Der Prozess, Tag 35
Der psychologische Sachverständige hält Stadtmann für schuldfähig. Der Angeklagte gibt im Gespräch mit dem Psychologen Fehler zu. Die Verteidigung versucht die Verhandlung zu verzögern.
Welchen Eindruck macht Peter Stadtmann?
Peter Stadtmann berät sich heute öfter mit seinen Verteidigern. Während der Aussage des Sachverständigen bleibt sein Blick stoisch.
Welchen Eindruck machen die Betroffenen?
Heute sind zehn Nebenkläger erschienen. Im Laufe des langen Verhandlungstages leeren sich aber die Reihen. Am Ende sind keine Nebenkläger mehr da. Der Grund: Parallel demonstrieren am späten Nachmittag Betroffene in Bottrop vor der Alten Apotheke. Nur zehn ihrer Anwälte verbleiben im Gerichtssaal. Zehn Zuschauer beobachten die Verhandlung. Der Prozesstag wird anfangs von sechs Journalisten begleitet, am Ende von einem.
Die wichtigsten Ereignisse des Tages:
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Simulierte Stadtmann? Der Sachverständige Boris Schiffer hat Stadtmanns kognitive Leistungsfähigkeit getestet. Dadurch will Schiffer einschätzen, wie beeinträchtigt Stadtmann nach seiner Hirnverletzung 2008 war. Schiffer sieht in den Testergebnissen aber „Simulationstendenzen“. Er geht davon aus, dass Stadtmann sich in keinem dieser Tests so präsentiert habe, wie er könnte. Zum Beispiel was sein Gedächtnis angeht: Hier sei seine Leistung auf dem Niveau eines schwer kranken Alzheimerpatienten gewesen. Menschen mit einem hirnorganischen Psychosyndrom würden wesentlich besser abschneiden. Außerdem seien die Ergebnisse unplausibel, sehe man sich das Gutachten von Pedro Faustmann an. Dieser hatte ein erstes psychiatrisches Gutachten über Stadtmann erstellt. Hier habe der Angeklagte noch wesentlich besser abgeschnitten. Auch ein Arztbrief aus dem Jahr 2010 bescheinige, Stadtmann sei „klinisch neurologisch und psychopathologisch wieder hergestellt.“ Das steht im Gegensatz zu seiner Selbstbeurteilung. Hier habe Stadtmann das Bild einer stark eingeschränkten Person gezeichnet.
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Stadtmanns IQ. Schiffer kritisiert Faustmanns Gutachten zu Peter Stadtmann. Dieser habe dem Angeklagten einen unterdurchschnittlichen IQ attestiert. Faustmann nehme das als Hinweis auf eine Funktionsbeeinträchtigung. Dabei liege der Wert mit 108 IQ-Punkten im oberen Durchschnitt, sagt Schiffer. Damit könne man durchaus ein gutes Abitur ablegen und ein Studium durchstehen. Faustmann habe in seinem Gutachten den IQ mit Normgruppen verglichen, die in keinem Handbuch zu finden wären. So sei er zu einer falschen Schlussfolgerung gekommen, sagt Schiffer. Er habe außerdem die Tatsache, dass Stadtmann seine Haft als Erholung bezeichnet hätte, als Hinweis auf eine affektive Störung gesehen.
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Keine Einschränkung der Schuldfähigkeit. Es gebe aus forensisch-psychologisch-psychiatrischer Sicht keine Hinweise auf eine Einschränkung der Schuldfähigkeit, sagt Schiffer. Stadtmann habe keine organische Persönlichkeitsstörung und seine Funktionsbeeinträchtigung sei nicht schwer genug, um behandelt zu werden, sagt Schiffer. Aus seiner Sicht sei es zudem unwahrscheinlich, dass unbeabsichtigte Fehler ausschließlich zu Unterdosierungen geführt hätten, aber nicht zu Überdosierungen. Außerdem bezweifelt er, dass ein Patient mit hirnorganischer Störung über vier Jahre hinweg täglich betrügerische Handlungen vornehmen könne. Betroffene hätten eher Probleme mit Impulshandlungen. Diese habe er bei Stadtmann nicht festgestellt.
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Stadtmann gibt unbewusste Fehler zu. Im Gespräch mit ihm, habe Stadtmann eingeräumt, unbewusste Fehler gemacht haben zu können, sagt Schiffer. Als er Stadtmann fragte, ob er denke, Fehler gemacht zu haben, habe dieser genickt. Der Angeklagte habe ihn auch gefragt, ob er ihm attestieren könne, nicht mehr als Apotheker arbeiten zu dürfen. Er habe seine Beeinträchtigungen nach dem Gutachten Faustmanns selbst erkannt, sagte er Schiffer. Auf die Unterdosierungen angesprochen, reagierte Stadtmann mit einem „kleinen emotionalen Ausbruch“, sagt der Sachverständige. Er könne sich das selbst nicht erklären, habe Stadtmann gesagt und dabei aufgebracht gewirkt.
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Volle Schränke, volles Lager. Stadtmann habe mit ihm auch über die Bestellungen in der Apotheke gesprochen, sagt Schiffer. Die Kühlschränke und das Lager seien immer voll gewesen, habe Stadtmann berichtet. Erst wenn ein Mitarbeiter die letzte Charge aus dem Keller geholt habe, habe man nachbestellt. Auf die Frage, wie er sich die Differenz zwischen bestelltem und verkauftem Wirkstoff erkläre, habe Stadtmann keine Angaben machen wollen.
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Verzögerungstaktik der Verteidigung. Die Verteidigung beantragt heute zum zweiten Mal, den Prozess für drei Wochen zu unterbrechen. Ein Grund: Der Sachverständige sei Psychologe, es sei aber ein psychiatrisches Gutachten bestellt worden. Erst am vergangenen Prozesstag hatten Stadtmanns Anwälte darum gebeten, zu unterbrechen. Sie benötigten mehr Zeit, um sich auf die Befragung von Schiffer vorzubereiten. Das Gericht lehnt dies heute zu Beginn ab. Nach der Befragung des Sachverständigen durch Richter, Staatsanwalt und Nebenklage, stellt die Verteidigung erneut einen Antrag auf Unterbrechung. Sie monieren, es gebe neue Erkenntnisse durch die Aussage Schiffers. Unter anderem, dass dieser kein Mediziner zu sein scheine. Schiffer ist Leiter der forensisch-psychiatrischen Abteilung der Ruhr-Uni Bochum. Er sei dort wegen seiner Sachkunde zum Professor berufen worden und habe schon etwa 40 forensisch-psychiatrischer Gutachten ausgestellt, sagt Schiffer. Staatsanwalt Jakubowski erwähnt, dass erst die Verteidigung Schiffers Namen ins Spiel gebracht habe. Auch der zweite Antrag der Verteidigung wird abgelehnt.
Ausblick auf den nächsten Verhandlungstag
Morgen will der Richter Beschlüsse zu ausstehenden Anträgen verkünden. Außerdem soll möglicherweise ein schriftliches Beweisstück vorgelesen werden.
Die nächsten Verhandlungstage im Überblick (Beginn jeweils 09:30 Uhr): 14.06., 18.06., 19.06., 20.06., 22.06., 25.06., 27.06. und 29.06.