Falsche Umweltplaketten und Kat-Attrappen: Wie Autofahrer Abgas-Gesetze aushebeln
Private Fahrer und einschlägige Firmen unterlaufen im Straßenverkehr immer dreister Umweltgesetze und Klimaschutz. Mit gefälschten Umweltplaketten und Katalysator-Dummies für einen Spottpreis. Ermittler sehen sich mit einer völlig neuen Betrugsform konfrontiert. Kontrollen, um die Tricksereien und Rechtsbrüche aufzudecken, gibt es kaum.
Am 18. September vor zwei Jahren war der Aufschrei groß: Die US-Umweltbehörde EPA überführte den Automobilriesen Volkswagen des Abgasbetrugs. Der Konzern hatte in die Motorsteuerung von elf Millionen seiner Dieselfahrzeuge eine illegale Abschaltvorrichtung gebaut. Im Testlauf bewirkte sie sehr viel günstigere Abgaswerte als im Alltagsbetrieb. Ein Skandal. Schäden von vielleicht 100 Milliarden Dollar waren zu Lasten getäuschter Käufer entstanden. Von den gesundheitlichen Schäden durch die erhöhten Schadstoffe ganz zu schweigen.
Doch nicht nur die großen Sünder unterlaufen die Umwelt- und Klimaschutzgesetze. Es gibt auch die kleinen. Die allerdings massenhaft, wie Ermittler sagen. Private Fahrer und kleine Firmen umgehen Regeln, fälschen Dokumente, schalten abgasreinigende Systeme ab oder täuschen deren Existenz nur vor. Ihnen auf die Spur zu kommen ist fast so schwierig wie dem illegalen Handeln von VW. Denn diese neue Form der Umweltkriminalität ist kaum bekannt. Gleichzeitig wächst der Markt im Internet mit immer neuen Angeboten zum Betrug.
Gefälschte Plaketten auf der Frontscheibe
Thomas Bölke ist Polizeioberkommissar. Er arbeitet auf der Autobahnwache Bensberg bei Köln an der A 4 in einem kleinen Team von Kollegen, die Schwerlaster überwachen. Bölke, der in einem der verkehrsreichsten Straßenknoten Deutschlands mit einem Einsatzgebiet von 500 Autobahnkilometern operiert, kontrolliert vorrangig die großen Brummer. Die kleinen schnellen Transporter, alle mit Dieselmotoren, stoppen er und seine Kollegen eher als Beifang, wie er sagt. Trotzdem machen ihn die Ergebnisse der Zufalls-Fahndungen in jüngster Zeit nachdenklich. Bölke hat festgestellt, dass immer häufiger bei diesen Kleinlastern die grüne Umweltplakette auf der Frontscheibe gefälscht ist. „In den letzten Monaten hatte ich bei Kontrollen 20 bis 30 solcher Aufgriffe“.
Seit 2008 gibt es Umweltzonen in Deutschland. Sie sollen den Ausstoß vor allem der gesundheitsschädlichen Rußpartikel, die Feinstaubbelastung und die Stickstoffdioxidbelastung in dicht bevölkerten Gebieten verringern. Heute sind es bundesweit schon 82 Umweltzonen. Mehr als ein Dutzend haben die Kommunen des Ruhrgebiets eingerichtet: In Bochum, Bottrop, Castrop-Rauxel, Dinslaken, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Gladbeck, Hagen, Herne, Herten, Mülheim, Oberhausen und Recklinghausen. Für die Einfahrt in diese Zonen ist die grüne Plakette nötig. Sie belegt: Dieses Auto hat einen geregelten Katalysator und ist auch sonst nach dem Stand der Technik sauber genug. So zumindest die Idealvorstellung der Behörden.
Wenn Oberkommissar Bölke in den vergangenen Monaten einen Kleintransporter mit grüner Plakette gestoppt hat, sich von dem Fahrer den Kfz-Schein geben ließ, dann entdeckte er oft in der Zeile 14 den Code für eine viel niedrigere Emmissionsklasse, als auf der Windschutzscheibe bescheinigt. Für die schlechtere. Für eine, die genau diese freie Fahrt in die geschützten Umweltzonen nicht erlaubt. Der grüne Aufkleber vorne an der Scheibe? Gefälscht. „Das Delikt ist relativ neu“, sagt Bölke zu den alten Möhren, die die Luft von Köln oder dem Ruhrgebiet mit gefälschten Umweltsiegeln verpesten.
Kontrollen fehlen
Meist geht es dabei ums Geld. So vermutet Ermittler Bölke hinter den gefälschten Plaketten vielfach Gebrauchtwagen-Händler, die vor dem Verkauf noch schnell „grün“ auf die Frontscheibe zaubern, weil sie ihre alten Dreckschleudern mit gelber oder sogar roter Plakette anders nicht mehr los werden. Die Käufer fallen drauf rein. Eine andere Tätergruppe seien „die kleinen Handwerker, die zu Kunden in die Innenstädte fahren müssen und sich kein neues, abgasarmes Fahrzeug leisten können“.
Für Dorothee Saar sind die Versuche, die einschlägigen Gesetze und Regeln zu unterlaufen, ein großes Problem. Saar arbeitet für die Deutsche Umwelthilfe (duh) in Berlin. Das ist die Organisation, die Städte per Klage zum härteren Vorgehen gegen Dieselfahrzeuge zwingt. „Allerdings fehlt es an der Kontrolle, ob die Abgasreinigung, die in den Fahrzeugen verbaut ist auch funktioniert oder ob eine Umweltplakette zu Recht an der Windschutzscheibe hängt oder nicht“, sagt sie.
Man kann ohne Schwierigkeiten die Umweltplaketten blanko bei Druckereien oder im Internet bestellen und bekommt sie in Werkstätten, wenn die Frontscheibe zu Bruch gegangen ist. Der Kfz-Schein ist dabei als Kopie vorzulegen. Doch niemand hält das ernsthaft nach. Institutionen wie der TÜV oder die Dekra, die andere wichtige Urkunden-Aufkleber wie die der erfolgten Kfz-Hauptuntersuchungen herausgeben, teilen anschließend den Behörden mit, an wen diese Dokumente ausgehändigt wurde. „Bei den Umweltplaketten ist es aber so, dass Sie als Aushändiger kein Feedback geben müssen“, sagt Roman Suthold vom ADAC Nordrhein. „Sie müssen den Behörden nicht melden, an wen Sie die Plakette vergeben haben“. Eine wirkliche Kontrolle sei das nicht. Eine offene Tür für kriminelle Umweltsünder.
Klassische Urkundenfälschung
Auch der Kölner Polizeioberkommissar Thomas Bölke beklagt Lücken im Kontrollsystem: Gezielt fahnde die Polizei nicht nach den Plaketten-Fälschern, berichtet er. Ein Problem. Schließlich handelt es sich bei den falschen Umweltplaketten um klassische Urkundenfälschung — was nach dem Paragraphen 267 des Strafgesetzbuches auch mal mit Haft bis zu fünf Jahren enden kann und auf jeden Fall mit Folgen für Fahrer wie für Halter.
Tatsächlich fehlt dem Staat schon der Überblick über den Umfang der Abgas-Tricksereien. Der ist eine Black Box. Niemand sammelt systematisch solche Rechtsbrüche, wie sie Bölke aufdeckt.
Das Kraftfahrtbundesamt hatte Umweltzonen-Verstöße zwar bis 2014 bundesweit nach freiwilligen Meldungen durch die Städte erfasst. Zwischen 2009 und Ende 2013 waren es danach 288.320, alleine mehr als 80.000 in NRW. Doch die Aufstellung gibt es seit drei Jahren nicht mehr. Das Flensburger Bundesamt sammelt nichts mehr, weil Umweltzonen-Sünder nach einer jüngsten Gesetzesänderung zwar eine verdoppelte Geldbuße von heute 80 Euro zahlen müssen, aber nicht mehr mit Punkten belegt werden.
Nur Gewissheit durch KfZ-Schein
Es ist „Sache der Kommunen“, wie sie die Ahndung handhaben, sagt man beim Umweltamt in Nordrhein-Westfalen. Tatsächlich checken die kommunalen Ordnungsbehörden aber nur den ruhenden Verkehr. Sie stellen zum Beispiel fest, ob ein parkendes Auto überhaupt den nötigen grünen Aufkleber hat oder nicht. Das schließt natürlich aus, dass ein Abgleich mit den Schadstoff-Eintragungen im Kfz-Schein gemacht werden kann. Nur so ließe sich eine gefälschte Umweltplakette mit Sicherheit erkennen. Kein Wunder also, wenn die Verwaltung einer Großstadt wie Dortmund mitteilt: „Gefälschte Plaketten sind dabei noch nicht aufgefallen“.
Kat-Atrappen online bestellen
Dorothee Saar, die Mitarbeiterin der Umwelthilfe, erzählt von einem weiteren, besonders dreisten Vorgang in der Umweltkriminalität: Die Organisation ist auf das Angebot eines niedersächsischen Versands für Kfz-Zubehör gestoßen. Auf dessen Website preist das Unternehmen eine „Metall Katalysator Attrappe“ an, je nach Größe zum Stückpreis ab 45 Euro. Offen wirbt es im Begleittext für sein Produkt: „Ideal für TÜV-Untersuchungen und Verkehrskontrollen. Dieser Katkörper ist von innen komplett hohl und hat keine Funktion“. Die Leiterin der Verkehrsabteilung bei der Umwelthilfe beklagt: „Auf dem Markt sind ohne Ahndung durch die Behörden selbst illegale Katalysatoren oder Software zur Abschaltung von Abgasreinigungssystemen erhältlich“.
Die Software, die Saar hier erwähnt, spielt die Hauptrolle im Fall Ad Blue, einem Umweltkrimi der Extraklasse. Seit Anfang 2017 ist durch eine ZDF-Recherche bekannt, dass jeder fünfte Lkw aus Osteuropa manipulierte Technik an Bord hat und so die Luft bei uns erheblich belastet.
Der Fall Ad Blue
Worum geht es? Die Umweltverträglichkeit von modernen Trucks wird durch die Zugabe von Ad Blue gesichert. Ad Blue ist ein Harnstoffgemisch, das giftiges Stickoxid NOx in harmlosen Wasserdampf verwandelt. Die Zugabe kostet 75 Cent pro 100 Kilometer Fahrt. Wird Ad Blue bei diesen Trucks nicht beigemischt, reduziert sich die Leistung des Fahrzeugs rapide. Dieser Leistungsverlust ist von den Herstellern als Sanktion gegen mögliche Umweltsünder bewusst eingebaut. Allerdings lässt sich dieser Leistungsverlust durch einschlägige Abschalteinrichtungen elektronisch umgehen. Die betrügerischen Spediteure sparen sich so nicht nur die Cent-Beträge für Ad Blue an der Tankstelle, sondern auch tausende von Euro für die zusätzliche Maut, die der Staat älteren, schadstoffreicheren Lkw-Betreibern abnimmt. Verlust für die Steuerzahler: Mehr als 100 Milliarden Euro jedes Jahr.
Warum wird bei diesen Summen nicht gehandelt? Können Polizei und Behörden das planmäßige Unterlaufen der Umweltgesetze nicht durch genauere Kontrollen verhindern? Die Nachfrage von Correctiv.Ruhr ergibt: Es wird nicht nur zu selten hingeguckt. Es wird den Tätern sogar vieles zu leicht gemacht.
Problem ist nicht bekannt
Selbst der TÜV hat bisher nicht bemerkt, dass Katalysator-Dummies auf dem offenen Markt angeboten und ihm untergejubelt werden können. „Das Problem ist uns nicht bekannt“, sagt der TÜV Rheinland, verweist aber auf die Regeln: „Jede Änderung, die eine Verschlechterung der Abgas- oder Lärmschutzqualität zur Folge hat, führt zum Erlöschen der Betriebserlaubnis“.
Doch Kontrollen greifen auch hier nicht. „Die regelmäßige Abgasuntersuchung ist nach wie vor nicht in der Lage, fehlerhafte, manipulierte oder gar ausgebaute Systeme verlässlich zu entdecken. Wir brauchen dringend eine Anpassung: Mobile Überwachungssysteme an den Straßen, eine wirklich effektive Abgasuntersuchung, mehr Kontrollen durch Polizei und Ordnungsämter“, sagt Umwelthilfe-Mitarbeiterin Dorothee Saar. Offenbar gleichen viele Umweltgesetze diesen Katalysator-Attrappen, die die niedersächsische Firma anbietet. Außen glänzen sie. Innen sind sie hohl.