US-Hilfsgelder: Aussage von Selenskyj belegt keinen Skandal um 200 Milliarden Euro
Ein Zitat des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wird im Netz irreführend wiedergegeben: Er sagte nicht, dass 200 Milliarden Euro an US-Hilfsgeldern „verschwunden“ seien. Er sagte, dass die Ukraine keine Militärhilfen in dieser Höhe von den USA erhalten habe.

Wenige Wochen vor dem Jahrestag der groß angelegten Invasion Russlands in die Ukraine sagte der amtierende US-Präsident Donald Trump, er könne den Krieg gemeinsam mit Russland beenden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj äußerte sich dazu in einem Interview mit der US-Nachrichtenagentur Associated Press (AP) – und ging dabei auch auf bisher gezahlte Hilfsgelder ein.
Ein Zitat aus diesem Interview machte im Netz schnell die Runde. Unter anderem das Schweizer Magazin Weltwoche, das rechtskonservative Magazin Junge Freiheit, der AfD-nahe Deutschland Kurier, der Blog Kettner Edelmetalle und die Berliner Zeitung zitieren Selenskyj mit dem Satz, er wisse nicht, wohin das Geld verschwunden sei. In welchem Kontext der ukrainische Präsident diesen Satz sagte, geht aus den Texten hervor – doch in Sozialen Netzwerken nicht.
Zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer verbreiten auf Tiktok – und später auch auf Instagram und Facebook – ein Video, das Selenskyj die Worte im Mund verdreht: Seine Aussage belege den „größten Geldskandal des Jahrhunderts“ – Selenskyj habe damit zugegeben, dass „200 Milliarden Euro Hilfsgelder“ verschwunden seien. Auch Elon Musk teilte einen entsprechenden Beitrag in seinem Sozialen Netzwerk X und erreichte damit Millionen Aufrufe. Statt über die Sachlage aufzuklären, teilte Musk den Beitrag in seiner Funktion als „besonderer Regierungsangestellter“ Trumps kommentarlos.
Doch Selenskyjs Aussagen im AP-Interview belegen keinen „Geldskandal“. Sie stimmen mit öffentlich verfügbaren Daten weitestgehend überein.

Wolodymyr Selenskyj über Hilfsgelder aus USA: Bisher nur 70 oder 76 Milliarden US-Dollar für Armee erhalten
Eine Aufzeichnung des Interviews mit der Nachrichtenagentur AP veröffentlichte der Youtube-Kanal des Büros des ukrainischen Präsidenten am 2. Februar 2025. Daraus wird klar, dass Selenskyjs Aussage aus dem Kontext gerissen wurde: Er antwortete auf die Frage der Reporterinnen, ob er angesichts von Trumps geplanten Einsparungen bei den US-Auslandshilfen besorgt sei, dass auch militärische Hilfen an die Ukraine eingestellt werden könnten.
Laut englischer Übersetzung der Nachrichtenseite Ukrainska Pravda und einem von uns beauftragten Muttersprachler betonte Selenskyj, es gebe verschiedene Arten von Hilfen, zum Beispiel durch humanitäre Programme – er bezieht sich aber auf Militärhilfen, als er sagt:
„Aber wenn gesagt wird, dass die Ukraine während des Krieges 200 Milliarden für ihre Armee erhalten hat, ist das nicht wahr. Ich weiß nicht, wo all dieses Geld geblieben ist. Vielleicht ist das auf dem Papier korrekt, vielleicht gibt es Hunderte verschiedener Programme – möglicherweise. Wir widersprechen nicht, und wir sind für alles sehr dankbar. Aber als Präsident halte ich die tatsächliche Summe fest, die wir erhalten haben: etwas über 70 Milliarden – 76 Milliarden oder so. Und das ist eine erhebliche Hilfe. Aber es sind keine 200 Milliarden.“ Auch wenn Selenskyj hier nicht direkt von US-Dollar spricht, wird an anderer Stelle im Interview klar, dass er genau das meint. Warum es auf Tiktok um Euros statt Dollar geht, ist unklar.
Selenskyj bestätigte mit dem Satz „Ich weiß nicht, wo all dieses Geld geblieben ist“ also keinen „Geldskandal“ und spricht auch nicht von 200 Milliarden Euro – sondern er erklärte, dass die Ukraine seines Wissens Leistungen aus den USA im Wert von mehr als 70 Milliarden US-Dollar erhalten habe.
USA genehmigte 182,75 US-Dollar für Operation Atlantic Resolve, ausgezahlt ist bislang knapp die Hälfte
Um Selenskyjs Angaben zu prüfen, haben wir in den Bericht für den US-Kongress der zuständigen Generalinspekteure von Februar 2025 und auf den „Ukraine Support Tracker“ des Instituts für Weltwirtschaft Kiel (IfW), eine Datenbank über die militärischen, finanziellen und humanitären Hilfen für die Ukraine geschaut.
Laut dem US-Bericht sind seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine insgesamt rund 182,75 Milliarden US-Dollar an Hilfsgeldern genehmigt worden. In diesem Betrag sind aber nicht die Militärhilfen für die Ukraine allein, sondern die gesamten US-Mitteln für die sogenannte Operation Atlantic Resolve, die unterschiedliche Behörden und Ministerien in den USA bewilligten. Das ist ein umfassendes Programm, das die USA ursprünglich 2014 einrichtete, als Reaktion auf die völkerrechtswidrige Annexion der Halbinsel Krim.
Den größten Posten dieser Geldsumme nutzen die USA selbst, heißt es in dem Bericht. Damit soll der US-Rüstungsbestand um die Materialien aufgestockt werden, die zuvor an die Ukraine geliefert wurden. Zudem gilt die Summe von 182,75 Milliarden US-Dollar als „bewilligt“. Ausgezahlt wurde davon bislang knapp die Hälfte.
Institut für Weltwirtschaft Kiel: 69 Milliarden US-Dollar militärische Hilfe aus den USA für Ukraine
Der „Ukraine Support Tracker“ des IfW schaut genauer hin. Das Institut erfasst militärische, finanzielle und humanitäre Hilfsgelder, die die Ukraine direkt erhalten hat oder als Zusagen vorgemerkt sind. Nicht berücksichtigt werden dabei zum Beispiel Gelder, die zur Auffüllung von US-Waffenbeständen nach Spenden an die Ukraine verwendet wurden.
Laut den Daten unterstützte die USA die Ukraine bis Ende Dezember 2024 mit insgesamt 114,5 Milliarden Euro (umgerechnet: 122,81 Milliarden US-Dollar). Darunter fallen rund 64 Milliarden Euro an militärischer Hilfe (umgerechnet: rund 69 Milliarden US-Dollar). Diese Angabe passt zu den von Selenskyj genannten militärischen Hilfen.

Anfang März hat US-Präsident Donald Trump beschlossen, künftige Militärhilfen an die Ukraine auszusetzen. Wie die Washington Post berichtet, will Trump damit Selenskyj zu Friedensgesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin drängen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reagierte Medienberichten zufolge damit, die Verteidigungsausgaben der EU zu erhöhen. Dafür will sie ein 800-Milliarden-Euro schweres Verteidigungspaket auf den Weg bringen. Inwiefern damit die Ukraine unterstützt werden soll, ist noch offen.
Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.
Redigatur: Sarah Thust, Gabriele Scherndl
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Wolodymyr Selenskyj im Interview mit der US-Nachrichtenagentur Associated Press am 2. Februar 2025: Link (archiviert)
- Special Inspector General Report to the United States Congress, 1. Oktober bis 31. Dezember 2024: Link (archiviert)
- „Ukraine Support Tracker“ des Instituts für Weltwirtschaft Kiel, archiviert am 7. März 2025: Link (archiviert)