Neue Rechte

Nach BfV-Einstufung: AfD-Mann Maximilian Krah fordert erneut Abkehr von der völkischen Ideologie

Die Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz sorgt in der AfD für Empörung. Aber ausgerechnet der von Skandalen und Krisen bekannte Bundestagsabgeordnete aus Sachsen, Maximilian Krah, positioniert sich gegen die völkische Ideologie.

von Marcus Bensmann , Jean Peters

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AfD-Bundestagsabgeordneter Maximilian Krah und Anwalt der Identitären Bewegung Gerhard Vierfuß streiten über die völkische Ideologie Collage: Ivo Mayr / CORRECTIV (Fotos: picture alliance)

Die Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die AfD aufgrund ihrer völkischen Ideologie als „gesichert rechtsextrem“ einzustufen, führt zur Unsicherheit der Partei. Die Funktionäre weisen den Vorwurf zurück und verstricken sich in Widersprüche. 

Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla geriet beim ZDF ins Straucheln, es gebe „natürlich zwei Gruppen, die nicht unterscheidbar“ seien. Dann unterschied er sie: Es gebe diejenigen, die durch Abstammung deutsch seien und  diejenigen, die vom Grundgesetz her „Passdeutsche“ seien und sagt, „das sind ganz klar zwei Punkte, wo wir auch nicht Unterscheidung treffen“.

Das Trugbild eines homogenen Staatsvolks bildet den Kern der völkischen Ideologie, die auch Grundlage der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland war. Das Gutachten des Verfassungsschutzes kommt offenbar zu dem Schluss, dass diese Ideologie auch der Kern der AfD-Parteiideologie ist. 

Während die Spitze der AfD lediglich dementiert, schert einer aus. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah kritisiert zwar die Einschätzung durch den Verfassungsschutz, bewertet aber die völkische Ideologie als Problem: Sie könnte ein Parteienverbot begründen und verhindert mögliche Koalitionen. Der AfD-Politiker aus Sachsen war Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl, sein ehemaliger Mitarbeiter ist wegen Spionage für China angeklagt – nun ist Krah in den Bundestag gewechselt.

Krah gegen Vierfuß: Der Bruch in Echtzeit

Einen Tag nach der Erklärung des Verfassungsschutzes provoziert Krah auf X am 4. Mai eine Debatte mit der Behauptung, ethnische Homogenität sei nicht mehr herstellbar. Der Staat könne „die Veränderungen, die Masseneinwanderung bringt, nicht rückgängig machen“, schreibt der AfD-Politiker.

Der Positionswechsel ist brisant, weil Krah selbst noch 2023 ein völkisches Manifest als Grundlage rechter Politik verfasst hat. In dem Buch heißt es, dass es „in immer mehr urbanen Gebieten keine kulturelle deutsche öffentliche Ordnung mehr“ gebe und fordert deren „Wiederherstellung“. Im Buch schlug der AfD-Politiker noch „Remigration“ über eine Politik des Vergällens vor, bis Menschen mit Migrationshintergrund sich entweder „assimilieren“ oder das Land wieder verlassen. 

Seit einiger Zeit schlägt Krah einen gegenläufigen Kurs ein. Gegenüber CORRECTIV sagte er bereits im April, er beabsichtige, „die Frage der Multiethnizität des Staatsvolks neu zu durchdenken.“ Die Wende des AfD-Hardliners folgte laut eigener Aussage der CORRECTIV-Recherche „Geheimplan gegen Deutschland“. Sie zeigt, wie unweit von Potsdam im November 2023 der Kopf der Identitären Bewegung Martin Sellner die „Remigration“ auch von „nicht-assimilierten Staatsbürgern“ über „Anpassungsdruck“ wie „maßgeschneiderte Gesetze“ als „Jahrzehnteprojekt“ vorschlug. Dieser Vorschlag läuft auf die Vertreibung für Millionen Menschen, darunter auch Staatsbürger, und führte zu millionenfachen Protesten in Deutschland.

Krahs neue Linie: nicht mehr völkisch sprechen, strategisch denken. Dass er nun von jenen angegriffen wird, mit denen er jahrelang das Weltbild teilte, ist Ausdruck eines vermutlich bevorstehenden ideologischen Machtkampfs in der AfD. 

Im Zentrum stehen grundlegende Differenzen über das Verhältnis von Staat, Ethnizität und Nation. Krah plädiert für eine inhaltliche und strategische Anpassung.

Oberverwaltungsgericht Münster erklärt die völkische Politik bereits 2024 für „verfassungswidrig“

Das Oberverwaltungsgericht Münster stellte bereits im Mai 2024  fest: „Verfassungswidrig und mit der Menschenwürde unvereinbar ist … die Verknüpfung eines ,ethnisch-kulturellen Volksbegriffs’ mit einer politischen Zielsetzung, mit der die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen in Frage gestellt ist”. Diese Definition gilt auch für das Konzept der „Remigration“, wie von Sellner in Potsdam, in Videos und Büchern vorgeschlagen.

Seither versucht Krah die Kehrtwende. Im Dezember 2024 schreibt er auf X: „Sicher verboten ist es, alle ethnischen Nicht-Deutschen in einen Topf zu werfen und dann, selbst bei Staatsangehörigen, pauschal von ‘Remigration‘ zu reden. Würde sich das festsetzen, wäre das Parteienverbot erfolgversprechend.“

Diese Botschaft blieb bei der AfD ungehört

Zur gleichen Zeit radikalisieren sich andere in ihrem völkischen Denken. CORRECTIV hat im Zuge der Enthüllungen um das Schweizer Treffen der AfD-Abgeordneten mit der Neonazi-Gruppe „Junge Tat“ und Mitgliedern der verbotenen „Blood & Honour“-Bewegung ausführlich dokumentiert, wie die AfD-Funktionäre Lena Kotré und Roger Beckamp dort die völkische Ideologie diskutierten. Die AfD-Landtagsabgeordnete aus Brandenburg Lena Kotré – die Ende April 2025 in England auf einem rechtsradikalen „Remigrationkongress“ auftrat – sagte bei dem Treffen in der Schweiz noch, den „Holocaust verharmlosen oder Hitler verherrlichen“, das mache kaum einer. Aber „alles, was darunter ist, muss in meinen Augen sein: eben darüber zu sprechen, wie man sein eigenes Volk sieht. Und was man eben von seinem eigenen Volk fernhalten möchte.“ 

Roger Beckamp, der auch beim Treffen in der Schweiz dabei war, bot vor Mitgliedern von Blood & Honor Geld an. Geld, das er vom Bundestag bekomme. Auf die Hochstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ reagierte er nun prompt bei Instagram mit einer entsprechenden Verschwörungsphantasie: Ein „Bevölkerungsaustausch“, das würde ja tatsächliche Zustände beschreiben. Als „Bevölkerungsaustausch“ wird das rassistische Trugbild bezeichnet, dass gezielt weiße Menschen genetisch durchmischt würden und damit eine Rassenreinheit gestört werde. Diese Verschwörungserzählung hat keinerlei wissenschaftliche Basis und dient dem Schüren von Angst und Gewalt.

Auf dem Parteitag in Riesa im Januar 2025 übernahm dann die AfD den Kampf- und Tarnbegriff der völkischen Ideologie „Remigration“ in ihr Wahlprogramm. Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel rief dazu auf dem Parteitag, „wenn es dann Remigration heißen soll, dann heißt es eben Remigration“. Die AfD bezog „Remigration“ im Wahlprogramm zwar nur auf Menschen ohne Aufenthaltstitel. Aber der Tarnbegriff der Neuen Rechten ist kaum mehr von den völkischen Inhalten zu trennen.

Vierfuß. „Wozu braucht man dann noch eine alternative Partei?“

Der Anwalt der Identitären Bewegung Gerhard Vierfuß zeigt sich verwundert über Krahs Kurswechsel, „Warum sagen Sie das vor zwei Jahren noch völlig anders?“, fragt er im X-Thread den AfD-Politiker und sagt, dass der Kopf der Identitären Bewegung Martin Sellner, und nicht Krah, die Autorität in Strategiefragen sei. Der Neonazi Sellner verfolgt die „Reconquista“-Strategie: das Ziel, durch kulturelle Rückeroberung eine ethnisch homogene Gesellschaft herzustellen.

Doch Krah widerspricht nun auch Sellners Konzept der „ethnischen Wahl“, das also Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit wählen. Die „Ethnie“ führe nicht zu einem „politischen Programm“, so Krah auf X, „Wahlentscheidungen“ seien „multikausal“, schreibt Krah und polemisiert, „der pflegebedürftige Rentner ohne Familie will eben seine philippinische Pflegerin behalten, die ihm die Windel wechselt, und nicht in vollen Windeln seine ethno-kulturelle Identität genießen.“ Und über alles stünde „die Notwendigkeit, Wahlen zu gewinnen und absehbar auch einen Koalitionspartner zu gewinnen“, schreibt Krah und antwortet Vierfuß, und „alles das ist bedauerlicherweise bei Ihrem Weg ausgeschlossen.“

Screenshot von X / CORRECTIV
Screenshot von X / CORRECTIV

Darauf antwortet der Anwalt der Identitären Bewegung: „Wofür braucht es dann noch eine alternative Partei?“ Und lädt die völkischen Ideologen Björn Höcke und Martin Sellner zur Diskussion ein.

Der Blick von außen: Mehr Repression, mehr Radikalisierung?

Laut einer Analyse des SPIEGEL dürften Teile der AfD-Führung nun noch aggressiver auftreten, um das Gutachten politisch zu bekämpfen. Funktionäre sprächen intern von „letzter Patrone“, „BRD-Stasi“ und „Altparteienkartell“ – Begriffe, die aus dem rechtsextremen Vorfeld stammen. Höcke selbst drohte in einem mittlerweile gelöschten Beitrag auf X den Mitarbeitern des Verfassungsschutzes mit den Worten: „Mitgehangen – mitgefangen.“

Spahns Kehrtwende – das Ende der Normalisierung

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Die Einstufung hat auch Konsequenzen außerhalb der AfD. Jens Spahn (CDU) kündigte am Wochenende bei der rechtsradikalen Plattform X an, die Union werde sich im Bundestag mit der SPD abstimmen: „Eine Empfehlung, AfD-Abgeordnete zu Ausschussvorsitzenden zu wählen, wird es von unserer Seite nicht geben.“

Noch im April hatte Spahn für einen „geschäftsmäßigen Umgang“ mit der AfD plädiert – nun folgt die Abgrenzung. Auch Alexander Dobrindt (CSU) lehnt ein AfD-Verbot zwar ab, warnt aber vor weiterer Zusammenarbeit: Man müsse die Partei „wegregieren“.

Der Streit um das Völkische ist mehr als Symbolik

Ob in Schweizer Gaststätten, auf Parteitagen oder in Telegram-Kanälen: Die AfD verhandelt gerade ihren ideologischen Kern. Vertieft sie ihre ethnonationalistische Ideologie mit offenem Bruch zum Grundgesetz? Oder versucht sie, durch taktische Mäßigung staatlichen Repressionen zu entgehen und schmeißt gar einzelne Figuren wie Höcke raus, wie der ehemalige BILD-Chef und heutige Rechtsaußen-Ideologe Julian Reichelt propagierte? Die Antwort ist offen. Doch klar ist: Der Streit um das Völkische ist kein Randphänomen. Er ist das Zentrum des aktuellen Umbruchs in der AfD.

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