Liebe Leserinnen und Leser,
gestern kam man in Sozialen Netzwerken kaum an einem Bild vorbei: dem einer Pyramide, die dafür steht, wie die FDP gezielt den Bruch der Ampelkoalition vorbereitete. Aus diesem Anlass schauen wir uns im Thema des Tages an, wofür die FDP ursprünglich mal stand, wofür sie heute steht und ob/warum die Demokratie eine liberale Partei noch braucht.
Was denken Sie: Was müsste die FDP tun, um wieder relevanter zu werden? Schreiben sie mir: anette.dowideit@correctiv.org
Außerdem im Spotlight: In der Rubrik „Leserfrage der Woche“ beantwortet Klimareporterin Gesa Steeger, ob es stimmt, dass fossile Brennstoffe weltweit noch immer in Höhe von sieben Billionen Dollar subventioniert werden. Und: In der Schweiz starten wir von CORRECTIV eine neue Bürgerbeteiligungs-Recherche – zur Frage, wo man im Alltag an Barrieren stößt. Morgen geht es im Samstags-Spotlight darum, welche Rolle Russlands Krieg in der Ukraine mit unserem Bundestags-Wahlkampf zu tun haben dürfte.
Hier noch eine Empfehlung: Wir haben heute ein Kurzvideo veröffentlicht, in dem wir erklären, warum so viele Haushalte immer noch mit klimaschädlichem Erdgas heizen müssen – und was das mit Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik zu tun hat.
Thema des Tages: Brauchen wir die FDP noch?
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
Leserfrage der Woche: Öl und Gas mit sieben Billionen Dollar subventioniert?
Faktencheck: Angeblicher Bauernprotest in Berlin
CORRECTIV-Werkbank: Barrieren in der Schweiz
Grafik des Tages: Wer schon vorher Türchen im Weihnachskalender öffnet
Wochenlang war es ein Gerücht, jetzt ist es bewiesen: Die FDP bereitete das Zerbrechen der Ampel-Koalition gezielt vor. Wie genau, stand gestern in diversen Medien (zum Beispiel hier). Heute dann veröffentlichte die Partei ihren Plan, den sie selbst „D-Day-Papier“ nannte, selbst. Hier ist das Dokument einzusehen.
D steht für Decision, also Entscheidung, und der Begriff wurde ursprünglich für die Landung der Alliierten in der Normandie im Zweiten Weltkrieg verwendet – die die Wende im Krieg einläutete. Und es wurde noch schlimmer im FDP-Papier. Da war da diese Grafik mit der Pyramide, die den Ablaufplan für den Koalitionsbruch zeigte. Als letzter Punkt steht dort „Beginn der offenen Feldschlacht“.
Warum die Kriegsrhetorik? Das regte viele im Land zurecht auf (abgesehen davon, dass man bei der FDP offenbar nicht weiß, dass man eine Pyramide von unten zu bauen beginnt, nicht von oben – siehe hierzu die lustigsten Veralberungen zum Pyramiden-Gate). Heute trat deshalb der Generalsekretär der Partei zurück, Bijan Djir-Sarai. Aus diesem Anlass gibt es hier heute Fragen und Antworten darauf, wofür die FDP ursprünglich stand und was daraus wurde.
Warum sich die Partei gründete:
Das geschah kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, 1948 – um CDU und CSU eine politische Kraft entgegenzusetzen, die unabhängig vom Einfluss der Kirche war (nachzulesen bei der Bundeszentrale für politische Bildung).
Weshalb eine Demokratie eine liberale Partei brauchte:
Den Gründungsmitgliedern der FDP ging es unter anderem um die Freiheit des Geistes, der Wissenschaften, der Marktwirtschaft – und sie glaubten daran, dass es dafür starke, unternehmerisch tätige Bürgerinnen und Bürger brauche, anstatt dass der Staat alles für die Leute regelt.
Das ist der Grund, warum die FDP zumindest traditionell ein wichtiges Gegengewicht zum Beispiel zur SPD bildete, die tendenziell dafür stand, Geld von Reich nach Arm umzuverteilen. Denn: Der Bürgerschaft beziehungsweise den Unternehmern ihr erwirtschaftetes Geld zum Teil abzunehmen, so die Logik, nimmt ihnen Motivation und Handlungsfreiheit.
Was daraus wurde:
Heute wird die FDP von vielen, die sie kritisch sehen, als Partei betrachtet, die ausschließlich Klientel-Politik für gut betuchte Leute macht. Die Freiheitsrechte, die eigentlich in ihrer DNA liegen, werden von vielen kaum noch wahrgenommen. Spätestens jetzt hat sie sich zusätzlich den Ruf als Dagegen-Partei erworben, die politischen Fortschritt verhindere.
Wie sich Relevanz zurückgewinnen ließe:
Das jüngste Beispiel, das zeigt, wie die Partei unter Christian Lindner die Chance verspielt, demokratisch relevant zu sein und für das wahrgenommen zu werden, was sie eigentlich mal wollte, ist das Abtreibungsrecht.
Vor gut zwei Wochen (wir berichteten im Spotlight) taten sich Abgeordnete mehrerer Parteien – auch der FDP – zusammen, um dafür zu sorgen, dass noch vor der Bundestagswahl Schwangerschaftsabbrüche legalisiert werden. Ausgerechnet Parteichef Lindner, der diesen Kurs anführen könnte, stellte sich aber dagegen, er fand die Legalisierung demnach unnötig.
Würde sich die Parteispitze entschieden für Freiheitsrechte einsetzen, auch abseits marktwirtschaftlicher Themen, könnte sie beweisen, dass sie weiter für die Demokratie relevant ist.
Proteste in Georgien
In der Hauptstadt Tiflis kam es zu schweren Ausschreitungen, weil die nationalkonservative Regierung Georgiens die EU-Beitrittsgespräche auf Eis legen will.
dw.com
Wirecard-Skandal
Der flüchtige Ex-Wirecard-Manager und russische Agent Jan Marsalek soll IT-Spezialisten beauftragt haben, für Russland zu spionieren.
n-tv.de
Jugendschutz
Australien hat ein Gesetz verabschiedet, das Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren verbietet, Social Media-Plattformen zu nutzen. Die genaue Umsetzung ist noch unklar.
tagesspiegel.de
Investigativ
Nachrichten mitlesen, den Standort überwachen, intime Kontrolle ausüben – Spyware wie Mspy dringt in die Privatsphäre ein. Ein Datenleck zeigt: Rund 2.500 Personen in der Schweiz sind betroffen.
youtube.com (Video, schweizerdeutsch mit deutschen Untertiteln)
Leserfrage der Woche
Hubertus L. aus Hamburg hat uns gefragt:
„Stimmt es, dass Öl und Gas mit sieben Billionen Dollar subventioniert werden? Warum müssen sie überhaupt subventioniert werden?“
Klimareporterin Gesa Steeger antwortet: Die Zahl sieben Billionen bezieht sich auf Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) für das Jahr 2022 und beziffert die Hohe der weltweiten Subventionen für fossile Brennstoffe.
Zu den fossilen Subventionen in Deutschland zählt unter anderem das Dienstwagenprivileg, das indirekt dazu führt, dass weiterhin fossile Brennstoffe verbraucht werden. Eine weitere solcher Subventionen bei uns sind Steuererleichterungen zum Beispiel für Agrardiesel oder Kerosin.
Die Idee hinter diesen Subventionen: Bestimmte Wirtschaftszweige sollen gefördert oder entlastet werden. Das Problem: Wirksamer Klimaschutz wird damit unterbunden. Laut einer Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) könnten durch eine Reform der zehn klimaschädlichsten Subventionen in Deutschland fast 100 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden.
Ein Tiktok-Video erweckt den Eindruck, dass es am 23. November 2024 einen großen „Bauernprotest“ auf der Straße des 17. Juni in Berlin gab. Das stimmt nicht, das Video ist veraltet.
CORRECTIV.Faktencheck
Endlich verständlich
Superreiche bezahlen oft weniger Steuern auf ihr Einkommen, als die im Reichensteuersatz vorgesehenen 45 Prozent. Wie kann das sein?
zdf.de
So geht’s auch
Der Wirkstoff Lenacapavir schützt effektiv vor Infektionen mit HIV – einziges Manko: der Impfstoff ist noch sehr teuer.
mdr.de
Fundstück
Die erste internationale Konferenz zu Umweltproblemen fand bereits 1972 statt – dieser Artikel wirft den Blick auf eine vergangene Konferenz, die sich vorwiegend doch um den kalten Krieg drehte.
monde-diplomatique.de
Ich sitze gerade im Zug nach Luzern. Heute veranstalten wir dort unsere erste Pop-up-Redaktion in der Innenstadt. Das Ziel: Herauszufinden, wo Menschen in der Schweiz Barrieren in ihrem Alltag vorfinden.
In der Stadt Luzern zum Beispiel liegen viele Bars unter der Erde und sind nur über eine steile Treppe erreichbar. Eine Vertreterin einer Organisation, die sich für Menschen im Rollstuhl einsetzt, erzählte mir, wie schade es sei, dass so viele Bars für sie nicht erreichbar sind. Sie würde auch gerne abends ausgehen und am Nachtleben teilhaben.
Das ist nur eine von vielen Geschichten, die wir sammeln werden, wenn wir die Schweizer Bevölkerung mittels CrowdNewsroom fragen: „Achtung Barriere! Wo wird dir das Leben erschwert?“
Falls Sie in der Schweiz wohnen, nehmen Sie doch auch teil. Mehr Infos finden Sie auf unserer Projektseite.
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Till Eckert, Sebastian Haupt, Elena Schipfer, Finn Schöneck
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