
Liebe Leserinnen und Leser,
gestern Abend ging es im Kanzlerduell zwischen Olaf Scholz (SPD) und Friedrich Merz (CDU) ziemlich lange um Migration. Zu all den Zahlen, die Merz dabei in den Raum stellte, hat unser Migrationsexperte Carsten Wolf heute einen spannenden „Denkanstoß“ geschrieben.
Danach ging es beim Duell dann irgendwann auch um all die anderen Themen, die für die Zukunft unseres Landes wichtig sind. Zum Beispiel: um Armut. Darum, wie vielen Menschen zuletzt die hohen Energiepreise zu schaffen machten, die unter anderem Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine verursachte. Und um die Frage, ob der Mindestlohn bald auf 15 Euro pro Stunde steigen soll. Scholz sagte dazu, er sei doch sehr dafür, dass Menschen, die mit ihrer Arbeit wenig verdienen, bald etwas mehr damit verdienen. Merz dagegen betonte, die Arbeitgeber im Land dürften nicht zu stark durch höhere Arbeitskosten belastet werden.
Um die handfesten Auswirkungen der Kombination niedriges Einkommen plus teure Energie geht es in unserer heute veröffentlichten Recherche – die ich Ihnen besonders ans Herz legen möchte – denn es handelt sich um das erste Projekt unserer neu aufgestellten Sparte CORRECTIV.Europe. Mehr steht im Thema des Tages.
Kennen Sie das auch: Die Lebenshaltungskosten sind so stark gestiegen, dass Ihnen das im Alltag handfeste Probleme bereitet? Nehmen Sie an unserer Umfrage teil:

Thema des Tages: So viele Menschen frieren zu Hause
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
Bundestagswahl-Spezial: Friedrich Merz im Kandidaten-Check von Salon5
Denkanstoß: TV-Duell: Die Angaben zur Migration auf dem Prüfstand
Faktencheck: Maximilian Krah liegt mit Behauptung über Strom aus Windkraftanlagen falsch
CORRECTIV-Werkbank: Von wegen „Entscheidungshilfe“ – irreführende Grafik zur Bundestagswahl
Grafik des Tages: Für diese Partei stellen sich kaum Frauen zur Wahl
5,2 Millionen Menschen in Deutschland können nicht ausreichend heizen. Das ist das wichtigste Ergebnis der Analyse unseres CORRECTIV-Reporterteams, das für und mit Lokalredaktionen in verschiedenen Ländern recherchiert.
Europaweit, fanden wir heraus, sind 47 Millionen Menschen betroffen – mehr als jeder zehnte Bewohner Europas. In manchen Regionen Europas betrifft das Problem 30 Prozent der Bevölkerung.
Hier geht es zum Text und zu den Grafiken, in denen Sie sich anschauen können, wie es in Ihrer Region aussieht.

Was heißt das, „nicht ausreichend“ heizen?
Die Zahlen, auf die wir uns beziehen, stammen aus einer Auswertung des europäischen Statistikamtes Eurostat, das europaweit Bürgerinnen und Bürger befragt hat, ob sie in der Lage sind, ausreichend zu heizen.
Es ist also eine Selbsteinschätzung. Natürlich hat sich unser Reporterinnenteam auch mit der Frage beschäftigt, wie viel Grad denn definitorisch wohl ausreichen. Der Deutsche Mieterbund und das Umweltbundesamt empfehlen für Wohnräume eine Mindesttemperatur von 20 Grad Celsius.
An dieser Stelle ein großes Danke an alle, die bereit waren, über unseren Aufruf vor ein paar Wochen hier im SPOTLIGHT ihr persönliches Schicksal mit uns zu teilen, in Sprachnachrichten und Zuschriften. Sie haben uns sehr geholfen, das Thema besser zu verstehen.
Weshalb die Zahlen mehr sind als nur ein Grund für Mitleid:
Wer nicht ausreichend heizen kann, wird schneller, stärker und teilweise sogar chronisch krank. Das zeigt zum Beispiel diese wissenschaftliche Veröffentlichung: Menschen in kalten Wohnungen haben demnach ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen und für Herz-Kreislauf- und schwere Atemwegserkrankungen. Das heißt: Frieren ist aufgrund höherer Krankenstände auch ein Hemmschuh fürs Wirtschaftswachstum.
Was könnte die Politik dagegen tun?
Die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten könnten (beziehungsweise müssten) sich jetzt gerade vor allem darauf vorbereiten, dass ab 2027 ein EU-weiter CO2-Aufschlag auf Tanken und Heizen fällig wird. Aber: Die meisten tun das noch nicht ausreichend – das zeigt Teil 2 unseres heute veröffentlichten Recherche-Pakets.
Wer und was ist CORRECTIV.Europe?
Das fünfköpfige Team Europe ist eines der verschiedenen Schwerpunktrecherche-Zentren von CORRECTIV. Hier steht mehr dazu. Ähnlich wie bei unserem Team CORRECTIV.Lokal geht es bei Europe darum, den Lokaljournalismus zu stärken. Das tun wir, indem wir gemeinsam große, relevante Rechercheprojekte auf die Beine stellen.
In unserem Netzwerk CORRECTIV.Europe sind schon jetzt rund 300 Journalistinnen und Journalisten von Lokalmedien in verschiedenen europäischen Ländern zusammengeschlossen – zum Beispiel aus der Slowakei, Dänemark, Luxemburg oder Polen.
Klimawandel und Migration hängen zusammen
Migration ist DAS zentrale Thema im Wahlkampf – zumindest für die Politikerinnen und Politiker, wie erst gestern das TV-Duell zwischen Olaf Scholz und Friedrich Merz gezeigt hat. Die Klimakrise hingegen bekommt nur wenig Aufmerksamkeit. Obwohl viele Menschen in Afrika und Asien durch Extremwetterereignisse ihre Heimat verlassen müssen – und auch hierzulande immer mehr gravierende Folgen sichtbar werden.
rnd.de
Umstrittene Plagiatsvorwürfe gegen Robert Habeck
Der sogenannte „Plagiatsjäger“ Stefan Weber hat es offenbar auf die Doktorarbeit des Vizekanzlers und Grünen-Spitzenkandidaten abgesehen. Habeck geht nun mit einem Video-Statement in die Offensive und dementiert die Vorwürfe. Bereits im 2021 warf der umstrittene Weber (mehr dazu auf spiegel.de, €) der damaligen Grünen-Kanzleranwärterin Annalena Baerbock vor, unsauber gearbeitet zu haben.
zeit.de
Lokal: Viele Norddeutsche machten bereits vom Selbstbestimmungsgesetz Gebrauch
Erst seit November ist es möglich, unkompliziert den Vornamen und Geschlechtseintrag ändern zu lassen. Eine Umfrage der Deutschen Presseagentur unter den größten Städten im Norden hat ergeben, dass die Nachfrage groß ist – und gerade vor der Bundestagswahl steigt, weil einige Parteien das Gesetz wieder abschaffen wollen.
ndr.de
Investigativ: Bundestagsabgeordnete werden vermehrt von „Lebensschützern“ kontaktiert
Der Paragraf 218 im Strafgesetzbuch, der Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt, könnte noch in dieser Woche vom Bundestag reformiert werden. Abtreibungsgegner versuchen Abgeordnete zu beeinflussen, damit sie gegen eine liberalere Regelung stimmen, wie eine Recherche des NDR und BR zeigt.
tagesschau.de

Bundestagswahl-Spezial

Friedrich Merz will unbedingt Bundeskanzler werden. Die Chancen, dass ihm das auch gelingt, stehen nicht schlecht. Wie Sie in der Grafik sehen können, schneidet seine CDU in den Umfragen weiterhin gut ab.
Wer ist eigentlich der Spitzenkandidat der Christdemokraten? Friedrich Merz ist schon sehr lange in der Politik, hat aber auch in der Wirtschaft gearbeitet. Viele sehen seine Lobbyarbeit kritisch.
Wie sich die CDU unter seinem Einfluss verändert hat, erklärt Ihnen unsere Jugendredaktion Salon5 auf Instagram. Übrigens: Salon5 checkt diese Woche alle Personen, die sich als Kanzlerkandidat aufgestellt haben.
instagram.com
Den „Tatort“ konnte das nicht ersetzen: Das erste TV-Duell zwischen Kanzler Scholz und Herausforderer Merz am Sonntag blieb ohne überraschende Wendungen. Wie auch im Wahlkampf ging es vor allem um die Asylpolitik und die Brandmauer. Und beide Kandidaten warfen Zahlen in den Raum, die vor allem eins zeigen sollten: Ich bin der bessere Abschiebe-Kanzler. Interessanter war, was dabei nicht gesagt wurde.
Merz erinnerte gleich zu Beginn an Aschaffenburg. Von der grausamen Tat eines offenbar psychisch kranken Afghanen ausgehend, stellte er die Asylpolitik als Ganzes infrage. Der CDU-Kandidat behauptete, es seien in Scholz Amtszeit „weit über zwei Millionen irreguläre Migranten nach Deutschland“ gekommen. Das seien mehr als die Einwohner von Hamburg oder Thüringen.
Das ist falsch. Es gab deutlich weniger irreguläre Einreisen in Scholz‘ Amtszeit, insgesamt etwa 310.000. Auch die Zahl der Asylanträge reicht nicht annähernd an zwei Millionen heran. Insgesamt waren es etwa 800.000. Ein emotionaler Appell – aber mit übertriebenen Zahlen.
Scholz betonte hingegen, er habe mit seinen Grenzkontrollen dafür gesorgt, dass 40.000 Menschen zurückgewiesen worden seien. Die Asylanträge seien so niedrig wie 2016. Und es habe 70 Prozent mehr Abschiebungen gegeben. Zwar stimmen all diese Zahlen. Sie klingen aber größer als sie sind, denn der Vergleich mit niedrigen Zahlen während der Corona-Pandemie hinkt.
Scholz war mit seinen Zahlen zwar deutlich korrekter. Aber: Er tappte trotzdem in die rhetorische Falle von Merz.
Denn skandalös ist, was bei dieser Zahlen-Schlacht nicht gesagt wurde: Nicht alle Geflüchteten sind „illegale Migranten“. Merz erklärte sie kurzerhand dazu – selbst die Frauen und Kinder aus der Ukraine. Anders lassen sich seine Behauptungen von zwei Millionen irregulären Migranten in Deutschland nicht erklären. Und niemand stellte das klar.

Wer aus einem Bürgerkriegsland nach Deutschland kommt, hat meist gar keine andere Möglichkeit, als „irregulär“ einzureisen. Aber: Wer einen Asylantrag in Deutschland stellt, ist legal hier – und kein „illegaler Migrant“. Indem Merz alle Asylsuchenden über einen Kamm scherte und indem er immer wieder pauschale Zurückweisungen ohne Prüfung fordert, stellt er das Asylrecht an sich infrage. Und Fluchtursachen wie den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine gleich mit.
Das TV-Duell zeigte wieder einmal, wie weit die die Migrationsdebatte inzwischen nach rechts gerückt ist. Grausame Taten wie die von Aschaffenburg werden zum scheinbaren Argument dafür, das Bleiberecht von hunderttausenden Geflüchteten infrage zu stellen, die völlig zu Recht Schutz in Deutschland gesucht haben. Bis jetzt.

Der AfD-Politiker Krah argumentiert dafür, alle Windkraftanlagen abzuschaffen, denn man sei gezwungen, ihren teuren Strom zu nutzen. Ohne sie gäbe es dagegen günstigen Strom aus Kraftwerken. Das Gegenteil ist richtig: Strom aus Windkraft ist günstiger.
CORRECTIV.Faktencheck
Endlich verständlich
Gelegentlich schlagen politische Kommentatoren oder auch einige unserer Leserinnen und Leser vor, man solle die AfD doch mal mitregieren lassen. Dann entzaubert sie sich schon von allein. Doch der Blick in die Geschichte und das Ausland zeigt: Diese Strategie funktioniert nicht.
zeit.de
So geht’s auch
Sind Wahlen nur für Erwachsene? Damit auch Kinder und Jugendliche am politischen Prozess teilhaben können, gibt es symbolische Wahlen für unter 18-Jährige. Wo das geht, zeigt diese Seite.
u18.org
Fundstück
Die Trump-Administration sorgt schon in den ersten Wochen für große Veränderungen – und großes Chaos. Viele der Maßnahmen sind mutmaßlich nicht legal, entsprechend gibt es bereits zahlreiche Klagen. Diese Seite sortiert sie nach Themenbereich (auf Englisch).
justsecurity.org
Sie haben noch nicht entschieden, wie Sie wählen wollen? Dann lassen Sie von einer „Entscheidungshilfe“, die in den Sozialen Netzwerken kursiert, besser die Finger.
Die ist nämlich nichts anderes als eine falsche Zusammenstellung von Parteipositionen. Ein paar Beispiele: Grenzen sichern? Will nur die AfD. Kindererziehung bei der Rente anrechnen? Will nur die AfD. Das Volk auf Bundesebene mitentscheiden lassen? Will nur die AfD. Strompreise erhöhen? Wollen SPD, Grüne, CDU und Linke. Wer will das nicht? Die AfD!
Das stimmt so nicht.
Vor allem AfD-Anhänger und einzelne AfD-Politikerinnen und -Politiker verbreiten die „Entscheidungshilfe“ vor der Bundestagswahl. Auf Tiktok erreichte sie seit Juni 2023 über zwei Millionen Aufrufe.
Für unseren Faktencheck haben meine Kollegin Kimberly Nicolaus, mein Kollege Steffen Kutzner und ich uns die Wahlprogramme und Grundsatzprogramme der Parteien angesehen und mit der Entscheidungshilfe abgeglichen. Das Ergebnis finden Sie hier. Anders als im gestrigen Kanzlerduell haben wir dabei nicht nur auf das Thema Migration geschaut. Bei uns erfahren Sie auch, was die Parteien für die EU, den CO₂-Preis und den Strompreis planen.

Drei Frauen und fünf Männer. So ist das Geschlechterverhältnis der Spitzenkandidatinnen und -kandidaten im Bundestagswahlkampf, zählt man nur diejenigen Fraktionen und Gruppen, die bereits im Bundestag vertreten sind. Aber wie sieht es eigentlich mit den gesamten Parteien aus? Das zeigt die Grafik des Tages. Besonders auffällig ist die AfD: Nur 12 Prozent der Kandidierenden sind weiblich. Ein Negativrekord. In Thüringen und Bremen tritt keine einzige Frau für die rechte Partei an.
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Robin Albers, Till Eckert und Sebastian Haupt.
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