„Völkermord an Christen“ im Sudan? Fachleute widersprechen rechtem Narrativ
Zum Konflikt im Sudan verbreiten sich verschiedene Falschbehauptungen – etwa, dass die Gewalt dort von Muslimen ausgehe und sich hauptsächlich gegen Christen richte. Wir haben Fachleute zu den tatsächlichen Hintergründen und den Akteuren des Konflikts befragt.
Seit April 2023 herrscht im Sudan Krieg. Mehr als 150.000 Menschen wurden nach einzelnen Schätzungen bei dem Konflikt, an dem vor allem das sudanesischen Militär (SAF) und die Miliz Rapid Support Forces (RSF) beteiligt sind, getötet. Nachdem die RSF Ende Oktober die Stadt Al-Faschir in der westlichen Region Darfur eingenommen haben, gab es Berichte über Massenhinrichtungen und sexuelle Gewalt gegen die dortige Zivilbevölkerung.
Zu den Hintergründen des Konflikts verbreiten sich in Sozialen Netzwerken verschiedene falsche Behauptungen. Eine ist besonders häufig: Der Krieg sei religiös motiviert, angeblich würden Muslime Christen töten. Das hat jedoch mit der Realität nur wenig zu tun.
Wir haben mit Expertinnen und Experten über die tatsächlichen Hintergründe des Konflikts gesprochen.
Rechtes Narrativ eines religiös motivierten Konflikts ist laut Expertinnen und Experten falsch
Insbesondere rechte Accounts und Politikerinnen und Politiker stellen den Konflikt aktuell als religiös motiviert dar. So schrieb der rechtspopulistische polnische EU-Abgeordnete Dominik Tarczyński auf X: „Sudan. Völkermord an Christen durch die Islamisten.“ Dazu verwendete er ein Bild, das laut einer Recherche von CORRECTIVs Faktenforum-Community KI-generiert ist.
Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch schrieb auf Facebook, dass die Täter im Sudan Muslime seien, und es deshalb keine Demonstrationen gebe. In einem weiteren Beitrag schrieb sie „Wenn Muslime die Täter und schwarze Christen die Opfer sind, gilt BlackLiveMatter nicht. Nigeria und Sudan.“
Auch in Nigeria sollen angeblich Christen verfolgt werden. Das behauptete unter anderem Donald Trump und drohte, militärisch einzugreifen. Teils vermischen sich die Behauptungen zu den zwei Ländern, die hunderte Kilometer voneinander entfernt liegen. Doch sowohl für Nigeria als auch für den Sudan ist das so nicht richtig.
Von Storch und Tarczyński antworteten bis zur Veröffentlichung nicht auf eine Anfrage von uns.

Im Sudan hat die Gewalt andere Hintergründe, wie uns mehrere Expertinnen und Experten erklärten: „Dass der Krieg im Sudan einen religiösen Hintergrund hat, stimmt so nicht. Es stimmt ebenfalls nicht, dass sich die Gewalt in Darfur gegen Christen richtet,“, schrieb uns die Politologin Hager Ali auf Nachfrage. Auch die Sudan-Expertin Kholood Khair und der Friedens- und Konfliktforscher Gerrit Kurtz erklärten, dass die Gewalt im Sudan andere Hintergründe habe und sich nicht hauptsächlich gegen Christen richte.
Wer sind die Konfliktparteien?
Der aktuelle Konflikt im Sudan wird häufig als „Bürgerkrieg“ beschrieben. Das ist technisch korrekt, denn es handelt sich um einen innerstaatlichen Konflikt. Allerdings wird der Krieg nicht gesellschaftlich getragen, sondern es handelt sich um einen Machtkampf zwischen zwei militärischen Fraktionen, wie etwa die BBC erklärt. Den regulären Streitkräften, den Sudanese Armed Forces (SAF) unter Führung von Abdel Fattah al‑Burhan, dem de-facto Machthaber, sowie den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) unter Mohamed Hamdan Dagalo, auch „Hemedti“ genannt.
Die RSF wurden 2013 gegründet und gehen auf die früheren „Dschandschawid“-Reitermilizen zurück, die in der Region Darfur seit 2003 gemeinsam mit den SAF gegen Aufständische vorgegangen sind – laut Berichten mit schweren Verbrechen gegen die Schwarze, nicht-arabische Zivilbevölkerung. Mindestens 200.000 Menschen sollen zwischen 2003 und 2005 getötet worden sein. Der internationale Strafgerichtshof hat gegen ehemalige Regierungsmitglieder unter anderem wegen Völkermords Anklage erhoben. Ein Anführer der Dschandschawid wurde im Oktober 2025 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und sexueller Gewalt verurteilt.
Die Miliz wurde zunächst vom damaligen langjährigen Diktator Umar al-Baschir, der seit 1989 an der Macht war, militärisch und finanziell unterstützt. Al-Baschir wollte so ein Gegengewicht zur regulären Armee aufbauen und dadurch seine Macht sichern und sich vor einem Militärputsch schützen, wie uns die Expertin Kholood Khair erklärte.
Nach Protesten gegen die Regierung stürzten die SAF und die RSF 2019 jedoch gemeinsam al-Baschir. Gleichzeitig gingen sie mit großer Gewalt gegen die Demonstrierenden vor. Eine zunächst gemeinsam gebildete militärisch-zivile Regierung wurde im Oktober 2021 durch einen weiteren Putsch des Militärs gestürzt.
Al-Burhan und Dagalo zerstritten sich dann über die Frage, ob die RSF in die reguläre Armee integriert werden sollte. Am 15. April 2023 begannen Schießereien zwischen den beiden Seiten.
Früherer Konflikt mit Südsudan war teils religiös geprägt, aktueller Konflikt ist es nicht
Doch zunächst: Woher kommt dieses Narrativ? Die Darstellung als Konflikt zwischen Muslimen und Christen im Sudan würde zum einen durch die christliche Rechte in den USA befeuert, habe aber auch einen historischen Hintergrund, erklärte Khair. Der zweite Bürgerkrieg im Sudan, der 1983 begann und 2005 endete, sei zum Teil tatsächlich religiös geprägt gewesen. Die muslimisch-arabische Regierung aus dem Norden des Sudans, ab 1989 unter Umar al-Baschir, habe damals gegen eine Rebellen-Gruppierung aus dem Süden gekämpft, die Sudanesische Volksbefreiungsarmee (später Streitkräfte des Südsudan). Deren Mitglieder gehörten verschiedenen Religionen an, ihr Anführer, John Garang, war jedoch Christ, so Khair. 2011 erlangte der Südsudan, dessen Bevölkerung mehrheitlich christlich ist oder lokalen Religionen angehört, seine Unabhängigkeit. Der Konflikt habe damals außerdem mit einer Revolte gegen die Einführung der Scharia-Gesetzgebung begonnen, erklärte Khair. Beim aktuellen Konflikt spiele Religion aber kaum eine Rolle.
Auch Gerrit Kurtz schrieb uns auf Anfrage, der Kampf der RSF habe keinen religiösen Hintergrund. Die Bevölkerung des Sudan sei zu mehr als 90 Prozent muslimisch. Auch die Mitglieder der RSF und SAF seien mehrheitlich muslimisch. Es habe zwar Berichte gegeben, dass in Al-Faschir auch Christen unter den Opfern der RSF gewesen seien, die Miliz habe aber dort und anderswo auch Moscheen angegriffen. Die Situation der christlichen Minderheit im Sudan sei dennoch nicht einfach. Sie habe in den letzten Jahrzehnten unter der Repression der islamistischen Regierung von al-Baschir gelitten, so Kurtz.
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Aktueller Konflikt ist durch politischen Machtkampf, wirtschaftliche Interessen und Rassismus geprägt
Was sind also die Ursachen für den aktuellen Konflikt?
„Auslöser des Krieges seit April 2023 ist eine gescheiterte Reform im Sicherheitssektor des Landes, bei der die paramilitärischen Rapid Support Forces , […] in das reguläre Militär (Sudan Armed Forces, SAF) des Landes integriert werden sollte,“ erklärte Politologin Hager Ali. Der RSF-Befehlshaber, Mohammed Hamdan Dagalo, und das de facto Staatsoberhaupt und General der SAF, Abdel Fattah al-Burhan, konnten sich nicht darauf verständigen, wer die künftige neue Streitkraft anführen soll. Im April 2023 zogen Truppen der RSF dann in der Hauptstadtregion, dem Bundesstaat al-Khartum, auf, um al-Burhan zu stürzen. „Als ihnen das nicht gelang, breitete sich die Gewalt schrittweise auf das ganze Land aus und es kam vom gescheiterten Putsch zum landesweiten Krieg“, so Ali.

Aus dem Bundesstaat al-Khartum haben sich die RSF laut Berichten bis Mai 2025 schrittweise zurückgezogen, aktuell (Stand November 2025) kontrollieren sie große Gebiete im Südwesten, inklusive der Region Darfur. Dort sind wichtige Bodenschätze, Gold und Gummi Arabicum, konzentriert sind. „Die RSF brauchen den Zugriff zu den Landesgrenzen nach Libyen, Tschad und die Zentralafrikanische Republik für den Schmuggel von Waffen, Munition in den Krieg, und den Schmuggel von Gold und Gummi Arabikum aus dem Land“, erklärte Ali.
Welche Rolle spielen ausländische Interessen im Konflikt?
Die RSF werden international von Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt, erklärt die Sudan-Expertin Khair: „Die RSF hat diese Sicherheitsverbindungen zu den Russen aufgebaut, insbesondere zum Africa Corps, ehemals Wagner-Gruppe, und erhält zahlreiche Waffen sowie politische und wirtschaftliche Unterstützung von den Emiratis.“ Russland soll aber laut US-Angaben gleichzeitig auch die SAF unterstützen. Die Hauptinteressen Russlands im Sudan sind laut dem Thinktank Center for Strategic and International Studies Gold und ein Marinestützpunkt am Roten Meer.
Die Emirate werden verdächtigt, die RSF unter anderem mit Waffenlieferungen zu unterstützen, bestreiten das jedoch. Die deutsche Bundesregierung steht in der Kritik, weil sie weiter Waffen an die Emirate liefert. Laut Amnesty International wurden im Sudan Waffen aus China, Russland, Serbien, der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Jemen identifiziert. Wie die Washington Post berichtete, habe die türkische Firma Baykar, die dem Schwiegersohn des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gehört, Waffen an die SAF geliefert. Auch Ägypten und der Iran sollen die SAF unterstützen.
Die Emirate kaufen laut Berichten außerdem einen Großteil der sudanesischen Gold-Exporte, sowie mutmaßlich auch geschmuggeltes Gold und finanzieren so den Konflikt auf beiden Seiten.
Neben diesen machtpolitischen und wirtschaftlichen Aspekten ist die Gewalt der RSF auch durch Rassismus geprägt, wie uns die Expertinnen und Experten erklärten. „Was in Darfur geschieht, ist, dass die RSF, die größtenteils, wenn auch nicht ausschließlich, aus arabischstämmigen Gruppen besteht, Gräueltaten gegen Gruppen begeht, die sich als afrikanisch identifizieren und als solche identifiziert werden“, so Khair. Das zeige sich auch in der Sprache, die die Miliz-Kämpfer verwenden: In Videos würden sie ihre Opfer als „Sklaven“ bezeichnen.
„In Darfur verteilen sich afrikanisch-stämmige Minderheiten der Fur, Massalit und Zaghawa. Die Fur, Massalit und die Zaghawa sind muslimische Minderheiten. Die RSF verfolgen diese Minderheiten aus rassistischen und wirtschaftlichen Gründen“, schrieb Ali. In der Ideologie der RSF seien diese Minderheiten keine „echten“ Muslime, weil sie afrikanische Wurzeln haben und nicht arabischstämmig sind.
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Redigatur: Paulina Thom, Gabriele Scherndl