Klimawandel

Der Traum von Wasserstoff in Wärmenetzen

Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg planen, ihre Wärmenetze bald mit Wasserstoff zu betreiben – doch der grüne Energieträger ist rar, teuer und kaum verfügbar. Die Fernwärmekunden haben kein Mitspracherecht, zahlen die Rechnung und sind dem Anbieter ausgeliefert. Hinter der sauberen Fassade steckt ein riskantes Experiment: ein Wärmewende-Versprechen, das auf heißer Luft basiert.

von Katarina Huth , Lena Schubert , Jann-Luca Künßberg

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Das Heizkraftwerk Stuttgart-Gaisburg des Energiekonzerns EnBW: Trotz Modernisierung 2019 wird die Fernwärme hier noch überwiegend mit Erdgas, in Ausnahmefällen mit Heizöl, erzeugt. Wasserstoff ist bislang Zukunftsmusik. (Bild: picture alliance/dpa | Marijan Murat)

Baden-Württemberg will bis 2040 klimaneutral werden, und Wärmenetze sollen dabei eine Schlüsselrolle spielen. 42 Prozent des Endenergiebedarfs für Haushalte, Unternehmen und städtische Gebäude sollen dann über Fernwärme gedeckt werden – ein massiver Ausbau gegenüber heute. Die Landeshauptstadt Stuttgart nimmt dabei eine besondere Rolle ein: Mit einem geplanten Wasserstoffanteil von 44 Prozent in den Wärmenetzen ist sie die größte der Top-Fünf-Kommunen, die auf den grünen Energieträger setzen. Ein Gas, das bisher kaum verfügbar ist – und teuer. 

Was sind Wärmenetze? 

Wärmenetze versorgen ganze Wohnviertel, Stadtteile oder Gemeinden zentral mit Heizwärme und Warmwasser. Statt dass jedes Gebäude eine eigene Heizung braucht, kommt die Wärme über isolierte Leitungen direkt ins Haus. Fernwärme bezeichnet große Netze, die ganze Städte versorgen, Nahwärme kleinere Anlagen für wenige Gebäude. Die Wärme stammt unterschiedlichen Quellen, etwa aus Kraftwerken, Industrieabwärme, Biomasse oder Geothermie.  

Kommunen planen teils massiv mit Wasserstoff 

Auch in anderen Wärmeplänen taucht Wasserstoff ambitioniert auf: Sersheim will bis 2040 fast 80 Prozent seines Netzes mit Wasserstoff speisen, Wertheim 55 Prozent. Landesweit kalkulieren die Kommunen im Schnitt mit einem 14-Prozent-Anteil. Das zeigt eine Auswertung von 215 Wärmeplänen von CORRECTIV und SWR. Damit wäre Wasserstoff der zweitwichtigster Energieträger nach Wärmepumpen.

Doch laut Experte Matthias Neumeier von der Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA-BW) ist offen, wie viel Wasserstoff eingesetzt werden kann. Das „wird von der Verfügbarkeit und vom Preis abhängen.“ Wasserstoff könne Zeiten mit besonders hohem Wärmebedarf abdecken, aber nicht die Basis der Versorgung bilden. Auch andere Experten warnen: Städte und Gemeinden sollten besser nicht auf zu viel Wasserstoff setzen.   

Doch die Kommunen rechnen mit dem grünen Gas. Eine Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) bewertet ihre Ziele für den starken Ausbau und die komplette Transformation der Netze als „sehr ambitioniert“. Ob ihre Wärmepläne plausibel sind, kontrollieren die Regierungspräsidien. Auf Anfrage von CORRECTIV und SWR antwortet das Freiburger Präsidium stellvertretend für alle: „Es ist nicht zu erwarten, dass überall genau die Entwicklungen eintreten, wie sie jetzt den Modellen zugrunde liegen.“ Es handle sich dabei nicht um präzise Vorausberechnungen. 

Der tatsächliche Wandel zur grünen Wärme müsste in den nächsten 15 Jahren radikal ausfallen. Rund zwei Drittel der Wärme in baden-württembergischen Wärmenetzen stammen aktuell aus Erdgas, Kohle und Öl. Erneuerbare Quellen wie Biomasse oder Wärmepumpen spielen bisher nur eine untergeordnete Rolle. 

Fernwärmekunden sind Anbieterpreisen ausgeliefert 

Selbst wenn Wasserstoff wie geplant kommt, werden vor allem die Mieterinnen und Mieter belastet: Rund 80 Prozent der Fernwärmekunden leben in Mietwohnungen und können nicht entscheiden, wie ihre Wärme erzeugt wird – sie sind auf die Planungen des Anbieters angewiesen und werden die Kosten für Wasserstoff mittragen.  

In einer Umfrage über den CrowdNewsroom von CORRECTIV und SWR berichten Bürgerinnen und Bürger von fehlender Transparenz, hohen Preisen und mangelnder Kooperation: Jemand aus Villingen-Schwenningen nennt die Stadtwerke „quasi Monopolist mit allen Nachteilen“. Das eigene Wohnhaus sei zum Eintritt der Rente veräußert worden, nun gebe es die Abhängigkeit: „Wir sind an das Fernwärmesystem der Stadtwerke angeschlossen und haben keinen Entscheidungsspielraum.“ Das Wärmenetz werde derzeit mit Erdgas betrieben und die Kosten seien intransparent.

Ein Stuttgarter kritisiert den Energieversorger EnBW: „Der Anschluss an die Fernwärme ist die einzige Möglichkeit und auch technisch umsetzbar, aber das Fernwärmeangebot in Stuttgart ist nicht akzeptabel.“ Die Betriebskosten seien bereits jetzt doppelt so teuer wie bei Erdgas. Seit Monaten frage er sich, wie die Lösung für ein Haus wie das seine aussehen soll.   

Wie erleben Sie die Wärmewende in Baden-Württemberg? 

Sorgen Sie sich um Ihre Heizkosten? Steht bei Ihnen ein Heizungstausch an? Oder sind Sie schon umgestiegen? Beteiligen Sie sich noch bis zum 8. November 2025 über diesen Link an unserer Umfrage und berichten Sie uns von Ihren Erfahrungen! 

Die Realität: Fossile statt grüner Wärme 

Doch die EnBW wirbt bereits heute mit „CO₂-neutraler“ Fernwärme, obwohl sie die Anlagen mit fossilen Brennstoffen betreibt. Auf Anfrage von CORRECTIV und SWR teilt die EnBW mit, dass die CO₂-Neutralität ihrer Fernwärmenetze von der Technischen Universität Dresden zertifiziert wurde. Möglich macht das das Gebäudeenergiegesetz: Die Wärme stammt überwiegend aus Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), also Kraftwerken, die gleichzeitig Strom und Wärme erzeugen. Mit der sogenannten Stromgutschriftmethode wird der CO₂-Ausstoß der Wärme rechnerisch dem Strom zugeschlagen – so gilt die Wärme auf dem Papier als emissionsfrei, obwohl weiter Gas oder Kohle verbrannt werden. Kurz gesagt: ein Rechentrick. 

Auch an anderer Stelle nutzt der große Energieversorger grüne Rhetorik. EnBW bewirbt seine Fernwärmeanlagen in Stuttgart-Münster, Heilbronn und Altbach/Deizisau, die mit Erdgas laufen, als „wasserstofffähig“. In den 2030er-Jahren sollen die Turbinen theoretisch mit Wasserstoff laufen können. Und der Einsatz des grünen Gases klingt erstmal nach einer eleganten Lösung: Bestehende Gasinfrastruktur könnte weitergenutzt, Netze umgestellt, CO₂ eingespart werden. Doch grüner Wasserstoff ist teuer und rar, seine Produktion energieintensiv. Zudem fehlt es an Leitungen, Speichern und langfristigen Lieferverträgen.  

Bis das Gas tatsächlich fließt, müssen Wärmenetze anders dekarbonisiert werden – durch Wärmepumpen, Abwärme und Geothermie. Sonst bleibt der Traum von grüner Wärme ein Versprechen, das auf heißer Luft basiert. 

Dieser Artikel ist Teil der gemeinsamen Beteiligungsrecherche „Druck im Kessel – Wie trifft mich die Wärmewende?“ von CORRECTIV und SWR. Recherche: Madlen Buck, Katarina Huth, Jann-Luca Künßberg, Lena Schubert (CORRECTIV) Eberhard Halder-Nötzel, Philipp Pfäfflin, Matthias Zeiler (SWR) Recherche und Datenauswertung: Tom Burggraf, Katharina Forstmair, Elisa Harlan (SWR Data Lab) CrowdNewsroom: Marc Engelhardt, Sven Niederhäuser (CORRECTIV) Projektleitung: Justus von Daniels (CORRECTIV), Eberhard Halder-Nötzel (SWR) Redaktion: Justus von Daniels, Stella Hesch Faktencheck: Stella Hesch Kommunikation: Esther Ecke, Anna-Maria Wagner, Nadine Winter

 

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