Wem gehört die Stadt?

Über dem Limit

Fast jeder dritte Mieter in Hamburg dürfte von einer Mieterhöhung betroffen sein. Einige Vermieter schlagen mehr als die erlaubten 15 Prozent auf.

von Jonathan Sachse , Justus von Daniels

Eine typisches Straßenbild in Hamburg: Altbauwohnungen reihen sich aneinander. Dicht besiedelt und heiß begehrt.© CORRECTIV

Zwei Tage vor Weihnachten bekam Christian Siems* von seinem Vermieter eine besondere Überraschung zugeschickt: Seine Miete werde von mehr als 330 Euro auf rund 410 Euro erhöht, schrieb die Hausverwaltung. Grund sei der aktualisierte Mietspiegel. Seit einem Eigentümerwechsel vor einem Jahr ist dies nicht die erste Mieterhöhung für ihn. Ihm wurde sogar schon eine Prämie angeboten, dass er auszieht. Für Siems ist das Maß voll.

Bis zu 200.000 Haushalte in Hamburg dürften in den letzten drei Monaten eine Mieterhöhung erhalten haben, schätzt der Mieterverein zu Hamburg. Im Dezember 2017 wurde der neue Mietspiegel veröffentlicht.

Vermieter dürfen Mietpreise, die bisher unter dem Durchschnitt des Mietspiegels liegen, ohne weitere Begründung bis zu 15 Prozent erhöhen. Nach Angaben des Mietervereins könnten Vermieter bei rund einem Drittel aller Hamburger Mietwohnungen die Mieten hochsetzen. Und einige sogar über das gesetzliche Maximum hinaus. Die Mieter bemerken das oft nicht, weil nicht alle den Prozentsatz ausrechnen. Vermieter spekulieren darauf, dass die sich die einzelnen Mieter nicht wehren. Sie können den übertriebenen Mietsteigerungen aber widersprechen.

Bei Christian Siems schlägt die Hausverwaltung sogar mehr als 20 Prozent drauf – deutlich über der Kappungsgrenze von 15 Prozent. Und er ist nicht der einzige. In mindestens zwei weiteren Fällen haben seine Nachbarn das gleiche Schreiben erhalten. Auch in diesen Briefen kündigt die Hausverwaltung eine Mieterhöhung an, die über das Erlaubte hinaus geht.

„Viele Vermieter halten sich nicht an die Kappungsgrenze“, sagt Britta Schön, Mietrechtsexpertin der Verbraucherorganisation Finanztip. Im Dezember hat die Stadtentwicklungsbehörde den neuen Mietspiegel veröffentlicht. Dieser wird alle zwei Jahre neu ermittelt. Dort legen Vertreter der Immobilienwirtschaft und der Mieterverbände gemeinsam mit der Behörde fest, an welchen Miethöhen sich Mieter und Vermieter orientieren können.

In den letzten zwei Jahren ist die Miete durchschnittlich um 5,2 Prozent im Vergleich zum letzten Mietspiegel gestiegen, sagt die Rechtsanwältin Britta Schön von Finanztip. Wohnlagen werden dabei unterschiedlich eingestuft: es gibt „normale“ und „gute“ Wohnlagen. Im letzten Jahr wurden sechs Prozent aller Wohnlagen in Hamburg von normal zu gut hochgestuft. Das betrifft Mieter, die ihre Mieten eng kalkuliert haben und nun automatisch in eine höhere Preiskategorie rutschen.

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Seit Juli 2015 gilt in Hamburg die Mietpreisbremse. Dennoch steigen die Preise weiter.

Die Wohnung von Siems am Rande von Eppendorf ist im Mietspiegel der Wohnlage „normal“ zugeordnet. Sie ist mit rund 50 Quadratmetern nicht sehr groß und war recht günstig, als er sie vor mehr als 15 Jahren anmietete. Der Eigentümer, ein Hamburger Kaufmann, habe die Miete nie erhöht. „Der hatte das Herz auf dem rechten Fleck“, sagt Siems. Letztes Jahr wurde die Wohnung dann verkauft. Seitdem tritt eine Hausverwaltung als Vermieter auf und nutzt jede Möglichkeit, die Miete nach oben zu treiben. „Mit der neuen Vermietung haben wir nur noch über den Briefkasten Kontakt.“

Für Christian Siems war die unerlaubte Mieterhöhung nicht der einzige Brief von seinem neuen Vermieter. Ein paar Wochen später kündigte die Hausverwaltung an, dass das Haus modernisiert werde. Unter anderem sollte die Fassade gedämmt werden. Zusammen mit der Mietspiegelerhöhung würde seine Miete damit sogar auf rund 600 Euro steigen, das wäre fast doppelt soviel im Vergleich zu dem, was er derzeit noch an Miete zahlt.

Die Hausverwaltung bot ihm und anderen Mietern sogar an, jeweils 7.500 Euro als Umzugsprämie zu zahlen, wenn sie ausziehen würden.

Wer der Eigentümer ist, für den die Hausverwaltung handelt, ist dem Altmieter Siems nicht klar. Die Hausverwaltung schreibt ihm im Namen einer Firma, die die Adresse seines Hauses im Namen führt. Nach Recherchen von CORRECTIV gehört diese Firma wiederum zu demselben Konzern, der die Hausverwaltung führt.

Siems könnte die Mieterhöhung aufgrund der geringen Grundmiete und der kleinen Wohnung noch aushalten. Er hat nun den Mieterverein zu Hamburg eingeschaltet, um sich gegen die überhöhten Forderungen seiner Hausverwaltung zu wehren.

Seine Nachbarn bekommen den Einfluss der neuen Eigentümer bereits ganz unmittelbar zu spüren. Vergangene Woche wurden im gemieteten Garten Pflanzen aus den Beeten weggerissen. „Ohne Vorankündigung“, sagt eine Mieterin. Bald könnte im Garten ein Baugerüst stehen. Die betroffenen Mieter schließen sich jetzt zusammen, um sich gegen die Maßnahmen des Vermieters zu wehren.

*Name von der Redaktion geändert

[Anmerkung 6.3.: In einer ursprünglichen Version des Artikels hieß es, Herr Siems hätte einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Richtig ist, dass er den Mieterverein zu Hamburg kontaktierte und darüber eine Rechtsberatung in Anspruch genommen hat.]

 

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