Kampf um Wasser

Kohlekonzern Leag: Geheimsache Wasser

Das Schweigen ist beispiellos. Einer der größten Kohlekonzerne Deutschlands gefährdet das Trinkwasser, aber es passiert: nichts. Kommunen haben Schweigeklauseln mit der Leag vereinbart, Rechtsbrüche überfordern Behörden. Unsere Recherchen haben ein strukturelles Versagen offengelegt. Sie führen nun dazu, dass sich zaghaft Widerstand regt.

von Annika Joeres , Katarina Huth , Elena Kolb

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Kohle-Riese Leag nutzt in der Lausitz weit mehr Wasser als die Fabrik von Tesla (Bild: Andreas Franke / picture alliance)

Seit einem Jahr recherchiert CORRECTIV zum Braunkohlebergbau in der Lausitz und der dort drohenden Wassernot. Selten verschlossen sich bei Recherchen so viele Türen schon nach der ersten Anfrage. Gespräche wurden zunächst vereinbart und dann wieder abgesagt, Anrufe nicht mehr angenommen. Dabei ist das Thema buchstäblich überlebenswichtig: Kein Konzern schadet dem Trinkwasser im Osten Deutschlands so wie der Bergbaukonzern Leag und seine Vorgänger. 

Es geht um vier Milliarden Kubikmeter Grundwasser, die in den trockensten Bundesländern fehlen. Eine unvorstellbare Menge. Festzuhalten ist in jedem Fall: Die Trinkwasserversorgung in Brandenburg, Berlin und Sachsen ist durch den Lausitzer Bergbau gefährdet. 

Doch rund um die Leag herrscht ein beispielloses Schweigen. Daten über Trinkwasser, politische Beschlüsse und Absprachen sind geheim. Es wird hinter verschlossenen Türen verhandelt. Und kaum jemand nimmt davon Notiz. Die Bilder von RWE-Schaufelbaggern vor dem rheinischen Dorf Lützerath in Nordrhein-Westfalen gingen um die Welt. Die Klimaaktivisten im Hambacher Forst wurden deutschlandweit diskutiert. Doch das Kohlegeschäft in der Lausitz ist nur selten ein Thema, obwohl dort ähnlich viele Tonnen klimaschädliche Kohle aus dem Boden geholt werden wie im Rheinland. 

Wie oft haben Sie schon über den Wasserverbrauch der Tesla-Fabrik gelesen, die derselben trockenen Region das Wasser entzieht wie die Leag? Der Kohlekonzern nutzt mehrere Dutzend Mal soviel Wasser wie die E-Autofabrik, aber auch dies wird kaum diskutiert. Selbst das Berliner Umweltministerium, das vor wenigen Monaten noch eine „Nationale Wasserstrategie“ publizierte, will sich zu Rechtsbrüchen des größten Wassernutzers Brandenburgs nicht äußern. 

Doch andere sind inzwischen alarmiert. Die grüne Bundestagsfraktion und auch der deutsche Spitzenverband der Wasserwirtschaft äußern sich aufgrund unserer Recherchen nun schockiert. Gleichzeitig melden sich viele Bürgerinnen und Bürger bei CORRECTIV. „Als Jänschwalder, der mit fehlendem Grundwasser und Baggerlärm auskommen muss, ist es sehr befriedigend zu sehen, dass diese Probleme endlich aufgegriffen werden“, schreibt uns ein Leser. Ein Theaterstück, das auf Grundlage unserer Recherchen entstand, ist die meistbesuchte Aufführung in den Kammerspielen des Staatstheaters Cottbus und über Monate hinweg ausverkauft. All dies beweist: Es wird Zeit, das Schweigen zu brechen. 

Wir fassen die wichtigsten Erkenntnisse der bisherigen Recherchen zusammen: 

Bedrohtes Trinkwasser: Das Schweigen der Städte und Wasserverbände 

Die Verschwiegenheit über die riesigen Probleme des Braunkohletagebaus wird in Brandenburg und Sachsen sogar vertraglich besiegelt: Dass die Leag mit Städten Schweigeklauseln vereinbart, liefert eine Erklärung dafür, warum so wenig Kritik an dem Konzern öffentlich wird. CORRECTIV liegen Hinweise vor, dass solche Vereinbarungen in der ganzen Region getroffen werden. Unter anderem in Frankfurt (Oder). Die Stadt und ihre Wassergesellschaft FWA waren lange Zeit die einzigen, die sich öffentlich mit der Leag anlegten – bis sie einwilligten, sich künftig nicht mehr kritisch zu den Folgen des Bergbaus auf die Trinkwasserversorgung zu äußern. Im Gegenzug zahlte die Leag ihnen fünf Millionen Euro für den Ausbau eines alten Wasserwerks. In dem CORRECTIV vorliegenden Dokument heißt es: 

„Frankfurt an der Oder (FFO) und FWA werden ab der Unterzeichnung dieser Vereinbarung keine öffentlichen Verlautbarungen mehr abgegeben, die bei Dritten den Eindruck erwecken können, dass durch die Vorhaben der LEAG oder ihrer Schwestergesellschaften die Trinkwasserversorgung im Versorgungsgebiet der FFO und FWA erschwert oder gefährdet werden könnte.“

Die oft finanzschwachen Kommunen und Wasserverbände stehen einem mächtigen Weltkonzern gegenüber. Der ihnen in einer Notsituation Geld bietet und sich gleichzeitig Schweigen zusichern lässt. Dabei sind sie die ersten, die mit verschmutztem Wasser zurechtkommen müssen, die ersten, die es in trockenen Zeiten rationieren müssen, wie schon der Wasserverband Strausberg-Erkner. Aber sie beschweren sich selten öffentlich. Auf unsere CORRECTIV-Anfrage, inwiefern der Kohleabbau ihre Trinkwasserqualität beeinträchtigt habe, bekamen wir nur drei magere Antworten – von rund vierzig angeschriebenen Kommunen und Verbänden. 

Die gesamte Recherche lesen Sie hier: „Verschmutztes Wasser: Kohlekonzern zahlt Schweigegeld“

Rechtsbrüche: Das Schweigen der Kontrollbehörden

Eine weitere Überraschung: Die entscheidende Kontrollbehörde des Kohlekonzerns, das Landesamt für Bergbau, Geologie und Rohstoffe Brandenburg (LBGR) in Cottbus, sieht sich offenbar außerstande, ihre Aufgabe zu erfüllen. Der LBGR-Präsident Sebastian Fritze räumte gegenüber CORRECTIV ein: „Die Modelle der Leag für das Grund- und Oberflächenwasser können wir nicht prüfen“. Dafür fehle das nötige Personal. Gegenüber dem wichtigsten Arbeitgeber der Region müsse man ein „gewisses Vertrauen haben“.  

Davon hört man im brandenburgischen Wirtschaftsministerium offenbar nicht zum ersten Mal: „Das Ministerium hat das Problem der organisatorischen und personell adäquaten Aufstellung des LBGR bereits 2019 erkannt“, schreibt es auf Anfrage. Seit 2019 seien dort 36 neue Stellen geschaffen worden. 

Doch auch mit den neuen Stellen scheint das Problem nicht gelöst: Weiterhin entnimmt die Leag unerlaubt viel Wasser und bricht damit Recht. Eine Industrie, die das Land seit Jahrzehnten verändert und sein Trinkwasser gefährdet, wirtschaftet so nahezu unter dem öffentlichen Radar. Eine Folge: Die Leag entnahm jahrelang am Tagebau Jänschwalde bei Cottbus viermal so viel Wasser wie ursprünglich genehmigt. Und niemand schritt ein. „Wir haben keine Wahl: Wir können die aktuelle Wasserentnahme nicht stoppen. Es besteht sonst die Gefahr, dass die Grube zusammenfällt“, sagt LBGR-Leiter Fritze. 

Nach unserer Recherche äußert sich nun der deutsche Spitzenverband der Wasserwirtschaft – die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DAW) grundsätzlich zum Thema Wasserentnahme. „Wer ohne Erlaubnis oder Bewilligung Wasser entnimmt, handelt nach dem Wasserhaushaltsgesetz mindestens ordnungswidrig“, schreibt ihr Sprecher Stefan Bröker auf CORRECTIV-Anfrage. „Grundwasserentnahmen ohne Erlaubnis gilt es zu beenden.“ Auch für den Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Jan-Niclas Gesenhues, sind die fortgesetzten Rechtsbrüche nicht mehr hinnehmbar. „Wir brauchen eine Bund-Länder-Verständigung darüber, wie Umweltbehörden besser mit Personal ausgestattet werden können.“ Der Bund sollte hier personell und finanziell unterstützen. In Zukunft müsse man genau wissen, wann, wo und in welcher Menge Wasser entnommen wird.

Die gesamte Recherche lesen Sie hier: „Alles für die Kohle: Wie ein Konzern unser Wasser abgräbt“ 

Forschung zur Wassernot: Das Schweigen der Fachleute

Bemerkenswert bei unseren Recherchen ist auch, wie wenige unabhängige Wasser-Fachleute in der Lausitz prüfen. Die Forschung dort wird ihnen schwer gemacht: Zahlreiche Informationen und Daten seien offenbar aufgrund der politischen Brisanz des Themas nicht öffentlich zugänglich, sagt der Bayreuther Hydrologe Sven Frei. Er kam unvoreingenommen in die Lausitz – und wurde von dem Datenmonopol überrascht: Analysiert werden die zukunftsweisenden Daten nur von einer Handvoll Wissenschaftler – viele von ihnen sind oder waren zugleich für die Leag als Gutachter tätig. Ein handfester Interessenkonflikt, den sonst niemand duldet: Beispielsweise dürfen Gutachter für die Pharmaindustrie nicht zugleich für staatliche, medizinische Kontrollbehörden arbeiten. In der Lausitz aber ist das üblich: Gutachten für die Leag zu schreiben – und für die Ämter, die sie kontrollieren. Dabei müssten Fachleute Alarm schlagen über die dramatischen Folgen des Bergbaus für die Lausitz. Der Konzern habe den Grundwasserhaushalt „schwerst zerstört“, sagt selbst die brandenburgische Landesregierung. 

Die Reaktionen des Bundes auf die drohende Wassernot in der Lausitz sind quälend langsam. Man wolle sich an der Finanzierung eines Grundwassermodells für die Lausitz beteiligen, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium des Bundes. Mit dem neun Millionen Euro schweren Auftrag soll ein Überblick geschaffen werden, wie viel Grundwasser da ist und wofür es genutzt werden kann. Das Modell befindet sich momentan noch in der Vorbereitung, es sind bisher keine Stellen dafür ausgeschrieben. Und fertig wird es voraussichtlich erst 2027. 

Kosten des Bergbaus: Das Schweigen der Landesregierungen

Ein ganzes Bündel an geheimen Dokumenten verdunkelt die Zukunft der Leag-Regionen: Es geht darum, wer in Zukunft für die bergbaugeschädigte Region zahlen muss. Eigentlich, so sieht es das Bergbaugesetz vor, muss der Verursacher zahlen, also die Leag. Aber falls die Bergbau-Sparte des tschechischen Eigentümers der Leag insolvent gehen sollte – was Fachleute für wahrscheinlich halten, muss der Bund zahlen. Mit dem Ergebnis, dass Bürgerinnen und Bürger möglicherweise bis ins nächste Jahrhundert hinein für haltlose Uferböschungen, sinkende Böden, instabile Gebäude, Wassermangel und verunreinigtes Trinkwasser geradestehen müssen. 

Über die drohende Insolvenz will das Brandenburger Wirtschaftsministerium hingegen nicht einmal reden. Das Land beteilige sich nicht an Spekulationen über die Insolvenz von in Brandenburg ansässigen Unternehmen, schreibt es auf CORRECTIV-Anfrage. 

Geheim ist auch, wie die staatliche Entschädigung von 1,7 Milliarden Euro berechnet wurde, die an die Leag gehen soll. Sie wurden dem Konzern 2020 zugesagt, weil die Bundesregierung den Kohleausstieg bis 2038 beschlossen hatte. CORRECTIV hatte bereits aufgedeckt, dass eine geheim gehaltene Berechnung den Konzern vermutlich bevorteilt – und die Entschädigung aus Steuergeldern für das Ende einer immer teurer werdenden Energie viel zu hoch sein dürfte.

Die Entschädigungen fließen, so schreibt es die Leag selbst in einer aktuellen Pressemitteilung, „in die Vorsorgegesellschaften zur weiteren finanziellen Absicherung der Wiedernutzbarmachung“ der Lausitz. Klingt kompliziert, bedeutet aber: Die Leag verlässt sich für die Wiedergutmachung der selbst verantworteten Schäden auf staatliche Hilfen. 

Vielleicht kommen diese aber gar nicht. Vor wenigen Tagen erst hatte die Kommission der Europäischen Union (EU) Entschädigungen für den Braunkohlekonzern RWE genehmigt – und über die Milliarden Euro für die Leag geschwiegen. Die Zahlung an den ostdeutschen Kohlekonzern wird in Brüssel momentan noch auf ihre Verhältnismäßigkeit geprüft. Die Leag brauche nun endlich Sicherheit, sagte daraufhin der Wirtschaftsminister von Brandenburg, Jörg Steinbach (SPD), bei einer Pressekonferenz in Potsdam. Auch dies eine bemerkenswerte Analyse: Wieso besteht ein Ministerpräsident darauf, möglicherweise zu hohe Entschädigungen zahlen zu dürfen – aus Steuergeldern? Vielleicht, weil auch er dem Unternehmen nahe steht. Der parteilose Chemiker war Mitglied des LEAG-Aufsichtsrats, bevor er 2018 an die Spitze des Brandenburger Ministeriums berufen wurde.

Die gesamte Recherche lesen Sie hier: „Wie die Bundesregierung Milliarden für den Kohleausstieg hochrechnete“ 

Der größte Hebel, um die Zerstörung des Wasserhaushaltes in der Lausitz aufzuhalten, wäre ein früherer Kohleausstieg. Während für den RWE-Tagebau im Ruhrgebiet das Ende für 2030 schon beschlossen ist, darf die Leag noch bis 2038 in der Lausitz Kohle fördern. Und das, obwohl Braunkohle zu den klimaschädlichsten Energieträgern gehört.