Liebe Leserinnen und Leser,
am Wochenende wurde in vielen Städten demonstriert, gegen den Rechtsruck. Was sich von den Bildern von den Demos bei mir am stärksten eingeprägt hat: Die Plakate sahen deutlich anders aus als jene vor einem Jahr. Damals drehten sich die Sprüche vor allem um die AfD. Heute bestimmt die Hälfte um Friedrich Merz und die CDU.
Dennoch lässt Merz sich nicht beirren: Beim heutigen Bundesparteitag der CDU in Berlin stellte er seinen Fünf-Punkte-Plan zur schärferen Migrationspolitik unverändert vor.
Gegenüber CORRECTIV bleibt er weiter stumm. Merz hat in den vergangenen beiden Wochen drei Anfragen von uns unbeantwortet gelassen:
- die zehn wichtigsten Fragen zu seiner Haltung zur Migration – und wie sie sich von der „Remigrations“-Politik der AfD unterscheidet (die Fragen sind hier nachzulesen)
- seine Haltung zu zehn anderen Themen von Ihnen, unseren Leserinnen und Lesern, wie Klimaschutz und Bildung, die wir ihm im Rahmen unserer Initiative „Deine Stimme, deine Themen“ geschickt hatten
- Fragen zu seiner Lobby-Tätigkeit, die wir ihm vor der Veröffentlichung unserer Recherche „Der Mann der Großkonzerne“ geschickt hatten.
Eine Antwort von Merz’ Sprecher bekam ich am Freitag lediglich auf eine vierte Anfrage: Ein Leser hatte gehört, der CDU-Kanzlerkandidat plane – nach dem Brandmauer-Desaster von vergangener Woche – gerade hektisch eine Last-Minute-Imagekampagne, in der er sich in einem freundlichen Homestory-Umfeld mit Ehefrau und Hunden zeigen wolle. Antwort des Sprechers: „Es gibt keine solche PR-Kampagne, und sie ist auch nicht geplant.“ (Hierzu sind Sie herzlich eingeladen, in den kommenden Wochen mal die Augen offenzuhalten.)
Weil es also keine Antworten gibt, müssen wir auf das zurückgreifen, was sich schriftlich nachvollziehen lässt. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International Deutschland hat die Wahlprogramme von CDU/CSU und AfD zur Migrationspolitik übereinandergelegt und die Ergebnisse mit uns geteilt. Das Ergebnis lesen Sie im Thema des Tages.
Heute sammeln wir wieder Ihre Vorschläge für die „Leserfrage der Woche“. Schreiben Sie gern an: robin.albers@correctiv.org.
Thema des Tages: Die Schnittmenge zwischen CDU und AfD
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
Bundestagswahl-Spezial: FDP im Wahlprogramm-Check von Salon5
Faktencheck: Minus 40 Grad in Deutschland?
CORRECTIV-Werkbank: Inhaltliche Überschneidungen zwischen der CDU und AfD
Der Amnesty International Deutschland-Vergleich der Wahlprogramme von AfD und CDU/CSU zu Migration ergab, dass die Programme in neun Punkten fast identisch sind.
Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie groß dieser Anteil ist: Bei der AfD gibt es fünf weitere politische Forderungen, die sich NICHT auch bei der Union finden. Bei der CDU/CSU wiederum stehen drei weitere Punkte im Programm, die nicht deckungsgleich mit der AfD sind.
Sophie Scheytt von Amnesty fasst das Ergebnis der Analyse so zusammen: „Im Wesentlichen laufen die Forderungen der CDU/CSU auf eine Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl hinaus. Ein Großteil der Forderungen im Wahlprogramm der Union widersprechen grundlegenden Menschenrechten. Mit ihrem Wahlprogramm greift die Union gleichzeitig zwei wichtige Säulen unserer Gesellschaft an: die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland und die Idee einer europäischen Rechtsgemeinschaft. Das ist brandgefährlich.“
Hier erklärt die Organisation, warum das „Zustrombegrenzungsgesetz“, das der Bundestag am Freitag vorerst ablehnte, klar Europa- und Völkerrecht verletzt. Und hier ordnet sie Merz’ Fünf-Punkte-Plan ein.
Die Übereinstimmungen:
1.) Aussetzung des Familiennachzugs bei Geflüchteten mit „subsidiärem Schutz“
Subsidiärer Schutz bedeutet: Menschen, die nicht aus Ländern stammen, für die wir hier Asyl gewähren – die aber trotzdem Zuflucht bei uns finden, weil ihnen im Heimatland ernsthafter Schaden droht. Von rund 250.000 Asylanträgen, die im vergangenen Jahr gestellt wurden, bekamen laut Bundesamt für Migration, siehe Tabelle auf Seite 3, etwa 75.000 Menschen diesen Schutz gewährt.
2.) Nationaler Grenzschutz
Also alle deutschen Grenzen dichtmachen – einer der prominentesten Punkte in Merz’ „Fünf-Punkte-Plan“.
3.) Ausweitung dessen, welche Länder als „sichere Herkunftsländer“ gelten
Merz nannte hier ein paar Beispiele, darunter Moldau und Georgien.
4.) Beendigung humanitärer Aufnahmeprogramme.
Das sind Sonderprogramme für Länder mit akuter Notlage; aktuell gibt es solche für Afghanistan und die Türkei. Die CDU will alle beenden – die AfD lediglich das für Afghanistan.
5.) Zentrale Unterbringung von Asylantragstellern.
Gemeint sind hier sogenannte Dublin-Center: Menschen, deren Asylanträge in anderen EU-Staaten bearbeitet werden, die aber solange in Deutschland warten, sollen nicht mehr auf die Kommunen verteilt werden – sondern eben in diesen Zentraleinrichtungen warten.
6.) Mehr Rückkehr, mehr Abschiebungen
7.) Kürzungen von Sozialleistungen für Schutzsuchende
Die CDU will eine flächendeckende Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete – die AfD spricht von „Sachleistungen“.
8.) Abschiebungen auch nach Syrien
9.) Die Verwendung des sogenannten Schlepper- und Schleuser-Narrativs
Das heißt: Es wird das Bild eines Berufsbild Schlepper gezeichnet, das durch den vermeintlichen „Pull-Faktor“ aus Deutschland erst geschaffen werde – also dadurch, dass es hier zu attraktiv sei, zu leben.
Die Unterschiede:
Die AfD will zusätzlich das Kirchenasyl abschaffen – das schon jetzt häufig von Behörden missachtet wird, wie unsere Recherche kürzlich zeigte. Und sie will unter anderem Nichtregierungsorganisationen, die Geflüchtete unterstützen, die staatliche Unterstützung streichen und ihre Arbeit strafrechtlich verfolgbar machen.
Die CDU wiederum will unter anderem explizit auch Menschen nach Afghanistan abschieben. Was dort unter der Taliban-Herrschaft los ist, beschreibt die bei uns angedockte afghanische Exil-Redaktion Porsa Media immer wieder im SPOTLIGHT. Zuletzt ging es darum, dass Frauen jetzt sogar Tageslicht verwehrt bleiben soll.
Apropos Parallelen in den Programmen von Union und AfD: Unsere Faktencheck-Redaktion zeigt hier, wie sich die Positionen zu Steuerentlastungen unterscheiden – und wie wenig informiert manche AfD’ler über die Wahlprogramme sind.
Netanjahu zu Gast bei Trump – was das für Gaza bedeuten könnte
Der US-Präsident empfängt morgen als ersten ausländischen Staatsmann seiner zweiten Amtszeit den israelischen Premier. Bei dem Treffen soll es um die Zukunft des Nahen Osten gehen. Die Süddeutsche Zeitung zeigt in einer Analyse, in welche Richtung die Vereinbarungen gehen könnten.
sueddeutsche.de
Erdbebengefahr: Menschen flüchten von Santorini
Auf der griechischen Insel gab es über 200 Beben innerhalb von zwei Tagen. Experten gehen davon aus, dass es sich um Vorboten eines schweren Bebens handele – weshalb die Menschen vor Ort die vergangene Nacht im Freien verbracht haben oder Santorini verlassen wollen. Der Katastrophenschutz ist bereits vorsorglich vor Ort.
tagesspiegel.de
CORRECTIV.Lokal: Ein analoger Wahl-O-Mat für Bergisch-Gladbach
Wie es ist, wenn nicht die Politikerinnen und Politiker bestimmen, worum es im Wahlkampf geht, sondern die Menschen vor Ort, zeigt das Bürgerportal Bergisch Gladbach. Die Redaktion ist Teil des CORRECTIV.Lokal-Projekts „Deine Stimme, deine Themen“ – und jetzt liegen die Antworten der Kandidierenden vor.
in-gl.de
Investigativ: Dritte Großspende innerhalb weniger Tage für die AfD
2.349.906,62 Euro soll die Partei aus Österreich bekommen. Eine Sachspende für eine große Plakataktion – 6.395 Plakate deutschlandweit, zusätzlich zur Wahlkampagne. Was es genau damit auf sich hat, haben NDR und WDR recherchiert.
tagesschau.de
Bundestagswahl-Spezial
Aktuellen Umfragen zufolge wird die FDP bei den Bundestagswahlen einige Sitze einbüßen. In ihrem Wahlprogramm setzen die Liberalen vor allem auf die Themen Finanzen, Bildung und Bürokratie. Unter anderem will die Partei des ehemaligen Bundesfinanzministers Christian Lindner Steuern senken und Investitionen attraktiver gestalten.
Unsere Jugendredaktion Salon5 hat Jugendliche gefragt, was ihnen bei der Bundestagswahl am wichtigsten ist und die Programme darauf geprüft – hier sind die Ergebnisse für die FDP:
instagram.com
Angeblich stehen Deutschland minus 40 Grad Celsius bevor. So titelt ein Blog namens Karlsruhe Insider. Das ist frei erfunden. Die Webseite fiel bereits zuvor durch falsche Überschriften auf.
CORRECTIV.Faktencheck
Endlich verständlich
Es sind nur noch drei Wochen bis zur Bundestagswahl, weshalb viele Politikerinnen und Politiker jetzt um Ihre Stimme buhlen. Vielleicht stellen Sie sich diese Frage: „Wer tickt wie ich?“ Dabei kann Ihnen in nur fünf Minuten der Kandidierendencheck von Abgeordnetenwatch helfen. Anhand von 18 politischen Thesen können Sie herausfinden, mit welchen Kandidierenden Ihres Wahlkreises Sie die größte inhaltliche Übereinstimmung haben.
abgeordnetenwatch.de
So geht’s auch
K.-o.-Tropfen sind so gefährlich, weil sie nicht zu sehen sind, sobald sie in ein Getränk gelangt sind. Vier Schülerinnen aus Neumünster haben ein Gegenmittel erfunden: Mit „Safesip“ flockt das Getränk auf und wird ungenießbar, sobald es kontaminiert wurde. Und das Beste daran: Die Tropfen funktionieren auch präventiv.
kn-online.de
Fundstück
Falls Sie (oder Menschen in Ihrem Umfeld) sich fragen, warum die AfD als kritisch betrachtet wird, schauen Sie mal bei Netzpolitik.org vorbei. Die haben heute Morgen das Gutachten des Verfassungsschutzes veröffentlicht, weshalb die rechte Partei als „rechtsextremer Verdachtsfall“ eingestuft wurde. Zwei Hinweise: Das Dokument hat 1.000 Seiten. Und es ist aus dem Jahr 2021 – demnach sind die aktuellen Vorfälle dort noch gar nicht aufgelistet.
netzpolitik.org
Die Entschließungsanträge der CDU im Bundestag zeigen eine inhaltliche Nähe zum völkischen Lager der AfD. Die dort vorgeschlagene Konstruktion zur nachträglichen Aberkennung der Staatsbürgerschaft weist auffällige Ähnlichkeit mit Forderungen auf, die AfD-Vertreter bei einem Treffen in der Schweiz vor Blood & Honor-Mitgliedern äußerten – mehr dazu in unserem Artikel, einen Audio-Mitschnitt vom Treffen gibt es auf Youtube.
Vergleichen Sie das mit Punkt 26 der Drucksache im Bundestag. Die ist nicht zu verwechseln mit dem zweiten Antrag, der durch Stimmen der AfD-Fraktion erfolgreich war.
Der Unterschied: Während die AfD offen völkisch argumentiert, verpackt die CDU ähnliche Gedanken in ein Law-and-Order-Gewand. Beide sind rechtlich jedoch nicht haltbar. Die juristische Konstruktion zielt auf eine Vorverlagerung der Täuschungshandlung für spätere Straftaten ab. Denn eine Einbürgerung lässt sich nur dann rückgängig machen, wenn beim Verwaltungsakt selbst getäuscht wurde.
Wie kommen etablierte Konservative und völkische Rechte zu derart ähnlichen Vorschlägen? Falls jemand uns Hinweise darauf geben können, wie die Formulierungen zustande kamen, würde ich mich freuen: jean.peters@correctiv.org
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Robin Albers, Till Eckert
CORRECTIV ist spendenfinanziert
CORRECTIV ist das erste spendenfinanzierte Medium in Deutschland. Als vielfach ausgezeichnete Redaktion stehen wir für investigativen Journalismus. Wir lösen öffentliche Debatten aus, arbeiten mit Bürgerinnen und Bürgern an unseren Recherchen und fördern die Gesellschaft mit unseren Bildungsprogrammen.