Kampf um Altona
Die „Bernstorff 117“ im Hamburger Stadtteil Altona ist etwas Besonderes: eine Gemeinschaft aus Künstlern, Handwerkern und Bewohnern. „Fettes Brot” und Rocko Schamoni arbeiten hier. Die neuen Eigentümer sehen die Immobilie als Investment.
Sie hatten ihm geschrieben, er solle allein kommen. Ralf Gauger hat sich daran gehalten, nun sitzt er auf einer Seite eines langen Konferenztisches. Sie sind nicht alleine gekommen, sie sitzen zu viert auf der anderen Seite. Sie, das sind die neuen Besitzer des Orts, der für Gauger ein Zuhause ist.
Gauger wollte diesen Termin, wollte wissen, was der neue Eigentümer mit ihm und seinen Mitstreitern vorhat. Am Ende dieses Gespräches wird ihm klar sein, dass es nicht reicht, freundlich zu sein.
Bevor Gauger geht, fragt er noch einmal, warum er niemanden mitbringen durfte. „Sie sind ein einzelner Mieter mit einem einzelnen Mietvertrag“, war die schroffe Antwort.
Sechs Monate nach dem Treffen sitzt Gauger in seinem Büro, in Zimmermannshose und Arbeitsschuhen. Hinter der Scheibe wird gesägt. „Die Eigentümer verstanden überhaupt nicht, was sie gekauft haben“, sagt Gauger.
Ein Bündnis aus Künstlern, Arbeitern und Bewohnern
Hinter dem Eingangstor mit dem selbstgemalten Schild „Viva La Bernie“ brodelt es. Die Mieter fürchten um ihre Existenz. Der Hinterhof in der Bernstorffstraße 117 in Altona ist nicht irgendein Hinterhof. Die Band „Fettes Brot“ hat ihr Studio hier, der Künstler und Schriftsteller Rocko Schamoni eine Werkstatt. Es ist eine gewachsene Gemeinschaft von über 100 Menschen. Handwerker, die Kleinbetriebe führen, Künstler, die Ateliers haben und Bewohner, Familien.
Altmieter gegen Neuinvestoren: ein Konflikt, der sich gerade in vielen deutschen Städten abspielt. In der Bernstorffstraße 117 geht es nicht nur um höhere Mieten, sondern auch um die Identität der Menschen: dürfen sie nur der einzelne Mieter sein, als der sie im Vertrag stehen, oder können sie auch eine Gemeinschaft sein, als die sie sich seit Jahrzehnten fühlen?
Rocko Schamoni, der jetzt auch um seine Werkstatt fürchtet, sagt: „Die Frage ist, ob man dem Druck des Geldes standhalten kann. Denn dieser Druck wird immer höher“.
Als Gauger von dem Treffen mit den neuen Eigentümern erzählt, klopft Matthias Strelow von außen ans Fenster. „Ich zeig Euch mal den Hof“, sagt er.
„Das ist doch echt ungeil“. Strelow steht neben einer alten Pferderampe. Die Gebäude beherbergten ursprünglich Pferdeställe für die Straßenbahn. Er hat halblange, silbergraue Haare und trägt eine dunkelblaue Jacke, die nach Tabak riecht. Am Freitag fliegt er nach Indien, jetzt zeigt er erstmal seine Praxis.
Über die leicht ansteigende Rampe, einen kleinen Steg und eine enge Wendeltreppe geht es zu den Räumen, in denen Strelow als Homöopath arbeitet. Helles Licht fällt durch die Dachluken. Alles selbst ausgebaut. „Der alte Eigentümer hat gesagt, macht mal und hat uns die Miete nicht weiter erhöht. Im Gegenzug haben wir ihm den Bau instand gehalten“, erzählt Strelow.
Mit „ungeil“ spielt er auf den Konflikt mit dem neuen Eigentümer an: „Jetzt geht es um unsere Existenz“, sagt Strelow und erzählt, das sein Gewerbemietvertrag gerade ausläuft. Der neue Eigentümer bietet nun einen Vertrag für vier Jahre zu einer deutlich höheren Miete an. Bisher zahlte Strelow drei Euro, jetzt soll die Miete auf sieben Euro steigen und dann jedes Jahr um 1,50 Euro auf zehn Euro. Die Mietkosten des bekannten Homöopathen würden sich so mehr als verdreifachen.
Unsicherheit bei den Mietern
Ralf Gauger ist der größte Mieter auf dem Hof. Seit 25 Jahren führt er einen Baubetrieb mit 20 Angestellten. „Ich kenne das Baugeschäft in der Stadt, baue auch Dächer aus, die dann später für 8.000 Euro pro Quadratmeter verkauft werden.“ Er tunkt den Teebeutel mit schwarzem Tee in seine Tasse. „Als ich vor den neuen Eigentümern saß, habe ich viermal erwähnt, dass wir uns als feste Gemeinschaft sehen. Wir wollten wissen, ob wir hier eine Zukunft haben.“ Eine konkrete Antwort habe ihm der neue Eigentümer nicht gegeben. „Der sieht nur Excel-Tabellen. Das Wort Gemeinschaft kommt da nicht vor.“
Der alte Eigentümer, ein Hamburger Geschäftsmann, sei anders gewesen. Er hat viel laufen lassen, Mieten nie erhöht. So konnte hier ein Biotop wachsen. Im Sommer hängen Girlanden im Hof, dann wird gefeiert. Aus seinem Bürofenster sieht Gauger die Werkstatt von Rocko Schamoni. Der Musiker und Schriftsteller („Dorfpunks“) hat eine eigene Töpferwerkstatt. Er ist zwar gerade auf Tour, schreibt aber per Email, dass er für seine keramischen Arbeiten keinen besseren Platz finden könne, „den ich mir darüber hinaus auch noch leisten kann, in direkter Nachbarschaft zu Freunden und Leuten, deren Arbeit ich schätze.“
Gauger ärgert, dass der alte Eigentümer im Juli letzten Jahres so schnell verkauft habe. „Wir hätten gerne mitgeboten, aber uns wurde damals nichts von dem Verkauf gesagt.“ Der neue Eigentümer war schneller. Seitdem kommen nur noch Briefe der neuen Hausverwaltung oder ihrer Anwälte. Auch wenn der Homöopath Strelow bleibt, werden andere wegen der Mieterhöhungen wohl ausziehen. Sie können sich ein Atelier oder die Werkstatt zu Marktpreisen nicht leisten.
Mehreren Bewohnern wurde zudem eine Kündigung angedroht, weil ihre Gebäude offiziell nur als Gewerbeeinheiten gelten. Der Druck des Geldes, sagt Schamoni, zerstöre die Innenstädte, „bis nichts mehr von den alten gewachsenen menschlichen und letztlich auch architektonischen Strukturen erhalten ist“.
Am schlimmsten sei die Unsicherheit darüber, was aus dem Areal werden soll.
Treffen mit den Investoren
Anfang März in Berlin. Im Café des Fünf-Sterne Hotels Waldorf Astoria sitzt Christoph Reschke und trinkt Ingwer-Tee. Vor ihm liegt ausgedruckt die Email mit der Gesprächsanfrage. Man hört ihm seine Hamburger Herkunft an, er ist in der Hansestadt aufgewachsen. Ihm gegenüber sitzt Alexander Möll. Reschke und Möll, die neuen Eigentümer der Bernstorffstraße 117.
Sie sind die Deutschland-Chefs von Hines, einem weltweit tätigen Immobilienunternehmen aus den USA. In Berlin hat Hines das Sony Center, den Alexanderplatz oder ein Gebäude am Pariser Platz entwickelt.
Als die Mieter die Namen der neuen Eigentümer googelten, bekamen sie es mit der Angst zu tun. Hat sie ein Immobilien-Hai aufgekauft?
„Wir haben das rein privat gekauft“, versichert Christoph Reschke. „Mit Hines hat das nichts zu tun. Uns hat die Mikro- und Makrolage sehr gut gefallen“. Reschke und Möll gründeten die AC Immobilieninvest GmbH. Über die Firma kauften sie das Grundstück.
Wussten die beiden, worauf sie sich einlassen? „Es ist uns gesagt worden, dass es eine intakte Gemeinschaft ist, die schon sehr viele Jahre dort nicht nur arbeitet und wohnt, sondern auch zum Teil befreundet ist. Das haben wir bei der ersten Besichtigung noch klarer wahrgenommen.“ Damals hatten Gauger und die anderen Mieter Schilder aufgestellt, dass sie sich gegen einen Ausverkauf des Hofes wehren.
Auch an das Einzelgespräch mit Gauger erinnern sie sich gut. Sie sehen keinen Anlass, die Mieter als Gemeinschaft zu sehen: „Das sind zwei verschiedene Welten. Unsere Vertragspartner sind die einzelnen Mieter. So werden wir das auch weiterhin halten.“ Konkret bedeutet das, dass sie mit den Mietern jeweils Verträge neu verhandeln und „Sanierungsrückstände aufholen“, wie es Möll ausdrückt. Im Klartext: Die Mieten werden steigen.
Ein Luxusumbau sei rechtlich nicht möglich, und einen schnellen Verkauf planen sie nach eigener Aussage auch nicht. „Wenn sich ein konkreter Plan entwickeln würde und sich eine mittlere oder größere Maßnahme ergeben sollte, wird das auch vorher kommuniziert.“
Die Mieter wehren sich
Mittlerweile beschäftigt sich auch die Politik mit dem Grundstück. Der Bezirk Altona hat einen Beschluss gefasst. Für das Gebiet rund um die Bernstorffstraße soll eine „Städtebauliche Erhaltungsverordnung“ eingeleitet werden. Geht diese durch, muss der „Milieucharakter“ erhalten bleiben. Jede größere Änderung müssten die Eigentümer erst vom Bezirk genehmigen lassen.
Die „Bernstorff 117“ ist ein Stück Identität, nicht nur für Rocko Schamoni, die Bands, die Handwerker, die Bewohner. Auch für Altona. Auf einer Facebook-Seite gibt es über 1.500 Unterstützer, darunter der Künstler Heinz Strunk. Der Widerstand ist da, „VivaLaBernie“ ist längst Symbol im Kampf um Viertel wie Altona.
Aber wie lange haben sie Anspruch darauf, dass das so weiter geht? Der alte Vermieter war ein Glücksfall für sie. Andererseits ist es ein Hinterhof, der nunmal verkauft wurde. Bäumen sich die Bernstorff-Bewohner gegen das Unabwendbare auf? Gauger selbst erzählt, dass in Altona praktisch jede Woche Geschäftsleute auf Höfen auftauchen und fragen: „Wollt Ihr verkaufen?“
Für Gauger ist es eine gesellschaftliche Frage: „Menschen haben ein Recht auf Wohnen und ein soziales Umfeld. Das sollte höher stehen als die Gewinninteressen einzelner.“ Er fordert von der Politik einen stärkeren Schutz der Milieustruktur und von Eigentümern mehr Bereitschaft zu verstehen, in welchem sozialen Umfeld sie investieren.
Die Mieter haben deshalb einen neuen Plan gefasst: Anfang dieser Woche haben sie den beiden Eigentümern ein Kaufangebot geschickt. Sie bieten mehrere Millionen Euro. Ihre Gemeinschaft ist ihnen viel wert.
Als neue Eigentümer wollen sie darauf antworten, sagt Alexander Möll: „Das gehört sich schon, wenn sich jemand die Mühe macht.“
Wem gehört Hamburg?
Wir wollen gemeinsam mit den Mietern den Hamburger Wohnungsmarkt transparenter machen. Im CrowdNewsroom recherchieren Journalisten und Bürger seit April gemeinsam die Eigentümerstrukturen. Je mehr Menschen auf wem-gehoert-hamburg.de ihren Eigentümer mitteilen, desto aussagekräftiger werden die Rechercheergebnisse. Wir wollen eine Debatte anstoßen: welchen Schaden die fehlende Transparenz auf dem deutschen Immobilienmarkt anrichtet und ob sie noch zeitgemäß ist.
Dieses Projekt ist eine Kooperation zwischen CORRECTIV, dem Hamburger Abendblatt, dem Mieterverein zu Hamburg und weiteren Partnern in Hamburg wie dem Studentenmagazin FINK oder dem Obdachlosenmagazin Hinz&Kunzt. Für Rückfragen sind wir hier erreichbar: hamburg (at) correctiv.org