Politik

Verfassungsschutz ist Antifa? Rechte Aktivistin teilt nach US-Sanktionen alten Beitrag

Die rechtsextreme Aktivistin Naomi Seibt behauptet auf X, der Verfassungsschutz unterstütze eine Terrororganisation. Belegen soll das ein X-Beitrag, in dem der Verfassungsschutz Niedersachsen schrieb „auch wir sind Antifa“. Was es damit auf sich hat.

von Max Bernhard

Demonstranten zeigten am 28. November 2025 in Gießen ein Transparent mit der Aufschrift „Alle zusammen gegen den Faschismus!“ und „Free all Antifas“. Anlass waren Proteste gegen die Neugründung der Jugendorganisation der AfD. (Foto: Tonny Linke / Nur Photo / Picture Alliance)
Behauptung
Der Verfassungsschutz identifiziere sich als „Antifa“ und stelle sich auf die Seite einer Terrororganisation. Das zeige ein X-Beitrag, in dem der Verfassungsschutz Niedersachsen geschrieben habe: „Auch wir sind Antifa. Selbstverständlich.“
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Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Der Beitrag des Verfassungsschutzes Niedersachsen ist echt. Die Behörde erklärte in weiteren Tweets, dass damit eine „antifaschistische Haltung“ gemeint sei. Der Begriff „Antifa“ bezeichnet eine lose, heterogene Gruppe, die von deutschen und europäischen Behörden nicht als Terrororganisation betrachtet wird. Darunter sind zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren.

Die Deutsche Naomi Seibt ist rechtsextreme Influencerin – seit 2024 lebt sie in den USA und hat dort Ende Oktober 2025 politisches Asyl beantragt. Sie behauptet, sie würde vom deutschen Verfassungsschutz überwacht und erhalte Todesdrohungen von „der linksextremen Antifa“. Damit nährt sie ein Narrativ, das auch von der US-Regierung verbreitet wird: In Deutschland werde die Meinungsfreiheit vor allem für politisch Rechte eingeschränkt.

Mitte November stufte die US-Regierung einige europäische „Antifa-Gruppen“ als Terrororganisationen ein – eine Entscheidung, die von Kritikern als Vorgehen gegen die linke Opposition bewertet wird. Wie die Tagesschau einordnete, verfügt die Antifa-Bewegung weder in den USA noch in Deutschland über eine feste Organisationsstruktur.

In diesem Kontext verbreitet Seibt Mitte November – kurz nach der Einstufung – eine weitere Behauptung: „Der deutsche Geheimdienst ,Verfassungsschutz‘ identifiziert sich als ANTIFA“, schreibt sie auf X in englischer Sprache. Die Behörde stehe auf der Seite „einer terroristischen Organisation“. Dazu teilt Seibt den Screenshot eines alten X-Kommentars vom Verfassungsschutz Niedersachsen, in dem es hieß: „Auch wir sind Antifa. Selbstverständlich.“

Wir erklären im Faktencheck, warum der Behauptung Kontext fehlt.

Der Verfassungsschutz identifiziere sich als „Antifa“ und unterstütze eine Terrororganisation, behauptete die rechte Aktivistin Naomi Seibt im November 2025 auf X (Quelle: X; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Verfassungsschutz Niedersachsen meinte mit „Antifa“ nach eigener Aussage „antifaschistische Haltung“ 

Hintergrund ist: Im Oktober 2024 hatte der Verfassungsschutz Niedersachsen in einem X-Beitrag eine Einordnung der „Antifa“ angekündigt und dazu ein Meme geteilt, das zwischen „demokratischer Protest“ und „Autonome / Militante“ unterschied. Darunter kommentierte die Behörde den Satz, der damals schon für Kritik sorgte und den Seibt nun, ein Jahr später, aus dem Kontext reißt.

Was Naomi Seibt nicht erwähnt: Vor dem Tweet teilte der Verfassungsschutz Niedersachsen ein Meme mit dem Satz: „Was steckt hinter der Antifa?“. Das war am 11. Oktober 2024. (Quelle: X; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Dabei hatte die Behörde in mehreren Beiträgen eingeordnet, dass mit „auch wir sind Antifa“ eine „antifaschistische Haltung“ gemeint sei. Auch einige Tage später stellte der Verfassungsschutz Niedersachsen nochmal klar: „Wir nehmen unsere Aufgaben auf Grundlage der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wahr. Die Ablehnung von Faschismus und jeglicher Form von menschenfeindlicher Ideologie sind in ihr verankert. Jede Person, die hinter der fdGO [Anm.: freiheitlich-demokratische Grundordnung] steht, ist antifa(schistisch).“

In mehreren Beiträgen erklärte die Behörde, dass eine antifaschistische Haltung gemeint sei (Quelle: X; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Seibt antwortete nicht auf eine Anfrage per E-Mail.

„Antifa“ ist keine klar umgrenzte Organisation, sondern ein Sammelbegriff

In dem angekündigten Beitrag zur „Antifa“ erklärte der Verfassungsschutz Niedersachsen, dass „Antifa“ ein Sammelbegriff für verschiedene Bestrebungen und Organisationen sei – darunter nicht extremistische und extremistische. Als extremistisch eingestuft werden Gruppen und Organisationen, die in Verdacht stehen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO) anzugreifen.

Das deckt sich mit einer Einschätzung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags von 2018. Darin heißt es: „Bei der so genannten Antifa handelt es sich nach verbreitetem Verständnis nicht um eine bestimmte, klar umgrenzte Organisation oder Vereinigung, sondern um den Oberbegriff für verschiedene, im Regelfall eher locker strukturierte, ephemere autonome Strömungen der linken bis linksextremen Szene.“

Auch die EU-Kommission erklärte 2022: „,Antifa‘ ist keine Organisation, sondern der Sammelbegriff für verschiedene autonome und oft informelle Gruppen, die sich als antifaschistisch bezeichnen.“

Laut den Wissenschaftlichen Diensten des Bundestags gibt es keine klar umgrenzte „Antifa“-Organisation (Quelle: bundestag.de; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Verfassungsschutzbehörden beobachten auch linksextreme Gruppen

Seibt behauptet in ihrem Beitrag außerdem, dass der Verfassungsschutz „die Antifa“ schütze. Doch sowohl in Niedersachsen als auch auf Bundesebene beobachten die Verfassungsschutzbehörden linksextreme Gruppen, wie sich etwa dem Verfassungsschutzbericht Niedersachsen für 2024 oder dem Verfassungsschutzbericht 2024 auf Bundesebene entnehmen lässt.

Deutsche Behörden zeigten sich offenbar überrascht davon, dass US-Präsident Donald Trump im November die Gruppe „Antifa Ost“ auf die US-Terrorliste setzen ließ. Gewaltbereite Teile der Gruppierung seien entweder bereits rechtskräftig verurteilt und in Haft oder befänden sich in Polizeigewahrsam, zitierte die Tagesschau eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums.

Die „Antifa-Ost“ sei keine homogene Gruppe mit festen Strukturen, wie Zivilgesellschaftsforscherin Christin Jänicke der Nachrichtenagentur EPD sagte. Der Begriff sei eher als „geografischer Raum“ aufgemacht worden, da die Tatorte in den ostdeutschen Bundesländern Sachsen und Thüringen lagen. Die Urteile hätten sich auch nicht auf die „Bildung einer terroristischen Vereinigung“ bezogen.

Redigatur: Sarah Thust, Steffen Kutzner

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