Verwaltungsdigitalisierung droht zu scheitern – Ministerium wiegelt ab
Ein Milliardenprojekt unter Druck: Für die Modernisierung von staatlichen Datenbanken fehlen hunderte Millionen Euro, Zeitpläne wackeln, und die EU droht mit dem Entzug von Fördergeldern. Der Bundesrechnungshof sieht die Registermodernisierung in Gefahr – das Ministerium gibt sich gelassen.

Deutschlands digitales Herzensprojekt droht zu scheitern – mit Folgen für Millionen Bürgerinnen und Bürger. Bis 2028 will die Bundesregierung eigentlich alle wichtigen Verwaltungsregister modernisieren und über eine einheitliche Identifikationsnummer verknüpfen. Zu diesen gehören etwa Melde- und Handelsregister. Damit könnten viele Behördengänge endlich digital ablaufen: Bürger müssten ihre Daten – etwa Adresse oder Familienstand – nur einmal angeben, und Ämter könnten sie automatisch abrufen. Das Kernsystem NOOTS (Once-Only-Technical-System) soll dafür sorgen, dass Behörden sicher miteinander kommunizieren und Daten effizient austauschen können.
Doch der Bundesrechnungshof schlägt Alarm: Das Projekt sei massiv unterfinanziert, wichtige Funktionen wurden gestrichen, und die Frist bis 2028 ist in Gefahr.
Hunderte Millionen fehlen
Nach Berechnungen des Bundesrechnungshofs fehlen bis 2026 für NOOTS über 300 Millionen Euro. Insgesamt werden bis 2026 rund 441 Millionen Euro benötigt. Doch im Bundeshaushalt 2025/26 stehen nur 10 Millionen Euro pro Jahr plus 82 Millionen Euro aus Restmitteln bereit – zusammen lediglich 102 Millionen Euro.
Das entspricht nur 23 Prozent der veranschlagten Summe. Der Bundesrechnungshof kritisiert, dass das Innenministerium das Projekt trotzdem begonnen hat – ohne gesicherte Finanzierung und ohne ein systematisches Risikomanagement.
„Das Projekt NOOTS wurde begonnen, ohne dass eine gesicherte Finanzierung oder ein tragfähiges Risikomanagement vorlagen“, schreibt der Rechnungshof in seinem Bericht.
Damit war der wichtigste Teil der Registerreform von Anfang an unsicher – beim Geld genauso wie bei der Organisation.
Was ist NOOTS – und was soll es ändern?
NOOTS (Nationales Once Only Technical System) ist das neue Herzstück der Registermodernisierung. Heute hat jede Behörde ihre eigenen Daten und oft auch eigene Nummern – zum Beispiel das Einwohnermeldeamt, das Finanzamt oder die Rentenversicherung. Das führt dazu, dass Bürger und Bürgerinnen immer wieder dieselben Daten angeben müssen. Um diese Doppelt- und Dreifacharbeiten zu vereinfachen, beschlossen Bundestag und Bundesrat 2021 das Registermodernisierungsgesetz (RegMoG). Die FITKO (Föderale IT-Kooperation) ist eine gemeinsame Einrichtung von Bund und Ländern. Sie koordiniert wichtige Digitalprojekte der Verwaltung – zum Beispiel auch den Aufbau des Systems NOOTS.
Mit NOOTS soll sich das ändern:
- Jede Person bekommt eine eindeutige Identifikationsnummer.
- Behörden können ihre Daten über NOOTS untereinander austauschen.
- Bürger müssen Informationen wie Adresse oder Geburtsdatum nicht ständig neu einreichen.
Während Länder wie Estland, Dänemark, Finnland, Schweden und Norwegen schon seit Jahren zentrale digitale Identitäten und verknüpfte Register nutzen, arbeitet Deutschland noch mit einem Flickenteppich von Einzelsystemen. Mit NOOTS soll diese Lücke geschlossen und bis 2028 endlich ein gemeinsames Kernsystem geschaffen werden.
Was passiert mit unseren Daten?
Die Registermodernisierung gilt als wichtiger Schritt für eine effizientere Verwaltung – sie ist aber auch umstritten. Fachleute und Datenschützern warnen, dass die einheitliche Identifikationsnummer theoretisch den Abgleich von Daten aus unterschiedlichen Lebensbereichen ermöglichen könnte – etwa aus Melde-, Steuer- oder Sozialregistern. Damit bestehe das Risiko einer Profilbildung über Bürger und Bürgerinnen. Kritiker fordern deshalb klare technische und rechtliche Grenzen für den Datenaustausch.
Abstriche bei Sicherheit und Qualität
Auch bei den Funktionen gab es Rückschritte. Der Rechnungshof kritisiert, dass gesetzlich vorgesehene Mindeststandards abgesenkt wurden. Zum Beispiel können Abfragen nun auch mit einem reduzierten Datensatz erfolgen, wenn bestimmte Angaben wie Wohnort oder Postleitzahl fehlen. Die Mehrarbeit wurde aber nicht eingeplant -und nun funktioniert dieses Werkzeug nicht.
Nach Einschätzung der Prüfer könne dies die Trefferquote verringern und die Datenqualität gefährden.
Auf CORRECTIV-Anfrage verteidigte das Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung (BMDS) die Entscheidung. Eine Sprecherin erklärte, man habe diese Möglichkeit bewusst geschaffen, damit auch Register genutzt werden können, die bestimmte Angaben gar nicht erfassen – etwa Personenstandsregister. Dort sind zwar Name und Geburtsdatum gespeichert, nicht aber die aktuelle Adresse.
Wörtlich heißt es in der Antwort: „Damit auch für diese Register eine Datenabfrage möglich ist, wurde die Abfrage mithilfe eines reduzierten Datenkranzes geschaffen, auch wenn dies im Einzelfall zu einer geringeren Trefferquote führt.“
EU-Mittel in Gefahr
Zusätzlichen Druck gibt es auch aus Brüssel: Deutschland hat zugesagt, für die Registermodernisierung 275 Millionen Euro aus dem EU-Wiederaufbauplan zu nutzen. Diese Gelder sind so etwas wie eine Finanzspritze der EU, die nach der Corona-Krise an die Mitgliedsstaaten verteilt wurde.
Aber: Das Geld gibt es nicht automatisch. Deutschland muss bestimmte Meilensteine erfüllen – also zeigen, dass zentrale Projekte rechtzeitig umgesetzt werden.
Der Bundesrechnungshof kritisiert, dass die Bundesregierung in ihren Berichten an die EU-Kommission den Finanzierungsstand und Projektfortschritt günstiger dargestellt hat, als er tatsächlich war. Damit bestehe die Gefahr, dass Brüssel die 275 Millionen streicht.
Das Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung (BMDS) widerspricht. Auf CORRECTIV-Anfrage heißt es: Man gehe davon aus, dass alle Vorgaben erfüllt werden. Eine Sprecherin betonte: „Die Erfüllung der Meilensteine ist weiterhin planmäßig beabsichtigt.“
Ausblick: Erste Schritte, große Risiken
Nach Angabe des Digitalministeriums soll noch in diesem Jahr (2025) ein erstes „MVP“ von NOOTS bereitstehen. Ein MVP bedeutet „Minimal Viable Product“ – also eine erste abgespeckte Version eines Systems, die nur die nötigsten Funktionen hat. Beispiel: Bei einer neuen App wäre das die allererste Version, mit der man zwar schon Nachrichten verschicken kann, aber noch keine Bilder oder Videos.
Für NOOTS heißt das: Die Grundstruktur soll stehen, um erste Register technisch anzuschließen – aber viele Funktionen fehlen noch. Ab Ende 2026 soll die breite Anbindung beginnen. „Das Tempo der Anbindung wird dann gemäß des in § 9 NOOTS-Staatsvertrag vereinbarten Mechanismus von den Beschlüssen des IT-Planungsrats im Einvernehmen mit den Fachministerkonferenzen abhängen.“, so die Pressesprecherin.
Das heißt: Ab 2026 soll das System schrittweise ausgeweitet werden – immer mehr Register sollen dann verknüpft werden, damit Ämter ihre Daten austauschen können
Doch ob diese Etappenziele erreicht werden, ist offen. Im Haushalt sind bisher nur 129 von eigentlich 441 Millionen Euro abgesichert. Der Bundesrechnungshof sieht deshalb weiterhin erhebliche Risiken und schreibt, „Wir sehen daher weiterhin das Risiko, dass die Fristen für den DARP nicht gehalten werden können.“
Redaktion: Justus von Daniels
Redigat und Faktencheck: Annika Joeres