Die Alte Apotheke – Die wichtigsten Vorwürfe
Die Vorwürfe gegen den Alten Apotheker Peter S. aus Bottrop klingen kaum glaubhaft. Ein Mann aus einer alten, geachteten Apothekerfamilie soll krebskranken Menschen zehntausendfach gepantschte Arzneien verkauft haben? Wir gehen in die Details der einzelnen Vorwürfe, so wie die Ermittler sie erarbeitet haben. Die Informationen stammen aus Unterlagen der Staatsanwaltschaft, der Gesundheitsbehörden und anderer Ermittlungsgruppen. Nicht jeder Vorwurf wird vor Gericht gebracht.
1. Vorwurf: Krebsmittel ohne Wirkstoffe
Seit Jahren wurde in der Alten Apotheke in Bottrop getuschelt. Der Apotheker Peter S. – Erbe einer Familiendynastie von Bottroper Apothekern – soll Krebsmittel gepanscht haben. Dies sei eine Art offenes Geheimnis in der Alten Apotheke gewesen, berichten mehrere Zeugen, die in der Alten Apotheke gearbeitet haben. Den Vorwürfen sei aber nie jemand wirklich nachgegangen. Es blieb beim Tuscheln, bis sich die Labormitarbeiterin Marie Klein und der kaufmännische Leiter Martin Porwoll ans Herz gefasst haben und das Schweigen brachen.
Martin Porwoll hatte als Kaufmännischer Leiter der Alten Apotheke kontrolliert, ob Peter S. überhaupt so viele Arzneien herstellen konnte, wie er verkauft hat. Dazu prüfte er bei vier besonders wertvollen Medikamenten, ob die eingekauften Wirkstoffe ausreichten, die verkauften Arzneien herzustellen. Sein Befund. Die Mengen reichten lange nicht aus. Peter S. hatte viel zu wenig Wirkstoff eingekauft. Der Verdacht auf Panscherei erhärtete sich. Martin Porwoll zeigte seinen Verdacht bei der Staatsanwaltschaft an.
Am Morgen des 26. Oktober 2016 brachte Marie Klein dann einen Beutel mit einem Krebsmedikament, das Peter S. hergestellt hatte, zur Polizei. Der Beutel war von einer onkologischen Praxis zur Entsorgung zurückgeliefert worden, weil die entsprechende Patientin nicht behandelt werden konnte. Dieser Infusionsbeutel war eindeutig adressiert: Er war mit dem Namen der Patientin beschriftet und der angeblich enthaltenen Wirkstoff war dort nebst Konzentration beschrieben. Jedes Missverständnis, dass es sich nicht um eine Antikörpertherapie handelte, ist ausgeschlossen. Dieser Beutel wurde von der Polizei dem Paul-Ehrlich-lnstituts in Langen zur Untersuchung übergeben. Das Institut stellte am 21.11.2016 fest: Der Infusionsbeutel enthielt ausschließlich Kochsalzlösung – also keinen nachweisbaren Wirkstoff.
Diese Fakten stützen den Vorwurf, der Alte Apotheker Peter S. habe in mindestens einen Fall ein Medikament ohne Wirkstoff an einen krebskranken Patienten verkauft.
2. Vorwurf: Verdünnte Krebsmittel
Die Staatsanwaltschaft Essen wirft dem Alten Apotheker Peter S. vor, in 61.980 Fällen gepantschte Arzneien an Patienten verkauft zu haben. Diesen Vorwurf stützt die Staatsanwaltschaft zunächst auf die Analyse der eingekauften und verkauften Wirkstoffmengen der Alten Apotheke. Dazu hatte die Staatsanwaltschaft detailliert die Angaben von Martin Powoll anhand der Eingangs- und Ausgangsrechnungen überprüft – und auf weitere Wirkstoffe ausgedehnt. Dabei haben die Ermittler festgestellt, dass Peter S. bei über einem Dutzend Wirkstoffen weniger Mengen eingekauft hat, als er verkaufte. Er hat die Krebskranken Menschen also um ihren Heilstoff betrogen.
Die Staatsanwaltschaft schließt aus, dass Peter S. die benötigten Mengen auf anderen Wegen beschafft haben könnte, um sie zu verkaufen. Etwa auf dem Schwarzmarkt, in Indien oder bei nicht registrierten Pfuschlaboren in Osteuropa. Er hat sich nicht mal die Mühe gemacht, Ersatz zu besorgen. Peter S. hat Wasser anstelle von Wirkstoffen verkauft.
Die Staatsanwaltschaft hat diesen Verdacht bei einer Razzia in der Alten Apotheke am 29. November 2016 überprüft. Dabei wurden alle Arzneien in der Alten Apotheke beschlagnahmt, die für Krebspatienten gedacht waren. Insgesamt waren das 117 Medikamente.
29 dieser Medikamente sollten so genannte monoklonale Antikörper enthalten. Das sind besonders wirkungsvolle – und besonders teure – Arzneien gegen Krebs. Das Paul-Ehrlich-Institut hat diese 29 Medikamente mit monoklonalen Antikörpern untersucht. Nur eine Probe entsprach den üblichen Anforderungen.
Alle anderen Proben, die das Paul-Ehrlich-Institut untersuchte, wichen davon stark ab. In 20 Proben war sogar weniger als 20 Prozent des angegebenen Wirkstoffes. Das bedeutet, einfacher und brutaler gesagt: In den Medikamenten war offenbar gerade genug Wirkstoff, dass die Patienten kotzen mussten. Auf Heilung durften sie nicht hoffen.
Neben den bereits erwähnten 29 Medikamenten mit monoklonalen Antikörpern hatte die Staatsanwaltschaft weitere 88 Medikamente beschlagnahmt, die allerdings nicht ganz so teuer waren wie die Spezialmedizin gegen Krebs. Diese 88 Medikamente untersuchte das Landeszentrum Gesundheit NRW in Münster (LZG). 58 Medikamente davon waren Zytostatika, Medikamente, die bei einer Chemotherapie das Zellwachstum bremsen.
Das Ergebnis der Untersuchungen ist hier ähnlich brutal. Nur 44 Proben entsprachen den üblichen Anforderungen. 43 hatten zum Teil massive Abweichungen nach unten. Anders gesagt: Sie enthielten viel zu wenig Wirkstoffe, um wirkungsvoll zu sein.
3. Vorwurf: Falsche Krebsmittel
Bei der Überprüfung der teuren monoklonalen Antikörper stellte das Paul-Ehrlich-Institut noch etwas fest: In 5 der 29 untersuchten Beuteln mit Antikörper, die bei der Razzia in der Alten Apotheke beschlagnahmt wurden, war nicht der Wirkstoff, der auf der Packung angegeben war, sondern offenbar andere Wirkstoffe aus einer ähnlichen Wirkstoffgruppe. So verabreichte Peter S. etwa den Wirkstoff „Pertuzumab“ anstelle des verordneten Wirkstoffs „Trastuzumab“.
Anders ausgesagt: Wenn ein Krebskranker Mensch Glück hatte und Peter S. ihm tatsächlich Medizin verkaufte, hieß das noch lange nicht, dass er die richtige Medizin bekam. Es konnte auch passieren, dass er etwas anders in die Venen gespritzt bekam, als die Ärzte ihm verordnet hatten.
Wer welchen Wirkstoff bekam, ist nicht nachvollziehbar.
4. Vorwurf: Körperverletzung
Eigentlich könnte man vermuten, dass nun jeder, der ein gepanschtes Medikament bekommen hat, Opfer einer schweren Körperverletzung geworden ist. Die Staatsanwaltschaft hat aber nur in 27 Fällen Anklage wegen versuchter Körperverletzung erhoben. Der Grund: Nur in diesen Fällen kann sie beweisen, dass Peter S. die Medikamente selber zubereitet hat, dass sie gepanscht und für einen bestimmten Patienten angerührt waren. Die Staatsanwaltschaft hatte die betroffenen Medikamente bei der Razzia beschlagnahmt. In keinem anderen Fall konnte die Staatsanwaltschaft beweisen, dass Peter S. tatsächlich konkreten Menschen gepanschte Medikamente verkauft hatte.
5. Vorwurf: Rabattbetrug mit Krebsmittel
Die Ermittler stellten fest, dass Peter S. noch einen besonders lukrativen Weg gefunden hatte, mit Krebsmitteln Geld nebenher zu machen. So kaufte er zum Beispiel das Medikament Xgeva bei einem Billiganbieter zu einem stark reduzierten Preis ein. Und gab das Medikament über einen offenbar manipulierten Rückgabeschein an den Großhändler Noweda in Essen zurück.
Dieser Handel ist nach dem Arzneimittelgesetz verboten, da so illegale Medikamente in den Verkehr geschmuggelt werden können.
Die Noweda erstatte den vollen Preis an Peter S. zurück und berechnet in der Regel keine Rückgabegebühren.
Gleichzeitig rechnete Peter S. die Vergabe von Xgeva an Krebspatienten bei den Krankenkassen ab.
So verdiente der Alte Apotheker zweimal. Einmal an der teuren Rückgabe, einmal an den kranken Menschen.
Nach Angaben der Ermittler hatte die Alte Apotheke im fraglichen Zeitraum eine Rückgabequote von rund 20 Prozent – normal wäre eine Quote von maximal 3 Prozent gewesen.
Der Apotheker gab sich bei diesem Deal übrigens nicht mit Krebsmedikamenten zufrieden. Das gleiche Rückgabegeschäft zog er mit tausenden Tabletten Paracetamol und mit etlichen hunderten Packungen von Nasensprays durch und machte nebenher noch weitere illegale Extraeuros. Egal wie – der Profit war offenbar entscheidend.
6. Manipulationen von Krebsstudien
Die Alte Apotheke war an mehreren Arzneimittelstudien beteiligt. Dabei sollte die Wirkung von modernen Krebsmedikamenten untersucht werden. Und genau diese wissenschaftlichen Studien könnten verfälscht worden sein, weil Peter S. gepantschte Medikamente lieferte. Davor warnte jedenfalls im Dezember 2016 das Bundesinstitut für Arzneimittelsicherheit (BfArM). Rund 30 klinische Studien mit mindestens 25 Wirkstoffen seien identifiziert worden. Das BfArM wertet derzeit die Angaben der Sponsoren der klinischen Studien aus, in der Regel Pharmakonzerne oder Universitätskliniken. „Wir müssen verhindern, dass solche Daten in Zulassungsverfahren für neue Medikamente eingebracht werden, und werden deshalb nach Auswertung der Antworten alle europäischen Zulassungsbehörden informieren.“
Sollte Peter S. Prüfsubstanzen falsch dosiert haben, so sind verschiedene Szenarien der Verzerrung der Ergebnisse denkbar – je nach Aufbau der Studie: Hätte er den zu prüfenden Wirkstoff unterdosiert, würde dessen Wirkung unterschätzt, die Nebenwirkungen aber womöglich ebenfalls unterschätzt. Hätte er umgekehrt das Vergleichspräparat unterdosiert, könnte die Wirkung des geprüften Medikaments sowie seine Nebenwirkungen überschätzt worden sein.
7. Vorwurf: Mangelnde Hygiene
Die Hygiene-Mängel in der Alten Apotheke wurden den Ermittlern von mehreren Zeugen detailliert bestätigt. Maria-Elisabeth Klein etwa stellt seit 17 Jahren Krebsmittel-Infusionen her, sie kennt die Regeln. Sie sagt: „Mir sind als erstes die krassen Hygiene-Mängel aufgefallen. Peter S. ging mit Straßenkleidung ins Reinraumlabor, in Sakko und Hemd.“ Ein Verstoß gegen Sicherheitsmaßnahmen. Normalerweise muss man den Reinraum durch eine Schleuse betreten, zieht sterile Kleidung an und desinfiziert sich. Keimfreiheit ist zwingend, denn während einer Krebstherapie ist das Immunsystem der Patienten so heruntergefahren, dass jede Infektion ein tödliches Risiko darstellt. Eine Krankheit, übertragen durch ein verschmutztes Medikament, kann das Ende bedeuten.
Peter S. soll nach Angaben der Zeugen sogar seinen Hund mit in das Reinlabor genommen haben. Die Zeugen fanden Hundehaare im Reinraum. Über die kostspieligen italienischen Anzüge von Peter S. machten die Labormitarbeiter Witze. Die Ermenegildo Zegna Stoffe müssten aus Teflon sein, dass an ihnen kein Bakterium kleben könne.
Peter S. kannte die Regeln. Er hat sie bewusst verletzt, weil es ihm offenbar egal war, welche Konsequenzen die mangelhafte Hygiene haben könnte.
Die Kontrollen des Gesundheitsamtes waren alle angekündigt. Sie bezogen sich im wesentlichen auf die Einrichtung des Labors, nicht auf die direkte Zubereitung der Krebsmedikamente.
8. Vorwurf: Illegaler Großhandel
Neben seinen Geschäften in der Alten Apotheke unterhielt Peter S. nach Ansicht der Ermittler noch einen illegalen und nicht genehmigten Großhandel für Medizinpräperate. So hat er zwischen 2013 und 2015 alleine der MPA Pharma GmbH diverse Arzneimittel mit einem Nettowarenwert von rund 5,5 Millionen Euro verkauft, dass diese Firma dann weiterverkaufte. Die MPA Pharma sitzt in Norddeutschland. Ihr Geschäftmodell ist der „Vertrieb von patent- und nicht patentgeschützten Produkten, generischen Produkten sowie apothekenpflichtigen EU-Arzneimitteln (OTC), BTM und Medizinprodukten, auch den Handel mit qualitativ hochwertigen Arzneimitteln und Medizinprodukten sowie die Lohnherstellung für Drittfirmen.“
Peter S. war ein illegaler Lieferant der MPA Pharma GmbH.
9. Vorwurf: gewerbsmäßiger Betrug an Krankenkassen
Die gepanschten Krebsmedikamente hat der Alte Apotheker Peter S. zum vollen Preis bei den Krankenkassen abgerechnet. Das ist Betrug. Da Peter S. immer wieder gepanscht hat, hat er den Betrug gewerbsmäßig ausgeübt. Wie ein Mafiaverbrecher. Anders ausgedrückt: Der Betrug war Peters Geschäft, nicht der Handel mit Medikamenten. Insgesamt geht die Staatsanwaltschaft von einem Schaden in Höhe von über 50 Millionen Euro aus, der den Kassen entstanden ist.
Der Betrug ist nachvollziehbar und kann bestraft werden.
10. Vorwurf: gepanschte Krebsmittel für Tierklinik
Peter S. soll ohne Erlaubnis Krebsmittel an eine Tierarztpraxis geliefert haben. Die Tiere wurden mit gepanschten Mitteln behandelt. Die Ermittler teilten mit, dass sie sich „mit etwaig betroffenen Tieren und betrogenen Tierhaltern im Zuge der Ermittlungen allerdings nicht weiter beschäftigt haben.“
xxx Übrigens xxx
Die Anklage ist nun erhoben worden vor allem wegen gewerbsmäßigem Betruges mit einem Schaden von über 50 Millionen Euro, wegen versuchter Körperverletzung in 27 Fällen, sowie Verstößen gegen das Arzeneimittelgesetz – also des Panschens an sich.
Die Alte Apotheke ging unterdessen zurück in den Besitz der Mutter von Peter S., die nach Aussage ihrer Anwälte nichts mit dem Skandal zu tun haben soll. Sie betreibt die Alte Apotheke unter dem gleichen Namen weiter. Wir haben Sie um ein Gespräch gebeten, sie möchte bis jetzt nicht mit uns reden.
Wir haben den Anwalt von Peter S. zu den Vorwürfen befragt. Er hat bis jetzt nicht geantwortet.