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CDU, Russland und die Frage nach dem „Danach“

In den vergangenen Wochen mehren sich die Stimmen in der CDU, die eine erneute Annäherung an Russland ins Spiel bringen. Alles nur Einzelmeinungen? Eine Übersicht über Äußerungen der vergangenen Wochen zeugt von einem Riss durch die Partei.

von Stella Hesch , Alexej Hock

Verhältnis CDU-Russland
In der CDU gibt es Stimmen, die eine erneute Annäherung an Russland nicht ausschließen. Collage: Ivo Mayr/CORRECTIV (Fotos: picture alliance & unsplash.com)

Einen Waffenstillstand hat US-Präsident Donald Trump in der Ukraine bisher nicht erreicht. Seit seiner Präsidentschaft hat sich aber eines geändert: Ein wie auch immer gearteter Frieden ist wieder Teil öffentlicher, politischer Überlegungen in Deutschland geworden.

Wie umgehen mit Russland, sollte es tatsächlich irgendwann zu einem Waffenstillstand in der Ukraine kommen? In der CDU ist in den vergangenen Wochen ein offener Streit ausgebrochen.

Wladimir Putin führt seinen Angriffskrieg mit unverminderter Härte fort. Am Palmsonntag haben russische Bomben in der ukrainischen Stadt Sumy mehr als 30 Menschen getötet.

Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz bezeichnete den Angriff als Kriegsverbrechen und stellte der Ukraine erneut Taurus-Marschflugkörper in Aussicht. Bereits im Wahlkampf hatte der CDU-Vorsitzende klar Position bezogen, dass auch Deutschlands Sicherheit durch Russland bedroht sei und die Ukraine in eine Position der Stärke gebracht werden müsse.

Doch so entschlossen wie Merz sind nach Recherchen von CORRECTIV nicht alle in seiner Partei. Schon länger schießt Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer gegen den offiziellen Kurs aus Berlin, zuletzt brachte er eine Aufhebung von Sanktionen ins Spiel.

Der Riss durch die Partei wird bei der Frage nach dem „Danach“ noch größer. Wie weit er geht, wurde mitten in den Koalitionsverhandlungen zwischen der Union und der SPD sichtbar. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß hatte geschrieben, „natürlich“ könne wieder Gas durch die Nordstream-Röhren fließen. Ähnlich äußerte sich der CDU-Fraktionsvize in Nordrhein-Westfalen Jan Heinisch. Das Brisante dabei: Beide verhandelten mit am schwarz-roten Koalitionsvertrag.

Die Äußerungen bestimmten wochenlang die Debatte. Die Grünen kritisierten eine „Russland-Connection“ in der CDU, Forderungen nach einem Ausschluss von Bareiß aus den Koalitionsverhandlungen wurden laut. Kritik kam auch aus den eigenen Reihen. Eine CDU-Sprecherin hatte schließlich die Parteiposition betont, „dass Deutschland und Europa von russischen Gaslieferungen unabhängig werden müssen“. Bareiß’ und Heinischs Positionen wurden als „Einzelmeinungen“ abgestraft.

Aber unsere Recherche zeigt: Die Äußerungen von Bareiß und Heinisch sind keine Einzelmeinungen. CORRECTIV hat die öffentlichen Äußerungen von CDU-Politikerinnen und -Politikern zusammengestellt, die sich in den vergangenen Wochen ähnlich positioniert haben: ostdeutsche und westdeutsche Vertreter; Bundes- und Landespolitiker. Hinzu kommen Auftritte CDU-naher Unternehmer und Lobbyisten. Eine Übersicht.

Voigt, Kretschmer, Schulze: CDU-Regierungen wollen Kurs für Gas und Sanktionen ändern

 

Mario Voigt (CDU)

Mario Voigt, Ministerpräsident von Thüringen

In einem Interview mit der Berliner Zeitung Anfang April schloss Thüringens Ministerpräsident Mario Voigt eine Wiederaufnahme russischer Gaslieferungen nicht aus. Entscheidend sei, dass der Krieg in der Ukraine ende, so Voigt. Weiter sprach der CDU-Politiker von einer „moralisch überhöhten Außenpolitik“ der letzten drei Jahre und forderte angesichts einer „Renaissance der Realpolitik“, dass „wir unsere Naivität ablegen“.

In der sogenannten „Brombeer“-Koalition regiert Mario Voigt seit Dezember gemeinsam mit der SPD und dem BSW. Eine Präambel im Koalitionsvertrag zum Thema Waffenlieferungen an die Ukraine hatte vor allem im BSW für Streit zwischen Landeschefin Katja Wolf und der Bundesvorsitzenden Sahra Wagenknecht gesorgt. Doch auch in der CDU wurde vor der Regierungsbildung ein Meinungsunterschied deutlich.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte im Oktober einen gemeinsamen Gastbeitrag von Voigt, damals noch Landesvorsitzender in Thüringen, und den Ministerpräsidenten von Brandenburg und Sachsen, Dietmar Woidke (SPD) und Michael Kretschmer, veröffentlicht. Darin hatten sie gefordert, die Bundesregierung müsse für eine Beendigung des Krieges ihre „außenpolitische Verantwortung durch mehr erkennbare Diplomatie aktiver wahrnehmen“. Merz hatte erwidert, dass die russische Seite offenbar nicht an Friedensgesprächen interessiert sei.


 

Michael Kretschmer (CDU)

Michael Kretschmer, Ministerpräsident von Sachsen

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer brachte Ende März in einem Interview mit der dpa die Möglichkeit der Aufhebung von Russland-Sanktionen ins Spiel. Die Diskussion um die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern in die Ukraine erklärte er für beendet. „Diese Zeit ist über uns weggegangen“, sagte Kretschmer. Dass Merz nur zweieinhalb Wochen später gerade dies erneut in Aussicht stellte, zeugt von einer grundsätzlichen Meinungsverschiedenheit.

Kretschmer hatte sich zuvor bereits mehrfach gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen. Noch ehe die amerikanisch-russischen Verhandlungen über die Ostseepipelines bekannt geworden waren, hatte Kretschmer eine Reparatur von Nord Stream 1 gefordert. Es gebe überhaupt keinen Grund, die Pipeline nicht zu sichern, hatte Kretschmer im Juni 2023 dem Sender Welt TV gesagt.


 

Sven Schulze (CDU)

Sven Schulze, Wirtschaftsminister in Sachsen-Anhalt

Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Sven Schulze schließt für den Fall einer Beendigung des Krieges Gasimporte aus Russland nicht aus. Das hatte die Mitteldeutsche Zeitung Mitte Februar dieses Jahres berichtet. „Solange der Krieg in der Ukraine anhält, halte ich das politisch nicht für umsetzbar“, sagte Schulze der Zeitung. Allerdings: Nach Kriegsende „muss es auch wieder darum gehen, Gas nach Europa und Deutschland zu importieren.“

Schulze sieht sich mit Forderungen aus der Wirtschaft nach russischem Gas konfrontiert. Der Geschäftsführer des Chemieparks Leuna, Christof Günther, hatte sich kurz zuvor für einen Neustart für Lieferungen aus Russland ausgesprochen.


 

Bareiß und Heinisch: Koalitions-Verhandler liebäugeln mit russischem Gas

 

Thomas Bareiß (CDU)

Thomas Bareiß, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Baden-Württemberg

In einem Linkedin-Beitrag schrieb der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß, dass die Geschichte der Nordstream 2 noch „lange nicht am Ende sei“. So könne bei einer Waffenruhe zwischen Russland und der Ukraine „natürlich“ wieder Gas durch die Pipeline fließen – vielleicht unter „amerikanischer Kontrolle“. Hintergrund ist ein möglicher Energie-Deal zwischen den USA und Russland.

Bareiß war von 2017 bis 2021 parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unter Peter Altmaier. Altmaier war es, der sich während seiner Amtszeit immer wieder für die Fertigstellung der Nordstream 2 stark gemacht hat.

Selbst nachdem der russische Gaskonzern Gazprom bereits 2021 viel weniger Gas in die EU lieferte, als er konnte, sah das Wirtschaftsministerium unter Altmaier offenbar keinen Grund zur Sorge. Aus einem Gutachten des Ministeriums von 2021, in dem festgestellt wurde, ob Nordstream 2 die EU und Deutschland sicher versorgt, heißt es „die Sicherheit der Gas- und Elektrizitätsversorgung“ sei „nicht gefährdet“.

Wenige Monate später startete Russland den Angriffskrieg auf die Ukraine, woraufhin eine weitere Reduzierung der Gaslieferungen, sowie vermeintliche „technische Probleme“ an der Nord-Stream-1-Pipeline folgten.


 

Jan Heinisch (CDU)

Jan Heinisch, CDU-Fraktionsvize im NRW-Landtag

Kurz nach dem Vorstoß von Bareiß plädierte auch Jan Heinisch dafür, über den Kauf von russischem Gas zu sprechen, sobald ein „gerechter und sicherer Frieden“ gefunden sei. So sagte es der Vizevorsitzende der CDU-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag Politico.

Nach scharfer Kritik an seinen Aussagen ruderte er zurück. In einem erneuten Interview mit dem Nachrichtenportal Politico gab Heinisch an, seine Aussage zu bedauern. Es dürften zum jetzigen Zeitpunkt keine „falschen Signale in Richtung eines Kriegsverbrechers, der zu keinem Abkommen bereit scheint, gesendet werden“, so Heinisch.


 

Sepp Müller (CDU)

Sepp Müller, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Sachsen-Anhalt

In einer Positionsabfrage der Mitteldeutschen Zeitung im Bundestagswahlkampf hatte der Spitzenkandidat der CDU in Sachsen-Anhalt, Sepp Müller, die Frage bejaht, ob Deutschland wieder russisches Gas beziehen solle – neben den Vertretern der AfD und des BSW. Müller zog erneut in den Bundestag ein, im Kampf um das Direktmandat im Wahlkreis Anhalt – Dessau – Wittenberg unterlag Müller jedoch dem Herausforderer der AfD.

In der vorherigen Legislaturperiode war Müller stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Unionsfraktion. Er hatte sich immer wieder zu Belangen ostdeutscher Bundesländer geäußert. Der Berliner Zeitung hatte Müller 2023 gesagt, im Osten sei man „mehr pro Putin, als man pro Ukraine ist“. Es sei „schwierig, wenn man im Osten so gleichgültig sagt: kein Gas und kein Öl mehr aus Russland“.

CORRECTIV hakte bei Müller nach, aber sein Büro teilte mit, dass er sich „zu diesem Thema im Moment nicht äußert.“


 

Großmann, Pofalla, Laschet: Gas und Gespräche mit Russland

 

Anne-Marie Großmann, Stahlunternehmerin

Anne-Marie Großmann, Stahlunternehmerin

Die CDU-nahe Unternehmerin Anne-Marie Grossmann sagte dem Spiegel Anfang April, dass sie sich sehr gut vorstellen könne, dass nach einem Friedensabkommen auch wieder russisches Gas nach Deutschland komme. Dies sei während des Kalten Krieges auch so gewesen und Deutschland brauche eine „unabhängige, grundlastfähige Energieversorgung“.

Grossmann ist Gesellschafterin und Mitglied der Geschäftsführung der Georgsmarienhütte Holding GmbH (GMH Gruppe), die Unternehmen aus der Stahlproduktion bündelt. Die GMH ist Mitglied im Wirtschaftsrat, einem CDU-nahen Lobby- und Berufsverband, der die Interessen seiner Mitglieder aus der Wirtschaft vertritt. Auf dem Internetauftritt der Unionsfraktion im Bundestag wird Großmann als Referentin gelistet.

Bereits 2010 war auf Großmann der Verein „Deutschland-Russland – die Neue Generation“ angemeldet worden. Das erklärte Ziel war die Förderung der Völkerverständigung zwischen den Ländern. Wie CORRECTIV im April 2023 berichtet hatte, holte sich der Verein von Beginn an auch Vertreter von Energiekonzernen ran und sammelte Unterstützer aus den Schröder-Gazprom-Kreisen bis hin zu Kreml-nahen Kontakten.


 

Ronlald Pofalla (CDU), Petersburger Dialog

Ronald Pofalla, Petersburger Dialog

Das deutsch-russische Gesprächsforum Petersburger Dialog, 2001 ins Leben gerufen von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Wladimir Putin, ist nach dem russischen Angriff auf die Ukraine aufgelöst worden. In Russland hofft man offenbar auf eine Wiederbelebung. Wie Die Zeit und Kontraste im vergangenen Herbst berichteten, sollte dabei auch der frühere Vorsitzende des Forums und ehemalige Chef des Bundeskanzleramtes Ronald Pofalla eine Rolle spielen.

Pofalla stand demnach auf dem Programm von Gesprächen zwischen deutschen und russischen Vertretern in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku. Es ging auch um wirtschaftliche Fragen. Aus russischer Sicht gebe es genug Entrepreneure und Experten, die Interesse daran hätten, sich bei einem Treffen über „unternehmerische Zusammenarbeit“ auszutauschen, so der Bericht. Pofalla hatte sich nicht zu seiner Rolle bei den Gesprächen geäußert.

Ende November berichtete der Focus über ein weiteres brisantes Treffen. Pofalla, aber auch der ehemalige CDU-Politiker und Gaslobbyist Friedbert Pflüger und der ehemalige Gazprom-Lobbyist Alexander Rahr waren auf einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung unter dem Motto „Krieg oder Frieden? Russland und die neue geopolitische Realität nach dem 24.02.2022“ als Referenten aufgetreten. Gegenüber CORRECTIV sprach die Stiftung von einer „nicht öffentlichen Tagung“, bei der es um eine „kritische Betrachtung der früheren deutschen und europäischen Russlandpolitik“ gegangen sei.


 

Armin Laschet (CDU)

Armin Laschet, früherer NRW-Ministerpräsident

Bei einer Wiederbelebung des Petersburger Dialogs setzte die russische Seite offenbar auch auf Armin Laschet. Der frühere NRW-Ministerpräsident und CDU-Parteivorsitzende stand laut Die Zeit und Kontraste auf der Teilnehmerliste für ein Treffen in Baku, bestritt allerdings eine geplante Teilnahme.

Im gleichen Zeitraum im vergangenen Herbst hatte Laschet in der ZDF-Talksendung Maybrit Illner die Debattenkultur rund um Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine als „sehr schwarz-weiß“ kritisiert. Wer irgendwie das Wort Diplomatie in den Mund nehme, werde „bis in höchste Kreise der Außenpolitiker“ als „Putin-Knecht“ bezeichnet, so Laschet.

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Ähnlich hatte sich Laschet bereits 2014 geäußert. Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland bemängelte Laschet einen „marktgängigen Anti-Putin-Populismus“ in Deutschland. Immer wieder wurden seine Aussagen als zu milde und nachsichtig mit Moskau kritisiert.

Zuletzt setzte sich Laschet, der als möglicher künftiger Außenminister gehandelt wird, für Gespräche mit Russland in Verbindung mit dem Hebel der militärischen Unterstützung der Ukraine aus, bis hin zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern. Die Diskussion über eine Lockerung von Sanktionen halte er für das falsche Signal.



Text und Recherche:
Stella Hesch, Alexej Hock
Redaktion und Faktencheck: Martin Böhmer, Justus von Daniels
Design: Ivo Mayr

Bildnachweise: Michael Kappeler | picture alliance/dpa (Mario Voigt), Michael Kappeler | picture alliance/dpa (Michael Kretschmer), Matthias Bein | picture alliance/dpa (Sven Schulze), Christophe Gateau | picture alliance/dpa (Thomas Bareiß), Henning Kaiser | picture alliance/dpa (Jan Heinisch), picture alliance / dts-Agentur (Sepp Müller), Goldmann | picture alliance / Goldmann (Anne-Marie Großmann), Felix Hörhager | picture alliance/dpa (Ronald Pofalla), Christoph Hardt | picture alliance / Panama Pictures (Armin Laschet)

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