tierart so gerettet werden. Eine Recherche der New York Times zeigt jedoch: Das Programm hat diese Ziele nur mit Mühe und oft gar nicht erreicht. China habe heute mehr Pandas aus der Wildnis entnommen als wieder ausgewildert. Keines der in amerikanischen oder europäischen Zoos geborenen Jungtiere oder deren Nachkommen seien jemals freigelassen worden. Die Zoos erhielten Aufmerksamkeit und Besucher – die chinesischen Züchter Geldprämien für jedes Jungtier.
The Panda Factories (nytimes.com, englisch)
Kohleregion im Wandel
Die Lausitz und ihre Menschen haben schon viele Veränderungen erlebt: Der Braunkohleabbau führte zu Wohlstand und einer regionalen Identität über Generationen hinweg. Spätestens mit der Wende begann der Wandel. Es folgte der Kohleausstieg und seitdem muss sich eine ganze Region neu definieren. Die Regisseurin Britt Beyer begleitet in ihrem Dokumentarfilm „Auf der Kippe“ mehrere Menschen, die unterschiedliche Perspektiven zum „Strukturwandel“ einbringen. Auch CORRECTIV war in diesem Jahr mit zahlreichen Menschen aus der Lausitz im Gespräch, nachdem unsere Klimaredaktion offengelegt hatte, wie der Kohlekonzern Leag das Trinkwasser gefährdet. Die Ergebnisse der Recherche werden seitdem am Staatstheater Cottbus inszeniert und kontrovers mit Betroffenen und der Politik diskutiert. Die nächste Aufführung findet am 24.10.2024 statt.
Auf der Kippe (3sat.de, Video)
Lebenslüge der deutschen Energiepolitik
Die Erzählung vom sauberen Gas hält sich hartnäckig. Blickt man zurück auf die vergangenen 50 Jahre, so fügen sich die Geschichten vom sauberen, sicheren und grünen Gas zusammen zu einer Art Lebenslüge der deutschen Energiepolitik. Auch die Bundesregierung setzt auf den fossilen Energieträger – als Brückentechnologie, bis es genug Sonnen- und Windkraftanlagen gibt. Doch Zeit Online zeigt einmal mehr, warum die Geschichte vom sauberen Gas haltlos ist und wie Lobbyverbände und Gasunternehmen mit dieser Erzählung um ihr Überleben kämpfen. In der Vergangenheit hat auch CORRECTIV gezeigt, wie Gasunternehmen mit der Lüge vom Ökogas das Narrativ vom klimafreundlichen Erdgas verbreiten. Mit fatalen Folgen: Denn statt ihr Versprechen einzulösen, täuschen Unternehmen damit Kunden und heizen die Klimakrise weiter an.
Die Gaslüge (zeit.de, €)
Vorschlag für mehr Organspenden
Deutschland fehlt es an Organspenden. Einen aktuellen Vorschlag gab es von der FDP: Statt des schwer feststellbaren Hirntods solle nun auch der Herztod als Voraussetzung gelten, um Leber, Lungen oder andere Organe entnehmen zu dürfen. Der Tod nach einem anhaltenden Kreislaufstillstand sei mit dem Hirntod gleichzusetzen, so der gesundheitspolitische Sprecher der FDP und Mediziner Andrew Ullmann. Kritiker unterstellen der FDP Stimmenfang vor der Bundestagswahl. Bundesgesundheitsminister Lauterbach plädiert weiterhin für das Verfahren der Feststellung des Hirntodes und wirbt für die Widerspruchslösung als Lösung des Problems.
Vorstoß der FDP: Organspende auch nach Herz-Kreislauf-Stillstand? (tagesspiegel.de)
AfD-Werber hat Hitler und SS als Vorbild
Erik Ahrens ist der Experte der Neuen Rechten und machte die Tiktok-Auftritte für den AfD-Spitzenkandidaten Maximilian Krah. Neue Recherchen von Guardian, Spiegel und Standard zeigen geheime Aufnahmen, in denen Ahrens die SS als Vorbild feiert und sich als Teil eines rassistischen Netzwerkes darstellt. Ahrens war auch Teilnehmer der Veranstaltung in Potsdam, auf der der rechtsextreme Chefideologe der Identitären Bewegung, Martin Sellner, die „Remigration“ von Millionen von Menschen, auch für „nicht assimilierte Staatsbürger“, über „maßgeschneiderte Gesetze“ und „Anpassungsdruck“ als „Jahrzehnteprojekt“ vorstellte, wie CORRECTIV Anfang des Jahres zeigte. Der Veranstalter hatte das Potsdam-Treffen mit der Warnung eröffnet, dass „Remigration“ darüber entscheide, „ob wir als Volk im Abendland noch überleben oder nicht“. Das war damals alles andere als harmlos. In diesem Video nun ist das rechtsextremistische Weltbild von Ahrens ganz offen zu sehen.
Hitlers SS als Vorbild: Undercover-Videos enthüllen Pläne von AfD-nahem Influencer (standard.at)
Die 128 Szenarien zur US-Wahl
Der Ausgang der US-Wahl im November hängt maßgeblich von den Ergebnissen in den sieben sogenannten „Swing-States“ – Bundesstaaten, in denen sowohl Demokraten, als auch Replubikaner eine Chance auf den Wahlsieg haben – ab. Die übrigen Staaten können mit großer Wahrscheinlichkeit schon auf Grundlage der Umfragen zugeordnet werden. Die Zeit hat ein Tool gebaut, in dem Sie die unterschiedlichen Szenarien und Konstellationen des Wahltags simulieren können.
Diese 128 Wege führen ins Weiße Haus. Der Swing-States-Rechner (zeit.de, €)
Shammi Haque
Investigativreporterin für neue Methoden
Wann haben Sie das letzte Mal gepuzzelt? Jedes Puzzleteil muss am richtigen Platz liegen, damit das gesamte Bild zu erkennen ist. Genau das haben wir die letzten Wochen gemacht, und das Ergebnis ist alarmierend: Die BSW-Bundestagsabgeordnete Zaklin Nastic beschäftigt einen serbisch-deutschen Nationalisten als Mitarbeiter – sein Name: Andreja Lovic. In unserer Recherche zeigen wir, dass er Kontakte zu russischen Nationalisten mit Draht in den Kreml pflegt. Das ist eine Gefahr für die deutsche Sicherheitspolitik: Nastic sitzt im streng vertraulichen Verteidigungsausschuss des Bundestags. Über Ihren Mitarbeiter könnten so geheime Informationen an Russland gelangen.
In dieser Recherche haben wir viele Informationen durch die OSINT-Methode bekommen.
Open-Source-Intelligence (OSINT) ist ein Prozess des Sammelns und Analysierens öffentlich zugänglicher Informationen: Medien, Blogs, Webseiten, soziale Medien und jede einzelne Interaktion (Like, Follow etc.) zu beobachten und zu dokumentieren.
Spannend und zugleich bizarr war die Reaktion von Zaklin Nastic. Nur etwa zwei Stunden nach unserer Anfrage wurde der Name ihres Mitarbeiters von ihrer Website entfernt. Ihre offizielle Antwort auf unsere ausführliche Anfrage fiel kurz aus: Lovic sei zum Ende Oktober gekündigt worden. Weiter möchte sie sich nicht zu Mitarbeiterangelegenheiten äußern.
Auch wenn Lovic nun nicht mehr im Bundestag arbeitet, sitzt seine ehemalige Chefin weiter im Verteidigungsausschuss mit Zugriff auf geheime Dokumente. Wir bleiben dran!
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