Wirtschaft

Umstrittener US-Konzern könnte den Betrieb von deutschen NATO-Pipelines übernehmen

Die Bundesregierung prüft derzeit ein Geschäft zwischen zwei internationalen Konzernen, bei dem Teile der deutschen Energieinfrastruktur verkauft werden sollen. Nach Informationen von CORRECTIV sind davon auch Anlagen der NATO und der zivilen Luftfahrt betroffen. Grüne im Bundestag fordern den sofortigen Stopp des Geschäfts.

von Gesa Steeger

Tanklager, Duisburger Hafen, Ruhrgebiet, Nordrhein-Westfalen, Deutschland, Europa
Der Verkauf der Firma Tanquid wird aktuell von der Bundesregierung geprüft. Foto:Rupert Oberhäuser/picture alliance

Ein wichtiger Teil der deutschen Energieinfrastruktur könnte bald von einer privaten Firma aus den USA kontrolliert werden: fast 1800 Kilometer unterirdische Pipelines, Pumpstationen, 14 Tanklager sowie Beladeanlagen für Lkw und Züge. Ein Netzwerk, das nicht nur große Flughäfen wie Frankfurt am Main und Berlin mit Treibstoff versorgt, sondern auch die Bundeswehr und die NATO-Streitkräfte.

Das Netzwerk gehört zwar dem Bund, der Betrieb aber könnte bald in die Hände eines umstrittenen amerikanischen Unternehmens übergehen – das geht aus einer Erklärung des Bundeswirtschaftsministeriums hervor, die CORRECTIV vorliegt. Das wirft die Frage auf, wie die Bundesregierung mit Infrastrukturen umgeht, die für die deutsche Versorgungssicherheit von zentraler Bedeutung sind. Zuletzt hat der russische Angriff auf die Ukraine deutlich gemacht, welche Folgen die deutsche Abhängigkeit von anderen Staaten haben kann – gerade im Energiesektor.

„Hier droht ein Ausverkauf kritischer Infrastruktur“, sagt der energiepolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Michael Kellner, gegenüber CORRECTIV. „Wir haben in jüngster Zeit schmerzlich gelernt, was passiert, wenn wir kritische Infrastruktur an Dritte verkaufen.“ Problematisch sieht Kellner auch den möglichen Verkauf an ein Unternehmen aus den USA: „Wir können uns momentan leider nicht auf die transatlantische Freundschaft verlassen.“ Es sei nun an der Bundesregierung, den geplanten Verkauf sofort zu stoppen, so Kellner. „Diese Anlagen gehören in die Hände von deutschen oder europäischen Unternehmen.“

Geplanter Verkauf kritischer Infrastruktur an umstrittenes Unternehmen aus den USA

Hintergrund der Übernahme ist der geplante Verkauf der Tanquid GmbH an den US-amerikanischen Energiekonzern Sunoco LP. Die Tanquid GmbH ist einer der größten Betreiber von Öl- und Tanklagern in Deutschland – und damit ein wichtiger Baustein der deutschen Energieversorgung.

In den Anlagen der Tanquid werden große Mengen Flüssigkeit gespeichert – Treibstoffe wie Kerosin, aber auch Mineralöl, Chemikalien und Gase. Die Bundesregierung listet das Unternehmen und dessen Lager daher als kritische Infrastruktur, wie aus einer Kleinen Anfrage der Grünen-Fraktion im Bundestag hervorgeht.

Zu dem geplanten Deal gehören aber nicht nur 15 Tanquid-Anlagen in Deutschland und eine weitere in Polen, sondern auch Anteile an der Fernleitungs-Betriebsgesellschaft (FBG) – der Firma, die das deutsche NATO-Treibstoffnetzwerk am Laufen hält. Denn über eine Tochterfirma hält Tanquid 49 Prozent an der FBG. Die anderen 51 Prozent der Anteile gehören dem Bundesverteidigungsministerium.

Was ist kritische Infrastruktur?

Zur kritischen Infrastruktur gehören Einrichtungen und Anlagen wie Tanklager, Häfen oder auch Kliniken, die für die Versorgung einer Bevölkerung unerlässlich sind. Ein Ausfall oder eine Beeinträchtigung kann zu massiven Versorgungsengpässen oder Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit führen.

Welche Sektoren und Anlagen zur kritischen Infrastruktur gehören, regelt die sogenannte BSI-Kritisverordnung. Zu den kritischen Sektoren gehören unter anderem die Versorgung mit Gas und Strom, die Trink- und Abwasserversorgung, die Transport- und Finanzsysteme – einschließlich der Versorgung mit Bargeld.

Millionenklage gegen Umweltorganisation

In der Kritik steht aber nicht nur der Verkauf, sondern auch der mögliche neue Besitzer der Tanquid: die Sunoco LP ist eine Tochterfirma des US-amerikanischen Energiekonzerns Energy Transfer. Dessen Besitzer, Kelcy Warren, gilt als enger Vertrauter und Finanzier des amerikanischen Präsidenten. Zuletzt erstritt das Unternehmen Schadensersatz in Höhe von rund 600 Millionen Euro von der Umweltorganisation Greenpeace – vorausgegangen war eine Klage wegen eines Protests der Organisation gegen eine Pipeline von Energy Transfer in den USA. Mehrere Fachleute, darunter die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, stufen diesen Fall als eine sogenannte SLAPP-Klage ein, die strategisch darauf abzielt, Kritiker mit rechtlichen Mitteln einzuschüchtern.

Ein Staat müsse sich darauf verlassen können, dass die kritische Infrastruktur verlässlich, transparent und demokratisch kontrolliert werde, kritisierte Greenpeace den Tanklager-Deal jüngst in einem Statement. Gerade auch bei Konflikten mit anderen Ländern. „Bei einem Verkauf an ein Unternehmen wie Energy Transfer wäre das nicht länger gewährleistet.“

Doch nicht nur die Sunoco LP ist umstritten: Bereits der aktuelle Eigner der Tanquid GmbH ist eine ausländische Firma – und hat für Probleme gesorgt. Die australische Investmentgesellschaft Macquarie Group Limited ist in der Vergangenheit bereits durch kriminelle Geschäftspraktiken aufgefallen. Die Bank war tief in den Steuerhinterziehungs-Skandal Cum-Ex involviert. Insgesamt seien etwa 100 aktuelle und ehemalige Mitarbeitende als Verdächtige in dem Verfahren genannt worden, schreibt die Macquarie Group in ihrem aktuellen Geschäftsbericht.

Dieser Fall mache deutlich, „wie wichtig es ist, dass wir diese Art der Infrastruktur unter deutscher oder europäischer Kontrolle behalten“, sagt Grünen-Politiker Kellner. Es sei fahrlässig, kritische Versorgungseinrichtungen in die Hände eines Unternehmens zu geben, dessen Eigner Trump unterstütze und „die Zivilgesellschaft mit Klagen einzuschüchtern versucht.“

Welche Verantwortung übernimmt die Bundesregierung?

Doch der Fall wirft auch grundsätzliche Fragen auf: Rund 80 Prozent der kritischen Infrastruktur in Deutschland liegen laut dem Kompetenzzentrum Kritische Infrastruktur in privater Hand. Wie geht die Bundesregierung mit der Verantwortung um, wenn zentrale Versorgungsstrukturen von Akteuren kontrolliert werden, deren Integrität zweifelhaft ist?

Zwar müssen Betreiber von kritischer Infrastruktur Regeln einhalten, die gesetzlich festgelegt sind – etwa Störungen melden und die Anlagen vor Angriffen oder Sabotage schützen. Doch einheitliche Standards fehlen bisher. Diese sollen nun im neuen KRITIS-Dachgesetz festgelegt werden. Das Bundeskabinett hat dazu jüngst einen Gesetzesentwurf vorgestellt.

Bundesregierung prüft momentan den Verkauf

Noch werde der Verkauf der Tanquid GmbH von der Bundesregierung geprüft, wie das zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE) auf Anfrage von CORRECTIV mitteilt. Ob die Bundesregierung dem Verkauf zustimmen wird und welche Bedeutung der FBG mit Blick auf die deutsche Versorgungssicherheit zugemessen wird, dazu äußert sich das Ministerium nicht. Auch gegenüber anderen Medien verweigerte das Ministerium von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) bereits Auskünfte dazu – mit Verweis auf Geschäftsgeheimnisse.

Die FBG sowie die Tanquid GmbH wollen sich ebenfalls nicht zu dem geplanten Verkauf äußern. Das Bundesverteidigungsministerium, das Mehrheitsanteile der FBG hält, antwortet, die FBG betreibe zwar die technischen Anlagen „die zum NATO-Pipeline-System auf deutschem Staatsgebiet gehören“, hinsichtlich Deutschlands Versorgungssicherheit mit Erdöl sei die FBG aber nicht relevant.

Noch ist unklar, ob der geplante Verkauf der Tanquid-Anlagen und der FBG-Anteile tatsächlich stattfindet. Wann die laufende Prüfung des Verkaufs abgeschlossen sein könnte, teilte das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage von CORRECTIV nicht mit.

Redigat: Frida Thurm und Justus von Daniels

Faktencheck: Frida Thurm

 

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