Gabriel: „NRW ist kein Job für Schaumschläger“
Diplomat im Wahlkampf: Außenminister und Ex-SPD-Bundesvorsitzender Sigmar Gabriel wollte gerne ein Interview im Vorfeld der Landtagswahl geben. CORRECTIV.RUHR hat ihm schriftlich Fragen zugesandt.
Es wird eng für die SPD in Nordrhein-Westfalen. Wie konnte das geschehen?
Ich bin ganz sicher: Die SPD wird als stärkste Kraft aus den Wahlen hervorgehen. Und Hannelore Kraft bleibt zu Recht Ministerpräsidentin dieses großen und für ganz Deutschland so enorm wichtigen Landes. Hannelore Kraft hat das Vertrauen der Menschen hier an Rhein und Ruhr. Unser Parteiensystem hat sich in den letzten Jahren auch in Nordrhein-Westfalen stark verändert.
Erst kam die Linkspartei, die es nie geschafft hat, sich zu einer seriösen und verlässlichen Regierungspartei zu entwickeln. Die wollen nicht gestalten. Stimmen an diese Partei sind deshalb praktisch verschenkt. Dann kamen die Piraten, die heute schon fast vergessen sind. Dann die AfD, die Gott sei Dank auch im Sinkflug ist.
Hannelore Kraft hat sich in diesen schwierigsten politischen Zeiten behauptet. Sie hat NRW auf Kurs gehalten. Sie hat Jürgen Rüttgers und die CDU abgelöst, weil die NRW-CDU sich mehr mit sich selbst beschäftigt hat als mit dem Land. Dann hat Hannelore Kraft eine erfolgreiche Minderheitsregierung geführt und danach vier Jahre lang mit klarer Mehrheit und klarem Kurs regiert. Sie steht für Erfolg und Stabilität in Nordrhein-Westfalen. Deshalb wird sie am Sonntag auch die Nase vorn haben.
Sie haben sich als Wirtschaftsminister und Außenminister immer wieder für industriepolitische Initiativen stark gemacht und gemeinsam mit Garrelt Duin an einem Ruhr-Plan gearbeitet. Haben Sie etwas erreicht für NRW?
730.000 neue Arbeitsplätze sind ein kräftiges Zeichen für den Erfolg. Vor allem fair und anständig bezahlte Arbeitsplätze und keine schlecht bezahlten und unsicheren Jobs. Ein ehemaliger Wirtschaftsminister dieses Landes hat mal gesagt, Strukturwandel bedeute, einer Lokomotive in voller Fahrt die Räder zu wechseln. Wirtschaftliche Dynamik und sozialen Fortschritt in Einklang zu bringen. Und genau das ist die Stärke der NRW-SPD.
Die Wirtschaftsleistung hat im vergangenen Jahr um 1,8 Prozent zugenommen. Das ist auch im Bundesvergleich hervorragend. Das sollte Mut machen. Es ist ganz einfach: Hannelore Kraft steht für wirtschaftliches Wachstum und sozialen Zusammenhalt. Ihre Gegner malen das Land in den düsteren Farben. Dabei sprechen die nackten Zahlen für eine gute Leistungsbilanz der SPD-Regierungszeit: 200 Milliarden für Bildung!
NRW baut bundesweit die meisten Wohnungen und zwar zu bezahlbaren Mieten. Und es hat das größte Bauprogramm für bessere Verkehrswege. Und trotzdem schafft es die Landesregierung zum ersten Mal seit 1973 einen ausgeglichenen Landeshaushalt ohne neue Schulden.
Natürlich gibt es noch viel zu tun. Aber Hannelore Kraft hat im wahrsten Sinn des Wortes kraftvoll angepackt. Ihren Kritikern aus der Opposition kann man nur sagen: Das Schlechtreden des Landes hat bisher nichts zum Erfolg von Nordrhein-Westfalen beigetragen.
Sie haben sich in diesen Tagen klar an die Seite der Stahlkocher gestellt und die Unternehmensleitung von ThyssenKrupp heftig kritisiert, weil sie mit Tata über eine Fusion verhandelt. Wie wollen Sie die Stahl-Arbeitsplätze an Rhein und Ruhr langfristig sichern?
Wir müssen international für die Einhaltung fairer Wettbewerbsbedingungen sorgen. Wer sich nicht an die Regeln hält, darf nicht ungestraft auf den Europäischen Markt kommen. Wir haben erreicht, dass die Europäische Union hier endlich mehr tut. Außerdem sollten die strengsten Umwelt- und Klimaschutzforderungen nicht immer nur für die besten gelten. Die weltweit besten 10 Prozent der Stahlindustrie werden mit immer neuen Auflagen überzogen, statt sich um die 90 Prozent schlechteren zu kümmern.
Aber eines muss auch klar sein: Die Unternehmen müssen sich zum Standort bekennen. Wer verkaufen will statt um die Standorte zu kämpfen, der ist auf dem falschen Kurs. Da ist auch die Unternehmensführung gefordert: Ich wünsche mir von den Stahlmanagern ein klares Bekenntnis zu den deutschen Standorten und ihre Belegschaften.
Sieben Jahre lang hat sich Hannelore Kraft doch die Politik von den Grünen diktieren lassen. Rächt sich das jetzt?
Nur drei Beispiele: Die sehr guten Wirtschaftszahlen, die stark verbesserte Situation der Kommunen und der stabile Haushalt ohne Schulden gehen sicher nicht auf Konto der Grünen. Die SPD ist auch auf allen anderen Politikfeldern die bestimmende Kraft. Deshalb ist ihre Einschätzung falsch. Nordrhein-Westfalens SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft führt die Regierung. Und das wird sie auch weiter tun.
Können nicht andere Sozialdemokraten wie Olaf Scholz in Hamburg eine erfolgreichere Bilanz als Hannelore Kraft vorlegen?
Sie können beide gemeinsam auf jeden Fall immer eine bessere Bilanz als jedes CDU-regierte Land vorlegen. Übrigens arbeiten Olaf Scholz und Hannelore Kraft sehr gut zusammen. Nach dem neuen Modell im Länderfinanzausgleich bleibt für NRW mehr Geld im Topf. Olaf Scholz hat gemeinsam mit Hannelore Kraft die Verhandlungen geführt und endlich einen fairen Finanzpakt zwischen Bund und Länder auf die Beine gestellt.
NRW ist für die SPD sehr wichtig – auch für den Bundestagswahlkampf. Was würde es bedeuten, wenn Hannelore Kraft die Wahl verlieren würde?
Daran verschwende ich keinen Gedanken. Hannelore Kraft und die NRW-SPD werden gewinnen.
Was hat die SPD falsch gemacht in NRW, dass es jetzt so eng wird?
Wir Sozialdemokraten tragen unsere Erfolge nach über 50 Jahren erfolgreicher Politik im Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen nicht so vor uns her. Mein Eindruck: Wir sind im Erfolg oft zu bescheiden. Da gibt es einen gravierenden Mentalitätsunterschied zur Union oder den Liberalen. Wenn die auch nur Kleinigkeiten erreichen, dann feiern sie sich gern selbst und tun häufig so, als dass sie gerade das Rad nun neu erfunden hätten.
Gleichzeitig ist die Bescheidenheit der SPD auch der wichtigste Grund für das große Vertrauen der Menschen in diese Partei. Die Menschen an Rhein und Ruhr spüren, dass das Regieren in Nordrhein-Westfalen kein Job für Schaumschläger und Stimmungsmacher ist. Ich bin mir sicher, auch deshalb werden sich die Menschen mehrheitlich für Hannelore Kraft und die SPD entscheiden.
Nach Ihrem Rücktritt war viel vom Schulz-Zug die Rede, der keine Bremsen kennt. Nun scheint er nicht mehr unter Dampf zu stehen. Was hat ihr Rücktritt der SPD eigentlich gebracht? Das war ja ein Opfer, dass Ihnen sicher schwer fiel.
Der Begriff Opfer ist mir zu pathetisch. Es war aus meiner Sicht ein notwendiger Schritt, um der Partei einen neuen Impuls zu geben. Der Wechsel an der Spitze hat zu neuem Schwung und neuen Perspektiven geführt hat.
Wir haben mit Martin Schulz an der Spitze seit Jahresbeginn 16.000 neue Mitglieder gewonnen und in allen Umfragen an Boden gut gemacht. Unsere Lage heute ist bedeutend besser als zu Beginn des Jahres. Deshalb haben wir allen Grund optimistisch zu sein: Für die Wahlen in Nordrhein-Westfalen am Sonntag und im Bund Ende September.
Diskussion: Hat Gabriel recht?
Hat Sigmar Gabriel ein realistisches Bild der SPD in NRW gezeichnet? Diskutiert gern hier in den Kommentaren.