Der Fall Sergej Erler
In Luhansk posierte er neben einem russischen Propagandaakteur. Die OSZE schickte ihn offenbar in die Operationszentrale nach Kiew. Heute arbeitet derselbe Mann als Mitarbeiter eines AfD-Abgeordneten in Brüssel.
Am 11. September 2016 tauchen in sozialen Netzwerken Fotos auf: Ein OSZE-Mitarbeiter steht in Luhansk, mitten im Kriegsgebiet im Osten der Ukraine. Neben ihm posiert der amerikanische Kampfsportler Jeff Monson, der an diesem Tag erklärt, Bürger der sogenannten „Luhansker Volksrepublik“ zu werden, eines von Russland kontrollierten Separatistengebiets. Wenige Tage später, am 20. Oktober 2016, ist derselbe Mitarbeiter in OSZE-Uniform im Gespräch mit einem russischen Soldaten im russischen Staatsfernsehen zu sehen.
Monson, früher Weltmeister im Mixed Martial Arts (MMA) aus den USA – einer Vollkontaktkampfsportart, die verschiedene Disziplinen wie Boxen, Ringen und Jiu-Jitsu kombiniert – wurde kurz darauf Ehrenbürger Abchasiens, 2018 auch russischer Staatsbürger. Seit 2023 sitzt er für die Putin-Partei Einiges Russland im Parlament der russischen Teilrepublik Baschkortostan. 2022 unterstützte er öffentlich die russische Invasion in der Ukraine.
OSZE-Mitarbeiter sind zur strikten Neutralität verpflichtet. Ein Auftritt mit einem pro-russischen Propagandaakteur in einem von Russland besetzten Gebiet verletzt dieses Prinzip. Die Fotos verschwinden später aus den Social Media-Profilen, bleiben jedoch in investigativen Recherche-Archiven erhalten.
Der Mann auf den Bildern heißt Sergej Erler. Acht Jahre nach diesen Aufnahmen arbeitet er im Europäischen Parlament für einen AfD-Politiker. Erler hat damit auch Zugang zu sicherheitspolitisch sensiblen Informationen.
Offenbar wurde Erler nicht trotz, sondern wegen seiner Nähe zu Putin und dem Kreml Mitarbeiter des AfD-Politikers.
Erler schreibt: keine Informationen an russische Stellen
Erler selbst schreibt CORRECTIV, er habe „habe zu keinem Zeitpunkt sicherheitsrelevante oder vertrauliche Informationen an russische oder andere ausländische staatliche oder nichtstaatliche Stellen weitergegeben. Entsprechende Behauptungen sind unzutreffend und würden eine schwerwiegende strafrechtliche Handlung darstellen.“ Seine Einsätze seien mandatsgemäß gewesen und „hätten zu keinerlei disziplinarischen, sicherheitsrechtlichen oder strafrechtlichen Maßnahmen geführt.“ Sicherheitsrelevanten Feststellungen oder Maßnahmen, die seine Person betreffen, seien ihm „nicht bekannt“.
„Bei dem Typen hätten alle Lichter auf knallrot stehen müssen“, schrieb die ehemalige EU-Abgeordnete Viola von Cramon gegenüber CORRECTIV und sprach von einem institutionellen Versagen.
Nun arbeitet er im EU-Parlament für den AfD-Abgeordneten Hans Neuhoff, der gemeinsam mit den Bundestagsabgeordneten Steffen Kotré und Rainer Rothfuß sowie Sachsens AfD-Landeschef Jörg Urban zur Brics-plus-Konferenz nach Sotschi reist – einer Veranstaltung, die von Kritikern als Teil einer russischen Propagandastrategie bewertet wird. Ein im September 2023 auf russischen Propaganda-Kanälen verbreitetes Video zeigt ihn dabei, wie er offenbar an eine Wand der Bundestags-U-Bahnstation gerade eine Penissilouette gemalt hat – und dazu sagt, während andere nur reden würden, „mache“ er.

In den Parlamenten, in den Landtagen, Bundestagen oder im Europaparlament tummeln sich Abgeordnete und Mitarbeiter, die Sympathie zu autokratischen Systemen wie in Russland, China oder Iran zeigen:
Letzte Woche wurde im Bundestag die Russlandnähe der AfD-Fraktion im Bundestag und Landtagen diskutiert, die Häufung von verdächtigen Anfragen zu sicherheitsrelevanter Infrastruktur. Im Bundestag wird aktuell darüber gestritten, ob die AfD sich an Russland-Spionage beteilige.
Dem ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Ulrich Oehme verweigerte der Bundestag wegen seiner Russland-Kontakte den Hausausweis. Auf EU-Ebene wurde ein anderer ehemaliger Mitarbeiter der AfD aussortiert. Juan G. in Deutschland wegen Spionage zu einer Haftstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt.
Manuel Ochsenreiter war Rechtsradikaler und Anhänger des nationalchauvinistischen Ideologen Alexander Dugin, er arbeitete 2018 für vier Monate als Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier. Die Bundesanwaltschaft ermittelte gegen Ochsenreiter wegen eines Brandanschlages in der Ukraine. Er soll auch russischer Spion gewesen sein. Der damalige Mitarbeiter von Frohnmaier floh nach Moskau und verstarb dort mit 45 Jahren im Sommer 2021 angeblich an einem Herzinfarkt. Frohnmaier ist heute außenpolitischer Sprecher der AfD im Bundestag.
Ein Mann, viele Identitäten
Erler, geboren 1979 im russischen Tscheljabinsk, wuchs in Deutschland auf. Zwölf Jahre lang diente er laut eigenem LinkedIn-Profil bei der Bundeswehr, zuletzt als Hauptmann der Reserve. Er gibt auf seinem Profil an, dass er auch für die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und zeitweise für das Bundesverteidigungsministerium gearbeitet habe. Bis Redaktionsschluss haben diese Stellen auf Anfrage noch nicht reagiert.
In Dresden studierte er Internationale Beziehungen. Seine Masterarbeit befasste sich mit der Anschaffung und völkerrechtlichen Bewertung bewaffneter Drohnen, ein Thema, das ihn auch später begleiten sollte.
Ab 2011 verbrachte Erler laut seines Online-Profils ein Studienjahr an der Moskauer MGIMO-Universität, der Kaderschmiede des russischen Außenministeriums. Die Universität wurde 1943 zur Stalinzeit gegründet und zählt zu ihren Absolventen unter anderem Wjatscheslaw Trubnikow, der von 1996 bis 2000 Direktor des russischen Auslandsgeheimdienstes SVR und danach Erster stellvertretender Außenminister wurde, Sergej Naryschkin, seit 2016 amtierender SVR-Direktor, sowie Sergej Lawrow, der seit 2004 Außenminister der Russischen Föderation ist. Die MGIMO schreibt auf ihrer Webseite als Missionsziel, russisches Interesse im Ausland zu vertreten. Sie beschreibt ihre Aufgabe als „ein Mechanismus, der zur Förderung der langfristigen Interessen Russlands auf internationaler Ebene“ dienen soll. Die Geheimdienste rekrutieren laut Moscow Times Studenten für Spionageaktivitäten.
Mit der Doppelqualifikation – militärische Erfahrung und Russland-Kenntnis – begann Erler seine internationale Laufbahn. Wie mehrere Quellen bestätigen, arbeitete er ab 2015 für die OSZE. Später wechselte er zur EU Monitoring Mission (EUMM) in Georgien. Das deckt sich mit seinem LinkedIn Profil, wonach er auch im Operations Center in Kiew gearbeitet habe.
Es gibt Hinweise darauf, dass Erler parallel zu seiner Karriere bei der OSZE mehrere Online-Identitäten nutzte. Auf Telegram und VK fanden sich unter einem Profil mit dem Namen „Sergej Olkhov“ Bilder von seiner Masterarbeit, seines angeblichen Diplomatenpasses und seinem Treffen mit Jeff Monson. Ein Mal postet der Account ein Bild von Erler auf dem Roten Platz in Moskau, Erler darauf verkleidet in russischem Nationaltrikot. Recherchen von Open-Source-Analysten bewerten weitere forensische Details gegenüber CORRECTIV als Bestätigung, dass dieser Account und ein weiterer namens „Siggi Borovik“ von Erler stammen. All das sind allerdings nur Hinweise, die nicht als feste Belege gelten können. Auf Anfrage, ob diese Profile zu ihm gehörten, schreibt Erler gegenüber CORRECTIV, er nehme sein „Recht auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 GG wahr.“
Während seiner OSZE-Mission von 2015 bis 2022 blieben diese Profilen in mehreren russischen Online-Netzwerken aktiv und teilten Inhalte, die sich mit der offiziellen Linie des Kremls decken.
Zu diesen Profilen schreibt er auf CORRECTIV Anfrage: „Private Meinungsäußerungen in sozialen Medien, soweit sie von mir stammen, stellen keine Illoyalität oder gar strafbares Verhalten dar. Die Gleichsetzung politischer Kommentare mit angeblicher „Desinformation“ oder „Spionage“ weise ich als unbegründet zurück.“
Im Dienst eines Russland-freundlichen Abgeordneten
Heute arbeitet Sergej Erler im Europäischen Parlament. Offizielle Register führen ihn als akkreditierten parlamentarischen Assistenten des AfD-Abgeordneten Hans Neuhoff.
Neuhoff sitzt für die AfD im Ausschuss für Sicherheit und Verteidigung (SEDE), in der Delegation EU-Ukraine und als Ersatzmitglied im Auswärtigen Ausschuss (AFET) – Gremien, in denen über Waffenhilfe und sicherheitspolitische Strategien beraten wird.
Der Abgeordnete zählt zu jenen AfD-Politikern, die im November 2025 laut dpa und Zeit an einer BRICS-plus-Konferenz im russischen Sotschi teilnehmen wollen. Die BRICS-Staaten sind ein Zusammenschluss von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, um vor allem der USA und EU einen geopolitischen Gegenpol zu bilden. Die Moskauer Universität schreibt es ausdrücklich ebenfalls als Missionsziel, die Verbindung zu den BRICS-Staaten zu stärken. Die Reise, deren Kosten die Bundestagsfraktion übernimmt, bewirbt die AfD als Beitrag zu „Friedensdialog und Energiepolitik“. Vertreter anderer Parteien sehen darin jedoch eine Imagekampagne für den Kreml.
Innerhalb der AfD gilt Erler als Experte für Rüstung und Drohnentechnologie. Parteidokumente führen ihn in der Fachkommission Außen- und Sicherheitspolitik.
Seine öffentliche Haltung fügt sich in das Muster jener AfD-Strömung, die Russland als Partner und die NATO als Bedrohung betrachtet.