Nicht in allen US-Bundesstaaten brauchen Wähler einen Ausweis für die Wahl – Betrug belegt das nicht
Schon vor der Präsidentschaftswahl in den USA kursierten Beiträge darüber, dass man in manchen Bundesstaaten auch ohne Ausweis zur Wahl gehen kann. Das ist kein Beleg für Wahlbetrug.
Schon Tage und Wochen vor der US-Präsidentschaftswahl am 5. November kursierten in Sozialen Netzwerken Falschbehauptungen und Gerüchte. Ab Ende Oktober wiesen mehrere bekannten Desinformations-Verbreiter, darauf hin, dass in manchen Bundesstaaten ohne Ausweis gewählt werden könne. Georg Pazderski, ehemaliger Politiker der AfD, zufolge erleichtere das Wahlbetrug.
Auf X, Tiktok und Facebook erreichten Beiträge wie diese Hunderttausende. Ein Beitrag von Elon Musk dazu erreichte mehr als 120 Millionen Views. In einigen heißt es, dass es so für Nicht-Staatsbürgerinnen und -Staatsbürgern möglich sei, zu wählen, oder auch mehrfach abzustimmen.
Viele Beiträge enthalten zwei Karten: Eine, die die Ausweisregeln bei US-Wahlen zeigt, und eine mit Umfrageergebnissen. Ein Vergleich der Karten soll belegen, dass in Staaten ohne Ausweisregelung überwiegend demokratisch gewählt werde.
Doch den Beiträgen fehlt Kontext und einen Betrug belegen die Ausweisregelungen nicht.
Führerschein oder eidesstattliche Erklärung reichen in manchen Bundesstaaten zum Wählen aus
Wahlberechtigt bei US-Wahlen ist, wer die US-Staatsbürgerschaft hat, die Aufenthaltsvoraussetzungen erfüllt, über 18 Jahre und als Wähler oder Wählerin registriert ist.
Die Karte mit den Ausweisregelungen stammt von der Webseite Ballotpedia, einer US-amerikanischen Enzyklopädie zu Politikinhalten. Dargestellt sind in blau Bundesstaaten, die bei der Wahl einen Lichtbildausweis verlangen, in orange Staaten, die einen Ausweis ohne Foto verlangen, und in grau Staaten, die keinen Ausweis verlangen.
Das heißt jedoch nicht, dass Wählerinnen und Wähler sich in den grau eingefärbten Staaten gar nicht identifizieren müssen. In Washington etwa muss laut Ballotpedia eine Wählerin oder ein Wähler ohne Ausweis eine vorläufige Wahlerklärung mit Namen, Adresse und Geburtsdatum unterzeichnen. Damit können die Wahlbeamtinnen und -beamten feststellen, ob die Person wahlberechtigt ist. Erst nach einer Überprüfung wird die Stimme gezählt. In Nevada etwa muss eine Wählerin oder ein Wähler vor Ort eine Unterschrift leisten, diese wird dann mit der Unterschrift auf einem anderen Dokument verglichen.
Die Nationale Konferenz der Landesgesetzgeber (NCSL) schreibt dazu: In den 15 Staaten ohne Ausweispflicht würden „nicht-dokumentarische“ Ausweisanforderungen gelten, Wählerinnen und Wähler müssten also ihre Identität auf andere Weise nachweisen, etwa durch eine eidesstattliche Erklärung oder durch Angabe persönlicher Daten.
Wählerinnen und Wähler müssen sich in den USA zur Wahl registrieren
Dass man direkt bei der Wahl keinen Ausweis braucht, ist nicht unbedingt ungewöhnlich. Das ist auch in Deutschland so. Hier muss sich laut Bundeswahlleiterin eine Person nur dann ausweisen, wenn die Wahlbenachrichtigung fehlt.
In den USA müssen Wählerinnen und Wähler sich – außer in North Dakota – vor der Wahl registrieren. Auf einer Informationsseite der US-amerikanischen Regierung heißt es dazu: „In den meisten Fällen benötigen Sie zur Wählerregistrierung entweder einen Führerschein oder einen Personalausweis. Wenn Sie keinen von beiden haben, können Sie möglicherweise andere Dokumente vorlegen, etwa einen Kontoauszug oder eine Versorgerrechnung [beispielsweise für Strom, Wasser oder Gas, Anm.]”.
Bei der Wahlregistrierung wird einem auch ein Wahllokal zugewiesen, das richtet sich nach dem Wohnort. Das zugewiesene Wahllokal kann man laut Informationswebseite der Regierung nicht wechseln. Wer woanders versuche zu wählen, müsse einen provisorischen Stimmzettel abgeben, der unter Umständen nicht zählt.
Abgesehen davon gibt es Identifikations-Vorschriften für Erstwählerinnen und Erstwähler die sich per Post für die Wahl anmelden: Laut dem Help America Vote Act braucht es dafür entweder einen Lichtbildausweis, einen Kontoauszug, eine Strom-, Wasser- oder Gasrechnung oder Ähnliches.
Sich zu registrieren, bedeutet nicht automatisch zur Wahl zugelassen zu sein
CORRECTIV.Faktencheck konfrontierte einige Nutzer, die derartige Beiträge geteilt haben: Den Blogger Boris Reitschuster, den ehemaligen FDP-Politiker Marcel Luthe und den ehemaligen AfD-Politiker Georg Pazderski. Reitschuster und Pazderski antworteten nicht auf eine Anfrage.
Luthe legte in mehreren Mails ausführlich dar, warum es sehr wohl möglich wäre, an der Wahl teilzunehmen, obwohl man nicht dazu berechtigt sei. Er verweist dabei unter anderem auf die Regeln in Kalifornien, wonach jene, die bei der Wahlregistrierung keine Führerscheinnummer, Identifikationsnummer oder die letzten vier Ziffern Ihrer Sozialversicherungsnummer angegeben haben, sich direkt bei der Wahl mit einer Reihe unterschiedlicher Dokumente ausweisen können: Darunter auch Ausweise von privaten Unternehmen wie Fitnessstudios.
Daher könne man sich als Nicht-Wahlberechtiger, so Luthe, über die kalifornische Registrierungsplattform zur Wahl anmelden und dann mit nicht-offiziellen Ausweisen zur Wahl gehen – sogar mehrfach.
Was Luthe jedoch übersieht: Online einen Registrierungsantrag auszufüllen, heißt noch nicht, dass man automatisch zur Wahl zugelassen wird – auch nicht in Kalifornien. Auf der Webseite der Kalifornischen Wahlbehörde steht: „Unabhängig davon, wie Sie Ihren Registrierungsantrag einreichen – online oder in Papierform – gelten dieselben Sicherheitsvorkehrungen, wenn es darum geht, die Wahlberechtigung einer Person festzustellen, doppelte Registrierungen zu vermeiden und eine Person in die offiziellen Wählerlisten Kaliforniens aufzunehmen.“
Wahlregisteranträge werden mit Datenbanken abgeglichen
Auf Nachfrage von CORRECTIV.Faktencheck erklärt das Büro des Staatssekretärs von Kalifornien, wie die Prüfung abläuft: Wenn sich Personen zur Wahl anmelden, würde das mit verschiedenen Datenbanken abgeglichen, darunter dem Gesundheitsamt, dem KFZ-Amt, dem Amt für Strafvollzug, mit Sterbedaten, Nachrufen, Gerichten und dem Arbeitsamt. „Das bedeutet, dass sich niemand eine Person ausdenken kann, um eine Stimme abzugeben“, schreibt das Büro. Außerdem müsse jede Person, die einen Antrag stellt, einen Eid unterschreiben, dass sie die US-Staatsbürgerschaft habe und zum Zeitpunkt der Wahl 18 Jahre alt sei.
Wenn die Person nicht in diesen Datenbanken auftaucht, könne sie sich nicht als Wählerin oder Wähler registrieren. Dabei werde auch überprüft, ob die Person die Voraussetzung zur Wahlberechtigung erfüllt – wie genau dabei die Staatsbürgerschaft einer Person festgestellt wird (auch diesen Punkt merkte Luthe an), erklärt das Büro auf Nachfrage nicht.
Wer am Wahltag keine Registrierung hat, kann sich laut Büro des Staatssekretärs von Kalifornien mit den alternativen Dokumenten ausweisen, darunter auch ein Fitness-Ausweis. Dann jedoch sei die Stimme „conditional“, das heißt, sie werde nicht gezählt, bis die Person nicht über eine andere Datenbank verifiziert wurde. In dem Fall überprüft ein Wahlbeamter, ob man registrierungsberechtigt ist, erst dann wird die Stimme gezählt.
Mehrfaches Wählen laut Experten nicht oder nur schwer möglich
Auch Expertinnen und Experten bestätigen, dass es nicht oder nur sehr schwer möglich sei, mehrfach zur Wahl zu gehen. „Sobald eine Stimme im ersten Staat abgegeben wurde, gibt es in diesem Staat Kontrollen, so dass eine zweite Stimme nicht abgegeben werden kann“, heißt es auf Anfrage von der US Vote Foundation.
James Gardner, Jurist mit Schwerpunkt Wahlrecht an der Universität von Buffalo, betont, dass die Registrierung zur Wahl einen Identitäts- und Wohnsitznachweis erfordert. Man könne zwar „mühsam mehrere Identitäten annehmen und sich an verschiedenen Orten registrieren lassen“. Doch dabei geht es nicht einfach um einen gefälschten Fitnessstudio-Ausweis – sondern um Identitätsdiebstahl.
Welche Strafen bei Wahlbetrug in den USA gelten
Trotz all dieser Sicherheitsmechanismen kommt es in manchen Fällen zu Betrug, etwa im vergangenen Sommer bei Vorwahlen in Michigan. Das ist aber kein flächendeckender Systemfehler, sondern eine Straftat.
Die genaue Gesetzeslage zu Wahlbetrug ist in den Bundesstaaten unterschiedlich. US-weit ist es eine Straftat, mehrfach bei einer Präsidentschaftswahl abzustimmen. Darauf stehen bis zu 10.000 Dollar Strafe, fünf Jahre Gefängnis oder beides. Dieselbe Strafhöhe gilt für falsche Angaben bei der Wahlregistrierung.
Strafbar ist es auch, wenn Ausländerinnen oder Ausländer bei der Präsidentschaftswahl in den USA wählen: Darauf steht eine Geldstrafe und/oder bis zu einem Jahr Haft. Das kommt in einzelnen Fällen vor, wie auch der Faktenfinder schreibt. So hat eine landesweite Untersuchung des Brennan Center for Justice zur Wahlbeteiligung von Nicht-Staatsbürgern bei der Präsidentschaftswahl 2016 insgesamt 30 Fälle identifiziert, in denen der Verdacht bestand, dass ein Nicht-Staatsbürger gewählt habe – 23,5 Millionen in der Untersuchung erfasste Personen haben rechtmäßig gewählt. Der Anteil der Stimmen von Menschen ohne US-Staatsbürgerschaft lag also bei 0,0001 Prozent.
Wahlsieger Trump gewann auch in Bundesstaat mit weniger strengen Ausweisregeln
Die Debatte darum, wie sich Wählerinnen und Wähler in den USA ausweisen müssen, ist keine neue. Es geht dabei um die Abwägung von Zugänglichkeit und Sicherheit bei den Wahlen.
NCSL zitiert dazu zwei Positionen: Die Demokratin Jheanelle Wilkins sagt, strenge Ausweisgesetze würden vor allem vulnerable Bevölkerungsgruppen, etwa Schwarze oder obdachlose Menschen oder Personen, die in Haft waren, an der Wahl hindern, weil diese häufig keinen Ausweis hätten. Der Republikaner Warren Daniel argumentiert hingegen, schärfere Ausweisgesetze würden das Vertrauen in die Wahl stärken.
Bei den aktuellen Präsidentschaftswahlen schnitt die Demokratin Kamala Harris in vielen Bundesstaaten mit weniger strengen Ausweisregeln gut ab. Ein Beleg für Wahlbetrug ist das aber nicht. Immerhin holte Harris zum Beispiel auch in Colorado, wo ein Ausweis verlangt wird, die Mehrheit der Stimmen. Demokrat Donald Trump hingegen gewann in Pennsylvania, wo – abgesehen von der Stimmabgabe in einem neuen Wahllokal – kein Ausweis bei der Wahl verlangt wird.
Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zur Wahl in den USA finden Sie hier.
Mitarbeit: Steffen Kutzner
Redigatur: Max Bernhard, Paulina Thom
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Voter identification laws by state, Ballotpedia, Oktober 2024: Link (Englisch, archiviert)
- Voter Verification Without ID Documents, Nationale Konferenz der Landesgesetzgeber, Februar 2024: Link (Englisch, archiviert)
- How to register to vote, USAGov, September 2024: Link (Englisch, archiviert)
- Help America Vote Act, 2002: Link (Englisch, archiviert)
- United States Code, Title 52: Voting and Elections, Stand 5. November 2024: Link (Englisch, archiviert)
- United States Code, Title 18: Crimes and Criminal Precedure, Stand 5. November 2024: Link (Englisch, archiviert)
- What to Bring to Your Polling Place, California Secretary of State: Link (Englisch, archiviert)
- Help America Vote Act (HAVA) Identification Standards, California Secretary of State: Link (Englisch, archiviert)
- Frequently Asked Questions, California Secretary of State: Link (Englisch, archiviert)