Energiekrise
Wie Russland deutsche Politiker, Manager und Anwälte einspannte, um Deutschland von russischem Gas abhängig zu machen.
Sie ließen es krachen, inklusive weißer Hasen, Dirndl und Stalindoubles: Gesponsert von Gazprom bis Porsche feierte eine neue Generation der deutsch-russischen Wirtschaftslobby. Was im Party-Rausch offenbar niemand bemerken wollte: Die Treffen der „German-Russian Young Leaders“ dienten vor allem Gas- und Industriegeschäften. Auch Olaf Scholz ließ sich einspannen.
Eine Recherche in Kooperation mit Policy Network Analytics
3. April 2023
Als Franziska 2017 zur Young Leaders-Konferenz nach Sotschi fuhr, freute sich die junge Frau auf internationale Diskussionen. Aber es kam alles völlig anders. In Erinnerung blieben der Juristin vor allem bizarre Erlebnisse: Wie Frauen und Männer in bayerischem Dirndl neben Männern im Stalin-Kostüm im russischen Olympiapark von Sotschi posieren. Wie später die russische Nationalhymne auf einem Berggipfel mit der Hand auf dem Herz gesungen wurde. Und spätabends alle zu einer Disko gefahren wurden, wo „unendlich viel Champagner und Wodka“ getrunken wurde.
„Es war das seltsamste Erlebnis meines Lebens“, sagt Franziska, die eigentlich anders heißt. Sie hat sich nach der Recherche von CORRECTIV und Policy Network Analytics zur Gazprom-Lobby bei der Redaktion gemeldet – wie noch weitere Teilnehmer, die Ähnliches berichten. Sie möchten anonym bleiben, aber dennoch transparent machen, was sie selbst als „russische Propaganda“ bezeichnen.
Bei den „German-Russian Young Leaders“-Konferenzen saß die Wirtschaftselite und auch Politprominenz auf der Bühne. Jedes Jahr feierten mehr als 200 Nachwuchstalente deutscher und russischer Firmen rauschende Partys: Kinder bekannter deutscher Unternehmerfamilien und aus dem Hochadel waren dabei; Konzerne wie Gazprom oder Metro sponserten ihrem Nachwuchs ausschweifende Tage. McKinsey schickte Dutzende Mitarbeiter; der russische Botschafter lud in seine Villa nach Berlin; Olaf Scholz, damals noch Hamburger Bürgermeister, in seinen Festsaal. Selbst der russische Geheimdienst soll unter den Gästen gewesen sein.
Wer dabei war, fühlte sich als Teil einer jungen deutsch-russischen Elite; es war die nächste Lobby-Generation, die auf deutsch-russische Geschäfte setzte. Lange Jahre gab es hier nur Sieger: Konzerne vernetzten aktuelle und künftige Mitarbeiter. Die Teilnehmenden schwelgten nur so im Luxus. Den steigenden Einfluss Russlands auf den deutschen Energiemarkt nahm man hin, auch die „Krimkrise“ änderte nichts an der Konferenz. Es lief wie geschmiert.
2022 war Deutschland abhängig von Gazprom und russischem Öl. Als Russland den Krieg gegen die Ukraine begann, musste die deutsche Regierung mit Hunderten Milliarden dafür sorgen, dass das Heizen noch irgendwie bezahlbar bleibt.
Dass es längst Zeit war, die Party zu verlassen, wollte niemand wahrhaben. Selbst nach der Krim-Annexion 2014 nicht. Heute wollen viele ihr Engagement bei den Partys herunter spielen oder verschweigen: Keiner will sich erinnern können, wer die pompösen Events einst bezahlte. Die Sponsoren geben keine Summen an, ausrichtende Städte und die Organisatoren widersprechen sich.
Anhand dieser Treffen lässt sich zeigen, wie Deutschland aus einer Mischung von Naivität und Selbstüberschätzung in die Abhängigkeit von Russland geriet. CORRECTIV hat mit Teilnehmenden und Organisatoren gesprochen sowie in Kooperation mit der Rechercheinitiative Policy Network Analytics Hintergründe zu dem dichten Netzwerk, den Sponsoren und dem Verein zusammengetragen, auf den die Konferenzen zurückgehen.
Franziska kam über eine Freundin nach Sotschi. Ein engagiertes FDP-Mitglied empfahl sie den Organisatoren und sorgte so für eine Einladung zu dieser Veranstaltung. Der Kreis ist elitär, man kennt sich, man empfiehlt sich weiter. „Vordergründig ging es um den Austausch junger Menschen, die übrigens oft weit älter als 30 Jahre alt waren. In Wahrheit aber war es eine sehr üble Lobbyveranstaltung – für die russische Regierung, für Gazprom“, sagt Franziska heute.
Alles sei pompös und verschwenderisch gewesen: Beim ersten Empfang am Abend wurden fortlaufend Wodka und Champagner nachgeschüttet, die Tische bogen sich vor Essen, ganze Tiere – Ferkel, Lachse und Hummer – habe es gegeben, von allem Unmengen, nur einen Bruchteil hätten die Tischgäste verzehren können. Lediglich an einem der drei Tage habe es tatsächlich Workshops gegeben. Alles andere sei ein „luxuriöses Saufgelage“ gewesen. Zugleich überließ die Organisation nichts dem Zufall: Die Sitzordnung war festgelegt, die Zimmer im luxuriösen 5-Sterne Hotel mit Blick auf das Schwarzmeer wurden zugewiesen: Stets sollte ein Deutscher mit einem Russen oder eine Deutsche mit einer Russin auf ein Zimmer, eine Tradition russischer Jugendvereine. Selbst die Garderobe wurde vorgeschrieben. Als Franziska statt im geforderten Abendkleid in einem Hosenanzug erschien, habe ihr einer zugeraunt, sie sei ja „sehr mutig“.
Die Reden und Workshops fand sie hingegen ganz und gar nicht mutig. Es habe keinen Raum für kritische Töne gegenüber dem Land gegeben, das drei Jahre zuvor die Krim annektierte – und wenige Jahre später die Ukraine überfallen wird. Aus Franziskas Sicht: „Niemand interessiert sich hier wirklich für einen politischen Austausch.“ Das bestätigt auch Ludwig Fenn, der eigentlich anders heißt, und der die Konferenz einige Jahre zuvor 2013 in St. Petersburg als Teilnehmer besuchte. Einen Austausch mit russischen Teilnehmern habe es kaum gegeben. Es sei offensichtlich gewesen, dass sich hier eine selbsternannte Elite zum Feiern und Vernetzen traf. Und nebenbei gute Stimmung für Geschäfte mit Russland gemacht habe.
Gäste wie Franziska bildeten die Ausnahme. 2016 beispielsweise waren von 200 Teilnehmenden nur fünf explizit als Studierende gelistet, 2013 waren es ähnlich wenige.
Organisiert wurden die Konferenzen, die mal in Russland, mal in Deutschland stattfanden, vom deutschen Verein „Deutschland-Russland – die Neue Generation“. Von Beginn an holte sich der Verein Vertreter von Energiekonzernen ran, sammelte Unterstützer aus den Schröder-Gazprom-Kreisen bis hin zu Kreml-nahen Kontakten. Auch die politischen Stiftungen der CDU und FDP waren als Unterstützer dabei. Gazprom und McKinsey kamen sich hier auffällig nah. Aber nach außen präsentiert der Verein bis heute eine andere Erzählung.
Ein Blick in die Vereinsgeschichte lohnt.
In einer Berliner Pizzeria trafen sich 2010 gut vernetzte Unternehmers-Kinder und Botschafts-Sprößlinge. Ihr erklärtes Ziel: Mit einem Verein die Völkerverständigung zwischen Russland und Deutschland fördern. Junge Leute sollen sich begegnen. Mit dabei: Nico Raabe. Der damals 31-jährige Projektmanager bei McKinsey, einer der größten Unternehmensberatungen weltweit, war in Berliner Kreisen gut vernetzt. Auch heute ist er bei McKinsey Experte für die Gaswirtschaft.
Auch dabei: Christoph Herzog von Oldenburg. Das Adelsgeschlecht des damals 24-Jährigen hat viele Verbindungen nach Russland. Von Oldenburg wird später zum Gesicht der „Young-Leaders“-Konferenzen werden.
Anne-Marie Großmann. Auf den Namen der damals 22-jährigen Tochter des Ex-RWE Chefs Jürgen Großmann wird der Verein angemeldet. Heute ist sie Geschäftsführerin im Stahlkonzern Georgsmarienhütte, der ihr Vater, ein Freund und Skatkumpel von Gerhard Schröder, einst vorsaß.
Bemerkenswert ist auch die Personalie Vladimir Kotenev. Der damals 28-jährige Sohn des ehemaligen russischen Botschafters zählt zu den Gründungsmitgliedern – der Verein wurde auch vom russischen Staatsgesandten unterstützt, wie es der Anwalt des Vereins in einem Schreiben formulierte, das CORRECTIV vorliegt.
Von Oldenburg und Raabe pflegten mit Kotenev Senior, dem damaligen Botschafter in Berlin, zeitweise ein enges Verhältnis. Die Frau des Botschafters saß im Kuratorium der Konferenz. Auch Kotenev Senior hat nach Beobachtung von Teilnehmern eine wichtige Rolle auf der Konferenz gespielt. Die ersten Treffen 2009 und 2010 fanden unter anderem in der russischen Botschaft in Berlin statt. Auf dem Programm 2010 stand auch ein Treffen mit Alt-Kanzler Gerhard Schröder.
Als der Botschafter 2010 zu Gazprom wechselte, habe er auch geholfen, dass Gazprom die Konferenz im folgenden Jahr mit sponserte, später hätten sie sich mit Kotenev überworfen; das sagt der Vereinsgründer Oldenburg gegenüber CORRECTIV. Gazprom und McKinsey hatten in der gleichen Zeit enge Bande geknüpft. Aber dazu später mehr.
Der Verein suchte offenbar die Nähe zum russischen Machtzentrum. So saß eine Frau im Kuratorium, die laut einer FAZ-Recherche zu dem Verein die Taufpatin von Wladimir Putins erster Tochter ist.
Auch die deutsche Politik ließ sich bereitwillig einspannen: Ministerpräsidenten von CDU, CSU und SPD hielten regelmäßig Grußworte. Stanislaw Tillich, ehemaliger CDU-Ministerpräsident von Sachsen, übernahm die Schirmherrschaft für eine der Konferenzen. Der ehemalige Schröder-Mitarbeiter und heutige SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil saß im Kuratorium der Konferenz, ebenso Heino Wiese, eine der Schlüsselfiguren für die Russlandkontakte der SPD. Auch FDP und CDU unterstützten die Young-Leader-Konferenzen über die parteinahen Stiftungen Friedrich Naumann und Konrad Adenauer (KAS). Nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 stellt die Adenauer-Stiftung ihre Unterstützung nicht ein. Die Naumann Stiftung setzte zwar 2014 aus, kehrte aber 2015 wieder als Unterstützerin zurück. Selbstkritik möchte heute keiner üben. Durch die Annexion der Krim im Jahre 2014 hätten sich zwar die „politischen Rahmenbedingungen“ geändert, schreibt etwa ein Sprecher der Adenauer-Stiftung. Bürgergesellschaftliche Kontakte und entsprechende Formate seien aber unverändert bestehen geblieben.
Gute Geschäfte mit Russland, Wandel durch Handel: Das war die deutsche Perspektive, die viele andere europäische Länder staunend zur Kenntnis nahmen. Vor allem bei der Energie: Die Nordstream-Pipeline wurde geplant, immer mehr klimaschädliches Gas sollte aus Russland fließen. Kritik in Deutschland gab es kaum. Dabei hätte 2014 ein Wendepunkt sein können.
In dem Moment, in dem die Welt den Atem anhält und Russland sanktioniert, weil das Land die Krim besetzt hat, lief die Konferenzplanung geräuschlos weiter. Drei Monate nach dem Überfall trafen sich die „Young Leaders“ in Hamburg, unter der Schirmherrschaft von Olaf Scholz. Damals war er noch erster Bürgermeister (SPD) der Hansestadt, heute ist er Bundeskanzler. Auf dem Museumsschiff San Diego hielt er die Willkommensrede, einen Tag später begrüßte er die Gäste erneut auf der Elbe. Dabei lobte er die deutsch-russischen Beziehungen. Mittel-und langfristig gebe es keinen Raum für Entfremdung und das Denken in Interessensphären – das gelte auch dann, „wenn die Verhältnisse komplizierter sind und politische Differenzen zutage treten“.
Scholz machte in seiner Rede „hoffnungsvolle Zeichen“ für eine Annäherung von Ukraine und Russland aus, auch wenn er betonte, dass die „souveräne Integrität“ eines Landes nicht in Frage gestellt werden dürfe. Genau dies ist der Tenor der Veranstaltung: Gerade nach der Krim-Annexion müsse das Vertrauen „umso mehr wieder aufgebaut werden“, wie es der Vereinsvorsitzende Oldenburg schrieb. Im abschließenden 31-seitigen Report der Konferenz wird die Annexion jedoch nicht erwähnt. Weder das Bundeskanzleramt noch die SPD noch Olaf Scholz’ Wahlkreisbüro wollen sich heute zu den Auftritten äußern. Sein Genosse Lars Klingbeil, einer der zwei Bundesvorsitzenden der SPD, ist da durchaus selbstkritischer. „Die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland war über viele Jahre lang überparteilicher Konsens in Deutschland. Aus der heutigen Sicht betrachtet war dies ein Fehler.”
Eine Teilnehmerin, die auch in die Planung eingebunden war, berichtet, dass es 2014 in einigen Workshops politisch zur Sache gegangen sei. Zum Thema „Krim“ habe es hinter verschlossenen Türen schon „geknistert“. Sie fand den Einsatz des Vereins für einen Austausch gut. Aber sie sei auch erstaunt gewesen, mit welcher Selbstverständlichkeit ein russischer Duma-Abgeordneter im Gespräch mit einem Abgeordneten des Europäischen Parlamentes damals Propaganda in Hamburg von sich geben konnte. „Grauenvoll“ sei das gewesen, auch wenn es damals durchaus Widerspruch gegeben habe.
Immer hieß der Tenor: Kooperationen müssten ausgebaut – und die Kritik leiser werden. Im Bericht über eine Diskussion zur „Rolle der Kunst in einem Staat“, an der auch der ehemalige Bild-Chef Julian Reichelt teilnahm, findet sich diese schockierende Formulierung: Es könne fruchtbar sein, Künstler zu unterdrücken. „Ein hungriger Künstler ist der beste Künstler, er arbeitet anders.“ Der Bericht fasst die Reaktion darauf so zusammen: „Diese Aussage löste eine kontroverse Debatte aus, die zu dem Schluss führte, dass die positiven Auswirkungen der Unterdrückung von ihrem Ausmaß und den allgemeinen Umständen abhängen.“
Auch in den Jahren nach 2014 unterstützte höchste russische Prominenz die Konferenz. Außenminister Sergej Lavrov, derselbe, der heute der Welt erklärt, warum Russland die Ukraine überfallen musste, gab 2015 und 2016 ein Grußwort ab. Er nannte die Zeit eine „turbulente Situation in Weltangelegenheiten“.
Die Teilnehmerin Franziska erinnert sich 2017 auch an eine „krass nationalistische“ Rede von Veniamin Kondratew, des Gouverneurs der gastgebenden Region Krasnodar. Darin verteidigte er die ansonsten kaum erwähnte Krimbesetzung und bezeichnete sie als notwendige Reaktion Russlands. Das habe für einige Unruhe im Publikum gesorgt – die Veranstaltung lief aber ungerührt weiter.
Heute will niemand über das Sponsoring genaue Auskunft geben. Aber pompöse Feste kosten Geld, viel Geld. Der Vereinsvorsitzende Oldenburg sagt gegenüber CORRECTIV, die gastgebenden Städte in Deutschland – Hamburg, München und Dresden – wären etwa für den Empfang mit luxuriösen Häppchen, teuren Fisch- und Fleischgerichten im Überfluss, großem Champagner- und Wodkakonsum aufgekommen. Aber München sagt, es gebe keine Hinweise auf ein Sponsoring, der Hamburger Senat kann sich auf Anfrage allenfalls an Kosten für „Empfang und Technik“ in Höhe von rund 10.000 Euro erinnern. Dresden antwortet nicht. Daraufhin schreibt Oldenburg, die Korrespondenz mit den Städten sei „leider nicht mehr erhalten“, es habe kein zentrales Sekretariat gegeben. Er bekräftigt aber: „Ab 2011 wurde in der Regel ein Abend bei jeder Konferenz von der gastgebenden Region oder Stadt ausgerichtet.“
Aber wer bezahlte den Rest?
CORRECTIV und Policy Networks Analytics liegen die Listen der Firmen vor, die die Konferenzen unterstützt oder gesponsert haben: Porsche gibt an, von 2012 bis 2015 einen luxuriösen Shuttle-Service und moderate finanzielle Unterstützung gestellt zu haben, um die „Beziehungen zwischen aufstrebenden Arbeits- und Führungskräften aus Russland und Deutschland zu fördern.“ Auch VNG, Siemens, Gazprom, E.ON, McKinsey und Metro haben sich beteiligt. Laut Aussage vom Vereinsvorstand Oldenburg hätten direkte Wirtschaftsinteressen auf den Konferenzen nur eine sehr geringe Rolle gespielt. Auffällig ist aber: Einigen der Firmen, die sich auf den Sponsoren-Listen der „Young Leaders“ finden, fiel es nach Ausbruch des Krieges besonders schwer, sich von dem Geschäft mit Russland zu verabschieden.
Außerdem wirkt die Vernetzung der jungen Mitarbeitenden auch langfristig. Auf den Konferenzen feierten die jungen Führungskräfte zusammen und fanden sich später auf digitalen Alumni-Plattformen wieder. Manche von ihnen machen steile Karrieren in den Konzernen, die in den Sponsoren-Listen auftauchen.
In der Alumni-Gruppe der „Young Leaders“ verabredeten sich die Teilnehmer für weitere Treffen. Etwa zum „deutsch-russischen Segel-Abenteuer“ oder zur „Ski-Challenge“ ins mondäne Kitzbühel. „Wie in früheren Jahren auch werden wir in luxuriösen Appartements wohnen“, schreibt der Organisator in einer Facebookgruppe. Anberaumt wird auch ein Treffen mit Vertretern eines „großen chinesischen Investmentfonds“. Bei den „Young Leaders“ lagen Luxus-Fun und Geschäfte wohl häufig nah beieinander. Unter den Teilnehmenden finden sich Vertreter von 5-Sterne-Hotels, vom sogenannten Erben-Zentrum, eine Beratungsgesellschaft für Großerben, sowie von Vermögensberatungen, von Goldman Sachs, Rheinmetall und marktliberalen Thinktanks wie des Prometheus-Instituts, deren Gründer sich als Klimaleugner versteht.
Eine bizarre Aktion der Russland-Freundschaft startete vor Kurzem einer aus dem Kreis der Konferenz: Alexander von Bismarck, der einst den Circle of Friends der Neuen Generation ins Leben rief, war derjenige, der kürzlich in Berlin einen Panzer mit 2000 Rosen schmückte. Der Panzer war eigentlich aus Protest vor der russischen Botschaft gegen das Putin-Regime aufgestellt worden. Der Großneffe Bismarcks sagte dazu, er wolle die Bundesregierung damit auffordern, endlich Friedensverhandlungen zu führen.
Auch scheint es sich auszuzahlen, im Alumni-Netzwerk zu bleiben: Einige der Vereinsmitglieder der „Neuen Generation“ sind heute in hohen Positionen in den Sponsoren-Konzernen der „Young Leaders“. So finden sich Gesichter aus dem Vereinsvorstand der „Neuen Generation“ bei der Düsseldorfer Metro AG oder bei dem Leipziger VNG-Konzern. Sowohl die Metro AG als auch die VNG sind heute noch in Russland aktiv.
Und dann ist da natürlich noch das Geschäft mit dem Gas. Der russische Energiekonzern Gazprom trat ebenfalls als Sponsor der „Young-Leaders”-Konferenzen auf und sendete Redner oder Workshop-Panelisten. Die Sponsoren hätten dabei „keinerlei Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung der Konferenzen gehabt”, sagt der Vereinsvorstand gegenüber CORRECTIV. Im Teilnehmer-Netzwerk finden sich mindestens 28 Vertreter von Gazprom. Sie feierten zusammen mit den Mitarbeitenden der deutschen Konzerne, die im selben Zeitraum profitable Verträge mit Gazprom abschlossen.
Zum Beispiel die Beraterfirma McKinsey, die die „Young Leaders“ von 2009 bis 2012 sponsorte. Über die Jahre hinweg nahmen mindestens 28 Vertreter des Konzerns an den Konferenzen teil. Darunter war auch der Mitbegründer des Vereins, Nico Raabe. „Nico kannten alle“, sagt Franziska, die 2017 in Sotschi dabei war.
Laut Informationen von Business Insider war McKinsey ab 2010 mit Gazprom im Geschäft. 50 Millionen Euro bekam die Beraterfirma demnach, um Events, Gespräche und Publikationen für Gazprom zu organisieren, um russisches Gas „für die deutsche Industrie unverzichtbar” zu machen. Im Gespräch zu dem Geschäft war der McKinsey Deutschland Chef Frank Mattern – später auch im Kuratorium der „Young Leaders“ – mit Gazprom Germania-Chef Vladimir Kotenev, dem ehemaligen russischen Botschafter. Er war zumindest in den Anfangsjahren Unterstützer der „Young Leaders“. Mattern schrieb damals einen Brief an Kotenev. Darin heißt es: „Sehr gerne würden wir die Chance ergreifen, Gazprom Germania und Sie persönlich wirksam zu unterstützen.“
Oder der Leipziger Energiekonzern VNG. Er sponserte von 2012 bis 2015 die „Young-Leaders“-Konferenzen. VNG war nach dem Gasstopp aus Russland auf Staatshilfen angewiesen, weil die Geschäftsstrategie stark auf Russland ausgerichtet war. In der Recherche zur Gazprom-Lobby zeigten CORRECTIV und Policy Networks Analytics, dass VNG in den vergangenen Jahren mit mehreren prorussischen Lobbyorganisationen in Verbindung stand.
Es war ein relativ übersichtlicher Manager-Kreis in Vereinen, die oft ähnliche Namen tragen und die Geschäftsbeziehungen, vor allem im Energiemarkt, immer weiter vertieften – bis zur Abhängigkeit Deutschlands vom russischen Gas. Zur Erinnerung: Neben dem Bau der Nordstream 2-Pipeline bekam Gazprom 2015 auch den Zuschlag für die deutschen Gasspeicher, der von der Bundesregierung mit einer Milliardenbürgschaft abgesichert wurde.
Das Deutsch-Russische Forum ist einer dieser Vereine, die auch im Gaslobby-Dunstkreis wichtig sind. Genau dort treffen sich einige Bekannte der „Young Leaders“ wieder. McKinsey-Partner Nico Raabe saß im Kuratorium, mehrere andere Vorstände sowie der Vorstandsvorsitzende Oldenburg sind Mitglieder. Die Nähe zum Kreml repräsentierte dort lange Wladimir Jakunin. Er ist eine schillernde Figur zwischen Moskau und Berlin: Jakunin ist ein enger Putin-Freund gewesen, arbeitete für den KGB und war ehemaliger Eisenbahn-Minister in Russland. Der Oligarch steht auf der US-Sanktionsliste und führte in Berlin einen Verein, der vor allem durch kreml-nahe Lobbyarbeit auffiel, den „Dialogue of Civilizations“. Auch zu Jakunin suchte man im Verein „Neue Generation“ zeitweise Verbindung: Zusammen mit Jakunins Verein lud Oldenburg gemeinsam zu einem klassischen Konzert in der Berliner Philharmonie 2014 ein. Oldenburg schreibt CORRECTIV nun, dass er Jakunin „seit Jahren nicht begegnet“ sei.
Kritiker Russlands hatten nicht wirklich Platz auf der Party. Oldenburg nennt eine Handvoll Oppositionelle gegenüber CORRECTIV, die Teil der Konferenzen gewesen seien. Er betont, dass es um den kulturellen und politischen Austausch gegangen sei. Laut Oldenburg hätten sich unter den Teilnehmern auch verdeckte Agenten der russischen Sicherheitsdienste befunden – auch wenn er dafür keine Beweise habe. Deswegen sei es für Oppositionelle gefährlich gewesen, sich zu äußern. Der später der Spionage verdächtigte Russe Daniil Bisslinger, war 2016 auf der Konferenz dabei. Dass die Party der jungen Eliten auch mit Spitzeln besetzt waren, störte die Veranstalter offenbar nicht weiter.
Zum Programm der Konferenz in Sotschi 2017 gehört ein Ausflug zum Olympiapark. Franziska erinnert sich daran, dass ein Teilnehmer den Stadionführer in Sotschi danach fragte, ob tatsächlich Leute zwangsumgesiedelt wurden für das olympische Bauprojekt. Der Mann habe nur verschämt gelacht und den Einwurf übergangen. „Niemand hat sich ernsthaft für einen Austausch interessiert“, sagt Franziska. Sie habe schon an verschiedenen Jugendveranstaltungen teilgenommen, etwa Sommerschulen von europäischen Jura-Studierenden oder grünen Hochschulgruppen. „Dort wurde richtig diskutiert, um Ergebnisse gerungen – bei den ‘Young-Leader’-Treffen stand das Ergebnis fest: Russland ist super.“
Die Juristin wird die Ereignisse in Sotschi ihr Leben lang nicht vergessen. Im Olympiapark seien weiße Kaninchen herum gehoppelt. An ihrem opulenten Kaffeetisch seien Magier vorbeigekommen. Franziska trug, wie alle an diesem Tag eine bayerische Tracht, so wie es in der Einladung stand. Im Stadion selbst, erinnert sie sich, standen Stalin-Doubles, um sich mit den Teilnehmenden in Lederhosen und Dirndl fotografieren zu lassen. Später ging es mit der Seilbahn die Berge hinauf; oben angekommen wurden Nationalhymnen gesungen, die russische, die deutsche, die bayerische, im Stehen und mit der Hand aufs Herz. Als Franziska sitzen blieb, kam ein ihr unbekannter älterer Herr mit Vereinsnamensschild auf sie zu und sagte, sie sei respektlos und solle aufstehen. Von den Stalindoubles, sagt Oldenburg heute, habe er nichts gewusst.
Einen Tag nach Ausbruch des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, am 25. Februar 2022, schrieb Oldenburg einen Brief an den Kreis der ehemaligen Konferenz-Teilnehmer. Dieser liegt CORRECTIV vor. Oldenburg sei enttäuscht von der russischen Führung, verurteile das, was Putin in Gang gesetzt habe. Er schrieb allerdings von der „militärischen Operation“ Russlands, zu einem Zeitpunkt, an dem der Westen einhellig vom „Krieg“ gegen die Ukraine sprach. „Militärische Operation“ ist die Wortwahl Putins gewesen. Ein Versehen, er würde das heute nicht mehr so formulieren, schreibt Oldenburg auf Nachfrage von CORRECTIV. Er habe von Beginn an den Krieg verurteilt und das in dem Brief auch klar zum Ausdruck gebracht. In „keinerlei Weise” habe er das „russische Narrativ übernommen.“
Seine Distanzierung kommt spät: Das Netzwerk „Neue Generation“ war Schmieröl für die enge Bindung an das autokratisch regierte Russland. Die Party war offenbar zu berauschend, als dass die Deutschen bemerkt hätten, wer hier wen instrumentalisiert.
Diese Recherche zum deutsch-russischen Netzwerk ist dynamisch. In einem ersten Teil haben wir uns mit der Gazprom-Lobby befasst. Wir ergänzen unsere Erkenntnisse fortlaufend, nicht nur, um zu dokumentieren, wer alles beteiligt war. Sondern auch, um die Strukturen dieser Lobbyismus-Netzwerke öffentlich zu zeigen. In kaum einem anderen Bereich liegt der Einfluss auf die Politik inzwischen so offen zutage, in keinem anderen Bereich sind die Folgen der Entscheidungen von damals aber auch so gravierend wie beim Gas aus Russland.
Investigativ. Unabhängig. Non-Profit.
Ihre Unterstützung ermöglicht unsere Arbeit für eine starke Gesellschaft.
Ohne Ihre Hilfe geht es nicht. Wir brauchen Ihre Spende für die nächsten Recherchen, weitere Faktenchecks und Bildungsarbeit. Unterstützen Sie mit 25 € unsere Spendenaktion auf Startnext. Setzen Sie Extremismus, Desinformation und Missständen etwas entgegen.
Unsere Reporterinnen und Reporter senden Ihnen Recherchen, die uns bewegen. Sie zeigen Ihnen, was Journalismus für unsere Gesellschaft leisten kann – regelmäßig oder immer dann, wenn es wichtig ist.