Was ist wirklich in Schorndorf passiert?
Bei einem Volksfest in der schwäbischen Provinz wurden mindestens zwei Frauen sexuell belästigt, mehrere Polizeiwagen beschädigt und mit Graffiti beschmiert, während einer Auseinandersetzung flogen Glasflaschen. Seit bekannt wurde, dass unter den Tatverdächtigen Personen mit Migrationshintergrund sind, kursieren Berichte über einen „Migrantenmob“, der in Schorndorf wütete. Stimmt das? Die Fakten im Überblick.
Jedes Jahr feiert die 40.000-Einwohner-Stadt in Baden-Württemberg am vorletzten Wochenende vor den Sommerferien die Schorndorfer Woche. Von Freitag bis Dienstag dauert die Party. Auf dem Programm stehen Veranstaltungen wie „Qi Gong zum Mitmachen“ oder „die Parade der schönsten Motorräder Süddeutschlands“.
Anfang der Woche berichteten zahlreiche überregionale und regionale Medien über dieses Stadtfest, weil es am Rand der Feiern im Schlosspark zu Krawallen gekommen war. Die Polizei hatte in einer ersten Pressemitteilung am Sonntag von sexuellen Übergriffen und Asylbewerbern als mutmaßliche Täter geschrieben sowie von Randale aus einer tausendköpfigen Menge heraus. Oberbürgermeister Matthias Klopfer (SPD) sprach von einer „neuen Qualität der Gewalt“. Die Polizei rief Zeugen auf, sich zu melden. Auch der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) äußerte sich: „Solche Nachrichten wie aus Schorndorf wollen wir nicht lesen müssen!“ Noch wird in Schorndorf ermittelt. Da auch in den sozialen Medien viele Gerüchte kursierten, stellen wir hier zusammen, was bekannt ist und was nicht.
Was ist passiert?
- In der Nacht von Samstag auf Sonntag versammelten sich nach Angaben der Polizei etwa tausend Jugendliche im Schlosspark, laut einem Sprecher der Vereinsgemeinschaft, die die Schorndorfer Woche organisiert, waren es etwa 600 junge Erwachsene, die größtenteils friedlich gefeiert hätten.
- Während der Schorndorfer Woche wird der Schlosspark regelmäßig zum Treffpunkt für junge Leute, so auch in den Vorjahren.
- Die Polizei spricht davon, dass „ein großer Teil davon einen Migrationshintergrund hatte“, Oberbürgermeister Klopfer von „Menschen aus vielen Nationen – darunter auch viele Asylsuchende, Flüchtlinge und Migranten. Aber vor allem Schülerinnen und Schüler aus Schorndorf und Umgebung“.
- Im Laufe der Nacht warfen Einzelne aus der Anonymität der Menge heraus Flaschen. Dem vorausgegangen war wohl ein Streit zweier Gruppen.
- Als die Polizei eingriff, solidarisierten sich die beiden Gruppen und attackierten die Polizisten mit den Flaschen, die Polizisten legten eine Schutzausstattung an und forderten Verstärkung aus den umliegenden Landkreisen.
- Am Montag sprach der Polizeipräsident davon, die Lage in der Nacht von Samstag auf Sonntag nicht immer im Griff gehabt zu haben. Die Einsatzkräfte hätten sich kurzzeitig zurückziehen und neu aufstellen müssen.
- Bereits in den Vorjahren kam es während der Schorndorfer Woche zu Ausschreitungen, „aber nicht in diesem Ausmaß“, sagte Oberbürgermeister Klopfer.
- Mindestens zwei junge Frauen wurden sexuell belästigt, der erste Fall wurde bereits am Freitag gemeldet. Die Polizei ermittelte bisher einen irakischen Tatverdächtigen sowie drei afghanische Tatverdächtige.
Was ist noch nicht bekannt, welche Nachrichten sind ungewiss?
- Bisher laufen noch die Ermittlungen, die Polizei gibt deshalb die Anzahl der bisher eingereichten Anzeigen nicht bekannt, laut einem Sprecher sind es aber „weit unter 100“.
- Wer genau die Täter sind, die Flaschen geworfen und randaliert haben, ist derzeit unklar.
- Auch die Anzahl der Beamten im Einsatz hat die Polizei nicht bekanntgegeben.
- Oberbürgermeister Klopfer äußerte im Südwestrundfunk, dass zunächst nur Schüler in dem Park gefeiert hätten und erst zu späterer Stunde weitere Personen dazu gestoßen seien.
- Laut Angaben des Veranstalters haben die Auseinandersetzungen wohl zunächst auf einem angrenzenden Parkplatz zwischen zwei Gruppen junger Erwachsener mit Migrationshintergrund stattgefunden.
- Es laufen ebenfalls noch Ermittlungen zu der Frage, ob das Aufeinandertreffen vorab organisiert war. Bei Facebook gab OB Klopfer bekannt, dass man seit einigen Wochen eine Gruppe von 20 bis 30 arabischstämmigen Personen beobachte, die nicht aus Schorndorf kommen, sich dort allerdings verabreden. So auch am vergangenen Samstagabend.
- Auch das Ausmaß der Krawalle ist noch nicht klar, laut Angaben des Veranstalters haben viele der Besucher überhaupt nichts mitbekommen, weil der Schlosspark nicht mehr zum offiziellen Veranstaltungsgelände gehört – die Lokalzeitung vor Ort berichtet zunächst von einem „Ausnahmezustand“, Polizeipräsident Roland Eisle relativierte das am Montag in einer Pressekonferenz, sprach aber dennoch von einer noch nicht bekannten Gewalt. Ausnahmezustand sei aber etwas anderes für ihn. Die Waiblinger Zeitung kommentierte: „Schorndorf ist nicht Köln“.
- Wie viele Besucher genau am Samstagabend die Schorndorfer Woche besuchten, ist ebenfalls nicht bekannt. Die Veranstalter sprechen von 10.000 bis 15.000 Besuchern, die in der Altstadt unterwegs waren.
Was nicht stimmt:
- Ursprünglich hieß es, dass Gruppen von 30 bis 50 Personen randalierend durch die Schorndorfer Innenstadt gezogen wären — das stimmt, laut Oberbürgermeister Klopfer, nicht. Die Polizei ermittelt aber, inwieweit einzelne Menschen Messer bei sich trugen. Dazu gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse.
- Inzwischen ist die Geschichte im Netz vielfach geteilt worden, die englische Webseite von News-Front-Info verbreitete die Nachricht etwa mit einem Fake-Bild, das alt und ursprünglich wohl eine Veranstaltung in Bielefeld Anfang 2016 zeigt.
- Zwischenzeitlich wurde die Nachricht getwittert, ein Mob aus 1.000 Migranten sei durch die Schorndorfer Innenstadt gezogen. Auch das stimmt nicht.
Es waren Nachrichten wie diese, die sich gestern rasch in sozialen Netzwerken verbreiteten:
1000.Migranten.Auf Straßenfest.In Schorndorf. Mit erheblichem Aggressionspotential.Läuft. https://t.co/oof4rjm4lD… pic.twitter.com/4kfNvJttyg
— Beatrix von Storch (@Beatrix_vStorch) 16. Juli 2017
Wie wird es weitergehen?
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Das Fest wird noch bis Dienstag fortgesetzt, die Polizeipräsenz sei massiv erhöht worden.
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Der Aalener Polizeipräsident Eisele kündigte am Montag an, dunkle Ecken auf dem Festgelände stärker ausleuchten zu wollen.
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OB Klopfer forderte, künftig das Alkoholverbot wieder konsequenter ab 22 Uhr durchzusetzen.
- Des Weiteren soll der Park wie in den Vorjahren früher geräumt werden, das forderte der SPD-Oberbürgermeister im Südwestrundfunk, Innenminister Strobl deutete das als Kritik an der Schorndorfer Polizei und kritisierte den SPD-Oberbürgermeister dafür scharf: „Schuld ist nicht die Polizei, sondern schuld sind die, die Frauen begrabschen, übergriffig sind, Straftaten begehen, Polizisten mit Flaschen bewerfen, Gewalt ausüben. Ein Oberbürgermeister ist nicht ein besserer Polizei-Einsatzleiter.“
- Die Polizei Aalen rief unter anderem bei Facebook Zeugen dazu auf, sich zu melden — ebenfalls können sich Personen melden, die über Bildmaterial von dem Abend verfügen, bisher habe man aber nur vereinzelt Material zugeschickt bekommen, so ein Polizeisprecher.
- Wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind, werden diese im nächsten Schritt an die Staatsanwaltschaft Stuttgart weitergeleitet. Noch sind die bisher ermittelten Tatverdächtigen auf freiem Fuß. Haftbefehle wurden bisher nicht erlassen.
+++ Update vom 19. Juli von dem Polizeipräsidium Aalen +++
Inzwischen hat das Polizeipräsidium Aalen bekannt gegeben, dass während der Schorndorfer Woche 53 Straftaten zur Anzeige gebracht wurden, wovon sich 28 Delikte in der Nacht von Samstag auf Sonntag ereigneten. In der Pressemitteilung spricht das Präsidium inzwischen von 100 Personen, „größtenteils mit Migrationshintergrund“, mit Gewaltpotential während die Übrigen im Schlosspark weitgehend friedlich waren. Näheres dazu finden Sie hier.