TTIP

Stolperstein CETA

Eigentlich schien alles klar. Doch plötzlich erhält das Handelsabkommen mit Kanada enorme Bedeutung: für Sigmar Gabriel, die EU, den Welthandel.

von Justus von Daniels

© TTIP_16-04-23 von Ruben Neugebauer/Campact unter Lizenz CC BY-NC 2.0

Dieser Text ist auch im Tagesspiegel, der Badischen Zeitung und dem Mannheimer Morgen erschienen.

Kanada exportiert vor allem Öl nach Europa, die Europäer verkaufen im Gegenzug vor allem Maschinen. Kanada ist ein mittelgroßer Partner der EU, 63 Milliarden Euro betrug das wechselseitige Handelsvolumen 2015. Und es gibt kaum ein nichteuropäisches Land, das Europa so ähnlich ist. Ein gemeinsames Abkommen sollte da schnell verhandelt sein.

Weit gefehlt. CETA, das eigentlich Mitte Oktober 2016 verabschiedet werden soll, hat plötzlich enorme politische Sprengkraft entwickelt.

Fünf Jahre lang haben die Beamten beider Seiten um einen Handelsvertrag gerungen. 1600 Seiten ist er nun stark. Er soll Exporte erleichtern, Vorschriften und Standards angleichen, den Wohlstand mehren, auf beiden Seiten. Die EU-Kommission ist zufrieden. Sie feiert CETA als ein modernes Handelsabkommen, besser als jedes andere. Die Märkte sollen auf beiden Seiten in ähnlichem Maß geöffnet werden, es sei ein Vertrag auf Augenhöhe.

Besonders stolz ist die Kommission auf die Neuregelung der Schiedsgerichte. Ändert künftig eine Regierung Öko-Standards, kann sie nicht ohne weiteres von einem Konzern vor ein Handelsgericht gezerrt werden. In den CETA-Vertrag sind Klauseln eingearbeitet, die Verbraucher und Umwelt schützen sollen, die privaten Schiedsgerichte sollen zu einem Investitionsgericht umgebaut werden.

Kritiker: Kein fairer Handel

Die Kritiker lassen das nicht gelten. Für sie ist CETA ein Symbol – das Symbol einer schlechten Globalisierung. Deren Regeln von Managern geschrieben werden, zum Schaden für die Demokratie und die Bürger. Die deutsche Bevölkerung ist mittlerweile mehrheitlich gegen Freihandelspläne. Die seit Jahren anhaltende Debatte um TTIP hat sie aufgescheucht. TTIP hat zu einer enormen Mobilisierung gegen die neuen Regeln der Globalisierung geführt. Kommenden Samstag ruft ein breites Bündnis zu Demonstrationen in sieben deutschen Städten auf.

EU: Handelspolitik sonst am Ende

Jetzt fürchtet man in Brüssel, dass CETA auf den letzten Metern noch zerschossen wird – und dass damit die gesamte EU-Handelspolitik in Scherben liegt. CORRECTIV liegt ein internes Sitzungsprotokoll aus Brüssel vor. Darin wird ein hoher Kommissionsbeamter zitiert, der zu Regierungsvertretern sagt: Die europäische Handelspolitik sei „kurz vorm Tod“, wenn es noch nicht mal gelänge, ein Abkommen mit Kanada zu schließen.

Wer nähme die Handelsabteilung der EU-Kommission noch ernst, wenn sie erst Verträge ausarbeitet, die dann politisch scheitern? TTIP wäre mit Sicherheit vor dem Aus. Genau wie die geplanten Handelspakte mit Japan, China und Südamerika.

Die Freihandelskritiker würden sich darüber freuen. Sie fordern „fairen Handel“ statt Freihandel, fordern regionales Wirtschaften statt Globalisierung, fordern Arbeitnehmerrechte statt „Neoliberalismus“. Die Nachbesserungen bei CETA sind für sie nur Kosmetik. Die änderten nichts an der falschen Grundausrichtung. Die Kritiker fürchten zudem, dass CETA amerikanischen Firmen doch eine Hintertür öffne, um EU-Länder bei Handelsstreitigkeiten zu verklagen. Die EU-Kommission versichert, dass solche Klagen unmöglich seien. Ganz ausschließen kann sie es aber nicht.

CETA wird für Gabriel zur Vertrauensfrage

Wirtschaftsminister Gabriel hat sich immer wieder für CETA stark gemacht. Hat Verbesserungen auch dann noch erzwungen, als der Pakt eigentlich schon verhandelt war. Die SPD hatte früh rote Linien vorgegeben. Und die Gewerkschaften hatten eine Unterstützung nur zugesagt, wenn der Schutz der Arbeitnehmer gesichert ist. Gabriel hat den Druck der Öffentlichkeit aufgenommen und CETA gemeinsam mit der sozialliberalen Regierung Kanadas noch mal aufgeschnürt, um den ungeliebten Investitionsschutz zu reformieren. In der neuen Version haben die EU und Kanada vereinbart, statt der obskuren Schiedsgerichte ein echtes Gericht für Handelsstreitigkeiten zu schaffen.

Am Montag wird Gabriel auf dem SPD-Parteikonvent dafür werben, dass die Genossen das Abkommen mittragen. Das ist keineswegs sicher. Es gibt etliche Anträge, die fordern, CETA rundheraus abzulehnen. Sollte die SPD Sigmar Gabriel die Zustimmung verweigern, könnte er als Wirtschaftsminister den Pakt zwar durchwinken. Als SPD-Vorsitzender wäre er allerdings an das Ergebnis des Konvents gebunden. CETA könnte Gabriel tatsächlich den Parteivorsitz kosten.

In den vergangenen Tagen hat sich ein Kompromiss abgezeichnet. Teile der SPD-Linken und auch die Gewerkschaften würden CETA mittragen, wenn die Verhandler „noch eine Runde drehen würden“, so die Bundestagsabgeordnete Nina Scheer. „Die SPD hat wichtige Änderungen, vor allem bezüglich der Schiedsgerichtsbarkeit, durchgesetzt. Der Prozess notwendiger Weiterentwicklung ist aber noch nicht abgeschlossen. Nach wie vor ist der Vertrag nicht ausgewogen, sondern dient ausländischen Investoren mehr als dem Gemeinwohl.“ Scheer verlangt, dass das Europaparlament mehr Gestaltungsrecht haben sollte. „Dann liegt es in der Hand der Volksvertreter, ein nachhaltiges Abkommen zu schließen.“ Sollte es gelingen, einige dieser Kritikpunkte einzuarbeiten, könnte CETA genug Unterstützung finden.

Geplant ist, dass die Regierungen das Abkommen Mitte Oktober auf dem EU-Kanada-Gipfel unterzeichnen.

Warum die Gewerkschaften Jein zu CETA sagen

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