Genfer Pensionskasse: Lücken in ambitionierter Klimastrategie
Die Genfer Pensionskasse investiert Millionen in grosse Kohleunternehmen und Amazonas-Abholzer. Trotzdem geht sie in ihrer Klimastrategie weiter als viele. Dazu geführt haben nicht Anreize und Freiwilligkeit, wie es Behörden und Finanzindustrie propagieren, sondern klare Gesetze.

Kriege. Klimakrise. Faschismus. Die aktuellen Entwicklungen belasten Bastien Poscia. Um etwas dagegen zu tun, legt der Sozialarbeiter des Kantons Genf seine privaten Ersparnisse möglichst nachhaltig an. „Das bringt mir keine grosse Rendite, dafür kann ich besser schlafen.“
Ein grosser Teil seiner Ersparnisse liegt aber bei seiner Pensionskasse, der Caisse de prévoyance de l’état de Genève (CPEG). Wie jede Pensionskasse investiert sie das anvertraute Geld ihrer Versicherten und übergibt ihnen einen Teil der Gewinne. Ende 2024 beträgt ihr investierbares Vermögen fast 23 Milliarden Franken, was die CPEG zu einer der grössten Pensionskassen der Schweiz macht.
Auf ihrer Webseite wirbt sie mit nachhaltigen Investitionen und einem „ehrgeizigen und schrittweisen Ausstieg aus fossilen Energieträgern“. Dabei steigt ihre Rendite in guten Börsenjahren wie 2024 auf über sechs Prozent. Während Poscias faire Anlagen kaum Rendite abwerfen, sollen jene der Genfer Pensionskasse Gewinne einfahren und dabei nachhaltig sein. „Wie ist das möglich?“, fragt er.
Erstmals einsehbare Investitionen
Weil die Geldanlagen der CPEG nicht öffentlich einsehbar sind, verlangte das WAV Recherchekollektiv gemeinsam mit CORRECTIV.Schweiz Einsicht durch das Öffentlichkeitsgesetz. Somit konnte nun zum ersten Mal überprüft werden, in welche Unternehmen die Genfer Pensionskasse investiert.
Eines fällt sofort auf: Die Investitionen der CPEG unterscheiden sich im Klimaschutz von Pensionskassen in anderen Kantonen, die CORRECTIV.Schweiz und das WAV Recherchekollektiv bislang untersuchten. Nicht zu finden sind im Portfolio die Namen der grossen Öl- und Gaskonzerne. So fliesst beispielsweise kein Rappen in Exxon Mobil, Chevron oder Shell.
Zur Recherche
Während die AHV laufend Geld von der arbeitenden Bevölkerung an jene im Ruhestand verschiebt, sparen alle in der zweiten Säule ein Berufsleben lang für sich selbst. Entsprechend hoch türmt sich das Geld bei den Schweizer Pensionskassen: Fast 1,3 Billionen verwalteten sie Ende letztes Jahr. Wie Schweizer Pensionskassen diese Altersguthaben ihrer Versicherten aber anlegen, ist eine Blackbox.
Auf Grundlage des Öffentlichkeitsgesetzes hat das WAV Recherchekollektiv gemeinsam mit CORRECTIV.Schweiz Einsicht in die Investitionen von sämtlichen öffentlich-rechtlichen Pensionskassen verlangt. Die Ergebnisse publizieren die beiden Recherche-Organisationen gemeinsam mit jeweiligen Lokalmedien, wie hier mit Heidi.news. Dieser Text ist Teil des Projekts „Tausend Milliarden Verantwortung“.
Die Pensionskasse des Kantons Genf war eine der ersten, die ihre Geldanlagen veröffentlicht hat. Somit konnten ihre Nachhaltigkeitsversprechen zum ersten Mal überprüft werden. Sämtliche Investitionen in Aktien und Schuldpapiere der CPEG können unter diesem Link heruntergeladen werden. Nicht veröffentlicht hat die Genfer Pensionskasse ihre Geldanlagen in Immobilien und sogenannte Alternative Anlagen.
Als Vergleich die Pensionskasse der Stadt Zürich, die wie die CPEG zu den grössten der Schweiz gehört. Trotz Klimaversprechen investierte sie über 40 Millionen Franken in fünf der weltweit grössten Fracking-Unternehmen. Dass die CPEG das nicht tut, geht auf ihre Klimastrategie zurück. Diese verlangt von Energieunternehmen, dass sie eine globale Erhitzung von maximal 1,75 Grad unterstützen. Andernfalls verzichtet die Genfer Pensionskasse auf eine Investition.
Der Vorteil dieser Strategie ist laut der CPEG, dass sie trotzdem in die schädlichsten Unternehmen investieren könne, sofern diese die notwendigen Schritte zur Bekämpfung des Klimawandels unternähmen. Aktuell sei das bei keinem Energieunternehmen der Fall. Deshalb schliesse sie den ganzen Energie-Sektor aus, wie ein Sprecher der Genfer Pensionskasse auf Anfrage mitteilt.
Millionen in Kohleförderer trotz Klimastrategie
Ganz stimmt das nicht. So finden sich in den erstmals einsehbaren Dokumenten Investitionen von fast drei Millionen Franken in den deutschen Energiegiganten RWE und rund vier Millionen Franken in The Southern, einem der grössten US-Stromkonzerne. Beide verbrennen im grossen Stil Kohle zur Stromerzeugung und bauen zurzeit neue Gaskraftwerke.
Der US-Konzern unterstützt damit eine globale Erhitzung von vier Grad, RWE gar zehn Grad. Dies zeigen Daten der Globalance, einer Vermögensverwalterin für nachhaltige Anlagen. Im Fall von RWE sei das der höchste überhaupt mögliche Wert, sagt Gabriel Hansmann, Leiter Datenanalyse bei Globalance. „Investiert eine Pensionskasse Millionen in Unternehmen wie RWE, hat sie ein bedeutendes Klimarisiko im Portfolio.“
Auf Anfrage von WAV und CORRECTIV.Schweiz antwortete ein Sprecher der CPEG, dass Stromerzeuger nicht in die Kategorie der Energieunternehmen gehörten. Somit seien Investitionen möglich, auch wenn die Unternehmen eine deutlich höhere Klimaerhitzung unterstützen würden als die erlaubten 1,75 Grad ihrer Klimastrategie. Die Absurdität dieser Definition zeigt sich vor allem bei RWE. Weil es die Kohle in Kraftwerken zu Strom verbrennt, stuft die CPEG das Energieunternehmen als Stromerzeuger ein statt etwa als Kohleförderer. Somit sind Investitionen möglich.
Dabei gehört das Unternehmen zu den grössten Kohleförderern und Luftverschmutzern Europas. In der deutschen Industrie ist RWE für den höchsten CO2-Ausstoss verantwortlich, wie CORRECTIV berichtete. Zudem stiess kein anderer industrieller Konzern in Europa zwischen 2007 und 2021 so viele Emissionen aus wie RWE. Darunter CO2 und Schadstoffe, die durch das Verbrennen der Kohle entstehen.

CORRECTIV.Europe erhielt exklusive Daten der Europäischen Umweltagentur (EUA), die die enormen Folgekosten der Luftverschmutzung durch Emissionen der Industrie zeigen. Rund zwölf Milliarden verlor die Deutsche Wirtschaft alleine wegen des Ausstosses im Energiesektor von RWE in 2017.
Damit konfrontiert, antwortet ein Sprecher der Genfer Pensionskasse, dass sie offen seien, die Klimastrategie auf diese Unternehmen auszuweiten, sofern das keine negativen Auswirkungen auf die Rendite habe. Gleichzeitig sagt er, der Ausschluss von Unternehmen der fossilen Industrie habe bisher keinen Einfluss auf die Gewinne gezeigt.
Dass die CPEG Stromerzeuger nicht in ihre Klimastrategie aufnimmt, kritisiert Sasha Cisar, Leiter Nachhaltigkeitsforschung bei der Radicant Bank. „Wegen finanziellen Risiken sowie um den Klimaschutz voranzutreiben, sollten auch Stromversorger anhand ihrer Klimastrategie beurteilt werden“, sagt er auf Anfrage.
Mitverantwortlich für Abholzung des Amazonas
Problematisch sind laut dem Nachhaltigkeits-Experten zudem die hohen Investitionen in Tech-Firmen. Über 700 Millionen Franken steckt die CPEG in die oft als „magnificient seven“ bezeichneten sieben grössten: Google, Meta, Amazon, Apple, Tesla, Microsoft und Nvidia. Dies entspricht etwa 14 Prozent aller Aktien-Investitionen der Genfer Pensionskasse. „Waren diese Tech-Unternehmen einst Klima-Musterschüler, verfehlen sie ihre Klimaziele gerade reihenweise“, sagt Cisar.
Grund dafür sei der steigende Stromverbrauch. Gemäss Schätzungen der Internationalen Energieagentur (IEA) wird sich der weltweite zusätzliche Strombedarf durch den Ausbau von Rechenzentren bis 2030 mehr als verdoppeln. KI sei der wichtigste Treiber dieser Entwicklung, so die IEA.
Was der CPEG gänzlich fehlt, ist eine Biodiversitäts-Strategie, wie sie auf Anfrage mitteilt. Die erstmalige Auswertung ihrer Investitionen zeigt auch, dass sie Millionen Franken in die wichtigsten Amazonas-Abholzern steckt. Je rund eine Million in die brasilianischen Schlachtbetriebe JBS und Minerva sowie fast zwei Millionen in den Sojahändler Bunge.
Eine jüngst erschienene Studie der britischen Universität Exeter zählt alle drei Unternehmen zu jenen Firmen, die in besonderem Mass Kippmomente in sensitiven Ökosystemen wie dem Amazonas auszulösen drohen. In weiten Teilen des Amazonas könnte dies zu einem massiven Absterben der Wälder bis hin zu einer unbewaldeten Savanne mit Wassernot führen, so die Studie.
Dialoge mit der fossilen Industrie „reichen nicht“
Auch wenn die Klimastrategie der CPEG Lücken aufweist, geht sie weiter als andere. Ein Grund: Sie schätzt die Möglichkeiten, als Aktionärin Druck auf Unternehmen der fossilen Industrie zu machen, deutlich geringer ein, als die bisher untersuchten Pensionskassen. So verteidigten die Pensionskassen von Kanton und Stadt Zürich wie des Kantons Baselland ihre umfangreichen Investitionen in Öl- und Gaskonzerne mit dem Argument, über Dialog Verbesserungen herbeiführen zu können.
Die CPEG hingegen verzichtet auf Investitionen in Unternehmen der fossilen Industrie, statt auf Verbesserungen durch den Dialog zu hoffen. „Bei Unternehmen, die unserer Meinung nach nicht in der Lage sind, den notwendigen Wandel im erforderlichen Tempo und Umfang zu vollziehen, reicht Engagement nicht aus“, so der Sprecher.
Wird der Dialog mit kontroversen Unternehmen von der Finanzindustrie oft als Wundermittel gepriesen, werden die Grenzen dieses Ansatzes gerade bei Öl- und Gaskonzernen immer wieder aufgezeigt. Kürzlich kritisierte Climate Action 100+, dass der Öl- und Gassektor kaum Schritte zur Energiewende unternommen habe. Die wohl weltgrösste Klimaschutz-Allianz von Investoren übt Druck auf klimaschädliche Unternehmen aus und bündelt laut den letzten verfügbaren Zahlen 2023 etwa 70 Billionen US-Dollar.
Der Nachhaltigkeits-Experte Cisar bestärkt hier die Aussagen der Genfer Pensionskasse. „Fortlaufender Dialog mit Unternehmen macht nur Sinn, wenn bei gravierenden Missständen und ausbleibenden Veränderungen Investitionen auch abgestossen werden. Warum sollten diese Unternehmen die Forderungen der Investoren sonst ernst nehmen“, sagt er.
Klimastrategie durch Druck der Politik
Dass die CPEG Klimaschutz ernster nimmt als viele andere, verdankt sie in erster Linie der Politik. Obwohl das Pariser Klima-Übereinkommen die Finanzindustrie 2016 zu mehr Klimaschutz verpflichtet hatte, verabschiedete die Genfer Pensionskasse ihre Klimastrategie erst sieben Jahre später.
Nötig dafür war ein Vorstoss im Kantonsparlament von den Grünen 2019, der 2021 umgesetzt wurde. Darin wurde die CPEG beauftragt, eine Klimastrategie zu erarbeiten. Dann ging es ziemlich schnell. Ein Jahr später beschloss die Genfer Pensionskasse ihre Klimastrategie und führte sie wiederum ein Jahr später, also 2023, ein.
Auswirkungen in anderen Kantonen
Aufgrund der Anfrage vom WAV Recherchekollektiv und CORRECTIV.Schweiz veröffentlichte die Basellandschaftliche Pensionskasse (BLPK) ihre Investitionen von fast zwölf Milliarden Franken auf ihrer Webseite. Im Lokalmedium Bajour sagt sie, wie es dazu kam und wird mit ihren klimaschädlichen Investitionen konfrontiert.
Mit über 60 Milliarden Franken gehören die Pensionskassen von Kanton und Stadt Zürich zu den grössten der Schweiz. Im digitalen Stadtmagazin Tsüri zeigten WAV und CORRECTIV.Schweiz, wie klimaschädlich die Städtische investiert, während die Kantonale auf völlige Intransparenz beharrt. Daraufhin gingen zwei politische Vorstösse ein, im Parlament der Stadt sowie des Kantons.
Weitgehend auf Nachhaltigkeitskriterien verzichtet die Pensionskasse des Kantons Schwyz. Die Auswertung ihrer Investitionen im Lokalmedium Bote der Urschweiz zeigt hohe Investitionen in Öl- und Gasriesen, teilweise aus autokratischen Staaten. Auch hier wurde ein Vorstoss im Kantonsparlament eingereicht, der gleich für weitere Artikel in Tageszeitungen sorgte. Die Regierung muss noch darauf antworten.
Für die Genfer Kantonsparlamentarierin und heutige Nationalrätin Delphine Klopfenstein, die den Vorstoss 2019 mit unterschrieb, ein klares Zeichen, dass es mehr Druck aus der Politik braucht. „Der Fall CPEG zeigt, dass nicht Freiwilligkeit zu nachhaltigeren Finanzflüssen führt, wie es uns die Finanzindustrie und die Bundesverwaltung oft glauben machen wollen, sondern klare Gesetzesgrundlagen und Regeln“, sagt sie. Klopfenstein widerspricht damit dem Bundesrat. In seinem Bericht für einen führenden und nachhaltigen Finanzplatz 2022 bis 2025 setzt dieser fast ausschliesslich auf Freiwilligkeit.
Klimaschutz im Interesse der Versicherten
Und wie sieht es die Genfer Pensionskasse selbst? Ihre Aufgabe sei, nachhaltige Renten für Generationen von Versicherten zu sichern, von denen einige gerade erst ins Berufsleben einsteigen würden, sagt ein Sprecher der CPEG auf Anfrage.
Gerade deshalb habe sie als langfristige Investorin eine besondere Verantwortung, Klimarisiken ernst zu nehmen. „Die Auswirkungen unserer Investitionen auf das Klima müssen wir nicht nur aus Gründen des Gemeinwohls berücksichtigen, sondern auch, weil sie sich auf das Risiko unserer Investitionen auswirken.“ Soll heissen: Langfristig hätten Unternehmen, die den Klimawandel befeuern, höhere Verluste durch dessen Auswirkung.
Die Verantwortung als langfristige Investorin führt die CPEG auch an, auf die Herausforderungen des umweltfeindlichen Kurses der Trump-Administration angesprochen. Sie rechne in Jahrzehnten, nicht in Wahlzyklen. „Politischer Gegenwind kann zwar vorübergehend das Tempo des regulatorischen Fortschritts verschieben, ändert aber nichts an den zugrunde liegenden ökologischen Realitäten“, so die CPEG.
Dies bestätigt eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung aus dem letzten Jahr. Sie kommt zum Schluss, dass die Weltwirtschaft aufgrund des Klimawandels bis 2050 um ein Fünftel schrumpfen dürfte. Laut den Studienautorinnen und -autoren würde dieser Schaden die Kosten um das Sechsfache übersteigen, die nötig wären, um die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen.
Auf die Frage, wie sich der Genfer Sozialarbeiter Bastien Poscia die Zukunft vorstellt, kehrt er in seine Kindheit zurück. Er erzählt, wie er vor 30 Jahren im Sommer mit seinen Eltern die Ferien im Camper verbracht hat. „Insekten klatschten massenweise an die übergrosse Windschutzscheibe. Wenn ich heute dieselben Strecken mit seiner Tochter fahre, bleibt die Scheibe weitgehend sauber.“ Er wünscht sich, dass die Insekten zurückkehren. Kurz: Eine Welt, in der die natürlichen Lebensgrundlagen besser geschützt und verteilt sind.
Trotz der fehlenden Biodiversitäts-Strategie oder Investitionen in Kohleförderer zeigt die Genfer Pensionskasse, dass eine strengere Klimastrategie für Schweizer Pensionskassen finanziell machbar ist. Dass eine Motion im Kantonsparlament dazu geführt hat, zeigt auch, wie politischer Druck für einen effektiven Wandel in der Finanzindustrie helfen kann. Ob die Genfer Pensionskasse die fehlende Biodiversitätsstrategie nun aus eigenem Antrieb erarbeiten wird oder ob dafür wieder eine Vorgabe der Politik nötig sein wird, konnte der CPEG-Sprecher innerhalb der verfügbaren Zeit nicht beantworten.
Text & Recherche: Olivier Christe (WAV Recherchekollektiv), Sven Niederhäuser, Balz Oertli (WAV Recherchekollektiv)
Redaktion: Marc Engelhardt
Faktencheck: Sven Niederhäuser
Bilder: Ivo Mayr
Kommunikation: Charlotte Liedtke