Integration & Gesellschaft

Türken in NRW: Auf der Suche nach dem verlorenen Wählerwillen

Hüdaverdi Güngor ist Autor, „Verfassungsschüler“ und Deutsch-Türke. Und weil er das alles ist, dachte die ziemlich deutsch-deutsche Redaktion von CORRECTIV.RUHR: Das ist genau der Richtige für die Geschichte. Der soll sich mal bei Deutsch-Türken umhören, was die von der Landtagswahl halten. Das hat er getan und hat uns allen noch was beigebracht. Eine Reise durchs Ruhrgebiet.

von Hüdaverdi Güngör

© CORRECTIV.RUHR

Meine Reise durchs Ruhrgebiet beginne ich in Dortmund. Ich mache mich auf den Weg, um zu erfahren, was Deutsch-Türken und Türken zur Landtagswahl sagen. Das ist natürlich jetzt ein Thema – nach dem Referendum in Türkei. Die Integrationsdebatte geht wieder von vorne los. Wieso stimmen die mit „Ja“ in der Türkei? Und was sagt das über ihr Leben hier? Fragen, die viele Deutsch-Türken schon nicht mehr hören können.

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Hüdaverdi Güngör

Ich selbst setze mich seit vier Jahren für die Teilhabe junger Menschen – insbesondere Deutsch-Türken – an der deutschen Politik ein. Auch wir sind Teil dieser Gesellschaft, ob wir wollen oder nicht. Daher sollte es für uns selbstverständlich sein, unser Land mitzugestalten.

Zu den Kommunalwahlen 2014 gründeten wir eine Wählergemeinschaft in Bottrop. Gemeinsam mit türkeistämmigen, mit kurdisch-, afrikanisch- und libanesischstämmigen Freunden überzeugten wir uns von unseren Grundrechten und kandidierten bei den Wahlen als „Die Verfassungsschüler“. Anders als die etablierten Parteien gelang es uns, junge Wähler dort zu erreichen, wo andere niemals hingegangen wären, auf Schulhöfe und in Shisha-Bars. Den Einzug in den Bottroper Stadtrat verpassten wir nur knapp.

Umso gespannter bin ich jetzt, drei Jahre später, wie Deutsch-Türken im Ruhrgebiet landespolitisch ticken.

Von den Menschen, mit denen ich spreche, will ich nur wissen, ob sie sich in Deutschland politisch vertreten fühlen – und ob sie von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, wenn sie eins haben.

Ich bin nicht besser

Ich verlasse den Hauptbahnhof Richtung Innenstadt und treffe auf eine Gruppe Jugendlicher. Zwei Schwarzköpfe, so nenne ich die immer. Ich bin schließlich auch einer. Und ein Blonder. Einer will mit Politik nichts am Hut haben. Sein Kollege stimmt zu und sagt, dass er von der deutschen Politik nichts mitbekommt. Dass im Mai Landtagswahlen in NRW stattfinden, erfährt er erst durch mich.

Nicht schlimm, denke ich. Politikverdrossenheit ist nicht allein bei Deutsch-Türken ein Problem. Und ich lobe mich ein wenig, dass wir mit unserer Wählergemeinschaft wussten, wie wir die Menschen erreichen, ohne einen Cent für Wahlplakate zu investieren: Facebook, Schulhöfe oder eben die Shisha-Bar.

Zuversichtlich spreche ich weiter Menschen an. Keine Zeit, keine Lust haben sie.

Ich sehe zwei Frauen: eine davon schwarze Haare, die andere blonde. Ich bin mir sicher, dass zumindest die Schwarzhaarige eine Türkin ist. Ich gehe näher und frage, ob sie türkische Wurzeln hat, erst da guck ich in ihr Gesicht. Asiatische Augen. „Fuck“, denke ich und entschuldige mich. In diesem Moment habe ich Verständnis für alle, die Nationalitäten nicht anhand ihres Aussehens unterscheiden können.

Für uns sehen Chinesen wie Japaner oder Koreaner aus, weil wir sie nicht unterscheiden können. Würden wir in Japan leben, könnten wir das gut. Ich habe unserer Gesellschaft oft vorgeworfen, die Vielfältigkeit in diesem Land nicht unterscheiden zu können und Marokkaner zu oft mit Türken zu verwechseln. Ich merke: Ich bin gar nicht besser.

Blond für Besiktas

Ich ändere meine Strategie. Gehe in Geschäfte, deren Mitarbeiter Schwarzköpfe sind. Frage einen Kioskbetreiber. Er würgt mich ab. Nihat aus der Gastronomie nebenan könne meine Fragen bestimmt beantworten. Der sagt mir dann, dass er natürlich an den Wahlen teilnimmt, keine großen Erwartungen hat, aber Hoffnung.

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CORRECTIV.Ruhr

Ich entschließe mich, es auf der Münsterstraße weiter zu versuchen, quasi der Keupstraße Dortmunds. Auf dem Weg treffe ich auf zwei junge Männer. Wieder ein Schwarzkopf und ein Blonder. Der Schwarzhaarige ist türkeistämmig, habe ich sofort erkannt, bei dem Blonden bin ich unsicher: optisch ein Deutscher, aber mit Besiktas-Trikot. Er könnte aus Trabzon oder Rize abstammen, dort sehen die Menschen auch so aus, aber dafür trägt er das falsche Trikot.

Meine Vermutungen waren richtig, der Schwarzkopf hat ihm das Trikot geborgt. Beide sagen mir, ihnen sei Politik scheißegal, solange alle friedlich zusammenlebten. Beide sind aber noch nicht wahlberechtigt. Auch das ist Integration. Wieso soll ein Türke ein Dortmund-Trikot anziehen, ein Deutscher kann genauso gut ein Besiktas-Trikot tragen! Auch wenn das für Sarrazin und Konsorten wohl ein weiterer Beweis wäre, dass Deutschland sich abschafft. Ich verabschiede mich und weise ihn auf die fehlenden zwei Sterne auf seinem Trikot hin. Ich bin Fan von Galatasaray und wir haben vier!

Deutsch-Türken ohne Wahlrecht

An der Linienstraße vorbei und nach einem neugierigen Blick auf den Puff erreiche ich die Münsterstraße und spreche Passanten an. Glückstreffer. Einer sagt, dass er sich Frieden wünscht und dass es wichtig ist, von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen: „Kleinvieh macht auch Mist.“ Deswegen sei es wichtig wählen zu gehen. Dann stellt sich heraus, dass er nur die türkische Staatsbürgerschaft besitzt und in Deutschland, trotz seiner Geburt und Sozialisierung in diesem Land, nicht wählen gehen darf.

Ein großer Verlust. In Deutschland leben mittlerweile drei Millionen türkeistämmige Menschen. Knapp die Hälfte davon sind türkische Staatsbürger. Ohne die Minderjährigen zu berücksichtigen, liegt meine Chance sowieso nur bei 50 Prozent, einen Interviewpartner zu finden. Ein kleiner Trost für bis jetzt gefühlte hundert Absagen.

Vor einem Shisha-Café sitzen sechs ältere Männer. Ich spreche sie auf Türkisch an. „Politik? Komm setz dich hin und wir legen los“, sagen sie auf Türkisch mit kurdischem Akzent. Ich mag den Klang, er hat für mich etwas Herzliches und zugleich Humorvolles. Ich fühle mich wie in Diyarbakir, da wollte ich immer schon mal hin.

„Jetzt geht’s los“, denke ich mir, sage Ihnen aber erst jetzt, dass es um die bevorstehenden Landtagswahlen in NRW geht – nicht um das Referendum in der Türkei. „Darüber können wir leider nichts sagen. Wir können weder wählen, noch wirklich Stellung beziehen.“ Ich bin traurig, ich hätte diesen Menschen den ganzen Tag lang zuhören können. Warum sind sie nicht Teil der politischen Diskussion in Deutschland geworden, in Nordrhein-Westfalen?

Miteinander fremdgehen

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Hüdaverdi Güngör, 73

Ich denke nach und suche Gründe. Meine Großeltern fallen mir ein. Obwohl mein Dede (Opa) das halbe Jahr in Deutschland lebt, bezieht er seine Informationen über Deutschland noch immer ausschließlich aus den türkischen Nachrichten. Um das zu verstehen, muss man zurück als mein Dede, der auch Hüdaverdi Güngör heißt, voller Hoffnung im Gepäck in den Zug stieg, um in Deutschland zu arbeiten. Die Gastarbeiter kamen meist aus den Dörfern der Türkei. Deutschland war ihnen fremd, sie waren fremd. Aber sie sollten ja auch nur einige Jahre die Zähne zusammenbeißen, schnell Geld machen und wieder abhauen.

Davon gingen sie aus und die Bundesrepublik ebenfalls. Mein Dede lebte in Wohnheimen, arbeitete hart, trug Narben davon, ständig auf Montage. Aber schließlich lohnte es sich für ihn und für dieses Land. Beiden geht es heute, Gott sei dank, gut.

Aber das Verhältnis zwischen Dede und Deutschland war zunächst nur eine Affäre auf Zeit. Beide legten keinen Wert darauf, sich auf eine Hochzeit vorzubereiten (sprich: auf eine feste Integration in die Gesellschaft, raus aus den Wohnheimen, Deutsch lernen). Irgendwann beschloss man doch, kurzfristig, hastig, ohne Vorbereitung zu heiraten, quasi über Nacht. Das Verhältnis wurde dennoch weiter wie eine Affäre geführt. Ich gebe keiner Seite die Schuld, aber ich gebe jedem die Schuld dafür, der nicht versucht, es zu ändern.

Und es ist die Verantwortung meiner Generation, zu vermitteln, eine Brücke zu sein zwischen den Kontinenten. Wir Deutsch-Türken kennen beide Seiten dieser Beziehung, beide Geschichten.

Frauen halten sich raus

Es sind zu viele Gedanken in meinem Kopf. Ich will im Café eine Shisha rauchen in der Hoffnung, dass die Gäste dort vielleicht zugänglicher sind. Ich rauche meine Pfeife, die Kellnerin diskutiert mit einem Freund über die kulturellen Unterschiede zwischen arabischen und türkischen Hochzeiten. Ich denke: „Dat is dat Ruhrgebiet, in seiner ganzen Vielfalt.“ Nach mir kommt aber leider kein anderer Gast.

Ich laufe die Münsterstraße runter und sehe vor einem Laden ein Wahlplakat des SPD-Landtagskandidaten Volkan Baran. Hier müssen sie sich doch für die Landtagswahlen interessieren, denke ich mir und begrüße die Männer im Laden. Aber: Das Wahlplakat hänge nur, weil Herr Baran ein guter Freund sei, sagen sie. Ich muss lächeln, das gefällt mir. Typisch türkisch.

Ernüchtert geht’s zurück in die Innenstadt, vorbei am Puff; wieder ein neugieriger Blick und im Kopf läuft dazu „Skandal im Sperrbezirk“ von der Spider Murphy Gang. Deutsche fragen sich bestimmt, woher kennt der Türke das?

Meine Chance, auch mal eine Frau zu einem Interview zu überreden, versuche ich zu erhöhen, indem ich noch mehr anspreche. Ohne Erfolg. Vielleicht sollte ich das nächste mal einen Ehering am Finger haben! Vielleicht dachten einige, es wäre eine Anmache. Allerdings war es für mich schon 2014 in Bottrop ein Problem, Frauen mit ins politische Boot zu holen. Eine konnte ich damals überzeugen. Heute ist sie meine Freundin.

Wo Erdogan sie abholt

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CORRECTIV.Ruhr

Ab zum Markt in der City. Da muss ich hin, das lassen wir Türken uns doch nicht entgehen. Allerdings bauen die Händler schon ab. Ich suche den türkischen Klischee-Gemüsehändler, spreche aus Versehen einen Libanesen an, der sauer guckt.

Schließlich finde ich einen, und denke, Buschkowski, der ehemalige Berliner Bezirksbürgermeister, würde jetzte bestimmt sagen: „Neuköln ist überall.“ Ich störe den Händler, während er seinen Stand abbaut. Er lehnt erstmal ab, weil er türkischer Staatsbürger ist. Ich frage, wen er denn wählen würde, wenn er könnte?

Er hat eine Gegenfrage: „Wen könnte man denn noch wählen, die SPD nutzt uns seit Jahren aus, tut nichts für uns, die Grünen sind sch… und die Linken sowieso am schlimmsten.“ – „Und die CDU?“, frage ich. Er antwortet: „AfD, ich verstehe die Deutschen, die AfD wählen, das wäre in keinem Land anders, wenn so viele fremde Menschen auf einmal kommen.“

Ich bin geschockt und sauer – nicht sauer auf ihn, er ist eigentlich ganz nett. Ich spreche ihn auf die türkische Politik an. Er sei für Erdogan, sagt er. Aber die AfD fahre doch einen Anti-Erdogan-, Anti-Türkei-Kurs, sage ich. Die AfD profitiere davon, dass die Bundesregierung in Sachen Erdogan nicht hart durchgreife. Ist er trotzdem für die AfD?

Nach kurzer Überlegung bestätigt er seine Entscheidung. Mission Failed. Ich will wissen, was ihm an Deutschland gefällt und was nicht. Er lobt Deutschland als Sozialstaat, aber er fühle sich als Bürger zweiter Klasse. Das wird der Punkt sein, an dem Erdogan ihn abholt.

Draußen vor der Diskotür

Es ist immer noch schwerer, mit einem türkischen Nachnamen einen Ausbildungsplatz zu finden als mit einem deutschen. Vor einigen Jahren wollte ich in eine Discothek, meine Freunde waren drin, ich stand vor den Türstehern. Eine der zwei Kanten checkte meinen Pass und fragte die andere Kante: „War der schon hier?“ Die verneinte. In dem Moment kam eine dritte Kante dazu, nahm meinen Pass und fragte mich „Sen türkmüsün?“ (Bist du Türke?). Ich dachte, das wäre meine Chance: „Evet abi sen?“ (Ja, Bruder und du?). Darauf folgte: „Dann wird es heute nichts.“

Erdogan gab den Türken in Deutschland mit einer Rede das Gefühl, dass sie immer noch ein Teil der Türkei sind. Dank ihm durften einige das erste mal überhaupt an einer Wahl teilnehmen. Er gewinnt dort, wo wir verkackt haben.

Immerhin sehe ich das Potenzial in den Menschen, auch etwas für dieses Land zu tun. Denn auch die dritte Generation wird von dem Heimatgefühl aus der Türkei beeinflusst, obwohl viele von ihnen deutsche Staatsbürger sind und in der Türkei nichts bewirken könnten. Diesen Menschen müssen wir klar machen: Wenn ihr mit eurem deutschen Pass wirklich Einfluss auf die Politik in der Türkei nehmen wollt, müsst ihr am besten Außenminister der Bundesrepublik Deutschlands werden!

Zum Beispiel: Mehmet

Ich stehe mittlerweile ordentlich unter Strom. Da stoße ich auf einen Stand der Grünen. Einem Mann sehe ich auch ohne Stand an, dass er Mitglied ist. Ich will diskutieren, streiten, Dampf ablassen. Ich spreche über die Türkei, und kritisiere, wieso führende Kräfte der Grünen die Deutsch-Türken abschrecken und sie in Richtung der türkischen Politik drängen, statt sie für dieses Land gewinnen?

Mir fällt ein, dass sich der Markthändler als Bürger zweiter Klasse sieht. „Wieso dürfen EU-Bürger alle in Deutschland wählen, aber nicht die türkischen Staatsbürger?“ Die plausiblen Antworten interessieren mich kaum, ich will nur halbwegs respektvoll meine schlechte Laune loswerden.

Ich finde es verlogen, wenn hier Kampagnen und Demonstrationen – egal ob pro oder contra Türkei – unterstützt werden: Wirklich ernst kann ich den Kampf für die Demokratie erst nehmen, wenn er auch dort stattfindet, wo die Presse nicht täglich darüber berichten kann, dort, wo deutsche Politiker keine potenziellen Wählerstimmen abgreifen können.

Die Lage ist verzwickt: zum Beispiel bei Mehmet. Frisch aus der Pubertät, weiß er als Deutsch-Türke nicht wirklich, wo seine Heimat ist. Aufgrund der Sozialisierung in Deutschland passt er gut nach Deutschland, fühlt sich jedoch nicht immer akzeptiert. Etwas ähnliches widerfährt ihm in der Türkei. Dort passt er zwar optisch zu den Menschen, aber er wird den Titel als „Almanci“ (Deutschländer) niemals los.

Dennoch beschließt er, sich als Türke zu fühlen und stolz auf das Land zu sein, in dem er jeden Sommer zwei Wochen Urlaub macht und in gebrochenem Türkisch mit den Kellnern redet. Er assoziiert das Land mit Sommer, Strand und Meer und vergisst dabei, dass es auch in der Türkei regnet.

Aber der Mensch träumt halt gerne. Mehmet kriegt dank Erdogans einfacher, aber auch durchaus klugen Rhetorik neues Selbstbewusstsein und entwickelt einen türkischen Nationalstolz. Und außerdem ist es ja zweifellos wesentlich spannender über Kurden, Putschversuch und Gülen zu diskutieren als über die Pkw-Maut in Deutschland.

Wir dürfen Mehmet und viele andere aber nicht ausgrenzen, sondern müssen ihnen eben klar machen, dass sie auf türkische Politik am meisten Einfluss nehmen können, wenn sie auf die deutsche Außenpolitik Einfluss nehmen.

Im Leid vereint

Überhaupt: Wir sollten den Schwerpunkt auf Dinge legen, die uns verbinden, statt uns zu trennen. Zu Zeiten der Proteste um den Gezi-Park waren binnen weniger Tage tausende Menschen auch auf deutschen Straßen. Und ich frage mich weiter, wieso wir es bisher nicht geschafft haben, eine große gemeinsame Demonstration für die NSU-Opfer und die Aufklärung zu starten. Das tut weh. Leid hat auch etwas Positives, es kann die Menschen vereinen. Daran müssen wir denken.

Mein Duell am Stand der Grünen endete übrigens unentschieden und mit neuen Facebook-Freundschaften.

Ich bin mit dir fertig, Dortmund und steige in die Bahn Richtung Bochum. Auf dem Weg denke ich nach und fühle mich abgefuckt. Mich interessiert nicht mehr, ob und warum die Deutsch-Türken wählen gehen oder nicht. Die Obdachlosen in der Innenstadt haben mich mehr interessiert, als das Thema, für das ich mich eigentlich mit großen Erwartungen auf den Weg begeben habe.

In Bochum fühle ich mich wohler, wie Bottrop nur größer. Am Erfolg meiner Umfrage ändert sich aber auch hier nichts. Ich stoße auf Desinteresse, aber das erste mal in meinem Leben auch auf einen Bodo-Verkäufer. Ich kaufe eine Ausgabe. Der Verkäufer hat lange Haare, Dreck unter den Fingernägeln, entspricht also voll unserem gesellschaftlichen Klischee vom Penner. Ich verwickle den sympathischen Mann in ein Gespräch, ich will mehr über ihn erfahren und insgeheim schinde ich auch Zeit – die Zeit, in der ich eigentlich Deutsch-Türken ansprechen wollte.

Kevin und Ali gegen Obdachlosigkeit

Ein tolles Gespräch und etliche Absagen später steige ich in die Bahn Richtung Duisburg. Verbessere meine Laune mit einer Kolumne von Martin Kaysh in der Bodo. Dort versuche ich es weiter – ohne Erfolg.

Schon den ganzen Tag habe ich nach einer Begründung dafür gesucht, dass so viele Leute keine Lust haben über Politik zu sprechen. Ich glaube, es ist einfach: Ich habe den Fehler gemacht habe, mich auf Deutsch-Türken zu fokussieren. Manfred und Kevin aus sozial schwachen Bezirken gehen genauso ungern und selten wählen und fühlen sich genauso wenig vertreten wie Mehmet und Ali aus Gelsenkirchen-Ückendorf. Dazu kommt, dass Manfred und Ali wahrscheinlich ähnliche Probleme durchmachen.

Wir sollten uns einfach gemeinsam auf dieses Land und die Probleme konzentrieren, die in dieser Gesellschaft bestehen. Wir müssen über unseren Schatten springen und wir dürfen von Ali nicht erwarten, dass er Integrationsarbeit leistet und deutscher wird als die Deutschen. Aber wieso sollen Ali und Kevin, Mehmet und Manfred nicht einfach mal auf ihre Unterschiede pfeifen und sich gemeinsam um Obdachlose kümmern?

Obdachlosigkeit finden nämlich beide nicht gut.

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