Antibiotika bei Schnupfen
In Frankreich haben resistente Keime leichtes Spiel. Weil Patienten schon bei Erkältungen nach Antibiotika verlangen – und die Ärzte sie ihnen verschreiben. Doch es gibt auch erste Erfolge.
Wer in Frankreich seinem hustenden Kind keine Antibiotika verabreicht, gilt als unvernünftig. „Waren Sie denn nicht beim Arzt, der verschreibt ihnen was“, heißt es dann im Kindergarten. Für viele Französinnen und Franzosen ist es selbstverständlich, erkälteten Kindern, vergrippten Erwachsenen oder schniefenden Senioren Antibiotika zu verabreichen. Hausärzte, die nur selten diese Mittel verschreiben, haben rasch einen schlechten Ruf.
Kein Wunder, dass es Krankheitskeime in Frankreich leicht haben, Resistenzen gegen Antibiotika zu entwickeln. In vielen europäischen Statistiken nimmt das Land neben Griechenland einen der hintersten Plätze ein: Nach einer Studie des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten beispielsweise werden an jedem Tag in Frankreich knapp fünf Packungen Antibiotika pro tausend Einwohner außerhalb der Krankenhäuser verschrieben. Das ist fast doppelt so häufig wie im EU-Durchschnitt.
Auch deshalb bekam Frankreich früher als andere Länder Probleme mit resistenten Bakterien – Keimen, gegen die viele Antibiotika wirkungunslos sind. Seit anderthalb Jahrzehnten schlagen Ärzte und Gesundheitsminister regelmäßig Alarm. Aber noch immer gehört Frankreich zu der Gruppe von Ländern in der EU, in denen die Resistenzen spürbar zunehmen. Zwar gehen die gegen Methicilin resistenten Keime Staphylococcus aureus (MRSA) inzwischen zurück, andere Krankheitsverursacher wie Escherichia coli oder Klebsiella pneumoniae jedoch sind immer häufiger gegen die Wirkstoffe der Antibiotika immun. Das Darmbakterium E. coli beispielsweise bildete 2013 drei Mal so häufig Resistenzen aus wie 10 Jahre zuvor – mehr als 50 Prozent der Erreger reagieren also nicht mehr auf typische Antibiotika. Beim Krankheitserreger Klebsiella nahm die Zahl im selben Zeitraum von elf auf 25 Prozent zu.
Eines allerdings funktioniert gut in Frankreich: Die Behörden verschleiern nicht, sondern nennen die Dinge beim Namen – und warnen vor den lebensgefährlichen Bakterien. Vor wenigen Monaten erst erschien ein offizieller Bericht, in dem multiresistente Bakterien für den Tod von jährlich 12.500 Menschen verantwortlich gemacht wurden.
Das Problem ist also bekannt und wird viel diskutiert. Schon seit 2002 versuchen die französischen Gesundheitsbehörden, Ärzte und Patienten zu schulen. Im Winter, wenn Kinder und Erwachsene Schnupfen haben, grippale Infekten oder Ohrenentzündungen, schaltet die gesetzliche Krankenkasse im Radio und Fernsehen regelmäßig Spots mit dem Slogan „Antibiotika helfen nicht automatisch“.
Die jährlichen Kampagnen zeigen offenbar erste Wirkungen: Laut einer aktuellen Untersuchung der nationalen Gesundheitsaufsichtsbehörde ist der Antibiotikaverbrauch in Kliniken zwischen 2013 und 2014 erstmals um knapp 2 Prozent zurückgegangen. Nach einem jahrelangen Anstieg ist das ein erster kleiner Erfolg.
Und die oberste Pariser Gesundheitsbehörde setzt private und öffentliche Kliniken gleichermaßen unter Druck. Einmal jährlich kommen deren Beamte für eine Woche in jedes Krankenhaus. Sie analysieren Blut- und Urinproben der Patienten und beobachten den Alltag auf den Stationen. Jeder Bürger kann anschließend im Internet unter „scope santé“ prüfen, welche Note die Klinik für ihren Kampf gegen multiresistente Bakterien erhalten hat. Ein Bericht listet die Mängel schonungslos auf, etwa, wenn Operationsbestecke zu nachlässig desinfiziert oder die Angehörigen nicht ausreichend aufgeklärt wurden.
Anhand der Bestellungen und den Vorräten in den Schränken testen die Prüfer auch, ob die Stationen ausreichend Gummihandschuhe und Desinfektionsmittel verbrauchen. Für einen Patienten auf der Intensivstation beispielsweise müssten sich die Angestellten rund 40 Mal am Tag die Hände desinfizieren. Auch hier gibt es Fortschritt: In den vergangenen zehn Jahren steigerten sich die Kliniken von 50 Prozent auf rund 80 Prozent der vorgeschriebenen Desinfektionen. Trotzdem haben immer noch einige Krankenhäuser eine „rote“ und damit alarmierende Bewertung in dieser Kategorie erhalten. Mit anderen Worten: Hier wurden die Hände gerade einmal halb so häufig desinfiziert, wie es eigentlich wünschenswert wäre.