Nein, das ZDF prognostizierte nicht, dass Harris mit 72 Prozent die US-Wahl gewinnt
Nach der US-Wahl behauptet unter anderem der österreichische Verschwörungssender Auf1, das ZDF habe einen hohen Wahlsieg für Harris prognostiziert. Das stimmt nicht.
„Wieviel kann man Systemmedien überhaupt noch glauben?” fragt der Verschwörungssender Auf1 am Tag nach der US-Wahl auf Telegram. Das ZDF, so heißt es in dem Beitrag, habe einen klaren Wahlsieg für die demokratische Kandidatin Kamala Harris vorhergesagt – gewonnen hatte später der Republikaner Donald Trump.
Auf1 zeigt dazu eine Grafik, in der der Balken für Harris bei 72 Prozent liegt, der für Trump nur bei 23 Prozent. Beiträge wie diese kursieren auch auf Tiktok und erreichten seit dem 6. November Zehntausende.
Umfrage unter Deutschen ist keine Wahlprognose für die US-Wahl
Die Grafik zeigt jedoch keine Prognose. Sie stammt vom Politbarometer des ZDF – ein Umfrageformat, das die Einstellung und Meinungen der Deutschen wiedergeben soll. In den laut ZDF repräsentativen Umfragen gab es unter anderem folgende Frage zur US-Wahl: „Wer wird die Wahl gewinnen?“ Mitte Oktober waren 72 Prozent der Meinung, Harris werde gewinnen. Die Forschungsgruppe Wahlen, die die Umfragen für das Politbarometer durchführt, befragt jedes Mal etwa 1.250 zufällig ausgewählte Personen in Deutschland.
Mittlerweile ergänzte das ZDF im Artikel dazu neuere Umfragedaten. Die alte Grafik teilte der Sender Mitte Oktober auch auf Instagram. Im Beitrag steht auch, dass die Umfragen in den USA – entgegen den Erwartungen in Deutschland – ein knappes Rennen vorhersagen würden. Auch die Forschungsgruppe Wahlen macht in einer Pressemeldung dazu klar, dass die Wahlumfragen in den USA anders aussehen.
Bei Wahlprognosen werden Umfragedaten einzelner Wählerinnen und Wähler direkt nach der Urnenwahl auf alle Wahlberechtigten hochgerechnet, wie etwa das Forschungsinstitut Infratest Dimap erklärt. So soll möglichst genau berechnet werden, wie eine Wahl ungefähr ausgehen wird. Vor der Wahl wird häufig durch die sogenannte Sonntagsfrage unter Wählerinnen und Wählern die Stimmung erhoben. Eine Umfrage unter Deutschen, wie die, wer in einigen Wochen ins Weiße Haus einziehen wird, bildet also nur eine subjektive Meinung ab. Eine Wahlprognose hingegen erhebt konkrete Daten von Wählerinnen und Wählern.
In den tatsächlichen Prognosen zur US-Wahl, die das ZDF unmittelbar vor der Wahl am 5. November veröffentlichte, hieß es, es gebe keinen klaren Favoriten. Harris wurden 226 Wahlleute zugerechnet, Trump 219, die restlichen waren offen. Sechs Tage nach der Wahl war das Ergebnis laut Associated Press: 226 Wahlleute für Harris, 312 für Trump.
Auf1 antwortete nicht auf eine Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck. Der irreführende Beitrag blieb weiterhin online.
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Redigatur: Steffen Kutzner, Viktor Marinov